three rivers ist ein langgezogenes nest am fuss der berge, freundlich und wohlhabend wirkt es, mit kleinen restaurants, einer grundschule, wenigen geschäften. im „historical museum“ findet ein hot dog festival statt, es besitzt ein saloon-piano, gewehre und kleidungsstücke der frühen siedler, wir sollen anfassen und fragen stellen, sagt der chef. es ist unser erster abend, wir haben hunger, wie immer bin ich ein paar minuten orientierungslos die strasse rauf und runter gefahren, um das zentrum zu suchen, nach welchen kriterien sonst soll ich eine entscheidung treffen? es wird dann anne langs emporium, weil es am wenigsten nach pommes und burgern aussieht. wir sind die einzigen gäste, der laden schliesst gleich, ich freue mich, dass ich nach der langen fahrt aus der hitze des valleys rausgekommen bin, hier ist es durch das viele grün viel besser temperiert.
das essen wird in japanischem geschirr serviert, der salat hat eine sojanote, es schmeckt gut – und eigen, als ob da wirklich jemand selber die rezepte entwickelt habe. ich halte die drei damen des delis für drei generationen einer familie, frage aber nicht nach. die wantans reichen den jungs nicht, wir bekommen noch eine nahrreiche und dichte hühnersuppe mit wunderbarem frischen brot. an der hinteren wand entdeckt gregor ein regal mit gewürzen, samen, tees und merkwürdigen wurzeln in haufenweise gläsern, wie in der vorratskammer einer kräuterhexe, gregor sucht sich eine zimtstange aus, obwohl wir die zimtfarbene rinde der mammutbäume noch gar nicht gesehen haben. 1 dollar, 25 cent zahlt er dafür, von seinem geld.
vom hotel aus fahren wir noch 20minuten bis zur einfahrt des nationalparks, auch hier wieder richtig mit schranke und wärterhäuschen und zwei angestellten in ranger-uniform, dann noch eine stunde lang über enge serpentinen in die berge, hoch und höher, durch mehr oder weniger dichten grünen wald. die kinder fragen die ganze zeit „mama, wie gross sind die denn, ist das hier einer? oder der hier? also der hier ist riesig, schau mal“ ich sitze zufrieden hinterm steuer, plötzlich schreit elias „boah!“ und da steht er neben der strasse, unser erster sequoia, der stamm vielleicht 3 meter dick, verschwindet durch die anderen bäume ringsherum nach oben. ich fahre weiter, die kinder schnattern. ich versuche, meine inneren meter anzupassen, damit die sequoias noch irgendwie reinpassen ins konzept „baum“, aber das wunder wird nicht kleiner, das herz macht bei jedem neuen baum einen kleinen hopser, dann fällt mir ihr alter wieder ein, die vielen hundert und paar tausend jahre, die da vor uns stehen, „older than jesus christ“ sagen die amis, ich denke lieber daran, wo die menschheit vor 3000 jahren war, als diese bäume ihr leben begonnen haben.
direkt am parkplatz steht einer, 10 meter den hang herunter, die jungs stürmen hin, um ihn aus der nähe zu sehen, der kopf legt sich in den nacken, soweit es geht, die rinde ist elastisch wie kork, aber viel gröber, viel dicker und tief gerillt. gregor hebt ein großes stück davon auf, sie ist federleicht, wie aus pappmachee. es liegen riesige zapfen herum, unterarmlänge, die kinder fotografieren sie wie trophäen, aber die sind von irgendwelchen fichten, lerne ich später. die sequoias haben kleine, runde zapfen, nicht größer als eine kinderfaust.
wir laufen einen sehr asphaltierten rundweg um eine wiese mit perfekten bedingungen für sequoias, in ihrer mitte sammelt sich feuchtigkeit, der boden liegt ein bisschen tiefer als die umgebung, die bäume stehen alleine am rand und haben wenig konkurrenz um wasser, sonne und nährstoffe. neben einem der bäume steht eine hirschkuh und guckt in unsere richtung, nein, sehen wir dann, sie schaut nach ihrem kitz. auf der großen bildversion kann man beide sehen, sie sind so viel kleiner als erwartet vor dem baum.
