10. november 2020

netflix -filme, die außer dem setting nichts haben. ärztin gerät nach alaska, wo sie nicht hinwill, ich habe bisschen neugierde, wie das motiv umgesetzt wird, und finde nichts. keine figuren, keine handlung, keine spannung, gibt es cg-drehbücher? es ist wie hintergrundrauschen. nichtmal die schauspieler sehen echt aus. rätsel.

der amtierende präsident der usa ignoriert weiterhin, dass er die wahl verloren hat, sein staatsminister pompeo erklärt, mit so einem verschlagenen lächeln, es werde einen glatten übergang zur nächsten t.-amtszeit geben, kein hauch eines zweifels. wie kann das sein? ist das nicht schon ein bisschen staatsstreich? t. hat gestern seinen verteidigungsminister (m. esper, der sich bei seinem dienstherrn schon durch seinen widerstand gegen den einsatz des heeres gegen demonstranten unbeliebt gemacht hat) gefeuert und durch einen christopher miller ersetzt, und in den letzten tagen hat er schon die bereichsleiter für die lagerung von nuklearwaffen, für die strom- und gasversorgung und für die überseehilfe entlassen. ich hätte gedacht, dass der t. im krisenfall die medien mit anhängern besetzen will, oder vielleicht selber ein t.-tv aus dem boden stampft, und zweifle daran, dass t. auch nur die arbeitsfelder der entlassenen kohärent umschreiben kann. verteidigung, atomwaffen und energie, diese bereiche gehören auf jeden fall in die hände von fachleuten, ich hoffe, da führt keiner der üblichen verdächtigen (miller, bannon und solche figuren) was im schilde und sucht sich neue hebel, nachdem das mit der wahl nicht geklappt hat. oder der t. möchte auf seiner rückzugsinsel in der südsee immer genug waffen haben und mit frischen golfbällen versorgt werden.

ich lerne so schlecht, will viel lesen und eigentlich lieber alles behalten, aber es ist jeden tag bis auf ein kleines restchen wieder weg. wenn der fortschritt über kleinste restchen gehen muss, brauche ich mehr zeit, als ich habe. sieht so aus, als wäre ein seniorenstudium nix für mich. ich kann dann ja später sticken lernen.

hund emma hat ja in ihrer welpenzeit bei unseren spaziergängen mehr telefonnummern bekommen als ich. eine nummer gehörte einem kleinen mädchen, dass erst mit ihrer mutter, dann mit freundinnen 9 jahre lang mit emma spazieren gegangen ist. emma würde mich glaube ich sofort für das mädchen verlassen, alles an ihr ist ein glücksversprechen, sie erkennt ihre ankunft schon am klingeln (meistens sonntags am nachmittag) und ist dann nicht mehr zu halten, hüpft und juchzt herum wie ein flummi. emma war bei dem mädchen auch babysitter ein paar jahre lang, weil an einem abend beide eltern arbeiten mussten, und sie mit emma keine angst mehr hatte. jetzt hat dieses mädchen endlich einen eigenen kleinen hund bekommen, ich gebe tips und helfe aus der ferne und werde auch ein paar trainingsstunden mit dem hund machen, und darf dafür am onlineyoga teilnehmen, dass die mutter des mädchens anbietet. sie ist eine sehr gute yogalehrerin. einwandfrei runde sache.

das thema weihnachten ist aufgekommen, wären wir konsequent, dürfte es kein familienweihnachten mit meiner alten mutter geben. es ginge eventuell, wenn sich die kinder vorher eine zeit in quarantäne begeben würden, aber sie leben in wgs, die müssten dann auch alle in quarantäne. vielleicht bitte ich sie, anderthalb wochen vorher hier aufzulaufen und dann niemanden mehr zu sehen, oder nur mit strengen sicherheitsmaßnahmen? ein test wäre die einfachste lösung, aber den wird es nicht geben ohne grund. über ideen freue ich mich.

mir fehlt die see

eine liebste freundin war mal wieder in berlin, aus heilbronn, wo sie seit ein paar jahren arbeitet, bis nächste saison, danach geht sie eventuell nach greifswald, also wieder ganz woandershin. sie ist eine reisende und muss den verträgen folgen, jedesmal ein neues abenteuer. ich habe versprochen, sie da öfter als nie zu besuchen, anders als in heilbronn, schon wegen der ostsee, die im italienischen mar baltico heißt, was noch ein bisschen mehr nach abenteuern, schiffsunglücken und wilden geschichten klingt. die ostsee ist fast halb so groß wie das mittelmeer – halt, das stimmt überhaupt nicht, merke ich grade, sie schien mir nur größer, weil ich sowenig von ihr kenne. vor den kindern, ich glaube nicht vorm mauerfall, war ich mal mit einem mann auf fehmarn, in einer neubauwohnung mit aussicht, nicht im sommer, jeder mit einem eigenen bild des anderen vor den augen, wir waren wahrscheinlich eigentlich zu viert dort. ich erinnere außer ein paar dingen noch einen langen, verlassenen strand, mit großen, runden steinen, von wasser und sand abgeschliffen, hin- und hergespült, ich fand den zweitschönsten stein meines lebens und habe ihn nicht mitgenommen, weil wir mit dem motorrad da waren. er sah aus wie ein herz, mit kammern, aorta und allem.

ein paar jahre lang hab ich mit den kindern auf rügen ferien gemacht, erinnere die ostsee als wenig aufdringlich und mit langen, flachen wellen und gezeiten, nicht so einladend wie das mittelmeer, es ist ja sowieso fast immer zu kalt zum schwimmen dort. die ostsee ist sogar ein stückchen tiefer als der lago maggiore, und ach, ich war seit jahren nicht am meer, obwohl es mich heil und ganz machen kann. ich hoffe, es wird was.

(ich habe wirklich noch einen schönsten stein gefunden, ein paar jahre danach, und mitgenommen, den hat ein kind, ich sag nicht, welches, mal mit hammer und meißel angeschlagen, stundenlang hörte ich aus dem nebenzimmer das feine pock-pock-pock, ohne nachzusehen. jetzt hat er eine delle und das kind die aufgabe, einen neuen perfekten stein zu finden, egal, wie lang das dauert.) (ja, ich weiß, der angeschlagene ist jetzt erst recht der schönste, aber die sehnsucht bleibt.)

