das leben vor der wurst

ich esse sehr gerne fleisch, ich mag den geschmack, das ritual beim zubereiten und essen, die weihnachtsgans, das osterlamm, die steaks an sommerabenden, lasagne und ragù und königsberger klopse, die salamis auf den ausflügen. in den letzten jahren habe ich nur noch bio-fleisch gegessen, mit engeren finanzen verschob sich das wieder, weihnachten gab es dithmarscher gänse, die sind nicht bio, der züchter ist aber vertrauenserweckend und die gans kostet statt 150€ nur 70€.

beim aufschnitt hatte ich eine art passendes und bequemes blackout, habe entweder von der theke oder dem regal abgepacktes in massen gekauft, weil der umsatz hier sehr hoch ist. vor ein paar wochen hat die nachrichtenlage um tönnies mir das thema aufgezwungen, und meine söhne liegen mir eh schon länger in den ohren. es sind nicht nur die absoluten pfenniganbieter, die da herstellen lassen, es ist eine große gruppe von produkten, die aus solchen schlachthöfen stammt. vielleicht, hoffe ich, sparen die züchter beim schlachten, um mehr geld für die haltung übrig zu haben? das kann jemand herausfinden, der geld für die recherche bekommt, ich glaube aber eher nicht.

nach der letzten niederlage des mitgefühls vorm gesetzgeber kann ich das nicht mehr, ich kann das zeug nicht mehr essen, das von leuten wie tönnies hergestellt wird, einer firma, die nicht nur dem tierwohl nicht die mindeste beachtung schenkt, sondern auch die mitarbeiter ausbeutet und entrechtet. menschen wie tönnies sind herzlose gewissensfreie großkapitalisten (die erste wortwahl habe ich gelöscht, aber nur aus juristischen gründen), denen ich keinen cent überlassen will, damit sie ihre unethischen geschäfte weitertreiben. der gedanke an die menschen hinter den tieren hat mir sozusagen den rest gegeben, und die erkenntnis, dass es für die tiere noch ewig so weitergehen wird. es war ein twitterbild von einer sau in kastenhaltung, ab der sekunde war bei mir die wurst am ende. es war ab dann ganz leicht.

selbst die produkte mit abzeichen für tierwohl sind ja im wesentlichen billige kompromisse, ob es nun einen meter mehr oder weniger pro tier gibt, ist nur ein unterschied zwischen folter und quälerei, wobei halt, ein meter? ein meter wäre luxus und nicht zu bewerkstelligen, es geht zb bei tierwohl-klasse 2 um läppische 10% mehr als die gesetzlich vorgegebene mindestgröße, wobei ich keine ahnung habe, was mit der mindestanforderung „0,825m²“ gemeint sein könnte, pro schwein etwa? bei hühnern sind es unsagbare 53kg tier pro quadratmeter, das scheint mir quälerei, ohne further ado. bei rindern sollen in anderthalb quadratmeter raum im schnitt 150kg tier unterkommen, das geht eigentlich nur, wenn man die kuh faltet oder sonstwie umformt. tierwohl ist eine irreführender name, ein riesiger euphemismus, im grunde eine frechheit.

bei wurstwaren haben die hersteller bisher die kennzeichnung verweigert, und das heißt nicht, dass ihnen das tierwohl selbstverständlich ist und sie nur deshalb nix kennzeichnen, wie es zb das kindeswohl bei mir ist (darum schreib ich wenig über meine kinderhaltung, ich gehe davon aus, dass es selbstverständlich ist, nur das bestmögliche zu tun und dass die grenze, auch bei wenig geld, sich weit jenseits der grenzen der vernachlässigung befindet, wobei ich mit vernachlässigung die missachtung von grundbedürfnissen meine. mein kind trägt schuhe und wird bewegt, auch wenn es nicht tennis und nicht adidas yeezy boost sein müssen. bei der tierhaltung ist es selbstverständlich, nur das billigste zu tun, de facto bedeutet das, nur das überlebensnotwendige, weil ungenutzt sterbende tiere nicht rentabel sind, ohne weiteres kriterium, weil es den leuten nicht klar ist, dass tiere gefühle haben und leidensfähig sind und man demzufolge nicht ausschließen kann, dass sie eine seele haben, womit die praktizierte tierhaltung guten gewissens eine hölle genannt werden darf. living hell. ja sorry, ich reg mich grad auf. solche texte habe ich in der vergangenheit nie fertig gelesen, weil ich eben weiter fleisch essen wollte. das ist vorbei, ab jetzt lese ich sie nicht mehr, weil ich den kram ja nicht mehr esse, und es wie bisher nicht aushalte. harhar.)

