20. januar 21

frustrierender morgen nach schönem abend mit guten freunden. ich war eingeladen, trug ein abendkleid, es gab antipasti und gulasch und wein, und vor allem spannende gespräche bei tisch mit freunden, nicht familie, das hatte ich seit august nicht mehr. die freunde sind sehr eingebunden in ihre projekte, habe sie ein bisschen beneidet um ihre film, funk und medien- berufe, an denen ich mich ja auch mal versucht habe. wenn ich mit diesen anderen formen des arbeitens so in kontakt komme, wackelt meine pragmatische entscheidung, mich beruflich der kinderbetreuung zu widmen. sie wackelt, weil ich heute früh nach dem frühstück mal wieder in eine kleine hypo geraten bin, obwohl ich endlich dachte, die insulingabe zum frühstück hinbekommen zu haben, ich arbeite mich daran ja schon jahre ab, es war endlich gut, pp auf 160, dann wieder auf 100, ohne höhen und tiefen, bis es dann halt nicht mehr gut war, denn es gilt: ydmv (your diabetes may vary). gründe kann ich nur vermuten, vielleicht habe ich gestern zu viel gegessen und der magen war noch beschäftigt, so dass das frühstück nicht schnell genug ins blut gekommen ist, oder hormone, irgendein nicht vorhersehbarer scheiss ist es ja immer. in diesen lagen wird mein gut gepflegtes rationales geschirr kurz brüchig, und ich spüre die sehnsucht nach einem anderen leben intensiver, in dem ich meine fähigkeiten sämtlich nutzen kann, sie gefördert und gewünscht und bezahlt werden (die leute, die so leben, lachen jetzt wahrscheinlich, aber ich will diese momente in acque limpide würdigen, in denen mir ein klarer blick auf meiner seele grund gelingt), und ich nicht nur irgendwie funktionieren muss, in dem ich nicht alles selber managen muss wie meinen stoffwechsel. ja, laber rhabarber. aber jetzt ist alles wieder gut, bz bei 89↗︎, frisur hält.

kurz überlegt, mich beim roten kreuz als impfhelferin anzumelden, um ev früher eine impfung zu bekommen, dafür hätte ich den diabetes unterschlagen müssen. sie nehmen nur leute ohne risikostatus. ich habe die wahl, entweder den masken zu vertrauen, oder auf die impfung zu warten, im mai, sagt eine webseite, und bis dahin nicht zu arbeiten. was soll ich tun? mit dem mutierten virus ist das eine blöde lage.

der 20. januar ist endlich da, ich hoffe, nie wieder was von trump zu hören, und wünsche mir, dass die usa endlich wieder aus meiner wahrnehmung verschwinden, es sei denn für kultur und landschaft. er hat heute noch den faschisten bannon begnadigt. mögen sie alle verloren gehen in der geschichte, und vergessen werden.

schon vor der amtseinführung was drüber zu schreiben hat was von einer beschwörung, in der hoffnung, die sache hätte sich damit erledigt und die befürchtungen vor unruhen gleich mit.

habe aus einem blog (welchem? ich such noch danach) die idee übernommen, täglich ein paar stichworte aufzuschreiben, über den tag, bisher sind es sätze, halbe seiten und ganze seiten geworden, macht großen spass. über die banalen einstiege mit wetter, essen, blutzucker, erledigtes habe ich eine wahrnehmung von genau diesem einen tag, wo ich doch pandemiebedingt manchmal den wochentag nicht sofort weiß. ich schreibe auch gespräche auf, mit wem und worüber, erinnere mich an die tagebuchmeter meines vaters, voll mit solchen notizen, unlesbar für mich, sie sollen vielleicht wirklich nur für einen selber lesbar sein. obwohl, im bad liegt eine dicke anthologie mit zitaten aus (veröffentlichten) tagebüchern von allerlei ehemals bekannten leuten, nach datum sortiert, das ist sehr lesbar. im netz geht das irgendwie nicht, ich glaube, diese texte müssen wirklich als private texte geschrieben worden sein, um interessant zu werden, und interessant zu bleiben. das haptische vergnügen an notizbuch und füller ist sowieso schon grund genug für diese übung.

beim suchen nach leerem notiz- & tagebuch den jahreskalender mit zitaten aus tagebüchern und blogs wiedergefunden, erinnert ihr euch? es gab mal eine ausstellung über tagebücher, kuratiert vom museum für kommunikation frankfurt. auf der berliner ausstellung war ich mit einigen altbloggern, doc buelle war dabei, der kid glaube ich auch. der kalender ist zeitlos und bleibt einsatzfähig, da könnte man sein leben lang immer nur die besonderen tage vollschreiben und hat am ende eine art best of eines lebens, kategorie frei wählbar.