4. november 2020

grad der große per voicemessage: „ich weiß noch, wie wir letztes mal, das war ein freitag, morgens ab 5, 6 uhr vorm fernseher sassen, und es war genau wie heute, michigan und wisconsin waren auch wackelkanditaten, und ich musste dann zur schule und hatte englisch-doppelstunde, und da haben wir das dann weitergeguckt.“ – ich hatte den wochentag vergessen und weiß nur noch, dass es auch eng war. zumindest erzieherisch war der move damals richtig, die jungs sind die ganze zeit dabei, werfen zahlen und prozente in den chat, ich weiß allerdings nichts genaues über den anteil prokrastination dabei. ich frag natürlich auch nicht. stimmung um 18:00 bei mir unentschieden, aber optimistisch, schon weil es noch offen ist. der hund war beim tierarzt und bekommt etwas gegen blasenentzündung, man weiß aber nichts genaues.

was für ein tag. mein gefühl ist gut, biden wird es schaffen, ich würde wetten abschließen darüber, auch, weil es bisher mit den auszählungen wie erwartet verläuft, die briefwahl eher für die demokraten, die direktwahl eher trump. es zählt natürlich nicht, wenn der t. durch einen coup gewinnt, dann habe ich trotzdem gewonnen. dass die reps die auszählung der stimmen in pennsylvania nach der wahl stoppen wollen, obwohl sie die auszählung vor der wahl verhindern wollten (oder verhindert haben), geschenkt. es ist alles nicht mehr feierlich, ich werde mich anstrengen, mich nicht daran zu gewöhnen. ich hoffe, das land verkommt nicht weiter zur räuberpistole wie einige länder südamerikas in den 70-80er jahren, mit all den opfern, die sowas kostet.

vorhin hatte ich hier einen wetteinsatz stehen, der war aber eher ergebnis meiner abendlichen wiederaufregung mit dem wahlthema. ich werde keins meiner wiedergefundenen langweiligen schlimmen liebesgedichte aus den achtzigern hier veröffentlichen, egal, was passiert, keine sorge. sie können ihre aber gerne in die kommentare stellen, mir und den anderen lesern zur erbauung, denn nicht vergessen: love rules.

ach, das ist aus einem gedicht von ingeborg bachmann, „reklame“, das beschwört die sorglosigkeit als ein leeres versprechen, das wir brauchen, freilich etwas zynisch in diesem weltuntergangsszenario grade. lässt sich nur als foto hier reinstellen, mit den blöden wordpress- blöcken bekomme ich es anders nicht hin, die sind SO ein nerviges system, habe es jetzt eine halbe stunde versucht, vielleicht ist in der zwischenzeit schon die wahl gewonnen.

es stellt sich natürlich bei aller gerechtfertigter panik die frage, ob der klimawandel wirklich noch aufzuhalten ist, oder ob die industrie ganz unabhängig von den regierungen da nicht sowieso zu profitorientiert und desinteressiert für ist.

2. november 20

ein schönes volles wochenende. noch eins mit großeinkauf, der g.-zwilling war wieder zu besuch, marktrunde mit dem d.-zwilling, um äpfel, eier und pasten zu kaufen. markt war voll, ein paar nasenmänner, sonst alle mit maske. lange hunderunde mit freundin, romanze gelesen, weil ich bei all den texten zu den usa, dem klimawandel und allgemein dem untergang des abendlandes etwas nur emotional packendes lesen musste, nichtmal serien gehen zur zeit, ich habe die neue folge discovery nicht zu ende gucken können, bin immer wieder raus zu den nachrichtenportalen. nicht gut, so bin ich gar nicht eigentlich. abends stew gekocht, den tisch im wohnzimmer gedeckt, dem ausgezogenen das familiengefühl mitgeben, als wäre es eine postkarte, es hat aber funktioniert, das system familie trägt. er sagt, es würde sich hier bei jedem besuch etwas anders anfühlen.

sonntags großes frühstück, lange schlange vorm bäcker um 10uhr. mein blutzucker ist die ganze zeit zu hoch, insulinbedarf um ein drittel oder mehr höher, das liegt auch bisschen an einer art fortbildung mit prüfungen, die ich grad absolviere, aber hauptsächlich an der weltlage. glaube ich, ich weiß es ja nicht, merke bloss die symptome, wer weiß, welche hormone da auch noch den üblichen ärger machen, vielleicht sind es ja auch noch die wechseljahre. ich bin aber bei tag 360, nach einem jahr ohne ist frau durch, heißt es, dann beginnen die heiteren jahre der postmenopause, bei der noch ein haufen schöner dinge verloren gehen können, u.a. die haare, die kreativität, die geschicklichkeit, die gelenke und die figur. bekomme jedenfalls fast keine guten postprandialen werte mehr hin, trotz allem, was ich weiß und kann. das erdet und lehrt demut. trotzdem gute laune.

nachmittags ist mir aufgefallen, dass die museen ab heut geschlossen sein werden und bin mit dem g.-zwilling noch mal in die gemäldegalerie. es war sehr voll, eigentlich ein gutes zeichen, dass die berliner nochmal kunst tanken, das mit dem abstand und den masken hat gut funktioniert. in der wandelhalle in der mitte der galerie findet eine eher finstere ausstellung statt, the last judgement scultpure von anthony caro, mit massiven strukturen aus holz, stein und metall, etwas bosch-artig, ohne das spielerische, humorvolle, lebensbejahende von bosch. sehr deprimierend, wirkte wie diese eingänge zur hölle in den indiana jones-filmen, wo pfeile, fallen und allerlei machenschaften den durchgang verhindern sollen.

ich wollte dem g. ein paar bilder zeigen, aber es war leider zu voll für einen ruhigen zugang. wollte mir ein meeruferbild von einem holländer ansehen, als trost für den dieses jahr ausgebliebenen blick aufs meer, habe es aber trotz mehrfachem herumsausen nicht finden können. jetzt hab ich es als bildschirmhintergrund, das funktioniert vielleicht auch. hatte freude an den bildern von üppigen gelagen und feierlichkeiten, überhaupt ansammlungen von menschen, daran dann doch gemerkt, dass mir was gefehlt hat in diesem jahr. das bild oben ist von einem joachim pantenier, „die ruhe auf der flucht nach ägypten“, von ca. 1520, mit seiner idyllischen landschaft hat es fast wehgetan, gibt es doch für die flüchtlinge von heute keinerlei hafen und keine ruhe mehr (es scheint verschiedene schreibweisen zu geben, im netz heißt es patinir, im museum patenier).

lustig die sprichwörter von brueghel, das bild ist mir vorher nie aufgefallen, habe fast keines erkannt. auf meinem kühlschrank hängt eine magnettafel mit einem verschwommenem foto und der aufschrift „leg dich lieber wieder hin“, den brueghel gab es als große postkarte im museumsshop, der wäre als fokussierhilfe und muntermacher vielleicht sinnvoll in den dunkeln morgenstunden, schade, zu spät.