der park bemüht sich um natürliche bedingungen, so wird feuer genutzt, um die saatbedingungen der bäume zu verbessern und um sie zu stärken, weil die konkurrenz mit abgebrannt wird. die feuer brennen niedrig und lassen moos und unterholz verschwinden, aber unheimlich sind sie schon, wir sehen ein paar qualmende quadratmeter davon, es steht ein schild dabei: „wir wissen, dass es hier brennt, es ist ein geplantes feuer“.
hinweisschilder und ein stammquerschnitt erinnern an den raubbau vergangener zeiten, die jungs fragen, ob diese wunder die menschheit auch weiterhin überleben werden, oder ob nach der anbetungsphase nicht doch wieder eine ausschlachtung stattfinden wird. david glaubt, dass beim baldigen ende des erdöls die menschheit bald wieder mehr holz verbrennen wird und schlägt vor, überall sequoias zu pflanzen und mauern drumrum zu bauen. ich stehe, in jeder zelle klein, fröhlich und kurzlebig („was soll der stress? ganz, ganz bald ist es durch“) unter den riesen und würde sie sofort verteidigen gehen.
ich stelle mir die geschichten vor, in denen sie vorkommen, wir sehen ein paar riesige ents mit großen zehen und wenig leuten drumrum, so dass ich endlich soetwas wie treehuggen versuchen kann, aber man sieht ja, wie weit gregor mit seinen armen gekommen ist. es gab keinen weg, den ganzen baum samt füßen und details aufs bild zu kriegen, ich hab die obere rundung des wipfels also mit photoshop hingepappt, der baum war abgeschnitten, vielleicht stellen sie sich mal ein typisches berliner wohnhaus mit dachhöhe um 25-28 metern vor: etwas über dreimal so hoch ist ein sequoia.
der wald wurde erst 1839 entdeckt, den ersten, zu kleinen park gibt es seit 1890, unter roosevelt haben anderthalb millionen unterschriften für eine ausweitung des parks auf alle sequoiawälder plädiert, aber es hat bis 1967 gedauert, alle wälder aufzukaufen und als parks zugänglich zu machen. anderthalb mio ohne internet.
ich bin ordentlich in awe vor den riesen, viel mehr als erwartet. der eindruck geht sogar tiefer als der vom grand canyon, oder den walen, oder big sur, nichts wirkt so stark wie diese bäume. sie sind eine wirklich vollkommen neue erfahrung, wegen ihrem festen stand in raum und zeit. ich weiß noch, ich stand vorm sherman tree und dachte „renaissance? pfff.“
auf den wegen rund durch den park klettern die jungs auf einen gefallenen stamm und setzen sich neben ein mädchen. elias plaudert mit ihr, „auf englisch?“ fragt die mutter hoffnungsfroh, „naja,“ sagt er, „eher nicht, ich war mit ihr in der rüste letztes jahr.“ die mutter, alleinreisende mit kind, ist nicht so erfreut wie ich über das treffen und sagt im tonfall exasperated „wie weit muss ich fahren, um keinen berliner zu treffen?“ nicht in einen der schönsten parks der usa, wär mein vorschlag, nicht in den sommerferien, aber nee, sie will gar keine antwort. ich bin etwas verwundert und halte sie für eine deutsch-deutsche.
im souvenirshop stromere ich mit david durch die regale und merke nach paar minuten, dass ich nicht widerstehen werde können. ich kaufe eine tasse, da lachen mich die jungs nur ein bisschen aus – und einen baum, 5cm, mit substrat drunter und plastikröhre drum rum, da gibt es erstaunliche stimmen der vernunft auf der kinderseite. „der wird sterben, wir sind noch 2 wochen unterwegs, der gehört hierhin“, fast alles gute gründe, auch, um die welten getrennt zu halten, denke ich, aber ich kann sie qua mütterlicher fokussiertheit mühelos ignorieren.
er steht in den motels immer am fenster, von allen umhegt, in der zugreise festgeklemmt am zugfenster, im flieger in der flaschentasche am rucksack und jetzt gedeit er prächtig auf meinem balkon. ich habe freunde mit gärten, da kann der hin, wenn er aus meinem balkon rausgewachsen ist. david hat eine packung samen gekauft, dann können wir ihm sogar noch gesellschaft verschaffen. er wird hier längst nicht so hoch und breit wachsen wie in kalifornien, zu wenig alpin alles im brandenburger flachland, aber wachsen tun sie überall, sagt die werbung. es gibt viele sequoias in europa, sie waren vor allem in england eine zeitlang mode und stehen dort in vielen parks.