15. januar 2021

bei yoga im januar bin ich elastisch wie diese gummibänder ganz hinten in den küchenschubladen deiner urgroßmutter, schwer wie ein schneesatter acker, die gelenke zu mürbe, um all die wintermasse vom boden wegzubekommen. hinab! plumpst man dann, wenn man endlich darf, und dann schummele ich auch noch in der kinderposition, weil ich meine beine nicht an den richtigen stellen geknickt kriege. schwer geht die luft, mühsam hebt sich mein bein in den baum, ich erinnere mich an den frühling, wenn sogar die füße leicht werden und nach oben wollen, nach oben können, als wäre ich eins mit mir („findet euren punkt“), und stünde nicht total daneben. ich bin jetzt im tiefen winter, ich vergesse die abläufe der asanas, ich bin überhaupt gegen abläufe im januar, es gibt ja kaum tage, es ist alles nur ein müdes lichtloses nacheinander, und jede zeit nach 4, jede zeit nach einbruch der dunkelheit ist nacht, für lange monate ist schwarze kalte berliner winternacht.

und meine neue forellenbegonie verliert grad die letzten blätter, obwohl ich ihr sogar das wasser entkalke. sie vertrocknen ganz langsam vom rand bis in die mitte, und dann fallen sie ab. blöde diva.

für die hunderunden lege ich einen weichen wollenen nierenwärmer an, unter dem rest, und trage kaschmir und lippenstift auf den freien flächen. ich wünschte, ich könnte die hunderunden nur im geiste machen, dann würde ich die richtige musik hören und könnte mich fast fühlen wie draussen.

überall liegt schnee, der versöhnt mit fast allem, außer hier, also genau hier, in meinem viertel liegt nur ein feiner, verwehender hauch, und zwar nur ganz oben auf den dächern, sonst überall in berlin meterhoch. wenn es schneit, mag sogar ich den winter, selbst wenn er dann länger dauert. sonst eher nicht.

8. januar 2021

(aussichten vom berg. pic: der große)

ich hatte ja vor, über meine ersten wochen alleine ausführlich zu berichten, mit tipps für andere eltern in der ersten phase des leeren nests, mit hoffentlich unerwarteten einsichten über das leben mit und dann ohne kinder. ich habe am ersten tag alleine zu hause aufgeräumt und geputzt und die leeren, ruhe ausstrahlenden oberflächen im haus genossen, besonders die in der küche, auf der waschmaschine und den esstischen. ich habe alte schuhe weggeworfen und liegengebliebene pullover gewaschen, ich habe mir schön den tisch gedeckt und ein für eine person gekochtes gericht gegessen, von dem viel übriggeblieben ist, aber ich lerne das noch. mit all dem habe ich erst 4 tage nach auszug des letzten zwillings anfangen können, weil der große sohn 4 tage länger geblieben ist (online-uni). dann habe ich es genau einen tag lang genossen, bis überraschend der d.-zwilling wieder da war, weil er was mit bank und einwohnermeldeamt erledigen muss, klar, und natürlich war sein bett frisch bezogen und ich hatte ingwer im haus, den er grad knollenweise im tee zu sich nimmt. das bettzeug für den anderen zwilling, der eben grade auch noch überraschend auftauchte, hatte ich aber nicht vorbereitet. zusammenfassend lässt sich sagen: so schlimm ist der auszug der kinder nicht, am anfang bemerkt man ihn gar nicht. erste empfehlung: in den ersten wochen keinesfalls auf den großeinkauf verzichten, notfalls den tiefkühler füllen.

ich bin selber gespannt, wie es weitergeht.

ich muss entscheiden, ob ich einen job mit kindern suchen soll oder nicht. ich suche ja schon länger, habe in der bio meinen diabetes stehen, und natürlich mein alter, daran könnte es liegen, dass nichts zurückkommt, und daran, dass alles sowieso geschlossen ist oder nur für die notbetreuung offen bleibt. oder es ist die post, die für alles wochen länger als erwartet braucht, ja, es gibt immer noch viele stellenanzeigen mit postanschriften. war aber auch ganz froh darüber, aus gründen der vorsicht, weil mir corona schlecht einschätzbar scheint. aber jetzt werde ich den diabetes wieder rausnehmen (ihn also wie sonst erst beim gespräch erwähnen) die entscheidung selber treffen, statt sie dem ag in spe schon im vorfeld zu überlassen. mit masken und vorsicht und händewaschen, ich will und muss dringend weiterkommen in einem lieblingsprojekt grade, alles bisschen suboptimal, aber ich bleibe optimistin.

auf die impfung warten wäre leichter, wenn man wüsste, wann es eine geben wird.

vorgestern abend fassungslos und gebannt bei der stürmung des kapitols zugesehen, nach einem tag brav am schreibtisch. konnte nicht wegschalten, cnn lief, das dauernde reden und analysieren der moderatoren hilft dabei, das geschehen zu verarbeiten, vor allem reden die so schnell, wie die eigenen gedanken kreisen. geschichte wird gemacht. kann nicht abschätzen, ob t. noch rausgeschmissen wird in seinen letzten paar tagen, das wichtigste scheint mir, ihn und seine komische familie von weiterer politischer aktivität fernzuhalten, vielleicht kann man ihn mit was anderem beschäftigen, ihn in einem spiegelsaal einsperren, oder auf einer jacht mit sexrobotern. 147 republikaner haben trotz der meute im kapitol am widerspruch festgehalten, das scheint mir nicht ausschließlich durch karrierismus oder einen mangel an rückgrat erklärbar, das wird in der situation zu antidemokratischem politischen handeln, unentschuldbar eigentlich. wo die wapo sagt „democracy dies in darkness“ kann man jetzt ganz unelegant einwenden, dass „broad daylight“ es besser trifft, und „vor laufender kamera“, soviele selfies. auch: wie schnell sowas passiert, 3 stunden symbolischer akt, alles ist anders. einen tag später lavieren all die leute drumrum noch weiter, diskutieren, räumen auf, starten aufrufe, kündigen, wie man das halt so macht in zivilisierten gesellschaften, und die meute ist längst wieder ungestört nach hause gegangen, von keinem polizisten aufgehalten. dem t. wird nichts geschehen. 5 tote. ein bisschen mehr verhaftungen hätte ich mir gewünscht.