ein unerwartetes geschenk war die ausstellung zum 300. geburtstag von piranesi, dessen römische veduten ich sehr liebe. habe nix davon mitbekommen, weil ich so fern der kunst war, was für ein glück, das noch erwischt zu haben, gemäldegalerie oder kupferstichkabinett zeigen ja alle paar jahre etwas von piranesi, diesmal ging es um wege und umwege seiner kreativität. auch hier wieder eine finstere folter-phantasie, mit einigen anderen kerker-bildern ein zentrales moment der austellung, zumindest haben sie eine ganze wand eingenommen. kann aber auch sein, dass mir das nur so auffällt mit meiner zzt. deutlich erhöhten grundunruhe.

heiliger bimbam! schon wieder soviel text. das liest doch keiner, aber zum kürzen hab ich jetzt natürlich wieder keine zeit. ich sehne mich auch nach meiner poetischen dichte und hoffe, ich finde sie wieder.

das noch: da hat doch 2014 ein begabter junger mensch aus kunstinteressierter familie einen ganzen haufen piranesi-zeichnungen identifizieren können? was für eine schöne geschichte.

der schrank

in folie eingewickelt steht er seit 17 jahren vergessen auf einem dachboden, ein schrank, er gehörte der schwester meiner urgroßmutter, der tante ahne, „von der haben wir ja ein paar möbel geerbt, die vitrine und der sessel gehören auch dazu“, wie meine mutter erzählt, „die konnten wir gut brauchen“. die tante ahne ist kurz nach meiner geburt gestorben, es gibt noch ein foto von ihr mit mir auf dem schoß, in ihrem sessel, der jetzt bei mir steht. ein arm fehlte ihr, den hat sie im bombenschutzkeller in berlin verloren. sie war eine frau mit vielen geschichten und einer soliden haltung zum leben, „kolossal zart, diese musik“ hat sie gesagt, als meine mutter ihr mal eine bach-single geschenkt hatte, und „sie hatte einen so burschikosen berliner humor“. der bruder meiner großmutter ist in berlin geblieben, er war pfarrer und hat mich getauft, vielleicht erinnert sich aus seiner familie noch jemand an sie, aber der kontakt zu diesem zweig ist seit langem eingeschlafen.

mein vater hatte den schrank in seinem arbeitszimmer, hat darin aktenordner und seine tagebücher gelagert, ganz unten, unter einer schicht alter zeitungen, hat er seine playboyhefte aufbewahrt, männer brauchen so etwas, hieß es in der familie, was für eine bürde, wenn die sexualität ewig auf dem niveau der pubertisten hängenbleiben muss, weil keine aufgeklärte entwicklung möglich ist. als mein vater starb, hatte ich keinen platz für den schrank, meiner mutter war er zu finster. ein freund von mir hat angeboten, ihn bei sich zu lagern, und dann kam alles mögliche dazwischen, und ich hab ihn vergessen. eine woche, nachdem das erste kinderzimmer wieder zur verfügung steht, meldet sich der schrank wieder, als wäre er jetzt an der reihe, also die besitzerin der dachetage fragt ganz freundlich an, was denn damit sei. ich könnte ihn eventuell sogar dort stehen lassen, aber will den langmut der inhaberin nicht weiter beanspruchen, schließlich kennen wir uns kaum, und der freund wohnt da auch schon lange nicht mehr.

ich versuche auf die schnelle, einen lieferwagen zu buchen, keine chance, aber er könnte ganz knapp in den kofferraum meines kombis passen, und grade sind beide zwillis in berlin. wir fahren hin, laufen 5 stockwerke hoch, ganz hinten im unausgebauten dachboden steht er, noch vom umzugsunternehmen in blisterfolie verpackt. und ja, er ist groß und breit, und wie sich herausstellt, sehr massiv. die zwillis bekommen den schrank mit müh und not, mit rutschen, kippen, wackeln („mama, warte einfach unten auf uns“) die treppen hinunter auf den hinterhof, von da geht es meter für meter weiter richtung auto. er lässt sich nicht gut greifen, weil er so gut eingepackt ist, rutscht immer wieder fast aus den händen. die laderaumöffnung hinten am auto ist 1m und 5cm breit, der schrank ist auch 1m und 5cm breit, das finde ich kurz lustig, aber er ist zu schwer, um es einfach mal zu probieren. die jungs stellen ihn hinterm auto auf, es sind 700m bis nach hause, keine chance. ich laufe zu einem nahen möbelladen, der inhaber leiht mir freundlicherweise gegen ein pfand so dicke gurte mit einer stahlkralle unten dran, die kann man sich um die schultern legen und unter das möbel haken und es dann mit der kraft des rückens und der schulter hochwuchten. die zwillis laufen in trippelschritten, mit dem hohen wankenden schrank zwischen sich, kommen zuhause an, und schaffen das möbel dann nach einer pause noch die treppen hoch. er wiegt ungefähr soviel wie ein klavier. als ich die gurte zurückbringe, zeige ich dem ladenbesitzer ein foto vom schrank und lerne, dass es wohl mal 2 davon gab, der zweite vermutlich ein sekretär, das biedermeier hat symmetrie geschätzt, also sieht die tür des schranks von außen genauso aus wie die vorderseite vom verloren gegangenen partner, mit drei blinden schlössern, ein blender. mahagoni, sagt der sehr freundliche inhaber noch, geht grad nicht so, aber wenn ich ihn loswerden wolle, er würde ihn auch abholen, da musst ich dann doch lachen. innen ist er leer, leider fehlen auch die regalböden, nur hinten in der ecke liegt irgendwas kleines buntes: es ist eine filmpatrone, mit negativfilm, ein zettel mit einer nummer ist draufgeklebt, der liegt da auch seit mindestens 17 jahren ungefunden und unenwickelt im dunkeln, vielleicht noch eine kleine geschichte. sonst nichts.

ich wollte die leeren räume der zwillis eigentlich eher hell und weiß einrichten, mit wenigen und neutralen möbeln, mal sehen, wieviel raum der schrank beanspruchen wird, ein kleines mahnendes gefühl bekomme ich sofort, waren doch die beerbten alles wohlsituierte bürger, eine familie von der ahe, bankiers, apotheker, politiker, mit geschichten, karrieren und villen. sie haben ihre schränke nicht selber getragen. aber alles ist vergänglich, außer diesen paar möbeln, und das meiste wird vergessen, besonders, wenn ein weltkrieg geschieht, und ich befinde mich eigentlich ganz wohl in meiner gegenwart.

