12. juni 2022

ich würde so als wirklich rundum funktionierenden eskapismus gerne eine serie gucken, in der die usa vom waffenwahn geheilt werden. die nra wird dort entmachtet, die leute geben ihre waffen ab, es werden keine kinder mehr erschossen. gerne als politshow, gerne west wing- oder borgen-qualität. als prequel oder prolog die umstrukturierung der wahlfinanzierung nach europäischem modell, mit einem neben- oder hauptplot, in dem es um den umgang mit den sozialen medien geht, mit der radikalen rechten. die schulbildung wird besser, der frauenverachtende religiöse wahn wird wieder marginalisiert, bah, es müssten an sovielen stellen veränderungen stattfinden, das gibt 20 staffeln mindestens. da wäre eine zeitreise zur unabhängigkeitserklärung einfacher. eine version der usa, in der james madison seiner regierung vertraut und den bürgern kein recht auf waffen in die verfassung schreibt.

durch die stadt geradelt, nach moabit, zu den uferhallen. wie es im wedding keine radwege gibt, sofort flashbacks an die berliner sommer der achtziger, als ich durch leere strassen in kreuzberg geradelt bin, die bunte vielfalt und das helle licht aufgesogen habe, mal hierhin, mal dorthin, mal ein kaffee irgendwo. wie sich diese touren ewig angefühlt haben, zeitlos. die strassen waren natürlich sehr voll diesmal, also wie früher hindurchschlängeln, als gäbs kein morgen. der verkehr war so laut, ich hab mein sirrendes vorderrad nicht mehr gehört, irgendwas schleift da. ich weiß im ernst nicht mehr, wie man eine fahrradkette auswechselt, dabei ist auch das dringend nötig.

offene ateliers in den uferhallen. viele viele künstler*innen arbeiten dort, unter anderem auch mein freund hansjörg schneider, von dem ich eine schöne arbeit im wohnzimmer hängen habe, eine große qualle. er macht jetzt ganz wunderbare papierskulpturen, die eigentlich weggehen sollten wie warme semmeln, aber die leute kaufen in kriegszeiten vielleicht nur die wirklich berühmten künstler*innen. ein großes bild von peter böhnisch hat mich, hat uns beeindruckt. es geht über die ganze länge des ateliers. er weiß noch nicht, ob es fertig ist, sagt der künstler, ich mag gerade das lebendige, vibrierende daran, die offenen grenzen, das unfertige als teil des konzepts. und das blau natürlich.

peter böhnisch

ich mochte auch die arbeiten von rainer neumeier, denen man ihre tiefe erst auf den zweiten blick ansieht. mesmerizing, und schön altmodisch mit farben, klingen, sieben und anderen materialien erst aufgebaut und dann wieder ins zweidimensionale zurückgebracht, wie kleine welten. oder hat so ein analoger weg einen schwierigen stand im zeitalter digitaler bildbearbeitung? ich mag ja den handwerklichen aspekt bei bildern.

noch ein paar andere funktionierende arbeiten, aber auch viel wilde persönlichkeitskunst gesehen, da müsste man den/die künstler*in dann gleich mit ins haus holen.

die uferhallen sind bedroht durch ein bebauungsprojekt, sie wollen ein elf stockwerke hohes haus reinstellen, mit platz für 800 menschen, die künstler sollen in der mitte des grundstücks in so einer alten fabrikhalle ateliers bekommen, wie bienen im stock, das weitläufige, freie und wilde des orts wird verloren gehen. man kann noch protestieren dagegen, hier ist der link. denkt an ford prefect! irgendwann ist alles schöne weg.

damals im theater

letzte woche einen ausflug in eine andere welt gemacht, in bester begleitung. in der einladung stand: „audio-visuelle dokumentation“, ich hab mich gefreut, eine berühmte theateraufführung sehen zu können, die 1962 für furore gesorgt hat. peter hacks hat damals im deutschen theater seine version von aristophanes‘ frieden inszeniert, ich habe ein bisschen hacks im regal, einiges gelesen, aber nie ein stück von ihm auf der bühne gesehen, er wird seit den sechzigern kaum noch gespielt (youtube, tv-beitrag von 2008 über hacks, mit ua wiglaf droste), mit ausnahme einiger gallischer dörfer. eingeladen hat die galerie am amalienpark, der ich schon einige sehr schöne abende verdanke, zum beispiel diesen mit gisbert von knyphausen und anderen musikern. der abend fand soviele interessent*innen, dass die galerie auf einen anderen ort ausweichen musste, in einer stiftung cajewitz, auch in pankow. wir also hingeradelt, im eingang lauter interessante leute, besonders angezogene frauen, freundlich und plauderbereit. ich mag ja das publikum dieser galerie sehr gerne, die menschen verbreiten einen mühelosen eindruck von sagen wir mal kulturellem bewusstsein, mehr durch die frauen getragen, fast alle besonders und eigenwillig gekleidet. der zweite blitzeindruck war: altersheim. frau seubert und ich konnten den altersschnitt kaum senken, dazu passend ist diese stiftung eine seniorenresidenz.

beate rosch, die die doku zusammengestellt hat, meinte, sie wäre zum zeitpunkt der aufführung 15 jahre alt gewesen und hätte das stück also nie gesehen, mein eindruck vom publikum war, dass die meisten es zumindest theoretisch noch auf der bühne gesehen haben könnten. es lag so ein kleiner hauch melancholie im raum, eine wehmütige erinnerung an die zeit, als kultur noch folgen hatte, als theater noch wichtig war, als die menschen im raum noch bedeutung hatten, aber vielleicht überinterpretiere ich da auch.

es waren sogar zwei musiker der inszenierung anwesend, sie haben ein rührendes stück jazz vorgespielt. frau rosch machte ein paar kennerwitze über die musik, es war wohl in den sechzigern nicht üblich, jazz als theatermusik einzusetzen, die entscheidung hat wohl für einige aufregung gesorgt und war so einprägsam, dass jemand im publikum nur einen dreiklang draus vorsingen musste, und sofort gab es so ein kenner-gelächter im saal. bisschen ehrfurcht, weil all dieses fantum 60 jahre nach dem theaterereignis ein wirkliches liebeszeugnis ist, als sei es doch keine so sehr vergängliche kunstform. ein dritter musiker kam verspätet an, ob wir denn nochmal ein stück mit allen drei musikern hören wollten, fragte die moderatorin, ich dachte öhm, aber das publikum dachte natürlich anders, es bedeutet ja auch mehr gegenwart, etwas leibhaftiges aus den wilden sechzigern geht live! wie die stones! also nochmal mit pianist. dann war aber der flügel abgeschlossen, und wir mussten verzichten. ob wir nach der ersten stunde eine pause wünschten, fragte sie noch, dringend, dachte ich, frau seubert und ich waren im saal mit 100 alten und sehr alten menschen die einzigen mit maske.