31. dezember 2020

(kein meer in diesem jahr)

ich könnte ja zum ersten mal überhaupt einen jahresfragebogen posten, dabei einfach alle fragen mit „nein“ beantworten. es war ein jahr mit wenig welt und sehr wenig geld, man redet ja in d immer noch selten über geld, selbst im freundeskreis, erst wenn keins mehr da ist, muss man reden. hat man früher auch über gesundheit und beziehungen so wenig geredet, ist nur das geld als tabuthema geblieben? dann hätte sich ein zentrales wertesystem zu wenig bewegt.

viel familie, mit lektüre, aber andere als sonst, wenig bücher, viel, sehr viel nyt und new yorker, ich habe eine art abhängigkeit entwickelt, mein erster klick morgens am handy öffnet die nyt. es ist die beste zeitung der welt, soweit ich das beurteilen kann. the atlantic hab ich erst dieses jahr entdeckt, das wurde auch zeit, nachdem es das magazin schon über 180 jahre gibt. danach lese im sinn von checke ich die repubblica, dann den tagesspiegel, der sich auch sehr gemacht hat in diesem jahr. abos habe ich für die nyt und den new yorker, je 8€ und ca 5€ im monat. früher™ war ich allmorgendlich auf spon, so zum tageseinstieg, aber der ist mir inzwischen viel zu bildlastig und sensationslustig.

übermorgen zieht der d.-zwilling aus, was ich nach kräften verdränge, auch weil ich weiß, dass ich diesen abschied erleben muss, um ihn zu verstehen. in den letzten anderthalb wochen waren alle zuhause, ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich das fast 20 jahre lang gemanaged habe, aber die jungs sind auch umhergesaust wie eine tüte mücken, ohne ziel und komma. heute packt der d.-zwilling seinen kram, bin gespannt, ob die kisten entgegen der mütterlichen meinung doch reichen.

jetzt ist es gelaufen, alle drei fertig er- und bald, übermorgen, am samstag! ausgezogen, der rest wird anekdote. anders als in italien findet das alleinerziehen in deutschland keine große beachtung, es ist normal, niemand reagiert drauf oder fragt nach. in italien habe ich immer eine reaktion bekommen dafür, das mochte ich eigentlich, meine selbstwahrnehmung geht da mit, in italien fühle ich mich toll deswegen, hier ist es eher so what? ähnlich wie beim diabetes eigentlich. ich bin für mehr gefühle.

grade ist es still in der wohnung, der d.-zwilling sucht noch kisten, der große ist leider ohne hund raus. mir ist eingefallen, dass ich mir seit september die haare entgrauen will und es bis jetzt gelassen habe, weil wozu? jetzt mache ich das halt noch und kann frisch gefönt ins neue jahr gehen, wie sich das gehört.

ich kann die zimmer der zwillis neu einrichten, wenn ich dann in ein paar monaten wieder geld dazu übrig habe, werde also wieder ein schlafzimmer haben. eine wand wird eine tapete bekommen, so ein jammer, dass es 5qm nicht mehr gibt! ich tendiere zu dieser hier, der raum geht zum hinterhof und ist dunkel, ich brauche farbe, es soll aber licht bleiben und nicht zu dominant wirken. an die stirnseite des (zu kaufenden) bettes, die wand gegenüber in irgendeinem hellen bianchi-blaugrün. habe leider dunkelholzige möbel für den raum, kleider- und mahagonischrank, mal sehen, was dazu passen wird. auf die tapezierte wand freue ich mich richtig.

ich hoffe, die impfgeschichte wird in berlin keine ber-geschichte. so richtig gut organisiert scheint es bisher nicht, genau wie der umgang mit dem homeschooling, der an den lehrern und lehrerinnen hängenbleibt. in komplett neuen situationen geht es halt nicht irgendwie dann doch gut, wie immer, jetzt grade schafft es berlin nicht, genügend impfstoff zu organisieren und die leute zügig duchzuimpfen. die stadt hat scheints keine ressourcen übrig.

ich wünsche ihnen allen von herzen ein schönes neues jahr, ich hoffe, es wird ein leichteres. vielen lieben dank fürs lesen und kommentieren!

24./25. dezember 2020

nachmittags einen überraschungsbesuch bei meiner mutter gemacht, wir haben die geschenke verpackt und uns ins auto gesetzt und hatten so noch 40min, um ein lied mehrstimmig zu üben. die fahrt durch berlin im regen, über leere strassen, während aus drei tiefen männerstimmen („du singst bass, ihr zwei tenor, ich alt, ok?“ „nein, ich bin kein tenor, ich bin auch bass“ „ich bin auch bass“) oh du fröhliche erschallt, ist mein lieblingsweihnachtsmoment geworden. wir haben uns bei meiner mutter in den vorgarten gestellt und ihr ein ständchen gesungen. sie kam auf den balkon, unfehlbar perfekt gekleidet, in meerblauem samt, und hat sich sehr gefreut. unter ihr wohnt eine andere alte dame, die auch auf ihren balkon kam, auch allein zu hause, auch sehr schön gekleidet, ob ich mich auch schön angezogen hätte, wenn ich weihnachten alleine bleiben müsste? höchstens halbherzig, also vielleicht obenrum elegant, unten yogahosen, oder umgekehrt. ich weiß es aber nicht. ich danach mit den jungs noch eine hunderunde zum grunewaldsee gemacht, dabei an einem tennisclub vorbeigekommen, wo eine große gruppe draussen im regen auch sehr laut oh du fröhliche sang, sie standen alle auf abstand, deshalb klang es irgendwie lauter. wir wollten kurz mitsingen, vielleicht ist es auch für andere das lied, auf das sie am wenigsten verzichten wollten, bei den weihnachtsgottesdiensten, an die ich mich erinnere, wird es zuletzt gesungen, während die gemeinde schon steht, und entlässt die leute in ihr privates fest. mein lieblingslied ist ja immer noch adeste fideles, aber für mehrstimmig hätten wir das üben müssen, was wir vorhatten, aber dann war es plötzlich gestern 14 uhr.