30. september 2020

sie wollen ausziehen, aber das ausziehen war kein großes thema bei der wahl der unis, es war etwas gegebenes und selbstverständliches. sie sind dabei 4 jahre jünger als der durchschnitt, in deutschland liegt er bei 23 jahren, viel höher als erwartet, ich dachte, die zentralisierte studienplatzvergabe hätte zu einem jüngeren alter geführt, aber in d studieren halt nur 56% eines jahrgangs. (vgl. italien: im schnitt bis 30 bleiben sie im hotel mama, nur 41% schreiben sich an einer uni ein. in europa sind es 49%)

es ist bei aller planbarkeit natürlich dann doch anders, wenn man drinsteckt. es fühlt sich chaotischer an, die zwillis sind weniger autonom als der große, der in kürzester zeit den bürokratischen kram erledigt hat, die wg gefunden, alles gepackt hatte, ohne ein aufsehen drumherum zu machen. bei den zwillis gerät es anders, sie fordern mehr begleitung und sind lauter und ausführlicher in ihren abschiedsritualen, weil ich ja zur verfügung stehe, vor zwei jahren beim großen habe ich vollzeit gearbeitet und war nicht dabei. ich habe ja eigentlich auch jetzt zu tun, nur eben zuhause. es soll endlich losgehen, sagen die söhne, sie sind es leid, hier festzuhängen, obwohl sie seit dem sommer wieder andauernd auf feste und in parks gehen, erst gestern war ein haarschneidetreffen im bad mit musik und vier freund*innen, anders als im märz hatte ich weder das herz noch die energie, die alle rauszuwerfen.

meine corona-warn-app zeigt seit wochen „1 risiko-begegnung“, vermutlich ein freund vom g.-zwilling, mit dem er kurz vor dessen begegnung mit einem erkrankten zusammen war, und der sich dann angesteckt hat. weiß natürlich nichts genaues. ich trage maske in geschäften, auf der strasse nur, wenn ich vergesse, sie abzunehmen, wasche hände und habe desinfektionsmittel dabei, ich möchte an mir in unter o,5m abstand vorbeikeuchenden nassgeschwitzten joggern immer noch gern ein bein stellen (schon weil die so unhöflich sind!), trage aber beim einkaufen keine handschuhe mehr, weil ich keine nachgekauft habe. auf parties, in konzerten war ich seit märz nicht mehr, habe aber freunde auf hunderunden getroffen und andere zum essen hier gehabt. mein risiko sind also die söhne, die es gar nicht bemerken, wenn sie sich aussetzen, sie tun es ohne böse absicht und nicken meine allwöchentlichen hinweise auf abstand-händewaschen-maske freundlich ab.

für mich gehen mit den auszügen vom großen und den zwillis 16 jahre alleinerziehen zu ende. ich hab mich immer gefreut, wenn die leute das gar nicht bemerkt haben und wollte vermeiden, dass es einen zu großen platz in meiner familie bekommt. hoffe, das hinbekommen zu haben, für mich hat es funktioniert, es ist wie es ist, oder wo du hingehst, da bist du dann. was anstrengend war, ist längst vergessen, es bleibt dankbarkeit und glück. ich wünsche mir, dass sie fröhlich und klug und mit guter musik in die welt losziehen. habe sie gebeten, mir vor ihrem auszug etwas zum alleinerzogenwerden zu sagen, sie meinten: du wirst es vielleicht nicht gern hören, mama, ich bin also bisschen besorgt, werde aber was drüber schreiben, vielleicht als tip für andere alleinerziehende.

heut nacht um 3 wachgeworden und geschafft, nicht in die debatte zu schauen. heute morgen kurz versucht, aber es ist nicht auszuhalten, trump ohne jede impulskontrolle, biden wirkte alt, sie sind aus so verschiedenen welten, da geht gar keine debatte. der amtierende präsident hat wohl irgendwann im gespräch gesagt, insulin sei in den usa billig wie wasser; das ist eine gemeine lüge, weil in den usa diabetiker daran sterben, dass sie die ca. 270$ pro ampulle insulin nicht aufbringen können. in deutschland kostet eine ampulle 40€. eine ampulle mit 10ml inhalt à 100 einheiten reicht bei mir etwas über einen monat, weil ich wenig insulin brauche, viele erwachsene benötigen deutlich mehr, der bedarf ist bei jedem anders, sparen kann man eventuell durch verzicht auf kohlehydrate, nicht am grundbedarf des körpers. zuwenig insulin führt zu hohen blutzuckerwerten, die wiederum schwere nebenwirkungen haben. der wahre gewissenlose bösewicht ist dabei natürlich die firma lilly, die solche preise verlangt, trotzdem macht es fassungslos, wenn die banalsten übereinkünfte der kommunikation vollkommen ignoriert werden. als nächstes wird trump auf grammatik und syntax verzichten, oder nur noch dauernd ichichich brüllen.

wir brauchen übrigens noch alle daumen für den studienplatz eines der zwillis, der aus gründen aufs losverfahren vertrauen muss. er hat einen alternativen platz, aber keinen so guten.

28. august 20

eine meiner nie hinterfragten küchenpsychologischen beobachtungen ist die, nach der menschen mit problemen die meistens entweder im privaten oder im öffentlichen raum haben, selten in beiden. mit raum meine ich das netzwerk an beziehungen, die diesen raum gestalten, also berufliche und zb politische für den öffentlichen raum, beziehungen und freundschaften im privaten raum. so konnte ich meine probleme im beruflichen raum durchwinken, weil ja meine private situation eher in ordnung ist, und nobody is perfect, und überhaupt.

eine alte verfilmung von the stand geschaut, 1994 als tv-miniserie gedreht, erstaunlich gut. ich muss sie schonmal gesehen haben, die schauspieler haben die gesichter, die landschaft sieht so aus, wie ich sie beim lesen des buches im kopf hatte. einzig und allein die special effects sind schlecht gealtert, aber deswegen den film neu drehen? als wäre der einsatz von eigener visueller vorstellung etwas, das filmemacher beim publikum verhindern wollen, ein horror vacui, der jede leerstelle füllen, jede uneindeutigkeit festnageln muss. ist natürlich quatsch, es ist wie bei der erfindung des farbfernsehens, als auf einmal alles sehr, sehr bunt geworden ist, wie ich irgendwann schonmal in anderem zusammenhang sagte. es geht einfach viel mehr und es sieht viel weniger unecht aus, und es scheinen alle spass daran zu haben, frisches geld mit alten geschichten umzusetzen, und vielleicht kann sich die jugend wirklich nicht mehr mit settings aus den neunzigern identifizieren. sie finden bestimmt einen weg, mehr gewalt und mehr sex drin unterzubringen, ich werd es nicht anschauen.

fürchte mich vor dem tag, an dem full immersion-filme möglich werden, mit den nerveneingängen, die tad williams einst beschrieben hat.