an der stirnwand des raumes liefen dann über einen beamer schwarz-weiß-fotos der aufführung, frau rosch hat eine fundgrube an theaterbildern ausfindig gemacht, dazu hörten wir eine tonaufzeichnung des stücks, die bilder wechselten teilweise alle paar textzeilen, frau rosch hat für das projekt sogar ein paar kurze filmaufnahmen auftreiben können und sie ohne spürbaren wechsel zwischen die partien mit nur fotos geschnitten, eine sehr beeindruckende arbeit. echte theaterliebe. man kann sie, wie ich vermute, auch auf cd und dvd kaufen.

die inszenierung ist intensiv, selbst als reine foto-doku. die schauspieler tragen die masken der griechischen komödien, es wird laut deklamiert, in den filmszenen sieht man ihren vollen körpereinsatz, es wirkt fast tänzerisch, mit viel bewegung. fred düren als trygaios ist kraftvoll, anklagend, pathetisch. er fliegt auf einem sehr großes mistkäfer über der bühne herum, der wäre auch heute noch beeindruckend. mir war es zuviel schreien, vielleicht auch der aufnahmetechnik verschuldet, auch das frauenbild war zum haareraufen. konnte den text akustisch nicht immer verstehen, er ist altmodisch komplex und verdient konzentration. habe nur einen band von hacks‘ dramen, konnte noch nicht nachlesen.

ich würde das stück gern noch mal im theater sehen, es ist ja erschreckend aktuell. wir sind nicht bis zum ende geblieben, ich weiß jetzt also noch nicht einmal, ob bei hacks der frieden siegt, wie bei aristophanes.

der kleine kern

meine mutter ist 88 geworden, nein: wir haben ihren 88. geburtstag gefeiert, der g.- zwilling war auch dabei. nach dem essen haben wir alte fotoalben angesehen und per WA herumgeschickt, zur freude der anderen beiden jungs. sie wirkt viel leichter als früher, als könnte ein windhauch sie umwerfen, sie bewegt sich sehr langsam und traut dem boden nicht mehr. sie nimmt ihren körper als unzuverlässig wahr und klagt über die vielen stellen, die nicht mehr richtig gut werden, immer noch mit einer kindlichen empörung. sie geht vor ihrem geburtstag zum friseur und lässt ihr haar nachfärben und „legen“, in schönen grossen wellen um ihren kopf. ich möchte immer, dass sie sich mehr bewegt, ihren rollator nutzt, spazierengeht, übungen macht, aber sie will sich gar nicht mehr bewegen, es ist so schon alles abenteuer genug. ich denke, sie klagt zuviel, statt ihr leben zu geniessen, fokussiert nur auf die schlimmen folgen des alterns, statt für ihr relativ gutes befinden dankbar zu sein, sie relativiert nichts mehr, ihre wahrnehmung schließt sich um sie selber. meine andauernden ermutigungen zum weiterkommen, mehr kondition, mehr unternehmen, dabei will sie das alles nicht mehr. es soll nur nichts weh tun.

wie ich das alles sehe und verstehe und trotzdem manchmal, so zwischen außen und innen, im vorbewussten raum, immer noch ein kleiner wunsch nach mehr da ist, zu leise für eine sehnsucht, zu müde, weil die zeit ja vergeht und nichts wiederkommt. wie ihr gelegentliches „toll, wie du das alles machst“ bei mir kaum ankommt, weil ich mehr möchte, von anfang an, und wie dieser wunsch auch nur noch eine matte ungefähre erinnerung ist. ich will gar nicht mehr alles, will nicht erkannt werden, verstanden, mit all meinen lebensbedingungen, nicht ihr ganzes herz, die wege sind getrennt. das leben ist weitergegangen, wir tragen unsere ziernarben mit stolz.

kw dazu: genug kann nie genügen, schon schweigen ist betrug.

ich hoffe, ich bin meinen kindern gewachsen, aber es fühlt sich eigentlich danach an. alles gut. yeah pathos.

30. mai 22

das erste mal im neuen job krank zuhause geblieben. fühlt sich merkwürdig erwachsen an. habe einen dieser infekte, die sich nach corona anfühlen, aber alle tests sind negativ. glaube inzwischen, dass ich es nicht kriegen werde, aber das dachte d.-zwilling auch, und der hat es jetzt.

wenn ich allein zuhause bin, rufe ich manchmal nach emma, weil es sich so vertraut anfühlt, und weil sie immer gekommen ist.

zwischendrin das bedürfnis, mein leben zu gestalten, etwas erreichen zu wollen, schaffe es kaum, einen spielraum dafür zu sehen, eine fuge, wo noch bewegung möglich ist. das meiste hält von alleine fast zu gut, wenn auch eher von außen. wo du hingehst, da bist du dann. vielleicht fehlen mir aber auch bloss die hunderunden, die rituale, die gespräche mit den hundemenschen, die täglich erlaufene stadt. habe tatsächlich mehr stillstand als früher.

die liebe ist ja auch so ein veränderungsimpuls, ein bewegungsdrang, vielleicht sollte ich statt hund wieder einen mann suchen? der macht dann aber noch mehr arbeit. ich merke auch, dass ich wirklich gern allein bin, und warum jetzt wegen der generischen annahme, dass sich das im alter nochmal ändert, die jahre bis dahin auch schon hergeben? sich richtig zu verlieben, alles geben wollen, alles nehmen können, das wäre schön, aber ich kann mir das nicht mehr vorstellen, es ist zu lange her, und der aufwand mit den portalen immer, nee.

den neuen knausgård angefangen, lese ihn sehr gerne, bin gespannt, wie er sein neues thema klimawandel im fluss unterbringen wird. bisher wirken seine ideen dazu wie diese momente, wo im film die normalität plötzlich kippt und das unfassbare eintritt, eher wie phantastische oder scifi-elemente, ohne bezug zum bis dahin erzählten, eher deus ex machina als homo factus. man liest das und denkt so: hm? bin gespannt, wie es weitergeht.

26./27. mai 2022

fühle mich älter als je. paar baustellen kann ich, muss ich bearbeiten, hoffe, mir fällt ein weg dazu ein. war etwas verpeilt in den letzten tagen, dabei zu oft einfach in so einer art lebens-lampenfieber verstrickt, obwohl es gar keine bühne war. nein, noch vermisse ich die berufliche selbständigkeit nicht wirklich.