es gibt also nur noch käse für die stullen. ich kann gar nicht fassen, dass es bei mir solang gedauert hat. man sollte diese mindestanforderungen graphisch darstellen und an jeder fleischtheke platzieren, aber nein, halt: jetzt gehört natürlich die unterbringung der milchkühe für die käseherstellung auch ins thema, vielleicht ist es bei denen noch schlimmer, weil die tiere da ja länger am leben bleiben. mindestens haltungsform premiumklasse, am liebsten wäre mir eine haltungsklasse „paradies“ oder so, wo die kühe, schafe und ziegen sich aussuchen könne, ob sie bleiben oder nicht.

aber wo finde ich das siegel auf den käsepackungen? es bleibt nur eine vegane ernährung, oder das bio-siegel, dass ich mir beim umsatz der jungs eigentlich nicht leisten kann. ich werde gemüse auf stullen propagieren, bis sich herausstellt, dass gemüse auch gefühle hat.

11 Gedanken zu „das leben vor der wurst“

  1. Was ich jetzt nach zweieinhalb Jahren auf dem Land weiß: Es ist komplizierte Materie.
    Der Trend geht neben der Profitmaximierung zu Massenschlachthöfen, weil nur dort die massenhaften Auflagen eingehalten werden können. Der schlachtende Fleischer ist unmöglich oder illegal.
    Es gibt in Deutschland kaum noch Menschen, die in diesen industriellen Schlachthöfen arbeiten wollen. Es gibt aber auch sonst kaum jemanden mehr, der als Schlachter arbeiten will. Du kannst hier auf dem Dorf recht preiswert eine Rinder- oder Schweinehälfte in Bioqualität kaufen. Zerlegen mußt du sie selber. Die paar, die das noch machen, sind in Lohn und Brot oder stellen selber etwas aus der Rinder- oder Schweinehälfte her.
    Der Bauer hier mußte seine auf Sauergraswiesen lebenden Bullenkälber (eine Delikatesse) an den Händler verkaufen, weil bis letztes Jahr kein Bio-zertifizierter Schlachthof in verträglicher Nähe existierte. Damit fiel Direktvermarktung für ihn aus. Er könnte das Fleisch ansonsten problemlos und schnell verkaufen. Dieses Jahr versucht er es mit einem kleinen Schlachthaus in der Nähe. Seine Strohschweine sind Auftragsarbeit, die sind alle schon vergeben.
    Unsere Art zu konsumieren tut das ihrige dazu. Wir wollen Hähnchenbrust für unser Essen, kein ganzes Huhn. Wir wollen bestimmtes Fleisch jetzt und sofort, weil es auf unserem Einkaufszettel steht. Hier sind aber die Tiere nicht immer konstant schlachtreif. Der Fleischer will auch in der Woche zwei Schweine und nicht im Herbst zehn und im Frühjahr keine, weil seine Kunden jede Woche Hackfleisch oder Steaks kaufen wollen.
    Was für Gemüse vernünftig ist, nämlich es saisonal und regional zu kaufen, gilt für Fleisch genau so. Die Logistik und die Freizügigkeit existiert dafür aber nicht (mehr). Die Auflagen, die gemacht wurden, um die Großen zu kontrollieren, haben die Kleinen getötet oder gar nicht erst auf dem Markt erscheinen lassen.

    1. das hieße, das es keinen weg gibt, um tiere richtig zu schlachten? so hatte ich das noch nicht bedacht, sehr interessant. die mindeststandards zum tierwohl sind dann nur ein kleiner teil eines größeren regelwerks, wer alles erfüllt, muss auf kosten der tiere und/oder arbeiter ausgaben sparen. mir erscheinen die gewinne der großen tönnies-läden aber doch so hoch, das kann nicht alles so enggewirkt sein mit dem regelwerk, die können auch anders, sie wollen aber nicht. zu sagen, es liegt alles an den gesetzen, nimmt den profiteuren jede verantwortung für ihr tun, kenne aber die gesetze natürlich nicht. sehr bitter alles. glückliche tiere sind dann nur was für privatiers. alternativen kenne ich kaum, also außer dem mann mit der axt in der garage und dem bauern mit nebenjob: in bayern gibt es diesen eichelschwein-betrieb, ein projekt mit schweinen in einem eichenwald, frei, schlachtung im herbst und verkauf der produkte übers netz, also saisonal und mit direktmarketing. alles ausnahmen, und sehr lecker!

