konfirmation

dieses jahr im frühsommer wird der große konfirmiert, ich plane bereits kräftig. von den kindern, mit denen er im evangelischen kindergarten war, sind nur noch wenige dabei, aber in seiner klasse steht die quote jugendweihe/konfi/gar nix fifty/fifty/“weiss nicht, ein paar sind katholisch“, was so im umfeld ein normaler schnitt zu sein scheint. die motivation bei den kindern ist eine eindeutig ökonomische, weil heutzutage der rite du passage sehr häufig mit geld begleitet wird, es werden also geldscheine in schönen umschlägen verschenkt. immerhin ist der eigentliche anlass der feier noch nachfragbar, die jungs glauben und reden sehr entspannt darüber. in den letzten jahren halte ich mich da eher raus, ich werde immer agnostischer, liebe aber nach wievor die rituale, die alten lieder und das gesegnetwerden (die neuen lieder klingen alle so, als wären sie von kompositorischen analphabeten für menschen im stimmbruch geschrieben worden). meine eigene strategie, eine entflechtung von geld- und glaubensaspekten, ist ein bisschen auf der strecke geblieben, jetzt lenke ich den schwerpunkt auf die familienfeier, wir hoffen dass alle kommen, und wir mal wieder ein oder zwei tage lang reden, gackern und tratschen können. wir, das ist die frauenrunde meiner familie, die schwestern meiner mutter, meine schwester, ihre töchter, die töchter meiner tante, deren töchter, männer kannste an einer hand abzählen in der runde, es sind vier bei 26 frauen, und da ist mein exmann schon mitgezählt, plus 3 kleine mädchen unter 8.

das fest zu meiner eigenen konfirmation war ein bisschen überschattet von nervosität, weil sich die eltern meines vaters da zum ersten mal seit über 30 jahren sehen würden, ich weiß noch, die beiden alten sassen an den gegenüberliegenden kopfseiten eines sehr langen tisches im beucc, dass es immer noch gibt. es war düster und ein bisschen staubig, ich war beeindruckt, weil die räume etwas zeitlos herrschaftlich-angeberisches hatten, mit dem ich wenig anfangen konnte, aber es ging ja nicht um mich, sondern um den gesamteindruck. die geschenkten goldkettchen habe ich allesamt in kürzester zeit wieder verloren, habe aber den unterricht, den pfarrer und die kleine lutheranische kirche in mailand in bester erinnerung behalten, so eine etikett-erinnerung ohne irgendwas reales dahinter, worum es ging, was ich damit verband, worüber wir gesprochen haben im konfiunterricht: aber der pfarrer hat einen aufsatz von mir in seiner predigt verwendet, das hat mich stolz gemacht, und ich trug einen scheusslichen rock in scheusslicher länge und fühlte mich vollkommen verborgen unter den klamotten, da haben jungs mit ihren anzügen es leichter. wir werden mit dem großen im zander essen gehen, ich habe da erst einmal gegessen, durch zufall (restaurant auf der kollwitzstrasse, spaziergangsnähe), und es war fein und so ambitioniert wie entspannt. mal sehen, ich hoffe, es wird munden.

 

feeds

(hinweis an die leser:  in ihrem feedreader tauchen haufenweise neue postings in diesem blog auf, das sind alles alte texte aus den jahren bis 2011. ich möchte in den nächste wochen endlich den kram aus meinem alten twoday-blog hierher umziehen, dauert lang schon wg meinem langsamem internet, ich gehe nach kategorien vor, eine nach der anderen. hab leider die kommentare unterwegs verloren.)

blog hop!

isa hat mir ein autorenstöckchen geschickt, was mich sehr freut, weil ich schon so einen uralten, wenig differenzierten, dünngeträumten buchwunsch herumtrage, wie bestimmt viele blogger. wenn ich genauer in den spiegel schaue, hätte ich am liebsten schon eines fertig, in der schublade oder auf einer alten festplatte auf dem dachboden oder notfalls irgendwo im herzen vergraben, eines, das dann aus dem off kurz eingeblendet wird wie bei den royal tenenbaums.