über freunde nachgedacht, ich hätte soviele, sagt eine freundin, dabei sind die, mit denen ich ohne scheu über alles rede, an einer bis anderthalb händen abzuzählen. die alten leute im umfeld beklagen, nein, eigentlich erzählen sie es eher, dass sie gar keine freunde mehr hätten, aber das liegt auch daran, dass sich im alter der kreis um die menschen immer mehr schließt, der radius kleiner wird, vielleicht auch die bedürfnisse, es bleiben partner und familie. man verliert sich aus den augen über die jahre, mir sind besonders die männlichen freunde aus dem fokus gerutscht, weiß nicht, woran das liegt. sind männer in job und partnerschaften anders eingebunden als frauen, oder machen sie dann eben alles in der partnerschaft? das sind bestimmt nur klischees, warum sollte es einen unterschied geben in der art, wie männer und frauen freundschaft leben? nee, da hat eine stimmung meine wahrnehmung beeinflusst. unsere wohnorte und tagesabläufe dividieren sich einfach mit den jahren auseinander, anders als früher bin ich weniger initiativ beim ausgehen und planen, und ich bleibe wirklich sehr gern zuhause. und die müdigkeit immer. kommt eins zum anderen. hmm. beim gestrigen herumbloggen meldet sich dann eine freundin per wa, und wir verbringen den rest des nachmittages zusammen. point taken, vorgenommen, mich bei den männern mal wieder zu melden. bei den freundinnen stört das nichtsehen ja gar nicht weiter, wir sind sofort wieder da, wo wir letztes mal aufgehört haben, ich hoffe, das ist bei den verloren gegangenenen männern genauso.

in den corona-jahren habe ich mit einigen freundinnen fast täglich hunderunden gemacht, dabei über alles geredet, ohne emma brauche ich etwas wie einen grund, einen anlassgeber, einen anzünder fürs spazierengehen, ich werde eben ohnehundrunden machen, fernziel flaneuse.

es ist in meinem alter schon fast eine gute nachricht, wenn es nicht so viel neues zu erzählen gibt.

anderes thema: ich war vor jahren mal mit frau modeste ein kleid kaufen, auf dem rückweg sind wir mit f. an einem legoladen vorbeigekommen und hineingegangen. dort hatte ich die normalen gefühle zwischen sentimentalität und „alles so schön bunt hier“, die man in einem legoladen als mutter großer kinder eben hat, bis ich den aston martin dort stehen sah. schon nach sekunden kippte das erstaunen in habenwollen um, sofort selber mit der nase dran geklebt, wie früher die kinder. die weihnachtsabende, wo ich neben den kids auf dem boden gesessen habe, in einer flut an legosteinen, mithelfen wollte, aber nicht durfte („nein, mama!“). das war nicht wirklich schlimm, mit den star-wars-themen konnte ich sowieso nie was anfangen, aber ich hab die kids ein bisschen beneidet. auf die idee, mir lego für mich selber zu kaufen, bin ich vorher nie gekommen, das wäre albern gewesen und ein bisschen peinlich. aber jetzt war etwas anders, ich habe die bondfilme gesehen und würde sehr gerne mal in einem aston martin herumfahren, ich war zielgruppe.

schon 2019 war jeder 10. kunde ein erwachsener, inzwischen sind es sicher mehr, die objekte sind durchdacht, die autos haben eine lenkung und bewegliche teile, man kann beleuchtung nachkaufen, es sind oft lizenzprodukte, die den originalen so ähnlich wie möglich sind, mit mehr als 1000 teilen, und sie besetzen anders als etwa ein großpuzzle nach dem fertigstellen keinen ganzen tisch, sondern werden zu kompakten 3d-staubfängern, die in ein regal passen. das angebot ist überschaubar, schöne autos, ein paar berühmte bauwerke, alles international bekannte sehenswürdigkeiten, filmprops wie der wagen aus ghostbusters, der wird in wechselnden ausführungen schon seit 2015 oder so angeboten. auch die titanic ist im programm unsinkbar, sie taucht jedes jahr mit größerer teileanzahl wieder auf. der db5 sollte damals 150€ kosten, mehr als das kleid, ich habe ihn nicht mitgenommen, wohl aber ein kleineres automodell, „für die jungs“, weil der damm zwischen spielzeug und erwachsenenzeug mit einem mal weg war. ich habe das auto dann selber aufgebaut, die söhne haben aber zu weihnachten noch jeder eins bekommen, es gab keine beschwerden, und sie haben sie beim auszug mitgenommen. ab und zu nehme ich mein auto auseinander und baue es wieder zusammen. seitdem schaue ich gelegentlich mal nach, es gibt inzwischen eine ganze welt dafür, der markt hat übernommen, die objekte sind teuer, es gibt knappheit, spekulation und sammler, und haufenweise eher junge männer, die auf youtube mit großer begeisterung über ihr lego reden.

dieses bauen nach anleitung ist natürlich ein bisschen malen nach zahlen, es gibt aber auch ai weiwei, der mit lego richtige kunst macht, wie mir frau seubert gestern beim spaziergang erzählt hat. sie konnte die arbeiten beim galerienrundgang sehen. also auf, von den vorgaben freiwerden, einfach dinge bauen, wie ganz früher. wenn man sich die neue titanic gönnt, hat man dafür über 9000 teile zur verfügung.

13. mai 2022

letzter tag meiner ersten frühdienstwoche. ich komme immer nur 5 minuten zu spät und muss dann eben schneller aufschließen, wecker klingelt früh genug für einen kaffee im bett, es ist ja schon hell und also machbar. hab mich über den frühen feierabend gefreut, ihn aber gar nicht richtig nutzen können, weil ich ziemlich ko war. abends um 21 uhr sind die tage dann vorbei. ich kann die frühdienste auch tauschen, sie sind relativ beliebt, bin noch unentschlossen.

gestern nachmittag dann noch emmas asche abgeholt. die streubox ist etwa so groß wie diese 1l-trinkflaschen, die es grad überall gibt. das tierkrematorium ist ein paar kilometer vor berlin, in einer schleife aus abfahrten und auffahrten auf die a10, ein relativ eleganter kleiner neubau mit dem schornstein, den ich nicht ansehen mag. das gebäude ist autobahnumtost. innen viel glas, beton, schwarzweißdrucke von steinen, eine freitreppe, es sieht aus, als hätte es preise gewinnen können. an einem tisch im empfangsraum sitzt ein paar und spricht mit einem mitarbeiter, der dann mit einem kleinem hundekorb weggeht, das tier darin in eine decke gewickelt. es gibt eine auffällig schön gestaltete kleine wiese neben dem gebäude, mit einem teich, schilfgras, blumen, erst auf dem heimweg fällt mir ein, dass das wohl die blumenwiese ist, wo man die asche seines tieres verstreuen (lassen) kann. der mitarbeiter sagt mir, nach dem bezahlen, ich solle ihm folgen, ich wundere mich, dass er mir die box nicht einfach über den tresen reicht, aber durch einen gang kommen wir in einen kleinen raum, wo die box auf einem tischchen steht, mit einer brennenden kerze und einer schmuckkarte. daneben ist ein sofa, ich kann da bleiben, „solange wie sie es brauchen, rufen sie mich dann einfach“. ich danke und sage, ich würde sowieso schon heulen, ich würde jetzt lieber gehen. ich bekomme die eingewickelte box in einer kleinen tragetasche mit. ich hab das krematorium eigentlich nur ausgewählt, weil es das preiswerteste war, aber die freundlichkeit und der respekt der mitarbeiter vor der trauer der tierbesitzer ist wirklich wohltuend. überall standen boxen mit taschentüchern. es hätte sogar die möglichkeit gegeben, vor der kremierung in einem raum von ihr abschied zu nehmen, aber das hab ich ja schon in der klinik gemacht. ich habe mich (natürlich) für eine einzeleinäscherung entschieden, es ist ein vertrauensvorschuss, wenn man nicht dabei ist, aber das gehört zum gehenlassen, denke ich. ich bekomme als sicherheit einen stein mit einer nummer, der liegt mit in der box, habe das prinzip aber nicht verstanden. es kostet 318 euro, soviel in etwa habe ich damals bei jack auch bezahlt. ich denke darüber nach, ob das heizkosten sind, oder gebühren, oder ob das eben der preis ist, den so etwas kostet. es ist ein drittel teurer als die einäscherung eines menschen.