danach nach hause, essen vorbereiten, einen cremant trinken, bescherung.

ich hab vollkommen unerwartet richtige geschenke bekommen, darunter ein buch, was ich seit ewigkeiten lesen will, sehr gefreut! ein kleines startrek-modell zum selberbauen, aus metall, einen schönen füllfederhalter, mit etui, cremes, und lustigerweise einen fläschchen ostfriesenwhisky, auf den ich wirklich gespannt bin, von meiner mutter eins ihrer wunderschönen accessoires, die sie so langsam in der familie verteilt, und ein hyalurongel oder so etwas fürs gesicht, ja hmm, doch doch.

wir haben ein paar mal versucht drei familienteile per facetime, google meet oder skype zu verbinden, es hat aber immer nur mit zweien geklappt, haben wir halt wie sonst auch hintereinander miteinander geredet. gegen 23 uhr hab ich die gans in den ofen gelegt und die jungs sind ausgegangen, um sich mit freunden „auf abstand und mit maske, klar mama“ auf einem platz in der nähe zu treffen. dort haben sie gesungen, wie mir erzählt wird, und geredet, wie sonst vor einer kirche im kiez, die für jugendliche jedes weihnachten einen spätgottesdient mit hektolitern glühwein anbietet, immer sehr beliebt bei allen. zum ende hin, erzählt der große, kam eine gruppe coronaleugner vorbei, die wohl gestern von platz zu platz gezogen ist, „alt, so mitte dreissig“, ohne maske. sie sangen „fürchtet euch nicht“.

jetzt ist es kurz nach vier, nach der gans ist die küche wieder halbwegs okay, ich liege mit übriggebliebenen gerösteten brotwürfeln und einem glas rotwein auf der couch und telefoniere, die anderen ruhen. es ist schon wieder fast dunkel, stille, die adventskerzen sind heruntergebrannt. es war ein schönes fest, eigentlich, liegt bestimmt auch daran, dass wir nach diesem jahr gewohnt oder nur geübt darin sind, eigenen abläufen zu vertrauen. wie immer freue ich mich jetzt auf ein, zwei entspannte tage ohne pflichten, müsste aber eigentlich dringend an den schreibtisch. jetzt muss ich an den tisch, wir spielen irgendwas zusammen, ich werde heillos verlieren und so tun, als sei es absichtlich.

22. dezember 2020

das beziehungssystem der drei brüder untereinander beim ersten weihnachten, an dem alle studieren und auf dem weg sind, ist viel dynamischer als sonst. wie diese bilder, auf denen blickbewegungen aufgezeichnet werden. sakkaden, fixationen, regressionen, da capo. musik aus boxen, umgeräumte zimmer, picknick im flur, weil da ein gespräch passiert ist, sie streiten sich, werden aktiv, unterhalten sich auf dem balkon, sitzen nebeneinender auf der couch und gucken pixarfilme von früher, freunde besuchen sie und stehen mit maske im treppenhaus vor offener tür, gespräche über die gegensprechanlage finden statt. ich komme erstmal gar nicht vor, die wohnung ist bühne, es gibt keinen rechten tagesrhythmus, mal schauen, wann sie wieder runterkommen auf normalnull, ich wundere mich, es fühlt sich an wie mehr als 3 kinder, die alten rollen und die neuen leben im schnellen wechsel, ich merke ihre neugierde aufeinander, auf die veränderungen, das neue, besonders nach diesem jahr mit sowenig input von außen. bin gespannt, ob der abend vor weihnachten wie immer den klassischen riesenstreit bringen wird, um die luft zu klären. habe schwierigkeiten, die wohnung für mich zu reklamieren, stromere so herum und räume dinge auf, die mir begegnen, schuhe, socken, bücher, geldbörsen, handies, der große und der g.-zwilling haben keinen ort mehr für ihre sachen und verlegen alles dauernd. es ist mir zu unordentlich, aber alles hat scheints ein eigenleben.

großeinkäufe für muttern und uns erledigt, einfach zweimal direkt hintereinander durch den supermarkt gegangen, das ist viel einfacher, als nachher beim eintüten alles auseinanderzufieseln. es waren eh zwei sehr volle wagen. vorgenommen, meine kochfaulheit zu überwinden in den feiertagen und also jeden tag was zu kochen, wie früher, verspüre diesbezüglich aber eine müdigkeit existentiellen ausmaßes. ich kann die söhne ja auch mal dran lassen. als aufhänger die idee, in den weihnachtsferien jedes küchengerät einmal zu verwenden (von twitter, glaube ich), mal schauen, ob man mit der eismaschine auch was anderes machen kann, wobei, zitroneneis geht auch im dezember. pasta machen ist fein, so einen unbenutzten spätzlehobel haben wir glaube ich auch irgendwo, hoffentlich findet sich im haushaltskram wenigstens ein total rätselhafter gegenstand, zu dem niemandem etwas einfällt. heute habe ich schon mal gar nicht gekocht, hatte online yoga zur kochzeit, der große hat sich spiegeleier mit harzer drauf gemacht (ich habe so getan, als sei die kombi das normalste von der welt), ich hatte knäckebrote mit fenchelsalami vom markt, die zwillis waren verschollen in ihren welten, in- und aushäusig.

