verloren

ihre haut ist fein und weiß, sie liegt in kleinen falten über dem schmalen körper. sie hat keine zähne mehr und kein gebiss, ihre lippen sind eingefallen, sie liegt halb auf der decke, halb schiebt sie die decke weg mit bewegungen, die gleichzeitig zart und fahrig sind. ihre arme und hände rudern herum, ihr krankenhaushemd rutscht dabei erst hoch, dann gleitet ihr arm heraus und sie liegt nackt vor mir. sie scheint zu reden, ohne dass ich worte erkennen könnte, die ganze zeit kommen ein-oder zweisilbige laute aus ihr heraus, mit einer leisen dringlichkeit. sie hat kaum mimik, kein lachen oder weinen, nur ihre augenbrauen sind noch im spiel. sie hebt ihren kopf oder versucht es, eine große unruhe ist in ihr, aber sie hat zuwenig kraft, um den körper in irgend einen zusammenhang zu bekommen. ich versuche, sie zuzudecken und frage sie, ob ich das darf, lege die decke über sie, aber sie bewegt sich weiter und liegt schnell wieder nackt, ihre brüste fast mädchenhaft klein. vielleicht muss sie mal, denke ich, und sage einer schwester bescheid, die meint, sie würde gleich kommen, aber es dauert noch eine weile. hilflos versuche ich, mit ihr in kontakt zu treten, sie sieht mich nicht richtig an, ihr blick ist unfokussiert und wandert hin und her, wie ihre arme. sie hat ihr hemd mit einer hand umwickelt und hebt die immer wieder, endlich komme ich auf die idee, dass sie angezogen sein möchte, vielleicht nicht einmal nicht nackig, als ob die scham komplexer ist und schneller verloren geht als die reine gewohnheit, kleidung zu tragen, aber ich weiss das natürlich nicht. es fühlt sich nicht übergriffig an, sie anzufassen, ich schiebe ihre kleine hand durch den weiten ärmel, lege ihren kopf aufs kissen, decke sie zu, wie ein kleinkind, und sie wird ganz ruhig. dann kommt die schwester mit einer bettpfanne ins zimmer, „musste pullern?“ fragt sie laut, klappt die decke hoch und die frau zur seite, legt die bettpfanne hin und die frau oben drauf, freundlich und resolut. „alles gut, mutti“ sagt sie noch und geht wieder raus. ich rede weiter mit dem menschen, den ich da besuche, die frau ist die ganze zeit sehr unruhig und windet sich hin und her in ihrem bett. nach einer viertelstunde oder so kommt die schwester wieder, die frau hat eingenäßt, sie bekommt eine windel, das bettzeug wird gewechselt, danach wird sie ruhiger. nach dem essen wird mein patient in ein zimmer mit jungen leuten verlegt, die schwester entschuldigt sich, sie hätten soviele pflegebedürftige grade da. großen respekt vor dem pflegepersonal und auch den nahen verwandten, die da einen umgang mit finden müssen, und hoffentlich einen pyjama für die alte dame, vielleicht in einem schlafsack, wie bei einem kleinen kind.

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