ich wollte die asche eigentlich auf einer wiese im umfeld verstreuen, aber eins der kinder wünscht sich die ostsee, damit sie wirklich frei sein kann und nicht im abwasser berlins landet. ich wundere mich die ganze zeit darüber, wie wenig zugriff mein verstand auf die trauer hat, wie viel anwesenheit emma noch in meinem kopf hat, wie schwer mein bewusstsein seele und körper des hundes voneinander trennen kann, ein hund kommuniziert ja mit dem ganzen körper, alles an ihm ist irgendwie sprache, ok nee, aber doch beziehung und kommunikation. mein kopf denkt sie noch dauernd mit, die beziehung läuft halt ins leere, füllt vielleicht jetzt meinen umgang mit der asche, weil es ja sonst keinen ort mehr für sie gibt.

auf der rückfahrt vom krematorium gleich noch das auto gewaschen und die meisten hundehaare rausgesaugt.

eine liebe freundin, die seit einiger zeit sterbeamme ist, hat von einer aus den staaten kommenden art der kompostierung gesprochen. der körper wird mit einer art kompost-trigger innerhalb von vier wochen zu guter erde (es gibt dabei auch methoden, die sich eher brutal und bisschen mafiaesk lesen, sehr gruselig), anders als, wie sie es beschrieb, die särge im berliner lehmboden, die ewig lang dort liegen, ohne dass sie wieder zu dem staub werden können, aus dem wir alle sind, mensch und tier.

(ich habe über die lebendige emma weniger geschrieben als über die tote. fühlt sich doof an, aber ich muss halt wohin damit. sie war in den letzten 10 jahren meistens dabei, bis auf die stunden im job, seit 5 monaten. das alleinsein hat ihr glaube ich nicht gut getan.)

emma (hundekörper)

es gab dann noch einen anruf vom tierarzt, der bei emma einen husten diagnostiziert hatte, auf keinen fall etwas verschlucktes, der mich fragte, ob man nicht eine obduktion machen könnte. seine idee war, dass emma schon länger krank gewesen sein könnte, ihr tod also nicht dem einatmen von etwas verschuldet war. ich habe mich unter druck gesetzt und mich dafür entschieden, mittags vom job aus, und mich damit nicht wohl gefühlt. beim heimradeln gemerkt, dass mich das immaginierte bild ihres zerteilten körpers länger begleiten würde als das wissen über die ursachen ihres todes. das interessiert den arzt (dem es eventuell auch um eine mitverantwortung geht) mehr als mich. also um halb sechs noch eine mail geschrieben mit der bitte, sie ganz zu lassen. am nächsten vormittag kam ein anruf, sie sei leider schon in der patho, man hätte schon angefangen, könne aber noch aufhören. habe ich zugestimmt und hatte den rest des tages das gefühl, meinen seelenhund noch nach dem tod nicht gut begleitet zu haben. wieso ist ausgerechnet die fucking veterinärmedizin so dermassen super effektiv, können die nicht sein wie die restliche berliner verwaltung?

germerkt, dass mit dem tod alles wie zementiert wirkt, für immer, wo es im leben beweglich, interpretierbar, verhandelbar, verzeihbar bleibt. ich tröste mich damit, dass hunde einem ja alles verzeihen, das hat emma oft genug gezeigt, während ich da eher träge bin, nicht unbedingt nachtragend, aber doch mit einem lange lesbaren verletzungsignal. bei ernsthaften dingen natürlich, bei allem anderen bin ich wirklich unberührt. da werde ich jetzt versuchen, emmas andauerndes präsens zu übernehmen.

1. mai 22

schön war, dass der d.-zwilling gekommen ist und ganz wunderbar präsent war. wir haben zusammen ihren schlafplatz aufgeräumt, ich habe alle decken und liegekissen weggeworfen und gestaubsaugt, das restliche futter geht an hundemenschen aus der nachbarschaft. die wohnung wirkt tot und unecht, wie eine filmkulisse, das viele hundebemerken beim rumlaufen läuft auch ohne hund weiter, es ist dann ein rucksack, d.-zwillings bein, nur unterm tisch ist es ein nichts. darum musste ich alles gleich wegräumen, glaube ich. das schlechte gewissen geht langsam, auch durch liebe und kluge sätze von freundinnen. so intensiv brennende schuldgefühle sind ja meistens nach ein paar tagen verstoffwechselt, inzwischen ist es mehr trauer, sie nicht mehr gesehen zu haben, als es ihr so schlecht ging, als schlechtes gewissen. nicht bei ihr gewesen zu sein.

geärgert über eine freundin, die mich in langen vorwurfsvollen sätzen zum unterschreiben offener briefe bringen will, „du hast drei söhne“, mit sätzen wie „das müsst ihr euch bitte schön klar machen, wenn ihr von demokratie redet“, obwohl ich ihr gesagt habe, dass mein hund gestorben ist. hab um unterlassung gebeten, dann gemerkt, dass sie wirklich unbezwingbare panik vor einem nuklearschlag hat. ich war zu angeschlagen, um mich ganz zu entziehen, mit anderen freundinnen geredet, gemerkt, wir haben keine klare meinung und finden es schwierig, eine zu haben. putin ist einerseits, laut der appeasement-befürworterin, rational und wohlüberlegt in seinen schritten, wurde von der ukraine eingeladen, was die presse nicht mehr sagen dürfte, das sei wie in den dreissiger jahren (da bin ich ausgestiegen aus der argumentation), andererseits ist er laut waffenbefürwortern ein kriegsherr ohne skrupel und mit unbegrenztem revisionistischem größenwahn. in der repubblica haben sie einen ausschnitt aus einem russischen sender verlinkt, wo so ein rechtskonservatives oder rechtsextremes duma-mitglied zeigt, wie london und berlin in 3 minuten („206 sekunden!“) dem erdboden gleichgemacht werden können, er freut sich anscheinend darauf. das ist finstere propaganda, oder schon hetze, finde aber die idee beunruhigend, dass putin selber der eigenen kriegstreiberei nicht widerstehen kann, weil sie ihn stark scheinen lässt. dass ihm menschenschicksale egal sind, beweist er ja seit jahren. verstehe die aggressivität gegenüber den waffengegnern nicht, finde sie unangemessen angesichts des pulverfasses, auf dem wir sitzen, und dann geht es immer weiter mit „ja, natürlich gibt es die gefahr eines atomkrieges, aber …“ wie sind wir so schnell von „er wird schon nicht angreifen“ zu so einem satz gekommen? wolfgang müller argumentiert für die lieferung schwerer waffen, die begründung dafür steht und fällt mit seiner annahme, putin würde halb oder ganz europa bekriegen wollen, also auch polen, finnland und deutschland, in so einem now or never-duktus. der text macht angst.