„das hätte ich ja auch gekonnt“ sagt der zuschauer, „aber ich habs gemacht“, sagt der künstler.

bloggen ist leicht, das geht so aus dem handgelenk heraus, aber ein konzept entwerfen, womöglich sogar einen menschen, das traue ich mir nicht zu, dieses durchhaltevermögen, ist das teil der autorenpersona,  kann man das auch irgendwie durch magie erhalten? nee, nur durch fleiss. ich mach das vielleicht, wenn ich 60 bin, es keine verlage mehr gibt und man alles kaufen kann. ich kann dinge beschreiben, die mir passieren, ich würde mir gern ein abenteuer leihen in einer art plot-hypnosedienst, dann müsste ich es nur noch aufschreiben.

woher kam die idee für das buch?

ich hätte gern eins geschrieben, das wäre eine herausforderung, daraus ein buch zu machen, vielleicht: buch über jemanden, der unbedingt ein normales leben führen will, wo alle anderen immer ein besonderes leben haben wollen? buch über die liebe in zwischenräumen, buch über jemanden, der das lager des naturkundemuseums nicht verlassen will, buch über eine 47jährige alleinerziehende diabetikerin, mit 3 kindern und einem hund, die einen mann findet, buch über einen gingko, den ich mal gesehen habe, buch über eine barbour-kinderjacke, die eine reise antritt, buch über eine katastrophe, die keiner bemerkt, oder über einen hund, den keiner bemerkt, buch über das betrachten von steinen –

es ist unter umständen nicht so leicht, eine idee zu haben.

in welches genre fällt das buch?

etwas zwischen loseblattsammlung und stream, nee, das war ja das bloggen. auf jeden fall: etwas brüchiges.

wie lautet die einsatzzusammenfassung ihres buches?

etwas fängt an, etwas anderes geht zuende, dazwischen ist landschaft.

welche schauspieler sollten ihre charaktere in einer filmumsetzung spielen?

laura linney finde ich toll, bill nighy mag ich auch sehr, meine lieblingsschauspielerin aber ist frances mcdormand. mit ihr zusammenzuarbeiten wäre den aufwand „buchschreiben“ durchaus wert, vor allem weil dann eventuell ein essen mit ihr und ihrem mann und dessen bruder rauspringen könnte, hach.

werden sie ihr buch selbst verlegen oder wird es vertreten durch einen agenten?

wenn ich denn etwas fertiges vorzuweisen hätte, dann würde ich es glaube ich erst einem agenten schicken, nach der ablehnung noch zu 5 oder 10 verlagen und es danach, wo schon mal geschrieben ist, als ebook oder so veröffentlichen.

wie lange haben Sie gebraucht, um den ersten entwurf Ihres manuskripts zu schreiben?

also es kam erst eine krankheitsphase dazwischen, die kinder haben fast alle asthma! dann hab ich einen job bekommen überraschend, dann kam meine mutter ins krankenhaus, dann musste ich in italien babysitten, danach hatte ich eine geheimnisvolle allergie, die zum glück gerade wieder verschwindet, aber ich schaffe es mit großer sicherheit bis zu dem notfalltermin, den sie eingang erwähnten, ich kann ihnen gerne ein attest besorgen, wenn ihnen das irgendwie weiterhilft?

welche anderen bücher würden Sie mit Ihrem genre vergleichen?

immerhin wird es weder dem telefonbuch noch einem thriller ähneln. vielleicht ein reisebericht?

was sonst über ihr buch könnte das interesse des lesers wecken?

ich hoffe, es wird sex drin vorkommen. und ein lesebändchen auch.

möchten Sie andere autoren für das interview nominieren?

klar, es gibt drei, von denen ich gar nicht weiss, woran und ob überhaupt sie arbeiten. bov (wegen blogmich 13 gibts jetzt auch stöcke) natürlich, goncourt – und: praschl, noch immer.

