feldpost

beim suchen nach der herkunft einer geerbten taschenuhr bei meiner mutter das dicke alte fotoalbum mit der aufschrift feldpost gefunden, bis zur letzten seite gefüllt mit dutzenden von postkarten von der front im ersten weltkrieg, fast alle schwarzweiss, ein paar nachkoloriert, einige fotografien von jungen soldaten in heldenpose mit gewehr bei fuss vor wald oder fels,  mit bleistift bis zum rand vollgeschrieben, sütterlin, schlecht, aber doch lesbar, aus den jahren 1916 und 1917.

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es sind dankespostkarten an meinen urgrossvater, der die soldaten „auf ausdrücklichen wunsch“ hin mit patriotischen gedichten beglückt hat. es ist fanpost aus einer anderen zeit, er hat sogar geld mit den gedichten verdient, und es gleich wieder gespendet, lustigerweise liegen die quittungen auch alle da, eine vom „chef des heeres auf helgoland“, in der kleinen flaschenkiste, in der alle andenken an die familie meiner mutter platz finden, ich werde versuchen, die karten zu lesen, hatte gestern weder zeit noch eine kamera dabei. mich fasziniert ihre vollkommene vergangenheit, ihr plusquamperfekt, alles an ihnen ist vorbei und vergessen, adressat wie absender und anlass, eins der gedichte liegt auch im kasten, es ist eher lang, weil es sich mit allen weltkriegsgegnern deutschlands befasst, sagen wirs mal so.

wie diese ganzen leben immer zu ein paar anekdoten verdichtet werden, von den enkeln noch weitererzählt, dann werden sie schwerelos und unwichtig, die toten, und verlieren ihre haftung in der welt. kennen sie die eltern ihrer großeltern mit namen? in der handvoll geschichten über ihn erscheint er als ein lebenslustiger mann, ein apotheker, der gerne ins theater ging, gedichte schrieb, und oft und gern im laienschauspiel unterwegs war, ein paar bilder zeigen ihn im kostüm auf einer bühne, oder war er nur die beiden male dort? es ist wenig im vergleich zum überangebot an zeugnissen, die wir hinterlassen werden, aber vielleicht genügt es ja.

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er gehörte wohl außerdem dem stahlhelm an, einer truppe, von der ich noch nie gehört habe, wohl ein eher übler militaristischer und erzkonservativer haufen, später faschistischer als die faschisten, wenn wikipedia recht hat – und war ansonsten kaisertreu. er ist 1928 sehr jung gestorben, mit mitte fünfzig, ich hoffe, er wäre sauber geblieben, wenn er die dreissiger noch erlebt hätte, aber wer weiss das schon.

und die uhr? meine mutter hat dann noch alle tanten angerufen, und wir haben einen platz für sie gefunden, sie kommt aus einem ganz anderen familienzweig, von der berliner cousine der mutter meiner großmutter väterlicherseits, tmi, ich weiss, ich weiss, aber dann kann ich nachgucken in ein paar jahren, wenn ich sie wieder einmal tragen möchte. ein guter grund für erbstücke, geschichten an die luft bringen, und wäre die uhr nicht wertvoll, dann hätte sie sich niemand merken können.

 

9 Gedanken zu „feldpost“

    1. liebe frau arboretum, ihr gedächnis ist aber sowieso excellent! ich wusste nur noch die mit geschichten oder dingen verbundenen namen, „bild von …“ „kommode von …“ u.ä.
      die handschrift auf den karten, die ich bis jetzt gesehen habe. ist sehr sorgfältig und sauber geschrieben, mit fast ornamentalen grossbuchstaben, ähnlich wie diese hier, da besteht hoffnung:

    2. Mein Großvater und mein Großonkel mütterlicherseits betrieben ein bisschen Ahnenforschung, es gab eine kleine Übersichtstafel die bis zum Ende des 17. Jahrhunderts reichte. Daher weiß ich, dass ich Vorfahrinnen hatte, die Hulda und Rosine hießen, darüber habe ich mich als Kind sehr amüsiert. Mein Vater erforschte seine sämtlichen Familienzweige, die direkten Vorfahren sogar bis ins 15. Jahrhundert. (Davor gab es keine Kirchenbücher, die meisten beginnen eh erst nach dem 30-jährigen Krieg – sie dienten auch dazu, festzuhalten, wer überhaupt noch lebt und da ist.) Leider hat mein Vater das alles bislang nur auf Karteikarten notiert. Ich weiß aber, dass es in irgendeiner Seitenlinie fahrende Musikanten und Kesselflicker gab, die ihm viel Mühe bereiteten.

      1. hulda und rosine gehen mir seit tagen nicht mehr aus dem kopf, wunderbare namenskombi. das mit dem 30jährigen krieg beeindruckt mich, „festzuhalten, wer überhaupt noch lebt und da ist“ – 40% der bevölkerung sind dem krieg, der pest oder dem hunger zum opfer gefallen, unvorstellbar.

        wenn man pro jahrhundert 3 oder vier generationen rechnet, kommt da ein beachtlich großer haufen menschen zusammen bis ins 15. jahrhundert, bei der bevölkerungsexplosion ab 1750 sind wir heutigen mitteleuropäer ja mit viel mehr leuten verwandt als vermutet.

        1. Ah, verflixter Tippfehler, weil ich erst die Jahreszahl geschrieben hatte. Es muss 16. Jahrhundert heißen, nicht 15. Entschuldigung.

          Hulda und Rosine sind sehr … einprägsame Namen. Es gab auch noch zwei Rosinas, aber nur eine Rosine.

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