ich bin froh, dass ich nichts entscheiden muss, würde mich glaube ich viel um klassische hinterzimmer-diplomatie bemühen, um herauszubekommen, wo es sollbruchstellen gibt bei p. ich kann verstehen, dass meinung haben und verkünden wenigstens etwas ist, angesichts der allgemeinen hilflosigkeit, es ist aber nicht meins. der d.-zwilling hat erzählt, wie durch das kleine dorf in sachsen, wo er grade als bufdi eingesetzt wird, lange panzerbrigaden durchgerollt sind, auf dem weg nach polen, auch aus dem rheinland gibt es solche berichte. es wird ja nicht nichts getan, ausrufezeichen. ich habe auch etwas getan, einen zu schweren notfallkoffer gepackt, voll ohne ein einziges kleidungsstück (diabetes etc.). ich will das alles nicht.

es ist viel zu viel kartenleserei. ja, ich habe drei kinder, und an schwachen tagen wie heute bin ich froh, dass keines in berlin wohnt. es ist aber auch der zweite tag ohne hunderunden, die viel zum runterkommen und sammeln beitragen. das internet ist grade kein guter ort.

(geht gleich wieder, sorry.)

wie sie immer kurz freude gezeigt hat, schon wenn ich einfach nur an ihr vorbeigegangen bin, die ohren gingen hoch, zwei halbe schläge mit dem schwanz, dann war sie wieder entspannt. ich kann ihr fehlen fast sehen, sowie man ja manchmal für musik bilder im kopf hat. sie fehlt überall.

immer, wenn ich geniest habe, hat sie einmal gebellt und ist dann zu mir gesaust, um mich mit der nase anzustupsen, ich hab keine erinnerung daran, wann und wie dieses verhalten entstanden ist, war es ihres oder hab ich mal was falsch verknüpft?

die stadt war gestern wahnsinnig voll, also lokale, die bürgersteige, viel zuviele menschen auf einmal. heut früh beim bäcker hatte nur ich eine maske. meine masken sind alle, auf arbeit bekommen wir jetzt auch keine mehr, ich muss also nachkaufen, tests auch. wieder alles beim einzelnen, als wäre die pandemie vorbei, so absurd.

null und nichts über 1. mai-demos gelesen oder lesen wollen, zum ersten mal seit 1987, das mach ich gleich noch, zur aufheiterung.

24. april 2022

der unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten cello ist wirklich überraschend. beim ersten höre ich die suite und mag die wärme und den klang des instruments, freue mich über die melodie. beim zweiten ist sofort alles anders, jeder ton ist klarer, genauer, hat mehr tiefe und raum, ist viel komplexer, dabei ganz leicht und fein, eine ganze dimension kommt dazu, das instrument hat eine eigene stimme, die alles zusammenhält, sich nicht aufdrängt, aber ich höre sie und habe respekt. dieses gefühl werde ich nicht mehr vergessen. alles stimmt, alles fügt sich, so soll es sich auch im leben anfühlen, wenn etwas wirklich gut ist, ein klares erkennen (das ist es).

bin grad erkältet, habe bei andauernd negativem schnelltest absurd hohe blutzuckerwerte, brauche fast dreimal soviel insulin wie sonst. das passiert eigentlich nie. das fatale hinterhersein bei stoffwechsellagen. frust, weil es auch mit den tollen systemen nicht besser wird, es geht halt mit meinem körper nicht. meine ärztin ist da stellvertretend für die medizin bei all meinen fragen oder vermutungen nur so „ja, das kann natürlich mal sein“, liefert immer nur freundliche antiklimax. vielleicht komme ich langsam ins leibärztïn-alter (das gendern liest sich hier aber doch verwirrend, ich sehs ja ein) und brauche jemanden, der alle meine werte, vitamine, hormonlagen in beziehung zum diabetes kann und zu allem eine idee hat, wie das internet.

balkon in betrieb genommen beim fertiglesen des lesegruppen-buches, anything is possible von elizabeth strout, sehr besonders. immer wieder bücher, auf die ich nie gekommen wäre, das ist mit das schönste an diesen treffen, wobei ich ehrlich gesagt immer noch kaum lese. ob die lesezeit vorbei ist? wie ist das passiert? ich habe keine disziplin und heutzutage bräuchte ich welche, gegen netflix und co., früher war das lesen der einzige ausweg.

zwischendrin behaglichkeit wg dem ´job, der so sinnvoll ist, dem regelmässigen lohn, dem alltag mit seiner struktur. wie ich morgens früh mit emma die erste runde drehe, auf dem heimweg vom job beim rewe einkaufe, dafür eine schöne radtasche gekauft habe, am samstag putze, abends erschöpft bin. dann fällt mir der krieg wieder ein, dauernd, ist das normal?