 

kein aufschrei

die aufschrei – sache hab ich erst gestern so richtig mitbekommen, das netz ist arg schnell und ich hatte ein sehr beschäftigtes wochenende mit schulbesichtigungen und teenieübernachtungsparty bei mir und erwachsenenparty bei freunden, und ikea.

mein erster gedanke war: jetzt werden die deutschen männer ihren charme ganz abstellen, mein zweiter: halt, es geht nicht ums charmieren, sondern um übergriffe, von schritt 1 zu schritt 2 habe ich schon einen halben tag benötigt, ich denke, weil ein artikel in der berliner (find ich jetzt nicht) die macht dieser welle nur schildern und nicht spüren lassen konnte – und weil ich die erlebnisse auf twitter noch nicht gelesen hatte. ein paar kommentare vertraten die meinung, dass es sich um einen feinen grat oder sowas handele, ziwschen anflirten und belästigen, das habe ich gelesen und meine einschätzung daran orientiert und bin damit einer offensichtlichen männerstrategie aufgesessen, denn selbstredend liegen lichtjahre zwischen dem einen und dem anderen, wenn man mehr als eine sekunde darüber nachdenkt. ich dachte, dass erziehung, persönlichkeit, seelische gesundheit bei den meisten dafür sorgen, dass sie flirten als spiel mit mal mehr, mal weniger heissem herzen begreifen, dass die übergriffigen und sexisten also klar die anderen sind, die mir nicht begegenen und an die ich nicht gerate, wobei ich die paar idioten in der bahn oder auf der strasse mit obszönen gesten oder worten als normal erachte, genau wie die penner und die hooligans und die trunkenbolde.

vorm einschlafen kam dann die erinnerung hoch, an diesen einen diabetologen, bei dem ich mal in einer ganz und gar elenden verfassung gelandet war, nach einer über- oder unterzuckerung mit unstillbarer übelkeit und schüttelfrost, und der mir, auf einer liege im hinterraum der praxis liegend, den puls gemessen hat und dabei meine hand an seine hose gedrückt hat, mit seiner erektion drin, und mich festhielt, als ich wegwollte, und sagte: „einen moment noch“. ich hielt auch in diesem fall den mann für eine ausnahme, nein: ich nahm glaube ich sogar die situation als eine ausnahme für den mann, als sei der womöglich sonst ganz in ordnung, so als arzt, hätte eben nur das kleine problem, dass er seine lust als masstab für sein handeln nimmt und nicht den anstand und respekt vor patienten im allgemeinen und frauen im besonderen. ich hab seitdem kaum an die episode gedacht, und nur, wenn ich mich wieder mittenrein begebe, ist auch die erniedrigung und funktionaliserung meiner situation wieder da, und ich kann denken: du vollarschloch. ich muss dafür von meiner selbstwahrnehmung das toughe berlinfrau-ding erst abschälen, dass den mann einfach als eher komischen soziospasten mit einer erektion-so-what abtun will.

ist das nicht irre? wie widersprüchlich da mein weltbild ist, einerseits sind es die anderen, die übergriffig werden, und dann ist ein einzelner übergriff noch nicht mal ausreichend, um sexist zu sein, und ich finde einen schwanz nicht mal besonders dramatisch, wenn da noch stoff zwischen ist – dabei ist der mann natürlich eine schande für seinen beruf und sein geschlecht gleich mit. hab ich reagiert damals? nein. es hat mich kurz geekelt, aber mir war sehr schlecht und diese geschichte habe ich weggepackt, als es mir dann wieder besser ging, sobald das mcp wirkte.

die fehlende selbstbeherrschung bei begierde, überhaupt die geilheit angesichts einer wehrlosen frau, das war bei mir einfach ein irgendwie hormonelles ding, mit dem die männer zu kämpfen haben, klassische täter-zu-opfer-verschiebung, aber so bin ich aufgewachsen, mein vater konnte auch nie was dafür, wegen seiner kindheit – deshalb läuft mein automatisches denken noch immer auf dieser bahn, so wurde ich erzogen. es war dabei auch ein zeichen von souveranität und drüberstehen, wenn man als frau das einfach ignorieren konnte. an sabbernde männer erinner ich mich einfach nicht, sowenig wie an schlechtes wetter.

weibliche sexualität gab es in meiner gesamten kindheit überhaupt nicht, fällt mir dabei auf, und die männliche ist ein stetig dräuendes etwas, eine dunkle macht, etwas, das man zähmen und gut pflegen muss, und zwar: als frau, weil „die männer sind halt so“.

puls fühlen?

meine fresse.