      1. „Richtig“ schlachten? Zumindest geht es auch anders: https://www.stevanpaul.de/nutriculinary/2010/01/26/schwein-gehabt-das-porkcamp-auf-gut-hesterberg/

        Die angeblich so einengenden Schlachthofgesetze dürften wohl hauptsächlich als Reaktion zu den unsäglichen Großschlachthofbedingungen entstanden sein: wenn die da keine Hygiene kennen, dann schreiben wir ihnen die Hygiene vor, etc. Was uns hierzulande helfen könnte, wären abgestuft zuständige Regeln: Klein- und Seltenschlachter müßten nicht derart viel vorhalten (was brauch ich einen getrennten Pausenraum für Mitarbeiter, wenn ich keine Mitarbeiter habe etc), ab X Tiere pro Zeiteinheit gelten dann mehr Regeln. Allerdings tut sich die hiesige Bürokratie schwer mit sowas, hier gilt immer noch 1 Hammer für alle.

        Was allerdings sofort zu verbessern wäre: mehr Kontrolleure, mehr Kontrollen, mehr Tierärzte, und dann auch sofort und streng sanktionieren. Tönnies wäre nie so groß geworden, wären nicht sämtliche Mißstände der Branche jahrzehntelang durchgewunken worden.

      2. Ein kleiner Metzger, der selbst schlachtet, ohne tierschädigend Transport, muss ein Vielfaches an Fleischbeschau zahlen, muss die „Abfälle“ teuer zahlen, die die großen Schlachtfabriken vermarkten können, wie z.B. Schweinefüsse, Därme, Ohren… Ganz abgesehen davon, dass ein Schlachthaus unterhalten mit soviel Auflagen verbunden ist, viel für einen Metzger. Unser Demeterbauer braucht seine Tiere um hofeigenen Dünger zu bekommen, die Tiere wachsen gut auf, haben Licht und Luft und Freiraum.
        Aber es gibt Bauern, die ihre gesund auf der Weide aufgewachsenen Rinder am Ende an einen Schlachthof verkaufen müssen, da niemand sie ortsnah schlachtet. Und diese ehemaligen Kälber gibt es ja, damit es Biojogurt und Quark und Käse gibt! Es müsste viel mehr in Kreisläufen gedacht werden. Und von den Tieren sollte dann später nicht nur Steak und Schnitzel verzehrt werden. Meine Vorfahren wussten das noch, außen auch weniger Fleisch und Wurst, wir inzwischen auch wieder.

  2. es ist kompliziert, und eine kostenfrage, und so weiter und so fort, aber: es geht auch anders. die weide- und hofschlachtung ist durchaus praktikabel, und z.b. hier ganz gut erklärt: https://www.nahgenuss.at/blog/hofschlachtung/

    dass gute ware teuer ist erklärt sich in solchen fällen eh von selbst, aber bei gutem fleisch bleibt halt auch mehr im topf. kwasi wie bei sehr lang gereiftem käse: man braucht für eine mahlzeit nur einen bruchteil von dem, was man an billigem käs‘ brauchert, der geschmack ist charakteristischer, die laktose hat sich verflüchtigt, und mit den rinden kann man auch noch was anfangen (sagt zumindest der jeweilige hier lebende hund …).

    ich kenn übrigens einen ort hier in österreich – mit unter 500 einwohnern – da wächst nur holz und heu, und deshalb gibt es dort holzwirtschaft, köhlereien, eine fischzucht, eine gänse- und entenzucht, eine hendlzucht und natürlich rindviecher (vierhaxerte, es sei denn ein paar wiener verirren sich). fleisch alles bio, mutterkuhhaltung – keine milch. ein paar schafe und ziegen und schweine rennen auch herum, sind aber eine randgruppe.

    dort haben sich ein paar grossbauern jeweils einen schlachtraum auf dem hof eingerichtet, und einer der rindviecher züchtenden hoferben hat so nebenbei fleischhauer gelernt. und der schlachtet jetzt auf weide resp. hof auch bei den nachbarn, der amtsarzt wird rechtzeitig verständigt und kontrolliert alles, zerlegt wird vor ort, vermarktet wird hauptsächlich direkt, reste kriegt der grosshändler. kalbfleisch gibt es im prinzip dort übrigens so gut wie nicht, weil erstens kränkt sich so eine kuh, wenn man ihr ein kalberl wegnimmt, und die anderen in der herde kränken sich mit, und dann ist es einfach nicht notwendig, dass man so was junges umbringt, nicht wahr, auch wenn man da einen formidablen kilopreis kriegt dafür. und sowieso bringt der fleischhauer und rindviechzüchter keine kalberln um, weil sie ihm leid tun, nämlich, und weil das eben nicht notwendig ist.