die zwillis sind 21 geworden, bis jetzt sind diese 21 jahre viel länger bei ihnen als bei mir. die kids haben mich beweglich gehalten, dafür musste ich gar nichts tun und habe mich daran gewöhnt, aber ich war natürlich jung. trotzdem nehme ich meine nachlassende kraft bis jetzt als persönliches manko wahr, nicht als normale alterserscheinung. neulich einem älteren elternteil gesagt, 60 sei das neue 40, aber das ist natürlich blödsinn, das altern beginnt unabänderlich mit anfang 50, vorher sind es eher nuancen, danach wird alles graduell immer nur schwieriger. also vom körper wegdenken, im kopf beweglich bleiben, mich an erfahrung und selbsterkenntnis und whatnot freuen, geht alles, aber als frau gibt es einfach eine dramatische zusatzdimension, grade als single. ich hab mich dran gewöhnt, im spiegel sehe ich mein altern noch nicht so, ich habe auch okaye gene, nur wenn ich gelegentlich bei heller sonne aus der nähe im handybildschirm gespiegelt werde: senkrechte falten an den lippen, wtf., und die vielen feinen linien, trotz hohem lichtschutzfaktor in den letzten jahren. es ist ein fortdauernder prozess, es wird nicht wieder weggehen, das stört mich gar nicht so, aber bis jetzt ist es auch noch ein akt der entfremdung, weil das selbstbild langsamer altert, oder anders, eben kumulativ und nicht destruktiv. jedes bild mit falten ist ein weiteres in der langen reihe aus eigen- und fremdwahrnehmungen, mit und ohne foto, und irgendwann sind es dann mehr alte als junge. wie schnell die zeit wirklich vergeht, sehe ich am hellgrauen haaransatz an den schläfen, der andauernd wieder da ist, dabei hab ich doch grade noch … keine ahnung, ob mein haar ohne nachfärben ganz oder nur teilweise grau wäre, auf den gefühlt intensiven verjüngungseffekt mag ich noch nicht verzichten. erwarte dann schockaltern ab 60 oder 65 oder so, aber die grenze wird sich bestimmt weiter magisch nach hinten verschieben, wenn ich, wenn wir dann noch da sind.

meine mutter, mit 87, über ihre freundin, 85: die ist viel jünger als ich.

(ich-sattes laber-rhabarbern, bitte um vergebung. im kopf durch den krieg so einen grundton von alles ist eitel, dann plappere ich eben ein wenig.)

caracas-berlin, einfach

ich frage, wie sie denn ostern feiern. ah, sagt er, sie haben eine ganze woche frei. und? frage ich. „hinter caracas kommt noch ein berg, da muss man rüber, dann ist es nur noch strand.“ er macht mit den händen eine sehr breite geste, „ostern gehen eigentlich alle ans meer.“ und nicht irgendein meer, die karibik. venezuela muss eins der schönsten länder der welt sein, aber die lebensumstände sind unlebbar. der gaststudent erzählt, wie die leute für ein paar wochen, einen monat arbeit um die 3$ nach hause bringen, sie müssen also mehrere jobs arbeiten oder brauchen hilfe von verwandten aus dem ausland, aber es reicht trotzdem für gar nichts. seine eltern sind beide akademiker, aber ihr geld ist nichts mehr wert. er erzählt, wie die menschen in caracas bis 5 oder 6 uhr am nachmittag arbeiten, dann ist es dunkel, das ganze jahr über, es gibt keine jahreszeiten in venezuela, es ist immer tropischer hochsommer, und es wird immer um sechs stockfinster, ganz schnell. danach sind die strassen zu gefährlich, dann „rennen“ die menschen nach hause und schließen die türen hinter sich ab (er war erstaunt, dass ich das hier nicht tue, mich einschließen). wenn er mit seinen freunden ausgehen will, dann gehen sie früh los, rennen („running“) zu einem club, der schließt irgendwann die türen, dann müssen die kids durch die nacht nach hause, aber das ist lebensgefährlich, also machen sie das nur, wenn jemand in der nähe des clubs wohnt und sie schnell dorthin kommen können. ich stelle mir wirklich vor, die sie dauernd herumrennen, vielleicht ein übersetzungsfehler, aber sein englisch ist gut. er erzählt ein paar abenteuer, mit bewaffneten dieben, „thieves“. feste finden bei leuten zu hause statt, und die gäste bleiben bis zum nächsten morgen, weil niemand nach 18 uhr noch auf die strassen geht. er erzählt, wie es 2017 nichts mehr zu essen gab, wie unruhen herrschten, regierung gegen studenten und bevölkerung, und wie schwierig es war, weil das sistema, dass ihn mit seinem instrument gefördert hat, auf der seite der regierung war, aber alle studenten auf der anderen seite. es waren nicht nur demos, 200 schüler sind getötet worden in den unruhen, auch ein freund von ihm, armando, den er von klein auf kannte, er spielte viola, und war sehr gut. dudamel hat eine rede für ihn gehalten und durfte seitdem, so erzählt er, mit keinem orchester in venezuela noch auftreten. er erzählt von den drei hochklassigen orchestern im land, das beste heißt simon bolivar orchestra, in was sie sich unterscheiden, im stil, der stückauswahl, es klingt ein bisschen wie die konkurrenz zwischen fussballmannschaften, und wie die guten schüler aus dem sistema bei einem von ihnen unterkommen wollen, und wie hart es ist, der konkurrenz standzuhalten. erst beim googeln sehe ich, dass es alles jugendorchester sind, die für erwachsene habe ich nicht gefunden. es muss sie ja geben, vielleicht weiß es einë leserïn*?

*beim gendern findet ja eine diäresis statt, da ginge doch ein trema, oder nicht? ich finde es elegant und kohärenter als sternchen oder |, für das ich jetzt erst 6 andere zeichen tippen musste, bis ich es gefunden hab.

jedenfalls hat er sich, als er volljährig war, bei der hanns eisler hochschule für musik beworben, wurde angenommen und ist jetzt mit der unterstützung durch einen sponsor nach berlin gekommen. er ist zum ersten mal weg von zu hause, ihm fehlt venezuela, und als er anfang april aus dem flugzeug kam, waren es 5° c, da wollte er sofort wieder umkehren, weil das für ihn unfassbar kalt ist, „never, never“ hat er so eine kälte erlebt, „it’s an adventure.“ er ist wohl erstmal eingekleidet worden von seinen neuen kollegen, ich habe ihm eine abgelegte winterjacke der jungs angedreht, schon die 19 grad in der wohnung sind eine herausforderung für ihn. eigentlich weiß er, dass er hierbleiben wollen sollte, obwohl alles so anders ist, das gehört zu seinem plan, ich hoffe, dass alles so läuft, wie er es sich wünscht, ich bewundere ja leute mit plänen sehr, auch wenn es bei ihm wohl aus der not geboren ist. er erzählt, wie er an den ersten dunklen abenden auf berlins strassen die angst abschütteln musste, weil er es nicht kannte, im dunkeln ohne angst herumzulaufen. ich sage ihm, dass wir am stadtrand auch ein paar gefährliche ecken haben, aber er lacht nicht einmal.

ein zwilling war zum zwillingsgeburtstag hier, wir haben zusammen kuchen gegessen und die beiden jungs haben sich unterhalten. ich weiß nicht genau, welche rolle ich da möchte, bleibe also freundlich im hintergrund und gebe ratschläge nur, wenn ich gefragt werde, verspüre aber einen kleinen hang zur kulturellen botschafterin europas oder so, was filme, bilder, geschichte angeht, mal sehen, ob er da bei seinem sehr dichten uniprogramm noch freiräume für hat. er ist ein fussballfan (bayern münchen) und möchte da gern mal ein spiel sehen.

die woche war ja kürzer, aber trotzdem zu lang und viel zu kalt. langsam spüre ich es trotzdem, dass die tage länger sind und damit für mich wieder nutzbar werden, im dunkeln ist irgendwie alles eins. ich wette, in ein paar wochen, höchstens monaten, kann ich mich sogar zum lesen auf den balkon setzen.