 

wecker: kleine hommage

vor 14 jahren ging mein wecker kaputt. mein leben hatte damals gerade einen neuen mittelpunkt mit weckfunktion, ich wollte aber irgendetwas für gäste und notfälle im haus haben und habe im kaufhof am alex für fünf mark einen funkwecker gekauft. ich hatte dann einen und benötigte also keinen mehr, es kamen noch kinder dazu, mein mann hatte einen schönen wecker, weil er anders als ich morgens nicht stillen musste, den hat er dann beim auszug mitgenommen. ich benutzte den billigwecker und beachtete ihn nicht mehr als eine türklinke oder einen heizungsknauf, als er dann regelmässig nötig wurde mit der einschulung des großen, seit 14 jahren steht er auf dem nachtisch und weckt mich immer 3 minuten, nachdem ich von alleine aufgewacht bin, und dann nocheinmal, wenn ich nach 5 minuten wieder eingeschlafen bin.

er ist nicht schön, aber ich habe ihn auch nicht ansehen müssen. jetzt fordern seine knöpfe morgens und abends erhöhte aufmerksamkeit, weil ich sie aus veschiedenen richtungen drücken muss, mal 5, mal zehn mal hintereinander, manchmal reagieren sie auch gar nicht, die weckzeit ist nicht mehr änderbar und steht immer auf 6:30, die datumsanzeige ist verschwunden, ich habe sie allerdings auch vernachlässigt in den letzten jahren, hätte ich sie öfter aufrufen sollen? gibt es einen ort für nichtbenutzte weckerfunktionen? ich brauche einen neuen, endlich ein designwecker, um den herum sich dann ganz automatisch auch das restzimmer langsam modernisieren wird, auch ich natürlich, bis in ferner zukunft alles vorzeigbar ist.

es ist der erste auf der suchseite, als wäre kein tag vergangen seit 1999, anders als ich hat er sich sogar verbessert und kostet jetzt fast 8 euro. kurze verlockung. den alten weg noch einmal einschlagen, um dann auch den ganzen rest nochmal neu machen zu können, so frisch wie damals,  mit den erfahrungen von heute.

 

das himbeerreich

wir sitzen in zweiten rang erste reihe und können gut sehen, das theater ist voll bis auf den letzten platz, der januar ist ideal für einen theaterhype, die platea ist voll mit männern, die aussehen wie peter handke und frauen, die aussehen wie wir, nicht mehr taufrisch, ordentlich lippenstift, aber nach wie vor voller liebe fürs theater. ich war auch ein bisserl hungrig auf das cozyschmozy theaterlicht, meine letzte premiere ist schon wieder ein paar wochen monate her.

veiel ist ein redlicher autor, er wirkt frei von allem, was nicht direkt mit dem text oder film zusammenhängt, veiel hat diese unglaublich absurden arbeitsansichten von modernen bankiers auf die bühne gebracht, problem war natürlich: die kannte man schon, wie sie nichts produzieren außer gewinnen, wie sie sich unglaublich ernst und wichtig nehmen und immer so tun, als hätten sie stress, leistung und gewinn erfunden, aber nee, das sollte glaub ich gar nicht dargestellt werden, sondern was? je nun. der zynismus wg. der milliarden hier und der armut dort, der irre galopp der investmentbanker, die gier und ein bisschen der sex, das system, das so riesig wirkt, die macht.