oh. ich habe schlechte laune. es geht mir nicht gut, ich komme mit etwas wichtigem nicht weiter, das unterlegt alles andere mit einem gewissen pessimismus, und ich spüre meine müdigkeit, nach den letzten jahren, die notwendige konzentration auf diese aufgabe benötigt zzt immer dichtere scheuklappen, ich erwarte die wahl in den usa mit einer neuen mischung aus fatalismus und fehlendem vertrauen in das gute, das ist neu, bisher haben mich die wahlen dort etwa so interessiert wie die irgendwo anders in der großen weiten welt, eben so mittel und nicht mit persönlicher betroffenheit. die wahlentscheidungen waren ein flow zwischen links und rechts, in so einem gezeitenmuster. seitdem unter trump soviel gelogen und erfunden und übertrieben wird, seitdem die politik in den usa eine reine groteske show geworden ist, habe ich dieses urvertrauen verloren. ich habe angst, dass er gewinnt, weil er für diese ganzen idioten der weg des geringsten widerstands ist, selbst wenn es gegen die 10 gebote verstößt, echt, wenn man den bibelbelt einmal gebrauchen könnte! es scheint ein bildungspolitisches problem, die grundlagen fehlen (wahrheit ist gut, lügen ist schlecht), der weg aus der misere kann generationen dauern, weil man ja mit den grundschülern anfangen muss. dass die reaktionäre, rassistische, ausbeuterische rechte siegen kann, also mehr als die üblichen 10-15% der bevölkerung hinter sich stehen hat, indem sie mit einem ekelpaket wie trump einfach auf lügen, manipulation und gewaltlust setzt, auf die niedersten instinkte – halt, schlechtes bild, begründet werden damit handlungen, die ein ergebnis von pathologischen berdürfnismustern und mangelnder impulskontrolle sind, nicht von instinkten, sogar kleinstkinder empfinden mitgefühl und haben gerechtigkeitssinn, sogar affen haben das, herrje! diese formulierung ist auf dem gleichen level wie der spruch „boys will be boys“ – indem sie auf den tabubruch setzen, wenn man mal den umgang mit gewalt, waffen, armut etc. anschaut, das erschüttert mich doch. gegen solche wahlergebnisse hilft wohl nur bessere bildung, eine schule, in der die wahrheit (und mitgefühl und respekt, man ey, man wird ja zur tv-predigerin, das sind doch alles selbstverständliche basics. mehr pathos für die gute sache!) als wert an sich vermittelt wird, wenn es die familien nicht mehr tun.

damit sollten die demokraten werben, mit grundlagen, nicht nur mit inhalten. ach, der 45. hat meinem leben so einen andauernden stress-tinnitus zugefügt, und das steht ihm nicht zu. ich hab ja schon einen normalen tinnitus.

und der klimawandel. ich könnte nach jedem jammer-posting „und der klimawandel“ schreiben, empfehle aber lieber alles von rahmstorf, der seine webseite auch mal überarbeiten könnte.

andrerseits hatte ich heut zuwenig kaffee, weil die nochteens nur einen liter milch gekauft haben („kein geld“, dabei war abgemacht, dass sie sich ein bisschen am eigenen unterhalt beteiligen, seit der vater nix mehr zahlt), und außerdem halte ich es für eine zumutung, im august schon socken tragen zu müssen. jaja, ich hör schon auf und tue was sinnvolles.

24. august 20

meine mutter wird langsam frail (alle übersetzungsalternativen passen ins englische wort) und hat um meine anwesenheit gebeten, übers wochenende, ich habe eigentlich viel zu tun aufgrund unter anderem prokrastination und hab mir vorgenommen, es trotzdem zu genießen, um ca. 10 gänge herunterzuschalten. zwischendurch wollte ich dann zwar mal kurz das silber putzen oder den keller aufräumen, wurde aber daran gehindert. normalerweise ist meine aktivität in der freizeit wohlausgewogen zwischen nichts tun und etwas tun, solang genug zeit fürs nichtstun bleibt, kann der rest gerne kräftezehrend und komplex sein, für meine mutter ist das ähnlich, bloss dass ihr etwas tun meinem nichtstun zu nahe kommt, etwa ein spaziergang mit tempo 2km/h, ein sehr geruhsames stück torte oder zeitung lesen im sessel. ich war um elf uhr abends völlig fertig und musste ein paar runden solitaire spielen, um schlafen zu können.

wir waren heute auch bei ihrem arzt (der halbe montag ist auch noch mit ins wochenende gerutscht, und ich hätte gerne „noch ein bisschen“ länger bleiben können) sie hatte u.a. paarmal eine tachykardie und hat sich sorgen gemacht. ich hatte mir vorgenommen, eine beschwerde loszuwerden, weil meine mutter ihren corona-test eigenhändig vornehmen musste, aber der arzt war so ein freundlicher, energetischer und blendend aussehender vierziger, der mich sofort gefragt hat, wie ich die mutter einschätze, und danach ständig sinnvolles gesagt hat, da habs ichs gelassen. er kann ja nichts dafür, dass er so gut aussieht.

den wohlstand im anderen stadtteil wahrgenommen, hohe zahl teurer wagen, schlanke, wohlgekleidete menschen mit frisch geschnittenem haar und perfekter maske, ein paar übertakelte damen und herren dabei, aber die mehrheit eben stilvoll und blond und gebräunt. die kleinwagen gehören dem personal, denke ich.

die zwillis haben ihre studienpläne finalisiert, suchen wg-zimmer und üben schonmal mathe. beide werden ausziehen in ein paar wochen, das finde ich wie erwartet jetzt doch etwas plötzlich. sie bleiben im osten, also in relativer nähe, was mich freut. bin gespannt, ob sie west-ost-differenzen wahrnehmen, ob es überhaupt noch welche gibt, aber es wird ihnen wohl eh nicht auffallen, es ist ja alles neu und anders. halle und magdeburg. ihr erstes wird ein zoom-semester, das wird auf jeden fall eine herausforderung.

13. august 20

wunder der zeitwahrnehmung. kommt mir vor wie ein vier wochen-urlaub, dabei highlights wie aus dem katalog: packe grad ein, um vom strand nach hause zu fahren, freund ruft an, ob ich mit boot fahren will, warte auf sie im hafen des kleinen dorfes, es ist eins dieser traditionellen holzboote aus lärchenholz, mit verdeck und außenborder. sq. erzählt, er habe als junger mann mal in einer werkstatt gearbeitet, vor 40 jahren, da habe ihm der besitzer das boot geschenkt, er habe es dann irgendwo aufbewahrt und es jetzt, nach seiner pensionierung, überarbeitet und „mal gestrichen“. es ist wunderschön. wir tuckern rüber zu den inseln, auf der isola dei pescatori warten wir auf den fährmann, der die gäste aus ihren booten abholen muss, so ein fährmann wie die bootsführer in den italienfilmen der 60er, mitte fuffzig, grauharig, trainiert, zahnpastalächeln, ringelshirt, er ist der besitzer oder pächter des restaurants italia. wir klettern rüber auf sein ruderboot und steigen am steg wieder aus. es gibt fisch, neben uns sitzt ein politiker der lega mit seiner familie, einhellig verabscheut, bis er wieder auf seine jacht gebracht wird. bei der abfahrt wollen uns die söhne des fährmanns fahren, aber er winkt ab, no, no, faccio io, die söhne genauso prächtige burschen (oder ist das vierziger? schnieke ragazzis halt) wie der vater.