weihnachtsgefühl habe ich, doch. noch nichts eingepackt, der baum steht und ist geschmückt, ich habe ein paar mal bach einschummeln können, aber es fehlt die antwort der umwelt, das zeichen der welt, das gelebte fest, soviel von den stadtbildern, weihnachtstreffen, etc. findet ja sonst im zwischenmenschlichen statt, wird gespiegelt und reproduziert und verstärkt durchs miteinander. jetzt ist es erinnerung und alte strohsterne am baum, wobei, halt: und eure vielen baumbilder auf instagram. das ist schon gegenwärtig.

im freundeskreis bleiben alle in ihren kernfamilien und sind eher erleichtert darüber, bei gleichzeitigem mitleid mit den einsamen senioren.

die stadt heute war sehr voll, der supermarkt auch. die leute auf der strasse fast alle ohne masken. mit meiner mutter einen spaziergang mit großem abstand gemacht, beide mit ffp2. sie konnte sich nicht wie sonst einhaken bei mir, wir mussten also sehr langsam laufen. sie macht das super, aber es ist schwer in dem alter, sie sieht nicht mehr gut und hat hörgeräte, dazu die maskenbänder …

hoffentlich muss ich in diesem jahr nicht mehr so oft los, bedürfnis sich von der außenwelt incl nachrichtenportale mal für ein paar tage abzukoppeln, um in diesem schrägen jahr etwas so normales wie weihnachten überhaupt geschehen lassen zu können, aber auch lust, mal gar keinen zu sehen und allein ein buch zu lesen. innerer stress bei all dem normalen alltag ist sehr groß, liegt an den umständen mit lohn und brot, die viel zu offen sind für mein alter.

wäre schön, wenn die pandemie bald vorbei wäre.

the parameters of our cage

there is a young man in a prison in the usa. he is looking for a way to spend his time and begins to be interested in art, begins to paint and write, later leads the courses himself. in january 2020 he wrote a letter to a photographer asking for contact and discussion. the photographer replies, and in the following months there will be a long exchange of letters about photography and life.

the photographer is alec soth, he made a book out of the conversation, mack published it for little money, the entire proceeds will go to the writing group in prison where the man started with his art. the book turned out great, and i only found it by chance while loitering on the internet because i never read the publishers‘ newsletters.

the prisoner, chris fausto cabrera, tells his life in the course of the letters (“I had plenty of opportunities to follow some good paths, and I almost did”, p.38), soth talks about his childhood, his path to photography, his workflow. They slowly get to know each other through the letters, at first just like a classic pen friendship in the fifties, then the contact becomes more urgent somehow, Corona and Trump occupy and burden soth, black lives matter happens, the letters are becoming more and more important for both writers, one notices that in the texts, in the beginning it is more of an exciting project, then they kind of dive into it, as a whole person. the two find a level of relaxed curiosity, an interest in each other, where both sides can be completely with themselves, open up, talk about their own world, the other reacts in his own way, with different stories and from a different perspective. From these very different lifes, completely different in everything, something new arises, about photography and dealing with it, about the ways of taking pictures, seeing pictures (soth), about life and the perception of life as an artist (cabrera ). Soth sends photos to jail with the letters and asks cabrera to write about them. At first Cabrera is surprised about the selection, then finds an entrance that offers a place for himself: “It’s interesting to enter the past through the backdoor of other peoples photos ”(p. 46). one takes the pictures, the other lives in them.

soth reports from the corona period, which bothered him a lot, (he emphasizes that the circumstances are totally different), cabrera was in isolation for a while and talks about how it changed him, he says, after the corona period maybe everyone will notice that the view and the interaction with people takes place from a greater distance, that the perception contains more of the self.

cabrera describes the photographs that he would like to have; he is only allowed to keep very few pictures in his closet. a couple of his family, a couple of pornographic ones, one of an actress who sits in her room wearing a t-shirt, a che guevara poster on the wall, a skeleton in the corner (he can practice drawing on it), objects in the space with which he can imagine her life, travel souvenirs, that sort of thing. soth passed the idea on on instagram, and asks his followers to build this photo with photoshop, and promised a signed photo for the best one. he has shown the final selection in the book, and he has asked cabrera to explain his decision in favor of one of them. cabrera does that, in just a few sentences, but he also writes about the other pictures, and goes on about traveling in his head, and then starts meandering through a few stories of his life, also telling about what brought him to prison, which i really wanted to know, of course, but also admired the fact that soth didn’t ask about it directly.

but you should read it for yourself, it really turned out to be one of the finest books of the year, and you can tell that the two of them didn’t intend to do that at all, or only very understated, unlike e.g. the man who put together a 5kg volume about the renaissance, to make a totally inappropriate comparison, and the renaissance band has certainly turned out to be a wonderful book, but not as beautiful as this one.

soth and cabrera both treat each other with this special sincerity, or no, they both take it seriously, they give everything because this seriousness is the best way to deal with the strangeness of the difference between their lives and to overcome it in the process, through communication, contact, proximity. it is also a typical tone, i think, for this kind of contact that it is alien to both of them, that is part of the fascination. it somehow reads very well.

it is a very special educational novel in which both sides learn a lot about each other, a book for photography and for art, even if it is only allowed to take place in the imagination.