das geld blieb abstrakt, es wurde immer abstrakter im lauf des abends, ob jetzt mit 1 oder mit hundert miliarden gespielt wird, die summen sind nicht vorstellbar, wie einer auf der bühne sagte, „bis hundert oder vielleicht tausend ist unser gehirn in der lage, aber ab dann…“. diese bewegung mochte ich sehr, diese ablösung des geldmachens vom sinn,  ich konnte mich im lauf des abends über die summen gar nicht mehr aufregen,  geld schien als willkürliche übereinkunft leer und lebensfern, das mochte ich sehr und hab kurz versucht, mir die summe von 100 milliarden steinchen oder muscheln oder perlen vorzustellen, und wie solche geldmengen eben nur noch als zahl funktionieren. die figuren auf der bühne hätten auch über platinum reden können. war das jetzt regieabsicht oder nur ein persönlicher ausweg aus dem gezeigten wahnsinn?

ich mochte diese verschiebung, weil mir sicherer wurde, wir und unsere milliarden reellen zellen gegen die milliarden als, weiss auch nicht, binäre behauptung, aber den bühnenmenschen blieb natürlich gar nichts, wenn sie von ihrer geldgeilheit mal runterkommen, sie wurden immer dünner und leerer, keine entwicklung, kein drama außer dem gesetzten, keines, das auf der bühne stattfand.

gern gesehen hätte ich eine absurdisierung bestimmter anlageformen („produkte“), die, wie einer auf der bühne sagte „kein mensch mehr durchschaut“, es ist mir nur noch sprachlich nachvollziehbar, wer da auf wen wettet, ein trockenes grammatikgerüst. dieses absurde hätte ich gerne gesehen, entweder als entwicklung oder als zustand, aber dazu müsste man den kram ja auch wieder ernstnehmen. das kann nicht gesund sein. pollesch hätte das anders inszeniert, aber veiel wollte bestimmt nicht, dass wir angerührt und mit diesem leicht nagenden glücksgefühl nach hause gehen, mit dem polleschen aufruhr, der mich immer ein paar tage offen hält.

nachher auf der premierenfeier fehlte den zuschauern das theatralische, veiel hat die interviews eben nachsprechen lassen. als dokumentartheater hatte es dann aber wieder zuwenig tiefe. es gab ein paar als chor aus dem off vorgetragene kindheitserinnerungn der banker, mit armut, nazis, gewalt glaube ich zu erinnern, als chor ebenso wenig verändernd und veränderbar, das stimmt als regieansatz alles, biodetails als kleine postkarten bei der einrichtung dieser bombenegos, die unser geld bewegen, aber und, frag ich mich dann. man hörte gier, zynismus  und ich hab mir die abläufe des crash gerne nochmal angehört, aber natürlich nicht mehr davon verstanden als damals, also wirklich menschlich verstanden.

schönste szene: als diese stuttgarter schauspielerin sich matthes aus den schoss setzt, und er ihr auf den hintern klatscht, in einer geste, die so hilflos wie herabwürdigend wie verzweifelt ist, andrerseits auch wieder zwischen schrecklich und gääähn, dass der einzige kontakt zwischen der karrierefrau und den karrieremännern einer der wechselseitigen ausbeutung ist. das bühnenbild mochte ich auch, es sah aus wie das innere eines bankschließfaches, die aufzüge fuhren nur nach oben (die protagonisten berichten bei ihrem untergang), kein versteck, keine einrichtung, nur funktion.

jazz im garten

grade häufiger das köln concert, wie alle paar jahre. dabei frühlingsgefühle, das jazzfest zu mauerzeiten irgendwo bei der neuen nationalgalerie, obwohl jarrett da nie gespielt hat, oder doch? aber es gab einen steinway, ich hab mir immer vorgestellt, dass der kurz rübergerollt werden könnte von der philarmonie, aber die haben wahrscheinlich keine samsonite-rollen an den füssen. man konnte bei ticketmangel oben auf der mauer sitzen und in den hofgarten runterschauen, wo die konzerte stattfanden, das dabeisein irgendwie genauso wichtig wie die musik und die interessanten jungen männer mit ihrem doofen ernst, das leise mitwippen der kenner, wie dann immer mal wieder nur noch musik da war, und sonst nichts, keine stadt, keine leute, nur die magie. ich hab dringend was gesucht im jazz und dachte immer, es liegt an mir, wenn ich es nicht richtig finden kann, dann hab ichs verstanden und mich am weg gefreut.