über emma noch ein tolle nachbarin kennengelernt, sie arbeitet zu hause und nimmt sie vielleicht mal ein paar stunden zu sich. bild und sprache sind ihr metier, wir sassen gestern zwei stunden bei einem spontanen tee in der küche, wie zu studizeiten in kreuzberg, meinte sie. es ist vielleicht so, dass wir uns alle nicht sehr verändern, wenn alles gut geht, es gibt nur weniger gelegenheiten, so zu sein, wie wir mal waren. räume dafür offenhalten.

bei picard wird der plot, der früher für eine folge gereicht hätte, auf eine ganze staffel ausgewalzt. es ist alles redundant und eher verworren. ich leide und verstehe nicht, wie das so schiefgehen konnte. liest das denn keiner vorm filmen? warum sparen sie an den autorïnnen?

ich wollte eigentlich am wochenende bloggen, jetzt hab ichs schon erledigt. ich kann ja einfach nochmal bloggen.

somatismen

mitten in der woche nach greifswald gefahren, zu einer theaterpremiere. die freundin hat irreparabel inszeniert, ein stück von sergej gößner fürs junge theater, mit zwei großartigen schauspielern, hauke petersen und philipp staschull. zwei teenager mit behinderung, einer nach unfall, der andere nach ms, und wie sie sich begegnen, der eine schon seit jahren krank, der andere in der ersten phase nach dem unfall. wild, schnell, dabei charmant und zart, es gab keine phrasen, keine betulichkeit, die beiden jungen schauspieler ganz traumwandlerisch in ihren nuancen. ein schnelles stück, in dem viel passiert. superbühnenbild, mit traumwolken, die von den akteuren heruntergeholt werden, von yvonne marcour. danach premierenfeier, ohne publikum, in meckpomm gilt ja noch corona. die bühnenbildnerin trug ein schwarzes oberteil im stil der boss-bluse, von der neulich mal die rede war, aber mit weniger falten und halblangen armen, sehr elegant und viel frischer im stil als das teil von boss. seitdem denke ich darüber nach, mal wieder mehr auf meine optik zu achten.

(a propos, heute brief von der krankenkasse, „Aus einer der letzten Dokumentationen ihrer Arztpraxis geht hervor, dass das Thema Schädigung der Augen für sie interessant sein könnte.“ – hatte überweisung zur jährlichen untersuchung mitgenommen. diese sendungen scheinen wie eine art spam zu funktionieren, ich wette, da hat kein mensch drübergelesen.)

am nächsten tag mit dem auto der freundin ans meer gefahren, herumgelaufen, versucht, da total im jetzt zu sein, das kann ich ganz gut inzwischen. es hat geregnet, luft und wasser, der weite blick zum horizont, ich war 60 minuten da und es fühlte sich an wie ein halber tag. der blick aufs meer führt zu ruheinseln in meinen schläfen, als hätte ich die augen geschlossen dabei, so eine stille und leere, eine entspannung, die sonst nur im schlaf gelingt.

in der bibliothek der freundin herumgeguckt, ein buch zur körpersprache gefunden (ich glaube, dieses), dort erst die bewegungsmuster von kleinkindern nachgelesen, dann berichte von therapeutInnen über ihre klienten. sehr faszinierend alles. vielleicht ist die stille meines körpers ein symptom und nicht einfach eine phase, der rückzug aus bedürfnissen. dinge, in denen ich gern besser wäre, haben ja alle einen anker im körperlichen. ich spiele fast keine gitarre mehr, ist ja auch ein mangel des körpers, der aufstehen sollte, die gitarre nehmen, sich wieder hinsetzen, zu spielen beginnen könnte, weil es wohltuend ist. oder zu tanzen beginnt, oder klimmzüge übt. wie aktivierend bewegung ist, merke ich ja durch das fahrradfahren und herumlaufen und allgemein das viele hin- und her im berufsalltag. die kiste mit prokrastiniertem mal vom körper her denken, und nicht von der psyche. ich hatte so ein ping! im bewusstsein dabei. irgendwas ist da. interessant.

nehme meinen körper meistens über den diabetes wahr, der andauernde und häufig frustrierende beschäftigung einfordert, es gibt gründe dafür, wenn es wieder mal nicht gut läuft, seit fast 2 jahren die wechseljahre, usw. usw., und jede idee hilft immer nur einen moment. ein instrument lernen wäre bewegung, entwicklung, ein weiter wurf, ein einsatz, aus dem etwas entstehen soll. das traue ich mir und meinem körper gar nicht mehr zu. vielleicht sollte ich wirklich wieder üben.

auf der rückfahrt waren ukrainerinnen im zugabteil, wollte ihnen irgendwie ein zeichen der unterstützung geben, aber kam mir dann blöd vor. einmal gingen zwei sicherheitsleute mit einer uniform und warnwesten durch den zug, große, breite junge männer, und haben leute irgendwas gefragt, weiß nicht was es war, vielleicht ging es um die impfausweise? da haben sie sich kleiner gemacht, weggesehen, vielleicht hab ich mir das aber auch eingebildet. bei der kartenkontrolle haben sie dem schaffner ihre pässe gezeigt, er sagte: das geht in ordnung

theater, mütter, kinder

das theater voll bis auf den letzten platz, zum ersten mal seit jahren auf tuchfühlung mit den anderen zuschauern, sehr ungewohnt, hat ein paar minuten gedauert, bis die kleine aufregung wieder weg war. zwischen 2 männern gesessen, einer hatte eine rose dabei, der andere sprach mich an, ob wir uns nicht schonmal gesehen hätten, ich habe sofort angefangen darüber nachzudenken, wann das gewesen sein könnte, und ja, hatten wir, er war mal auf einem filmabend in meiner wohnung, vor zweistellig vielen jahren, und er wusste den film noch.

das stück ist schön, es hat funktioniert, weil ich so etwas gebraucht habe, ich mag die direkte ansprache bei pollesch, mit diesem leichtem vorwurf in der stimme, wie alles ausgesprochen und dann im raum stehengelassen wird, und wie sich das anfühlt („ich bin müde“ hat hinrichs immer wieder gerufen), und wir sollen die maske abnehmen, die sei doch alt, eine woche alt, einen monat, er gibt uns eine neue. wunderbar, solange es anhält, ein theaterzauber alter schule, ganz im magischen theaterpräsens aufgehoben. von den pollesch-texten ist früher mehr übriggeblieben, das hier war mehr so eine ankerboje auf freier see zum kurz durchatmen.