und ja, natürlich braucht er einen namen.
auf einer der bänke um die wiese sass ein ca. 50ziger in rangerkluft und erzählt, dass er seit ein paar jahren im park arbeitet, jeden sommer, und jeden tag in der mittagspause auf eine bank an dieser wiese kommt, weil er sich in die bäume so verguckt hat („I fell in love with them“). scheint mir vollkommen nachvollziehbar, sie bringen einen auf den boden und relativieren auf wirklich elegante und majestätische weise das leben und den ganzen rest, in quali- wie quantitativer hinsicht. ich habe einen blick auf die freien stellen geworfen und würde wenigstens die söhne gern mal für ein sommerpraktikum hinschicken.
die jungs haben dauerlauf mit stoppuhr um die wiese gemacht, einmal rum, und erzählen strahlend, dass die anderen touris sie mit „go go go!“ angefeuert hätten.
ich verlängere den aufenthalt um einen tag wg. begeisterung, die kinder finden, dass ich übertreibe, aber ich darf das natürlich. wir gehen einen anderen der vielen wanderwege am letzten tag, die jungs eher unlustig und im bloss-nicht-bergauf-modus. elias dreht sich um und holt luft, um das argument „lieber swimmingpool“ nochmal nachdrücklicher zu verkünden, da sehe ich hinter ihm etwas, mit dem ich trotz vieler warnschilder überhaupt nicht gerechnet hatte und beginne wild mit den armen zu wedeln, um ihn und die brüder zurück in meine nähe zu holen: 30 meter hinter ihm steht ganz still eine aufmerksame bärenmutter mit zwei babies und sieht ihn an – das schwimmbad war sofort vom tisch.
ich weiß kurz nicht, ob fliehen oder standhalten angesagt ist, lasse mich aber von der riesigen relaxtheit anderer wanderer überzeugen, wir bleiben auf dem weg, sind laut, und gehen noch eine halbe stunde weiter, um am fluss ein schönes kleines picknick zu geniessen, aber meine nervosität bleibt. und der ärger darüber, das ausgerechnet heute die kamera wg leerem akku im hotel geblieben ist, aber david hat ein paar schüsse machen können. ich weiß gar nichts darüber, was bei bärenmüttern im umfeld zu tun ist, aber es scheint mir dann doch besser, einfach das komplette umfeld zu verlassen, obwohl die kinder jetzt am liebsten auf bärenfotojagd gehen würden, „schau mal mama, ich kann mir eine schleuder machen“ – mir war das nah genug.
die riesige tarantel, die wir auf dem rückweg ins motel noch aus nächster nähe begucken können, fällt da kaum noch ins gewicht. jemand erzählt uns, dass es im park ca. 300 wildlebende schwarzbären gibt. dreihundert. dankbarkeit.
Ich liiiiiebe Ihre Reiseberichte – man müßte Sie per Stipendium das ganze Jahr irgendwohin schicken!
REPLY:
super restlebensentwurf! bin dabei.
»You’ll walk taller when you’ve walked beneath the sequoias.« Die Postkarte habe ich immer noch irgendwo. So eine schöne Idee, das Wachsen aus der Bewegung.
Und dann Jack London lesen, Valley of the Moon.
REPLY:
… aus der bewegung und in der gesellschaft. es stimmt. valley of the moon ist jetzt auf dem kindle, vielen dank.
REPLY:
Die Idee gefällt mir. Freu mich schon auf Ihren nächsten USA-Bericht.
Bärenmutter trifft Bärenmutter, während sie beide ihre Jungen zusammenrufen. Hübsches Bild, so im Nachhinein.
die andere mutter war auf entpanntere weise überzeugend – aber sie hatte ja auch nur 2 junge. bei kindern wächst der aufwand ja doch eher exponentiell, sag ich mal so.
Die Idee gefällt mir. Freu mich schon auf Ihren nächsten USA-Bericht.
… und wenns jahre dauern sollte, ich bleib irgendwie dran.