(translated with google, sorry for that)

the parameters of our cage

da ist ein junger mann in einem gefängnis in den usa. er sucht nach einem weg, seine zeit zu verbringen und beginnt, sich für kunst zu interessieren, beginnt zu malen und zu schreiben, leitet die kurse später selber. er schreibt im januar 2020 einem fotografen einen brief, in dem er um kontakt und gespräch bittet. der fotograf antwortet, in den folgenden monaten entsteht ein langer briefwechsel über die fotografie und das leben.

der fotograf ist alec soth, er hat er ein buch aus dem gespräch gemacht, mack hat es für wenig geld veröffentlicht, der gesamte erlös geht an die schreibgruppe im gefängnis, bei der der mann mit der kunst angefangen hat. das buch ist großartig geworden, und ich hab es nur durch zufall beim herumlungern im netz gefunden, weil ich die newsletter der verlage immer nicht lese.

der gefangene, chris fausto cabrera, erzählt im lauf der briefe sein leben („I had plenty of opportunities to follow some good paths, and I almost did“, S.38), soth erzählt von seiner kindheit, seinem weg zur fotografie, über seine arbeitsabläufe. sie lernen sich über die briefe langsam besser kennen, zuerst wie in einer klassischen brieffreundschaft in den fünfzigern, dann wird der kontakt irgendwie dringlicher, corona und trump beschäftigen und belasten soth, black lives matter passiert, die briefe werden für beide schreiber immer wichtiger, man merkt das in den texten, am anfang ist es noch eher so ein spannendes projekt, dann begeben sie sich hinein, als ganze person. die beiden finden dabei so eine ebene entspannter neugierde, ein interesse füreinander, bei dem beide seiten ganz bei sich sein können, sich öffnen, von der eigenen welt erzählen, der andere reagiert auf seine eigene art darauf, mit anderen geschichten und aus anderer perspektive. aus diesen so grundverschiedenen leben, in komplett allem verschieden, entsteht etwas neues, über die fotografie und die auseinandersetzung damit, über die arten, bilder zu machen, bilder zu sehen (soth), über das leben und die wahrnehmung des lebens als künstler (cabrera). soth schickt mit den briefen fotos in den knast, und bittet cabrera, darüber zu schreiben, der wundert sich erst über die auswahl, findet dann einen zugang, der einen platz für ihn selber bietet: „It’s interesting to enter the past through the backdoor of other peoples fotos“ (S. 46). der eine macht die bilder, der andere lebt darin.

soth berichtet aus der corona-zeit, die ihn sehr mitnimmt, (betont dabei, dass die umstände total verschiedene sind), cabrera war eine zeitlang in isolationshaft und erzählt davon, wie es ihn verändert hat, er sagt, nach der corona-zeit würden eventuell alle merken, dass der blick und der umgang mit menschen aus größerer distanz erfolgt, das mehr ich in der wahrnehmung liegt.

cabrera beschreibt die fotografien, die er gern hätte, er darf nur sehr wenige bilder in seinem schrank aufbewahren. ein paar von seiner familie, ein paar pornographische, eins von einer schauspielerin, die mit einem t-shirt bekleidet in ihrem zimmer sitzt, ein che guevara poster an der wand, ein skelett in der ecke (daran kann er zeichnen üben), gegenstände im raum, mit denen er sich ihr leben vorstellen kann, reiseandenken, sowas. soth gibt die idee auf instagram weiter, und bittet seine follower, dieses foto mit photoshop zu bauen, dem besten verspricht er ein signiertes foto von sich. die endauswahl hat er im buch abgebildet, und er hat cabrera gebeten, seine entscheidung für eins davon zu begründen. das tut er, in nur ein paar sätzen, aber er schreibt auch über die anderen bilder, und dann weiter über das reisen im kopf, und mäandert dann durch ein paar geschichten seines lebens, erzählt auch über das, was ihn ins gefängnis gebracht hat, was ich natürlich wirklich wissen wollte, es aber auch ein bisschen bewundert habe, dass soth nicht direkt danach fragt, ganz im duktus des respects vor seinem gesprächspartner.

solltet ihr aber selber lesen, es ist wirklich eins der schönsten bücher des jahres geworden, und man merkt, dass die beiden das so gar nicht vorhatten, oder nur sehr understated, anders als z.bsp. der mann, der einen 5kg-prachtband über die renaissance zusammengestellt hat, um mal einen total unpassenden vergleich zu bringen, und der renaissance-band ist sicherlich ein wunderschönes buch geworden, aber nicht so schön wie dieses.

soth und cabrera gehen beide mit dieser besonderen aufrichtigkeit miteinander um, oder nein, sie nehmen es beide ernst, sie geben alles, weil diese ernsthaftigkeit der beste weg ist, mit der fremdheit, dem unterschied zwischen ihren leben umzugehen und ihn dabei zu überwinden, durch kommunikation, kontakt, nähe. es ist auch ein typischer tonfall, glaube ich, für diese art des kontakts, dass er ihnen beiden fremd ist, macht einen teil der faszination aus. es liest sich irgendwie sehr gut weg.