ein freund von mir hat seiner umschwärmten jedenfalls kurz vor, aber gerad noch zu weihnachten die von jarrett eingespielten händelsuiten geschenkt, davor gab es nur ganz kleine sachen, das reduzierte alphabet von halbsätzen, gesten, die berühung zum abschied, diese schritte ins offene, bei denen man den fuss noch nicht aufsetzt. weil ihn die musik so an sie erinnert hat, die leichtigkeit und eleganz, das bischen verspielte, und wie sich im spiel immer wieder etwas unerwartetes auftut, das alte und neue an den einspielungen. sie hat ihn nicht erhört, das mag am altersunterschied gelegen haben, ab plus 25 hilft auch das gesehen werden nicht mehr, macht mich fast traurig eigentlich.

aber seitdem höre ich den wieder und freue mich dran, nur den händel kenne ich immer noch gar nicht.

kleider. kleider!

gestern einen sowieso schon erfreulichen samstag ordentlich in glamour getunkt. die wunderbare frau kitty hat beim spaziergang  durch den grauen berliner januarnachmittag zielsicher ein schild entdeckt, an dem ich mangels kenntnis ohne zweiten blick vorbeimarschiert wäre. sterling gold hat einen absoluten schlussverkauf veranstaltet. es gibt dort ausschließlich abendgarderoben der feineren machart, solche, in denen herzen gebrochen und schwüre geschworen und erinnerungen tief eingeschrieben werden, richtige unberliner ballkleider aus vierzig jahren, bis 1980, steht auf der seite, und die achtziger sind ja auch schon wieder über 30 jahre her. ich habe nie ein ballkleid besessen, auch mit langen abendkleidern bin ich eher spärlich ausgerüstet, aber jetzt gab es natürlich überhaupt kein zurück. meine größe war leider schon fast weg, trotzdem habe ich eine mit winzigen strasssteinchen durchsetzte hellblaugrauviolette robe gefunden.

es glitzert! und ist von hinten nicht wirklich bh-tauglich.

gut, ich sollte die wäscheklammer noch irgendwie ersetzen, am liebsten mit einem jungen mann, der immer so mitläuft?

das zweite habe ich ohne anprobieren mitgenommen, weil ich nicht nochmal in die kabine wollte weil der hund die ganze zeit draussen unter einer bank liegen musste. es hat, wie das glitzerkleid, ganze fünf euro gekostet.

beide benötigen noch einige feinarbeit, von der ich wohl lieber die finger lasse, ich kann nur kindersachen reparieren. kleider mit tüllunterröcken gehören in die hände von fachfrauen.

ab jetzt heisst es anlässe suchen! leider sind die meisten meiner freunde schon durch mit dem heiraten, andrerseits muss man beim overdressen bloss drauf achten, als erste zu kommen, dann sind alle anderen underdressed.

same old, some new

ein kaffeenachmittag, bei dem sich alles abspielt, die ganze  vieljährige beziehungsgeschichte. kann man sie erzählen mit einem nachmittag? nein. die ganzen baustellen liegen nicht offen. die narben unterscheiden sich nicht mehr von den muskeln, die alles im lot halten. lächeln, bitte.

wenn innen- und aussenleben inzwischen zwei verschiedene länder sind mit verschiedenen sprachen, oder hast du gar kein innenleben? was du redest, hat kein herz, aber keine sorge, du merkst das gar nicht. verliere ich meins, wenn ich es nicht reden lasse? es wird dann halt zurechtgestutzt auf das kommunizierbare, in minimalen möglichen gesten.