unter sternen fährt sq. uns über den see zum kloster s. caterina, wo ich dieses jahr zum ersten mal nicht mehr war, seit es eintritt kostet und die coolen nonnen ihren laden dort nicht mehr haben, mit honig, salben und kleinen benediktiner-souvenirs. wir haben immer sehr gern mit ihnen geplaudert, eine kam aus berlin und hat sich über all die jahre die namen der jungs gemerkt und jedes jahr nach ihnen gefragt, wenn sie nicht dabei waren. habe sie gesucht letztes jahr, ohne glück, ich weiß nicht, wo sie sich jetzt niedergelassen haben, ob es ihr geschäft noch gibt. oben auf dem kirchturm ist ein hell erleuchteter raum, das ganze gebäude trägt festbeleuchtung, man sieht aber keine menschenseele mehr, es ist zwischen 22 und 23 uhr. auf der rückfahrt begegnet uns die fähre, riesig und schnell so im dunkeln, sq. macht das licht an, damit man uns sehen kann. eine villa gehört berlusconi, der überall in italien villen hat, eine andere einem etwas flamboyanten menschen, der überall blaugrüne lichter aufgestellt hat, es sieht aus wie eine schlumpfburg, meint sq., nur oben auf dem dach leuchtet ein stones-mund in rot, der anleger ist mit riesigen bunten monroe-drucken dekoriert. ein paar lagerfeuer am strand, erinnerungen! natürlich. als wir wieder in porto ankommen, fährt ein fischer gerade los, sein netz auslegen. falls sq. sich mal langweilen sollte, es wäre ein perfektes touristisches angebot.

noch eine corona-episode: meine 86-jährige mutter wollte sich testen lassen bei einem vertretungsarzt und musste das selber tun. es ginge nicht anders, sie hätten das wartezimmer voller menschen. sie hat das stäbchen in die hand bekommen und hat den abstrich im bad der praxis selber vorgenommen, obwohl sie nicht mehr gut sehen kann und nur eine sonnenbrille dabei hatte. der test war negativ.

den großen mit seiner kleinen reisegesellschaft in luino abgeholt, wohin sie der bus aus lugano gebracht hat. bis lugano ging die bahnverbindung von trier, danach war es stückwerk, die seen-gegend ist nicht gut erschlossen mit öffentlichen verkehrsmitteln, ohne auto ist man von zufällen und fahrplänen mit großen löchern abhängig. am nächsten tag habe ich sie zum flughafen malpensa gebracht, wo es eine große menge an autoverleihfirmen gibt, auch das fehlt in den städtchen direkt am see.

beim essen haben alle von sich erzählt, ich also von berlin und meiner zeit in der stadt. was, es gab eine mauer um berlin? es gab ein west- und ein ostberlin? was war in ostberlin? man konnte nicht einfach rein und raus? blankes staunen, diese mittzwanziger wussten das nicht. ich hab mich viel älter gefühlt, weil sie selbstverständliches aus meiner vergangenheit nicht wissen, nie gelernt haben, wahrscheinlicher: wieder vergessen, weil nicht relevant fürs eigene, sie sind nach dem mauerfall geboren, ihre zeitachse beginnt ja erst dann. wie zentral und selbstverständlich für mich die teilung ost/west war, für meine politische selbstwahrnehmung, für mein heimatgefühl, für meinen umgang mit der welt und der geschichte, wie klar man das damals für alle zeitgenossen vorausgesetzt hat, dass diese teilung irgendwie ihr leben bestimmt hat, einfach dadurch, dass man eben hier oder da geboren wurde. schön, wenn nichts davon bleibt, schade, dass es nichtmal erinnert wird.

das leben vor der wurst

ich esse sehr gerne fleisch, ich mag den geschmack, das ritual beim zubereiten und essen, die weihnachtsgans, das osterlamm, die steaks an sommerabenden, lasagne und ragù und königsberger klopse, die salamis auf den ausflügen. in den letzten jahren habe ich nur noch bio-fleisch gegessen, mit engeren finanzen verschob sich das wieder, weihnachten gab es dithmarscher gänse, die sind nicht bio, der züchter ist aber vertrauenserweckend und die gans kostet statt 150€ nur 70€.

beim aufschnitt hatte ich eine art passendes und bequemes blackout, habe entweder von der theke oder dem regal abgepacktes in massen gekauft, weil der umsatz hier sehr hoch ist. vor ein paar wochen hat die nachrichtenlage um tönnies mir das thema aufgezwungen, und meine söhne liegen mir eh schon länger in den ohren. es sind nicht nur die absoluten pfenniganbieter, die da herstellen lassen, es ist eine große gruppe von produkten, die aus solchen schlachthöfen stammt. vielleicht, hoffe ich, sparen die züchter beim schlachten, um mehr geld für die haltung übrig zu haben? das kann jemand herausfinden, der geld für die recherche bekommt, ich glaube aber eher nicht.

nach der letzten niederlage des mitgefühls vorm gesetzgeber kann ich das nicht mehr, ich kann das zeug nicht mehr essen, das von leuten wie tönnies hergestellt wird, einer firma, die nicht nur dem tierwohl nicht die mindeste beachtung schenkt, sondern auch die mitarbeiter ausbeutet und entrechtet. menschen wie tönnies sind herzlose gewissensfreie großkapitalisten (die erste wortwahl habe ich gelöscht, aber nur aus juristischen gründen), denen ich keinen cent überlassen will, damit sie ihre unethischen geschäfte weitertreiben. der gedanke an die menschen hinter den tieren hat mir sozusagen den rest gegeben, und die erkenntnis, dass es für die tiere noch ewig so weitergehen wird. es war ein twitterbild von einer sau in kastenhaltung, ab der sekunde war bei mir die wurst am ende. es war ab dann ganz leicht.

selbst die produkte mit abzeichen für tierwohl sind ja im wesentlichen billige kompromisse, ob es nun einen meter mehr oder weniger pro tier gibt, ist nur ein unterschied zwischen folter und quälerei, wobei halt, ein meter? ein meter wäre luxus und nicht zu bewerkstelligen, es geht zb bei tierwohl-klasse 2 um läppische 10% mehr als die gesetzlich vorgegebene mindestgröße, wobei ich keine ahnung habe, was mit der mindestanforderung „0,825m²“ gemeint sein könnte, pro schwein etwa? bei hühnern sind es unsagbare 53kg tier pro quadratmeter, das scheint mir quälerei, ohne further ado. bei rindern sollen in anderthalb quadratmeter raum im schnitt 150kg tier unterkommen, das geht eigentlich nur, wenn man die kuh faltet oder sonstwie umformt. tierwohl ist eine irreführender name, ein riesiger euphemismus, im grunde eine frechheit.