es ist ein ganz besonderer bildungsroman, bei dem beide seiten gleich viel voneinander erfahren, ein buch für die fotografie und für die kunst, selbst wenn sie nur in der vorstellung stattfinden darf.

vielen dank!

gerade eben kam noch ein paket ins haus, und es war an frau casino adressiert, da wusste ich gleich, es ist was überraschendes drin. ein leser hat dem hotel mama ein paar wünsche erfüllt, vielen dank! es war ein dickes lehrbuch für den g.-zwilling, den angehenden ingenieur, und noch ein paar sehr nützliche dinge, wird alles unter den weihnachtsbaum kommen. und tatsächlich meinen lieblingsgin! der war versehentlich beim nachbarn gelandet, aber ich halte ja sehr gute beziehungen zu meinen nachbarn, und so habe ich ihn zurückbekommen. mal schaun, ob ichs schaffe, den auch erst unterm baum zu öffnen. hach. sehr gefreut.

partner in spe

wir sollen schön sein, und jung, zumindest jünger, mit glattem hals und feinen gelenken, unser hintern soll sich sehen lassen können, das haar soll schwingen oder einen sitz haben, der von heute ist und den sie ebensogut schon mal in einer zeitung gesehen haben könnten, die männer, die uns suchen. die jahre soll man uns nicht ansehen, oder nur im charmanten detail, paar lachfalten gehen immer, wir sollen zwingend schlank sein, nicht „normal“, nein, schlank, und uns weiblich kleiden, gerne, also freiwillig, wann immer wir können, und bitte nicht im langen wollkleid! denn dann müssen sie nicht nachdenken, dann sehen sie das, was sie schon immer im kopf hatten, die frau, die all diese traumbilder und wünsche und filmrollen verkörpern tut, ohne es zu merken, die frau, mit der sie sich gerne zeigen, die in ihren freundeskreis passt, um die sie beneidet werden, die sie beschützen können und ein bisschen betüddeln, obwohl sie eigentlich überhaupt nichts braucht, weil sie total unabhängig ist, vor allem finanziell, die sich und ihnen keine blösse gibt, die frau, die sie nicht wieder verlassen wird, mit der alles auf neu sein kann. und weil die suche eine weile dauert und doch nicht so leicht von der hand geht, suchen sie auch in sexportalen, nach sex ohne bedingungen und ohne folgen, nur fürs vergnügen, dort schreiben sie ihre wünsche auf, detailliert teilweise, und müssen überhaupt nicht mehr romantisch klingen, und da ist es plötzlich völlig egal, wie die frau aussieht, aussehen nebensächlich, figur nicht so wichtig, du kannst gern etwas älter sein, dicke willkommen, hauptsache es kommt zur sache.

ja, das hat mich gewundert, weil ich auch auf dem partnerbörsenparkett immer dachte, die männer wollen für den sex eine schönejungeschlanke frau haben, dabei ist es ihnen für den sex gar nicht so wichtig, wie schönjungschlank wir sind. da ist es ziemlich egal. da müssen wir nur da sein, und dann sieht man weiter. aber als partnerin reicht guter sex nicht, er ist vielleicht nicht einmal so wichtig, oder wichtig, aber nicht alles. da geht es auch um den status, also um projektion, zumindest bei der suche, da geht es um viel mehr, um das große ganze, um ihr bild auf der großen bühne, und die liebe ist bestimmt auch willkommen, wenn sie dabei ist, aber für die liebe müssen wir erst durchs nadelöhr passen.

(das positive daran, wenn es denn so ist, vielleicht irre ich mich ja kolossal und hab wieder nur vorurteile, und kann nur einem schönen runden gedanken nicht widerstehen, aber wenn da was dran ist, dann könnte ich, wenn mir diese art kontakt belieben würde, wahrscheinlich sex bis ins hohe alter haben, solange es dabei bleibt. das würde mich beruhigen und den zeitdruck nehmen, weil ich irgendwann bestimmt mal wieder sex möchte)

10. dezember 2020

glühwein an jeder strassenecke. ich war eigentlich für morgen abend mit einer freundin verabredet, auch einen zu trinken, schon zur feier des wahlsiegs (wir hofften, t. hätte es bis dahin aufgegeben), aber auch zur feier einer erledigten aufgabe, die für mich morgen noch ansteht und mir angst macht. die glühwein-idee ist großartig, strassenverkauf, bisschen guter verdienst für die geplagten gastronomen, denn glühwein ist ja leider meistens ein rechtes gesöff, das ohne viel aufwand erzeugt werden kann. aber die leute stellen sich dann mit ihren glühweinbechern alle zusammen in die nähe der ausschankstellen, meistens an die nächste strassenecke, wo sie dann in pulks von 10-15 leuten beisammen stehen, plaudern, trinken, lachen, wie auf einem sommerfest im garten. ohne masken. so merkwürdig.

es ist anders als es im sommer war, wo man sich mal zu zweit mit abstand vor eine kneipe setzen konnte, es ist neu und also mit hipnessversprechen (wie heißt das heute? trend erscheint so lahm), es scheint halbwegs okay, weil draußen, der schutz der gruppe ist gegenwärtiger als die vage angst, sich anzustecken, und weil niemand die abstände kontrolliert, kann die freundesgruppe gegen den rest der welt zusammen sein, das zusammensein wirkt nach den monaten der isolation bestimmt schon drogenartig intensiv. das glück der gruppe. ich finds interessant, und schade, weil ich so den verabredeten glühwein mit freundin nicht trinken gehen kann.