(wie die intelligenz in den kinderaugen aufblitzt, wenn sie irgendwo dahinterkommen und sich darüber freuen, wie durchlässig sie noch sind, wie sauber und unzerbröselt die energiebahnen laufen, wenn nichts über neurotische umleitungen muss. wie sie kommen und sich ankuscheln und dabei versuchen, das ipad für ein paar spielchen zu klauen, ich sage dann „vergiss es“ und sie lachen und versuchen es ein paar minuten später nochmal, dann gibt es wieder fragen über autos der zukunft, fahrradfahren bei eis&schnee, vokabellernen in anderthalb minuten, während der dritte heimlich tv guckt, bis ich „ausmachen!“ rüberrufe. das innenleben kommt mal ans licht, mal nicht, es fluktuiert mit den themen, es wirkt nicht so, als ob angst oder not da eine rolle spielen würden.)

tisch leeren

den letzten irgendwie übersehenen stapel post aufgemacht und alle offenen strafzettel bezahlt, ich habe offensichtlich sogar punkte in flensburg, es hätte mich nachdenklich stimmen sollen, das der brief in einem gelben umschlag gekommen ist, plus einen jahresbeitrag einer rentenversicherung, den ich regelmässig erstmal ignoriere.

in deutschland reden alle immer über ihre altersvorsorge, haben mir die gastgeber der schönen silvesterparty erzählt, die eigentlich in schottland leben, und stimmt genau, gestern sassen wir beisammen und redeten auf eine hastige und undialogische weise über unsere altervorsorgen, es hat ein bisschen was vom kröten ausspucken, ein pflichtbeitrag zum jahresanfang. wobei summen nicht genannt oder nicht kommentiert werden. aber man streift im abzählen die frauen, die ganz viel oder eher wenig verdienen, beides unverdientermassen, die erste in der schweiz, die andere ich, aber wer will schon in die schweiz? die meisten frauen in meiner bekanntschaft haben natürlich männer, die mitzahlen und mitsichern. ich habe eine wohnung. in meiner wahrnehmung haben wir erst in den letzten beiden jahren mit diesen themen angefangen, nachdem die männer-kinder-wohnungs-marathone vom tisch waren. das nächste große ding am kneipentisch wird die gesundheit sein, wir werden in ein paar jahren mit gesenkten köpfen über unsere verdauung, die gelenke und die zähne palavern, auch dabei wird ja der leistungsaspekt immer relevanter.

eigentlich regnet es aber nur seit stunden in strömen und ich will nicht mit dem hund raus.

2012

jahresrückblick? ach nö. ein gemischtes jahr, ein ruhejahr, so fühlt es sich an, ein luftholen. bin dabei, mal wieder einen neuen weg zu finden, gerade habe ich lust, in die diabetesberatung zu gehen, größter vorteil: sinnvolle tätigkeit. bin dabei die nadel im heuhaufen. habe meinen frieden gemacht mit meiner langen berufsliste, das leben ist zu kurz für nur einen job, und kein frieden führt ja auch nicht weiter. dass keiner der berufe genug geld oder bestätigung gebracht hat: well, thats me.

das tollste sind wie eigentlich immer die kinder. es ist so ein glück, welche zu haben, muss ich ja weiter nix zu sagen, denke ich mal. leider darf ich nicht mehr viel von ihnen schreiben, schon gar nichts lustiges, weil sie das nämlich nicht mehr wollen – (ihr kleinkindbloggereltern: geniesst die zeit) – aber die jungs sind natürlich meine familie und mein lebensmittelpunkt. und emma, die mir füsse und herz wärmt und die doppelt soviele haare wie ein normaler collie hat, bei halber größe. und die kitchenaid.

sport war super, halte seit anderthalb jahren durch mit laufen und seit zweieinhalb mit yoga. körper wieder integriert. lotussitz ist trotzdem noch eher lala, aber ich fühl mich topfit und bin zuhause in mir.

literatur ja, doch, wieder mehr gelesen dieses jahr. stecke gerade in einem sehr skurrilen roman von william gass, der tunnel. kann ich meine schwäche für bombastische parallele weltsysteme ausleben. hatte das buch als signierte erstausgabe 2004 in new york gekauft und bin im englischen nicht in den fluss gekommen, jetzt hat nikolaus stingl das mammutwerk übersetzt.