kann schlecht schreiben grade, ich glaube, wegen bz-schwankungen mit dauernden hypos. wortfindung ist wie tapern im dunkeln. woche war total anstrengend auf eine weise, die mir nicht gefallen hat, muss mich besser vorbereiten. freitag abend wieder zu müde für irgendwas und versehentlich vor neun eingeschlafen, dann nochmal raus zur hunderunde, dann bis halb eins im netz gedümpelt, sehr erholsam, weil luxus um die uhrzeit. samstag auch nicht für mich gewesen, ärger mit dem blutzucker, möchte an dieser stelle meinen verfickten herumzickenden diabetes mal so richtig, aber nützt ja nüscht. heute schöne pläne und gute gedanken, damit die nächste woche besser wird. drücken sie mir die daumen bitte.

noch einen schönen text gefunden, im new yorker, unter anderem über die mütter, die alles zusammenhalten, auch disfunktionale ehen. ich bin damals gegangen, weil nach allem, was passiert war, die liebe weg war. die guten gründe für die trennung und der alltag meiner kinder danach stehen nebeinander, ohne viel voneinander zu wissen, die kennen sich irgendwie nicht. so ist das mit der verantwortung.

13. märz 22

der kurzurlaub vom letzten wochenende wirkt noch nach. der große hat mir sein trier gezeigt, wir sind durch die stadt geradelt und gelaufen, er hat dabei überall leute getroffen, seine freunde wollten mich kennenlernen, was mich gerührt hat, wir haben einen abend in seiner wg gekocht und zusammen gegessen. wir sind auf eine vernissage mitgenommen worden, die junge künstlerin sarah kammer hat malerei gezeigt, sie ist richtig gut, die bilder zeigen menschen in einem moment der erkenntnis, des übergangs zwischen bewußtseinszuständen, als vorlage dienten zb fotos von menschen, die nach kriegsende zum ersten mal mit den taten der nazis konfrontiert wurden, aber auch bilder von kz-überlebenden unmittelbar nach der befreiung. daneben bilder, in denen sie die instagrammer auf die schippe nimmt, die in ihrer schön hergerichteten spießigen umgebung ignorieren, wie die welt um sie herum aussieht, obwohl sie, wie auf einem bild, schon eine gasmaske tragen müssen. die arbeiten kosten noch nicht viel, wenn ich könnte, würde ich da zugreifen. die freunde vom großen greifen bei den getränken und snacks zu, wie es sich gehört, und reden dabei mit der künstlerin über ihre bilder. sie sind alle anfang zwanzig.

endlich mal wieder einen twittermenschen kennengelernt, sehr schön bei waffeln und kaffee an der porta nigra, bei bestem eisigen sonnenwetter. sie hat mir auf einem langen spaziergang ihr trier gezeigt, es fühlte sich sofort vertraut an. zwei ganz persönliche führungen, mit frau kellerkind bin ich durch die kaiserthermen gelaufen, es ist ja alles in spaziergangnähe in solchen städten, so ein schatzkammerfeeling, weil alles schöne nah beieinander ist.

corona im haus, der g.-zwilling hat einen positiven pcr-test, er ist geboostert, heute ist der dritte tag mit leichten symptomen, ich hoffe, dabei bleibt es. ich stelle ihm essen vor die tür, er trägt maske, wenn er das zimmer verlässt, fieberthermometer und pulsoxy habe ich ihm auch vor die tür gelegt. ich desinfiziere klinken und das bad und bin eher gespannt darauf als verängstigt darüber, ob ich mich infiziere, leichte erkältungssymptome habe ich seit wochen, bei konstant negativen schnelltests. trage zuhause keine maske, das sollte ich vielleicht. ärger über die regierung, die die clubs wieder eröffnet hat, da hat er sich wohl angesteckt. meine warnapp ist rot wie seit anfang januar, zeigt den sohn aber noch nicht als risikobegegnung. ich werde arbeiten gehen müssen, weil geboosterte kontaktpersonen nicht als riskant gelten, ein ziemlicher schwachsinn, ist doch auch der g. geboostert. ich habe gestern sicherheitshalber einen großeinkauf gemacht, weiß aber noch nicht genau, was ich mit emma machen soll, falls ich auch krank werde. darf man als positive kurz mit dem hund? ich frag lieber mal rum.

dieses jahr dauert der winter besonders lange, meine kälteempfindlichkeit scheint mir übertrieben. vielleicht spürt die haut durchs älterwerden den kältebiss deutlicher, ich heize auch viel weniger als sonst, es ist eigentlich immer mehrere ticks zu kalt. ich ziehe mich jedenfalls die ganze zeit an wie ein eisfischer und kann den formlosen kram und die dicken botten an den füßen schon nicht mehr sehen.

bei all dieser normalität immer das bewusstsein vom krieg im kopf, die bilder und geschichten kommen andauernd dazu, anders als die anderen kriege auf der welt ist dieser nicht verdrängbar, weil er angst macht. ich habe von langen aufenthalten in der kaisertherme geträumt, die geschichten von menschen in luftschutzkellern lassen mich nicht los.

das wort „menschen“ kommt in diesem text besonders oft vor, scheint mir, ich sollte jedesmal ein ausrufezeichen dahinter setzen.

4. märz 22

heute frei, ich mache übers lange wochenende einen kurzbesuch beim großen in trier, also eigentlich ist es, was besuche bei kindern angeht, schon ein langbesuch, aber ich habe mich wo eingemietet und bleibe nicht in der wg vom sohn. er will mich vom zug abholen, was mich rührt. jetzt froh, dass ich erst nach 10 uhr fahre, die letzten tage waren richtig anstrengend, ich konnte gestern nicht mehr packen und habe jetzt zeit dafür.

grade gelesen, dass am hauptbahnhof eine große menge an freiwilligen helfern die flüchtlinge empfängt, die dort rund um die uhr ankommen, genau wie 2015. besonders die früh- und nachtschichten können wohl laut einem twitterer (nicht mehr gefunden leider) noch unterstützung gebrauchen. benötigt werden übersetzerInnen, gutscheine für drogerien und supermärkte, geladene powerbanks, und natürlich unterkünfte. der g.-zwilling will mit kumpels vor oder nach dem clubbesuch hingehen, in berlin öffnen sie dieses wochenende wieder.

die kriegsängste sind nicht mehr nur diffus, ich verdränge sie bewusst. gestern wurde ein atomkraftwerk beschossen, also da gibt es keine grenzen mehr. ich habe insulin für ein paar monate im haus (brauche sehr wenig, das heißt also nicht so viel) und ein paar vorräte. wird die welt dieses wochenende untergehen oder erst ein bisschen später? ich tippe auf später und nehme nicht alles mit. was für finstere zeiten. außerdem macht mir der hund sorgen und ich freue ich mich auf die zugfahrt und die freien tage. ich fühle mich wie ein kaleidoskop, mit lauter nicht zusammenhängenden mustern.