geschütztes wohnen

erste juliwoche schwer zu tun mit der unterbringung von ein paar alten möbeln, erbstücken von einer urgroßtante. meine wohnung ist komplett eingerichtet, die vor jahren oder beim auszug der söhne mal angedachten fast leeren räume oder wände haben sich irgendwie von allein alle gefüllt. ein schöner alter bauernschrank geht wegen schlechtem timing an jemand anderen, der g.-zwilling zieht zwar bald um, aber wird auf jahre noch in wgs leben, ohne kapazität für riesige alte schränke, die anderen beiden haben kein interesse. ich müsste dafür meinen 2m-ikea- garderobenschrank rauswerfen, und der alte schrank bietet viel weniger platz, auch wenn er schöner ist. meiner mutter macht der verlust nix aus, sie hat den schrank in den siebzigern gekauft, also kein familienstück, mir tut es ein bisschen leid, dass die kids sich sowas werden kaufen müssen, wenn sie es mal haben wollen. ein altes biedermeier-bänkchen kann ich auch nur unter viel umstellen und entsorgen vorhandener stücke unterbringen, selbst für die bilder ist eigentlich keine wand mehr frei, und egal was ich mache, die bank von ca 1890 wird vor einer heizung stehen müssen. es war einfacher, als man komplette häuser an die familie übergeben konnte, und die dann halt einzogen und die möbel weiter nutzten, ganz selbstverständlich. mein zuhause ist polyzentrisch, aufgewachsen in mailand, die fremdheit, wenn man die sprache noch nicht kann, wohnung und familie als schutzraum, ob man will oder nicht. inzwischen ist die familie weit verteilt über zwei länder, bis zum tod der großeltern über drei, jetzt sind meine kinder zum studium alle woanders hingezogen, das unbehaustsein setzt sich fort. erst ziehen wir alle weit weg, und wenn wir dann komplett eingerichtet sind nach 30+ jahren, dann sollen wir wieder zurück in die wohnungen der kindheit. der symbolische wert dieser möbel ist viel höher als der praktische, die bank und der schrank standen in mailand beide im flur, wir hatten dort einen raum hinter dem eingang, mit einer säule in der mitte, links stand die bank, dahinter der eingang zum küchentrakt mit noch einem bad und einem gästezimmer, dann der stuhl mit dem telefon, an der wand links davon der alte kirchenschrank. soviel platz hat keiner von uns mehr, der trend geht ja zur verkleinerung, minimalisierung der einrichtung. auch die familien lösen sich vorzeitig auf, vielleicht will ich diese kleine bank deswegen unbedingt unterbringen, obwohl ich keine glückliche kindheit hatte, aber mir macht der gedanke an tradition zu schaffen, selbst eine schwierige familie ist ja eine familie.

bei der mutter viele bücher aussortiert, die meisten verschenkt. kurz den impuls, ein paar alte, knickflattrige exemplare aus dem kunstregal mit anderen, neuen vom sofatisch meiner mutter zu ersetzen, oder lieber reduzieren, regale leeren, platz schaffen für neues? nee, dazu braucht es grundsatzentscheidungen und gelegenheiten.

ein paar behalten, in einem goethebändchen steht vorne mit bleistift drin „C. Syring 18. März 1867“, es kommt von meinem urgroßvater, „er hat die literatur in die familie gebracht“, sagt meine mutter dazu, einer seiner söhne wurde germanistikprof in ohio, usa, während der bruder in deutschland blieb, um sich um seine mutter zu kümmern, nicht studieren konnte, nachdem der vater an den folgen einer weltkriegsverletzung verstorben war, sondern bäcker und konditor wurde. der amerikanische großonkel hat den kontakt abgebrochen, der war halt weg, keine ahnung, ob das mit heutigen kommunikationsmitteln anders gewesen wäre.

bei diesem objekt habe ich keinerlei zwiespalt, ob behalten oder weggeben, es ist halt auch wesentlich kleiner als ein möbel. der vorletzten generation kann ich mit so einer freundlichen sentimentalität begegnen, vielleicht sollten erbstücke immer eine generation überspringen. würde mich interessieren, wie da der schnitt ist, übernehmen kinder heutzutage möbel der verwandschaft, oder kommt alles weg?

2 Gedanken zu „geschütztes wohnen“

  1. Seit Möbel Mode in kurzen Zyklen geworden sind wird wohl auch dort geschmacklich eine Generation übersprungen. Was haben uns ältere 68er angeschaut, als der Fifties-Trend in den 80ern aufkam… Schön, dass Sie sich mit den alten Stücken beschäftigen, auch wenn der Platz natürlich selten reicht. ich plädiere ja immer für Wertschätzung auch en dingen gegenüber. Also bewahren statt Wegwerfen. Bei Familienstücken um so mehr. Meine Mutter ist da rigoroser. Die wirft auch Fotos weg.

    1. Ja, so ist es. das mit dem überspringen könnte sein, aber bei den sachen aus den letzten jahrzehnten kann ich die möbelmoden gar nicht auseinanderhalten, erinnere eher einzelne marken (eames, thonet) als stilrichtungen. vielleicht müssen da weitere hundert jahre vergehen, bis die unterschiede erkennbar sind.

      ihre mutter ist mir ein bisschen unheimlich.

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