    dieses rindfleisch, übrigens, riecht auch nach einer woche im kühlschrank nach milch, und nach sonst gar nix. obwohl die rindviecher natürlich schon lange gras und heu fressen.

    die machen das dort übrigens schon seit 25 jahren so, und jetzt weiss ich ja manchmal auch nicht …

  3. weniger fleisch essen ist in jedem fall eine notwendige veränderung, mehr dafür bezahlen auch. bisher kann das der einzelne im supermarkt entscheiden, ich hoffe sehr, dass es sich durchsetzt, glaube aber nicht wirklich daran, dass der markt das durch boykotte und selbstbeschränkung ändern kann. finde das heftig, dass gerade die regelungen zur verhinderung von tiermissbrauch zu anderen quälereien geführt haben, wenn es hygienebestimungen waren, passt es wieder, weil das tier dann ja eh nicht im mittelpunkt steht.

    solche superen beispiele wie die hofschlachtung und die halter, die ihre tiere mögen (kälber!) funktionieren nur lokal und sind teuer, es geht halt einfach nicht, dass wurst für 1,50€/100gr tiergerecht hergestellt wird. gesetze scheinen da nicht weiter zu helfen, wenn sie nicht absolut sind, also x tiere auf fläche x, mit positivlisten und häufigen kontrollen, und solang die gesetzgeber das tier nicht ins zentrum der wahrnehmung setzten, sondern den schlachter oder halter, es darf keine schlupflöcher mehr geben für die großindustrie und den profitsteigerungswahn.

    für menschen mit geringem einkommen ist fleischkonsum nicht auf ethisch okaye weise möglich. da sind wir dann beim mindestlohn und geringverdienern (zu denen ich gehört habe in den letzten jahren mit kindergarten-jobs), die wahrscheinlich eine revolution veranstalten würden, wenn tierische produkte den angemessenen preis kosten würden, und damit nur noch einmal pro woche oder so bezahlbar sind.

    bah. ich habe jahrelang mir keine filme und texte zur tierhaltung angeschaut oder nur kurz drüber gelesen, habe nicht wirklich gemerkt, dass ich einfach weiter fleischkram essen wollte, habe meine eigenen mechanismen der verdrängung ignoriert, eine doppelt gemoppelte verdrängung also. wer es wahrnimmt, ändert sich, es ist nicht vereinbar mit allem, was ich von tieren weiß. schweine sind intelligenter als hunde, ausrufezeichen.

    ich werde jetzt in eine trauerphase wg parma- und san daniele-schinken gehen, stören sie mich nicht.

    1. für menschen mit geringem einkommen ist fleischkonsum nicht auf ethisch okaye weise möglich. da sind wir dann beim mindestlohn und geringverdienern

      Doch, das geht. Man isst dann einfach viel weniger und vor allem deutlich seltener Fleisch und Wurst. Weiß ich aus eigener Erfahrung. Allerdings habe ich keine Kinder – mit Kindern, gar mit heranwachsenden Söhnen, ist es viel schwieriger.

      1. das stimmt, es ist dann gar nicht so schwer. bisher ziehen die kinder sehr schön mit, sie sind ja zum glück schon relativ erwachsen, der impuls, endlich weniger von dem kram zu kaufen, kam sogar von den jungs.

  4. Die Betreiber von „Ostkost“ in der Lychenerstrasse haben einen Bauernhof in Brandenburg und schlachten 2-3mal im Jahr (zb vor Weihnachten, Ostern) und informieren per Mail darüber. Sehr gute vegane „Leberwurst“ gibt es in der viel belächelten „Vetzgerei“ in der Raumerstrasse; ziemlich überzeugenden Fleischersatz (v.a. das Kebab!) beim Syrischen Restaurant „Vegano Flavor“, ebenfalls in der Raumerstrasse…

  5. wunderbar, vielen dank! in die vetzgerei wollte ich mich schon lange einmal wagen, das“vegano flavor“ ist mir noch nicht einmal aufgefallen. klingt alles nach guter auswahl und neuen welten.

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