warte übrigends immer noch auf eine übersetzung von „horcynus orca“ von stefano d’arrigo, moshe kahn sass daran, es sollte im amman-verlag erscheinen, den es ja nicht mehr gibt. die sprache des romans ist überwältigend, herrlich und dicht auf eine nicht mehr zeitgemässe = nicht ökonomische weise. ich bin neugierig darauf, ob das werk wiedererkennbar bleibt im deutschen, weil land, figuren, geschichte so unlösbar in der sprache verwoben sind im original.

männertechnisch war das jahr suboptimal, eine uncharmante geschichte am jahresanfang (ja. ich weiss. selber, selber schuld), merke grade, das ich gerne was total fieses über die männer schreiben möchte, aber es sind ja immer nur die doof, die ich mir ins bett hole, und davon nicht mal alle, das wäre also eine verallgemeinerung, die zu unwahr ist, um noch statthaft zu sein. sonst nur ein paar betrunkene küsse auf parties. es fehlt mir bis weit in die tiefe nicht, der lack ist trocken, der boden hält, wer tiefer bohrt, muss whisky schenken und zeit und eine schulter, ansonsten ist das thema partnersuche offiziell durch. vielleicht gelingt mir mal eine funktionale trennung sex/herz, damit wenigstens ein bisschen haut rumkommt – wobei ach, vielleicht einfach mal wieder hier rumsurfen.

eine absolut großartige USA-reise gemacht im juli, mit den jungs, die war alles wert. es ist einfach alles dabei gutgegangen, ich habe die vielen bilder noch vor der nase, muss bloss die augen zumachen. die weite, die großen augen der kinder, das immer-weiter-fahren können, die freundlichkeit der amis, das essen, die 45°-strassen und die brücke in san francisco, der highway 1, der riesige buckelwal, der vor unserem boot einen luftsprung gemacht hat, der geschmack von eiskaltem bud an einem lauwarmen swimmingpool nach einem tag mit +45°C in der wüste. die total verlassene route 66 mit meinem ältesten am steuer, der sonnenaufgang am grand canyon, der erste blick in diesen abgrund. die überwältigenden sequoias mit ihrer zimtrinde und ihrer größe, die livrierten kellner im california zephyr, der sonnenuntergang in den rockies, das kurze herumstolpern in chicago, unsere fahrt mit den öffis zum flughafen dort, der nächtliche anflug auf new york mit blick auf alles, neben einem orthodoxen juden mit schläfenlocken, der den jungs in kinderenglisch die freiheitstatue zeigte – diese reise liefert nachhaltige und wunderbare erinnerungen, eine toller als die andere.

habe freundschaften bissken schleifenlassen dieses jahr und mich zuwenig gemeldet bei meinen lieben, es ist zuwenig freiraum im kopf geblieben bei all dem existenzgewurschtel. wird wieder anders.

und jetzt montale mole, der mit „Opening the World“ eine sehr schöne sammlung herausgegeben hat – ich mag mich aber nicht entscheiden. vielleicht ein vers aus „Following the Thread“:

All the stories are made up. So am I;
so are you. In the end there is no end,

there is only the spider angel spinning out
the drifting threads of heaven.

ich wünsche allen lesern einen wunderbaren start ins neue jahr. feiert feste, küsst jemanden, egal wen, zündet ein paar knaller, brüllt laut yippieyeh, wenn die raketen hochgehen!

 

Unbenannt

in meiner stillen viertelstunde wildes gezappe durch die musik. nichts fittet, nichts kommt durch, alles bedeckt nur das notwendigste. keine große umarmung. eigentlich ist mir zumindest nach tango, irgendeiner kommunikationsform, die den körper einschliesst. bleibe ausgerechnet beim kölnkonzert hängen, das macht auf eine seltsam altmodische weise traurig, die ich dann erstmal nicht mehr weg kriege, muss lachen, weil ich herz voran ins sentimentale rutsche, mit einem affenzahn, die schnelligkeit von gedanken ist bisschen ennervierend. kurzurlaub an dem ort, den ich leid bin. dabei weiss ich immer noch nicht, was ich heute kochen soll und muss jetzt was blödes improvisieren. dann sport.