bei wurstwaren haben die hersteller bisher die kennzeichnung verweigert, und das heißt nicht, dass ihnen das tierwohl selbstverständlich ist und sie nur deshalb nix kennzeichnen, wie es zb das kindeswohl bei mir ist (darum schreib ich wenig über meine kinderhaltung, ich gehe davon aus, dass es selbstverständlich ist, nur das bestmögliche zu tun und dass die grenze, auch bei wenig geld, sich weit jenseits der grenzen der vernachlässigung befindet, wobei ich mit vernachlässigung die missachtung von grundbedürfnissen meine. mein kind trägt schuhe und wird bewegt, auch wenn es nicht tennis und nicht adidas yeezy boost sein müssen. bei der tierhaltung ist es selbstverständlich, nur das billigste zu tun, de facto bedeutet das, nur das überlebensnotwendige, weil ungenutzt sterbende tiere nicht rentabel sind, ohne weiteres kriterium, weil es den leuten nicht klar ist, dass tiere gefühle haben und leidensfähig sind und man demzufolge nicht ausschließen kann, dass sie eine seele haben, womit die praktizierte tierhaltung guten gewissens eine hölle genannt werden darf. living hell. ja sorry, ich reg mich grad auf. solche texte habe ich in der vergangenheit nie fertig gelesen, weil ich eben weiter fleisch essen wollte. das ist vorbei, ab jetzt lese ich sie nicht mehr, weil ich den kram ja nicht mehr esse, und es wie bisher nicht aushalte. harhar.)

es gibt also nur noch käse für die stullen. ich kann gar nicht fassen, dass es bei mir solang gedauert hat. man sollte diese mindestanforderungen graphisch darstellen und an jeder fleischtheke platzieren, aber nein, halt: jetzt gehört natürlich die unterbringung der milchkühe für die käseherstellung auch ins thema, vielleicht ist es bei denen noch schlimmer, weil die tiere da ja länger am leben bleiben. mindestens haltungsform premiumklasse, am liebsten wäre mir eine haltungsklasse „paradies“ oder so, wo die kühe, schafe und ziegen sich aussuchen könne, ob sie bleiben oder nicht.

aber wo finde ich das siegel auf den käsepackungen? es bleibt nur eine vegane ernährung, oder das bio-siegel, dass ich mir beim umsatz der jungs eigentlich nicht leisten kann. ich werde gemüse auf stullen propagieren, bis sich herausstellt, dass gemüse auch gefühle hat.

16. juli 20

ärgere mich immer noch über den kalten sommer, weil ich die energie für die harten berliner winter im sommer sammeln muss, dazu soll es ein paar wochen lang sicher sein, dass der nächste tag wieder ein sommertag wird, hell und heiß und sonnig, und man muss keine sekunde drüber nachdenken.

ich muss unbedingt noch ein paar wochen in den süden, habe mir vorgenommen, nach abgabe der facharbeit zu reisen, an der ich grad sitze für so ein zertifikat, aber mit der komme ich schlecht voran wg meiner eingebauten nahtlos integrierten arbeitsstörung. helfen tut eine virtuelle bürogemeinschaft mit einer freundin und ein allabendlicher checkin mit einer anderen freundin, trotzdem ist das blöde ding noch nicht vorzeigbar, obwohl es inhaltlich keine herausforderung darstellt. werde es wahrscheinlich wie ein junger mann aus der verwandtschaft am letzten tag fertig schreiben und hoffen, dass die note irrelevant ist. er hat für seine letzte arbeit eine zwei bekommen, aber er ist halt noch schnell im kopf, und es waren nur 5 seiten.

ich könnte ja, wenn die kinder aus dem haus sind, einfach in den süden ziehen, wo es noch sommer gibt, werde mir dann allerdings auch bei vermietung meiner schönen altbauwohnung nur eine viel kleinere wohnung leisten können, ein drittel bis halb so groß, wegen der neuen mietobergrenzen in berlin, die es woanders nicht gibt, auch nicht in italien, wobei halt, in den siebzigern gab es den equo canone, der meinen eltern eine riesige 200m²-wohnung im zentrum von mailand ermöglicht hat, mit dachterasse, für ca. 1000 dm im monat, ca. 1 million lire. andererseits sind die löhne im süden ja auch höher, dann hält es sich vielleicht die waage. bayern! freiburg! da gibt es auch nettere männer.

hier ist ein allgemeiner corona-missmut eingetreten, natürlich nicht bei den jungs, sondern bei mir. einen test habe ich schon absolviert wg einem husten, negativ zum glück. ob das die neue normalität wird, ein test bei jedem symptom? ich bin immer noch vorsichtig, trage masken etc., bei den söhnen bin ich mir in deren entspannten momenten nicht sicher. ich glaube nicht, dass junge leute weiterhin abstand halten, abends im park, zuhause bei freunden, gar nicht mal mit absicht, es wird einfach vergessen. g.-zwilling macht ein praktikum in einer metallfabrik, da trägt keiner maske. ich hoffe, berlin ist über den berg.

mich nervt die losgelöstheit dieses jahres, in dem ich noch so wenig erwirtschaftet habe, mir fehlt der alltag mit kollegen, mir fehlen selbstverständliche abläufe, die ich nicht immer im kampf gegen innere freiheit absolvieren oder gleich komplett in frage stellen muss. die zwillis setzen sich zuwenig ein, machen zuwenig im haushalt (obwohl sie gut erzogen wurden), es kostet und verschluckt mehr energie, als wir zur verfügung haben. naja, es wird wieder besser werden, die fahrt geht ja weiter. wir sind leere hüllen, aller geist verschwimmt im großen see der ausnahmeregelungen, nichts ist mehr sicher, kein termin steht. regelungen segelungen, die takelage hält nicht stand, das boot treibt ab und verschwindet im dunst, wo es bestimmt nachts von piraten überfallen und versenkt wird.

ahoi.

