in folie eingewickelt steht er seit 17 jahren vergessen auf einem dachboden, ein schrank, er gehörte der schwester meiner urgroßmutter, der tante ahne, „von der haben wir ja ein paar möbel geerbt, die vitrine und der sessel gehören auch dazu“, wie meine mutter erzählt, „die konnten wir gut brauchen“. die tante ahne ist kurz nach meiner geburt gestorben, es gibt noch ein foto von ihr mit mir auf dem schoß, in ihrem sessel, der jetzt bei mir steht. ein arm fehlte ihr, den hat sie im bombenschutzkeller in berlin verloren. sie war eine frau mit vielen geschichten und einer soliden haltung zum leben, „kolossal zart, diese musik“ hat sie gesagt, als meine mutter ihr mal eine bach-single geschenkt hatte, und „sie hatte einen so burschikosen berliner humor“. der bruder meiner großmutter ist in berlin geblieben, er war pfarrer und hat mich getauft, vielleicht erinnert sich aus seiner familie noch jemand an sie, aber der kontakt zu diesem zweig ist seit langem eingeschlafen.
mein vater hatte den schrank in seinem arbeitszimmer, hat darin aktenordner und seine tagebücher gelagert, ganz unten, unter einer schicht alter zeitungen, hat er seine playboyhefte aufbewahrt, männer brauchen so etwas, hieß es in der familie, was für eine bürde, wenn die sexualität ewig auf dem niveau der pubertisten hängenbleiben muss, weil keine aufgeklärte entwicklung möglich ist. als mein vater starb, hatte ich keinen platz für den schrank, meiner mutter war er zu finster. ein freund von mir hat angeboten, ihn bei sich zu lagern, und dann kam alles mögliche dazwischen, und ich hab ihn vergessen. eine woche, nachdem das erste kinderzimmer wieder zur verfügung steht, meldet sich der schrank wieder, als wäre er jetzt an der reihe, also die besitzerin der dachetage fragt ganz freundlich an, was denn damit sei. ich könnte ihn eventuell sogar dort stehen lassen, aber will den langmut der inhaberin nicht weiter beanspruchen, schließlich kennen wir uns kaum, und der freund wohnt da auch schon lange nicht mehr.
ich versuche auf die schnelle, einen lieferwagen zu buchen, keine chance, aber er könnte ganz knapp in den kofferraum meines kombis passen, und grade sind beide zwillis in berlin. wir fahren hin, laufen 5 stockwerke hoch, ganz hinten im unausgebauten dachboden steht er, noch vom umzugsunternehmen in blisterfolie verpackt. und ja, er ist groß und breit, und wie sich herausstellt, sehr massiv. die zwillis bekommen den schrank mit müh und not, mit rutschen, kippen, wackeln („mama, warte einfach unten auf uns“) die treppen hinunter auf den hinterhof, von da geht es meter für meter weiter richtung auto. er lässt sich nicht gut greifen, weil er so gut eingepackt ist, rutscht immer wieder fast aus den händen. die laderaumöffnung hinten am auto ist 1m und 5cm breit, der schrank ist auch 1m und 5cm breit, das finde ich kurz lustig, aber er ist zu schwer, um es einfach mal zu probieren. die jungs stellen ihn hinterm auto auf, es sind 700m bis nach hause, keine chance. ich laufe zu einem nahen möbelladen, der inhaber leiht mir freundlicherweise gegen ein pfand so dicke gurte mit einer stahlkralle unten dran, die kann man sich um die schultern legen und unter das möbel haken und es dann mit der kraft des rückens und der schulter hochwuchten. die zwillis laufen in trippelschritten, mit dem hohen wankenden schrank zwischen sich, kommen zuhause an, und schaffen das möbel dann nach einer pause noch die treppen hoch. er wiegt ungefähr soviel wie ein klavier. als ich die gurte zurückbringe, zeige ich dem ladenbesitzer ein foto vom schrank und lerne, dass es wohl mal 2 davon gab, der zweite vermutlich ein sekretär, das biedermeier hat symmetrie geschätzt, also sieht die tür des schranks von außen genauso aus wie die vorderseite vom verloren gegangenen partner, mit drei blinden schlössern, ein blender. mahagoni, sagt der sehr freundliche inhaber noch, geht grad nicht so, aber wenn ich ihn loswerden wolle, er würde ihn auch abholen, da musst ich dann doch lachen. innen ist er leer, leider fehlen auch die regalböden, nur hinten in der ecke liegt irgendwas kleines buntes: es ist eine filmpatrone, mit negativfilm, ein zettel mit einer nummer ist draufgeklebt, der liegt da auch seit mindestens 17 jahren ungefunden und unenwickelt im dunkeln, vielleicht noch eine kleine geschichte. sonst nichts.
