da sein

habe ein lieblingsfoto, unter den vielleicht fünfen, die ich von ihm habe, irgendwo in meinen drei kisten. gestern angefangen zu suchen, dabei alle schönen bilder von freunden, bekannten, den söhnen, mir selber rausgefischt, auf einen stapel gelegt. das sind die bilder, die meine erinnerung formen, die behalte ich irgendwie im kopf, so ein ach, das! -pling beim durchblättern, ein wiedererkennen beim suchen, eine schon oft gelegte spur. der rest sind sonnenuntergänge. die lasse ich in der kiste und werde sie vermutlich nicht mehr so oft ansehen. und dann schickt mir der große heut abend ein foto, „schau mal, ich habe auch ein bild von martin“, und es ist genau dieses gesuchte bild, auf einer meiner parties geschossen, er mit drei anderen freunden, alle aneinandergelehnt auf meinem ollen ikeasitzkissen, gelöst und lustig.

es sind so ca 250 fotos, die mein leben bis jetzt ausmachen, fast alle vor der digitalen wende, danach gibt es kaum noch bilder von mir, tant pis, früher war ich schöner. für die habe ich ein kleines blätteralbum „mit säurefreier folie“ gekauft. vielleicht schaue ich dann häufiger rein. meine hochzeit war auch dabei, martin war mein trauzeuge, das hatte ich ganz vergessen, muss so eine last minute-spontanaktion gewesen sein. alle männer sind dabei, alte freunde, alle toten, auch fotos meiner eltern, mit diesem strahlen der achtzigerjahre. ich kenne seine neue partnerin nicht, sein bruder kennt mich nicht, die wege sind gekappt, martin ist tot, ich hoffe, jemand teilt mir trotzdem irgendwie seinen beerdigungstermin (ein wort wie eine dampfwalze, alles platt, alles hin) mit, damit ich entscheiden kann. werde noch eine weile fassungslos bleiben, da hülfe ein gemeinsamer abschied. was für ein scheißtag. meine söhne sind liebevoll und sagen, ich könne mich jederzeit melden, meine freundin kommt, ich rauche und trinke und rede, als wäre er noch da. so wird das ab jetzt sein, alle freunde und kollegen reden über ihn, viele verschiedene geschichten, verschiedene menschen, überall irgendwas von ihm, nie mehr alles, wir haben paar fotos in einem haufen anderer bilder, geschichten, alle mit genausoviel von uns wie vom anderen. so ist das eben, mehr bleibt nicht. außer seiner kunst, die aber mit dem aspekt der vergänglichkeit immer gespielt hat, er hat oft dinge wie alte paletten oder leere wasserbecher oder in der stadt gesammelte holzabfälle zu großen kunstwerken verarbeitet, zu dingen, die aber weiterhin im fluss sind, wieder abgebaut werden, entsorgt oder recycelt werden können. zum kotzen ist das. es ist so absurd, ich hätte ihn sowieso vielleicht erst in monaten gesehen und es wäre völlig okay gewesen, vor ein paar tagen hatte ich beim heimradeln ein paar sekunden lang so bilder von ein paar episoden mit oder über ihn im kopf, wie polaroids. ich denke, das hirn ist ein kaleidoskop, mit einem netzwerk an assoziationen, die als background durch den tag begleiten, bestimmt vergessen wir die meisten, erinnern nur die, die durch solche tragödien bedeutung erlangen. es war kein zeichen, ausrufezeichen, sowas gibt es nicht. ach, ach. ich will intensität, leben, unmittelbarkeit, ich will gegenwart, es ist alles so schnell vorbei, unfassbar schnell. ich will sowas nicht einfach verarbeiten, er soll noch einmal einfach da sein mit all seiner bemerkenswerten lebensenergie, wie damals, als wir alle den selben raum belebt haben, in gesprächen, ausgehen, sachen machen, biere trinken, und das trennende in ferner zukunft lag. diese zeiten sind lange vorbei, und jetzt kommen sie auch nicht wieder. das ist ja auch okay, wir haben kinder, die sind erwachsen, wir werden älter wie unsere freunde und reden über die alten zeiten, nur gelegentlich, es gibt ja noch viel gegenwart, es ist also eigentlich alles gut, nur wenn einer viel zu früh stirbt, dann nicht. was hat er geackert gegen den tod! ich hoffe, es hat genützt, ich hoffe, er hatte nicht so viel angst.

dieses posting fühlt sich an wie redundantes und gleichzeitig zu privates gerede, herumstochern in der wunde, er hätte nichts damit anfangen können. aber er ist weg und ich bin noch da. immer diese intensiven gefühle, die haben mir noch nirgendwo geholfen! bin auch ein bisschen betrunken, der wein muss ja weg, und früher hätten wir sowas auch alle gebloggt.

puh.

2 Gedanken zu „da sein“

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