29. mai 20

zwillinge machen einen leider nur zwei tage langen ausflug mit dem zelt, verschiedene campingplätze an verschiedenen seen im umland. grade ist der zweite endlich los, nach stundenlangem herumlaufen, kopfhörer suchen, zelt suchen. ich könnte jetzt endlich ungestört am schreibtisch sitzen, aber komme schwer aus dem netz, wo twitter heute zum ersten mal einen tweet von trump mit einem warnhinweis versehen hat, was viel weniger wichtig ist als die lage in minnesota, wo nach dem brutalen mord an george floyd* durch einen polizisten die bevölkerung protestiert, nachdem der mord per video dokumentiert und online gestellt wurde.

schreibe das auf, weil ich fast hoffe, mich in einem jahr nicht mehr an die genauen umstände erinnern zu können. ich hoffe, dass es vorbeigeht, wie bisher immer, dass die ganzen gewaltaufrufe und bürgerkriegsbeschwörungen im netz bleiben, produkte von trollhorden und ein paar extreminskis. dazu bilder aus ungarn, wo heute gegen roma, gestern gegen schwule und lesben demonstriert wurde, mit feuer und gebrüll, klar als bedrohung inszeniert. ich konnte bisher solche fotos sofort einordnen, als einen kleinen, eben besonders gern fotografierten teil einer situation, nicht repräsentativ für die bevölkerung oder auch nur das nähere umfeld, in dem das bild geschossen wurde. das klappt nicht mehr so leicht, diese bilder stehen inzwischen für die regierungen dieser länder, trump fordert gewalt ein, kriegt dafür hunderttausend likes in ein paar stunden, ungarn kriminalisiert per gesetz die lgbt-menschen, um zwei besonders niederschmetternde ereignisse mal herauszugreifen. das ist totaler wahnsinn, aber es geschieht tatsächlich. mich beunruhigt das.

ich bin so nachhaltig entzaubert von den checks and balances, die nicht stattfinden, es ist, als gäbe es die gar nicht, es scheint, als ob es für jeden dieser männer den passenden hofstaat gibt, der sich zu erkennen gibt und mitmacht, wenn sie an die macht kommen, da kann trump so viele feuern wie er will, es kommt immer einer nach. das ist die menschheit, es ist normal und sollte nicht wundern.

ich rechne es runter, es sind nur vier bis 8 jahre in einem jahrhundert, ein land unter vielen, die welt ist groß.

trotzdem freude darüber, dass twitter endlich irgendwas tut, es ist hoffnungsglimmerkram, wie das rumgerenne des zwillings heute früh, wie meine mutter, die dinge wie dorschleberpastete auf dem einkaufszettel hat, meine schwester, die über 30° in rom klagt, die freundin im virtuellen büro, die erste hunderunde in sandalen, das private als schutz vorm weltgeschehen, aber es fühlt sich unpassend an.

(klappt heut schlecht.)

ach, und der guardian meldet, dass typ 1-diabetiker um eineinhalb drittel häufiger an corona sterben als nichtdiabetiker. wir bekommen es zwar nicht leichter, aber sind in größerer gefahr, wenn wir es bekommen. ich halte das mit solchen statistiken so wie mit allen, die mich betreffen, ich formuliere sie undramatischer und fokussiere auf die zahl, bei der das schlimme nicht eintritt. bei einer todesrate von ca. 2,4% wären das dann stattdessen 3,6%, also überleben über 96%. damit kann ich gut leben, harhar.

omm.

*in einer szene in the good fight sitzen schwarze und weiße anwälte zusammen, einer fragt nach den namen der opfer von polizeigewalt, die weißen erinnern sich nur an den letzten, die schwarzen an alle. die namen sind wichtig.

deshalb, und weil ich es mir leisten kann, mache ich das netz aus, gehe mit dem hund, spiele gitarre und setze mich an den schreibtisch. aber es kostet kraft und ist als rückzug gedacht. der tag ist bis jetzt eher verloren, aber er ist ja erst halb rum.

16. mai 2020

heute früh nochmal kurz mein schrottiges rad gecheckt, weil ein ausflug mit zwei freundinnen anstand. nach zwei stunden ist es zu spät für den großeinkauf, dafür fährt das rad wieder, klappert nur noch vorne, mit einem einzelnen fast angenehmen dengelton, wenn das lose schutzblech gegen die gabel schlägt. ich versuch den großeinkauf in auszügen („nur notwendiges“) zu delegieren und fahre los.

die radtour war anders als erwartet, wider erwarten konnte ich nur den ersten und zweiten gang meiner dreigangnabe benutzen, weil es die ganze zeit bergauf ging. prenzlauer berg eben! die freundinnen haben mich in den botanischen garten pankow gebracht, wo wir nach ihrem acker schauen wollten. eine initiative hat dort kreisbeete angelegt, ca. 20m im durchmesser, in der mitte steht jeweils ein wasserhahn mit automatik, der in abständen kreisförmig wasser sprüht. die kreise sind in tortenstücke zerteilt, die man pachten kann, sie werden nach einem system bepflanzt, teils vom anbieter, teils von den pächtern, es gibt blumen, gemüse, kräuter hintereinander. es sind vielleicht zwei handvoll leute auf den beeten, jäten, pflanzen, mulchen oder ernten, zb rauke und spinat. ich bekomme ein radieschen direkt aus dem boden, knackig und scharf. auf der wiese daneben ruhen vier weitere kreise für ein oder zwei jahre, bis sich der boden erholt hat. sehr cool. ich hatte so etwas schrebergartenmäßiges erwartet, stattdessen ist es ein reines nutzfeld, die pächter kommen zum arbeiten, liegestühle sehe ich keine. aber für beschauliche samstagnachmittage kann man ja den umliegenden park verwenden. schön für familien, weil die kinder so karotten, pastinaken oder kartoffeln schon am grünzeug erkennen lernen und einen einblick in dinge wie pflanzfolgen bekommen. das gemüse genügt wohl für eine familie über den sommer, je nach appetit und pflanzglück, es klappt ja nicht immer alles. eine gewisse disziplin müssen die nutzer mitbringen, auch beim ernten, die freundinnen erzählen von einer zucchini, die einmal den verkehr aufgehalten hat, so monstergroß ist sie geworden. faszinierend.

danach noch kuchen und kaffee im ehemaligen gewächshaus, den wir unter freiem himmel an tischen essen, bisschen fröstelig ist es. auf der heimfahrt geht es rätselhafter weise ebenfalls nur bergauf, ich spüre lauter vergessene nervenenden im allerwertesten. die freundin erzählt von ihrem geplanten sommerurlaub, mit dem rad von hier nach wien und weiter nach athen, ich denke, puh, aber du hast mehr gänge, ich hab nur drei, davon praktisch nur zwei zu verfügung! freue mich sehr, als wir wieder zuhause sind und ich mich vom sattel entfernen kann. den d.-zwilling gefragt, ob er einkaufen war, er sagt nein, der g.-zwilling hätte gehen wollen, der g.-zwilling sagt nein, der d.-zwilling habe gehen wollen. der d.-zwilling hat immerhin eier und äpfel vom markt geholt, allerdings übereinander im rucksack, was nicht gutgegangen ist. muss also noch mal scheuchen. abends couscous und eine weinschorle, ein zwilling geht aus, der andere nicht. gelernt habe ich den unterschied zwischen grade aus der erde kommendem möhrengrün und unkraut, und dass es unter umständen erstmal eine weile nur bergauf gehen wird, wenn ich wie geplant wieder mehr sport machen werde.