ich wollte die leeren räume der zwillis eigentlich eher hell und weiß einrichten, mit wenigen und neutralen möbeln, mal sehen, wieviel raum der schrank beanspruchen wird, ein kleines mahnendes gefühl bekomme ich sofort, waren doch die beerbten alles wohlsituierte bürger, eine familie von der ahe, bankiers, apotheker, politiker, mit geschichten, karrieren und villen. sie haben ihre schränke nicht selber getragen. aber alles ist vergänglich, außer diesen paar möbeln, und das meiste wird vergessen, besonders, wenn ein weltkrieg geschieht, und ich befinde mich eigentlich ganz wohl in meiner gegenwart.
Aber doch ein arg schönes Holz und diese seidige, satte, weiche Politur… die Details der Silhouette machen auch neuierig auf den Gesamteindruck des guten alten Stücks!
Die Filmpatrone (-rolle(?)) unbedingt entwicklen lassen! Man ist ja schon vor Spannung geplatzt, wenn man wusste, was auf einem Film ist. Im uninteressantesten Fall ist die Filmrolle leer.
ja, das holz ist schön, und jetzt steht er sowieso erstmal. mal sehen, wie ich den einbinden kann. man muss wirklich nicht alles behalten, nur weil es alt ist und zur familie gehört, besonders, wenn alles drum herum sich verändert hat, geschmäcker und räumliche verhältnisse. andrerseits ist er alt und gehört zur familie. es ist also alles offen!
In der Holzmaserung kann man alles Mögliche erkennen: ein weiblicher Torso, einen Hasen mit Augen und Hamsterbacken …
Haben Sie den Film inzwischen entwickeln lassen?
die dinge des lebens, das sind die besten geschichten. und die bilder erst. ich hoffe auf die bilder. : )
(wenn du mal hilfe brauchst, ich komme gern und räume und schiebe ein bisschen, so als echte handwerkerin.)
ja, das stimmt, und die geschichten leben noch, wie sich gezeigt hat, allen fällt immer noch was ein zur tante ahne und dem schrank. bei hilfsbedarf melde ich mich gerne mal!
Der Aufsatz oben hat eine merkwürdige Form… mir erschließt sich die Absicht des Teils in der Mitte nicht…
Ich würde wahrscheinlich unorthodox ein Bild in die obere Kassette eakt einpassen, vielleicht eine schmal gold oder altsilber gerahmte Schwarzweißfotografie, ein großes Portraitfoto im Anschnitt, sehr modern, wie Hochglanzwerbefotografie (ich hab ja gerade den Vanity Fair-Blick, wie du weißt….) Und in die untere Kassette einen Spiegelzuschnitt einpassen. Wirkt dann bei reflektierendem Licht wie ein Kamin.
P.S.
so in der Richtung, Veruschka mit Schlange…. oder wie diese Fotografie von Gundlach.
das stimmt, der mittlere teil wirkt zu dominant für die elegante linienführung drumherum. es ist eine wirkliche kassette, eine recht geräumige. interessante idee, da denke ich mal drüber nach, mir gefällt der gedanke, den schrank zu markieren auf diese weise. vielleicht nur eine schlange, ohne veruschka, ich wurde ja in einem jahr der schlange geboren.
*gern gelesen*
danke 🙂