the expanse angefangen. tolle effekte, wunderbar und selbstverständlich divers, sehr viele tolle starke frauen. in der zukunft werden ein paar planeten und ein asteroidengürtel von menschen bevölkert, diese kolonien werden selbständig und geraten in konflikt um ressourcen. die serie zeigt figuren, die sich zwischen diesen parteien hin und herbewegen, es gibt für den zuschauer keinen eindeutig guten oder bösen, jede partie hat gute gründe, das fand ich wirklich fascinating. es gibt bisher, staffel 2 bin ich, es sind 5 inzwischen, eigentlich nur eine lange reihe von konflikten zwischen allen parteien, intrigen, machtkämpfe, wobei diese intrigen und manipulationen oft wie eine dramaturgische abkürzung wirken, um den konflikt eben filmisch voranzutreiben, und dabei trotzdem die menschheit als eigentlich friedliebend darstellen zu können, also der böse einzelne vs. den am frieden als systemerhalt interessierten regierungen. der entwurf dieses systems ist toll gemacht, die un als weltregierung, die erde total überbevölkert und größtenteils im elend lebend, die regierung als netzwerk von privilegierten, das ist irgendwie glaubwürdig. so könnte es werden.

die plots wirken ein bisschen wie eine verfilmung eines geschichtsbuches, in dem die nicht kriegerischen aspekte des lebens nicht vorkommen müssen. musste an „der große krieg“ von herfried münkler denken, in dem mit bewundernswerter unermüdbarkeit die strategien auf die einzelnen entscheidungen heruntergebrochen und dann detailliert erzählt werden, in all ihrer komplexität, die ja oft nicht mehr als reine gleichzeitigkeit ist.

hier herfried münkler zum thema gesellschaft nach corona, auch interessant.

(zufällige seite aufgeschlagen, sehr schön ein zitat von moltke: „Ein feindliches Holland im Rücken könnte bei dem Vormarsch des deutschen Heeres nach Westen von verhängnisvollen Folgen sein, besonders dann, wenn England die Verletzung der belgischen Neutralität als Vorwand nehmen sollte, an dem Krieg gegen uns teilzunehmen. Bleibt Holland neutral, so sichert es uns damit den Rücken, denn England wird die holländische Neutralität nicht seinerseits verletzen können, wenn es uns wegen unserer Verletzung der belgischen Neutralität den Krieg erklärt.“ [S. 89], es geht um den schlieffenplan.)

the expanse wirkt authentisch, es gibt kein beamen und keine lichtgeschwindigkeit (zumindest in staffel 2 noch nicht), und die einzige außerirdische lebensform tritt nicht in beziehung zur menschheit, sondern dient im drehbuch eher als projektion, ist wie eine wesenswerdung (richtiges wort fehlt mir grade) der hoffnung an gewissenlose unbesiegbarkeit. die auseinandersetzung der figuren mit einer solchen waffe könnte interessanter sein, wenn es nicht immer nur um nationalität bzw. zugehörigkeit und um persönliche rachebedürfnisse ginge, ein paar anspruchsvolle ethische debatten würde ich gerne mal gut verfilmt sehen. aber das ist in der wirklichkeit bestimmt genauso, die diskussionen über best. waffen finden alle innerhalb des militärs statt, stimmen von außerhalb sind ja nicht kriegsrelevant. in expanse wirken die argumente gegen den einsatz einer außerirdischen lebensform als waffe deswegen alle ein bisschen flowerpower -mässig, die figuren, die sie äußern, bleiben seltsam farblos, weil sie keine argumente bringen dürfen, so dass ihre haltung als gesetzt erscheint, und von außerhalb des politischen systems kommt (eine pastorin glaube ich), zumindest außerhalb der politischen intrige (ein etwas farbloser guter regierungschef), weil, klar, es eben eine scifi-serie ist, und da soll ja dauernd gekämpft werden.

so ähnlich stelle ich mir die welt im spiel eve vor, darum interessiert es mich nicht.

eine serie, deren gewalt ich gut aushalte. nachteil ist der ewige konflikt, den ich als wenig befriedigend und ein bisschen langweilig empfinde, dauernd kämpfe, dauernd weltuntergang, wenig humor, wenig spielerei, wenig neugierde, keine utopie. ein bisschen utopie braucht eine gute scifi-serie. hatte in staffel zwei deswegen erstmal keine lust mehr, mal schauen, wann ich weitergucke.

6. dezember 2020

es ist von außen alles so ähnlich wie immer, die nicolaus-rituale bekommen einen angenehm albernen beigeschmack, sie halten das aus, und die schokolade wird gegessen, trotzdem bin ich viel tiefer als sonst um diese zeit in mir drin, durch das jahr zurückgeworfen und festgehalten an einem punkt, der das nicht verträgt, der erledigt gehört, weil niemand auf mich wartet. in nicht-corona-jahren passiert halt immer irgendwas, ich bleibe in bewegung, werde weiter gezogen, mitgenommen, bleibe im spiel, es ist eine aufgabe, die ich allein nicht gut kann, die mir zuwiderläuft. und eigentlich muss niemand alles können, die fehler beheben, alle lücken schließen, aber es ist natürlich sonst keiner da, und das leben findet einen weg und fordert seinen tribut.