lost and found/ …

wie ich im april morgens um halb 8 vor der freien volksbühne west anstand, um karten fürs theatertreffen zu ergattern, mit zeitung und thermoskanne. einmal war eine frau mit dabei, typ dame, drei grosse junge männer bei ihr, kurz phantasiert, wie ich das auch stehen werde in ein paar jahrzehnten, mit meinen söhnen. war ich 2001 schon wieder dabei, die zwillis grade ein paar wochen alt? ich hätte das gern, aber es ist unwahrscheinlich. die karten werden immer im april verkauft, ich hätte also entweder höchstschwanger oder als frisches kaiserschnittchen da stehen müssen. war aber jahrelang jedes jahr dabei. ein paar jahre lang gab es immer einen marthaler zu sehen, 2001 war es was ihr wollt, hab ich vielleicht später im jahr gesehen, marthaler/viebrock war mein liebstes theatergespann damals. der nächste shakespeare bei einem theatertreffen war ein titus andronicus, in der bearbeitung von heiner müller, das war glaube ich 2004, den habe ich sicher gesehen, da war ich schon wieder alleinerziehend. regie johan simons, münchner kammerspiele. dazwischen war ich bei noch einem, von der liebsten annette kuss inszeniert, ein sommernachtstraum in oberhausen, im herbst 2001 muss das gewesen sein, ich hab noch gestillt und musste auf dem trip zweieinhalb liter milch täglich abpumpen, das weiß ich noch, und an die merkwürdige monstermall in oberhausen erinnere ich mich auch noch gut. meine zeit als ubiquitäre premierentusse war aber schon mit den geburten abgeschlossen, gar nicht zwangsweise, es war einfach nicht mehr wichtig genug, um dafür stunden anzustehen und mich um karten zu kümmern. auf die theatertreffen bin ich aber gegangen, wann immer ich es einrichten konnte. nie bemüht, fürs theatertreffen zu bloggen, obwohl ich dafür eigentlich prädestiniert war, inzwischen traue ich mir so eine art kulturell relevantes schreiben gar nicht mehr zu. heut also wieder ein shakespeare, ich gehe mit dem großen ins berliner ensemble, um endlich den hamlet von haußmann zu sehen, mit christopher nell in der hauptrolle, den der grosse schon neulich als mephisto gesehen hat, im faust von wilson. er kommt mit, wäre aber wohl nicht fürchterlich traurig, wenn etwas dazwischenkäme. ich lege ihm den dicken und staubigen vierten band einer ddr-gesamtausgabe auf den bauch, 1989 erschienen, damit er sich, wenn er es will, ein bisschen einlesen kann, obwohl es nicht die schlegel-übersetzung ist, die haußmann verwendet. vielleicht hilft es für einen textflow heut abend schon, das buch auf dem bauch liegen zu haben, weil eine emotionale weiche auf grün gestellt wird? who knows.

ganz undramatisch ist der rituelle moment verloren gegangen, hatte ihn glaube ich als ein liebgewordenes symbolbild für ein selbstverständliches bildungsbürgerfamiliending im kopf, zwischen haben und sein, inszenierung und notwendigkeit. seit jahren muss man für die tt- karten nur noch einen zettel ausdrucken, ausfüllen und beim pförtner auf den stapel legen, das ist alles, gemeinsames frühmorgendliches stundenlanges anstehen ist nicht mehr notwendig. die macht der initiation kann jetzt nur noch das stück selber liefern, ohne aufwand. vielleicht genügt das ja auch, es wird der erste hamlet für den sohn, stress hatte er dafür keinen, er wird sogar hingefahren, weil ich frau ziebarth chauffieren möchte. so wird ihm nur das schlegelsche deutsch einige hürden liefern, aber die wird die inszenierung ebnen, sie wird mit tarrantino verglichen. den kennt und mag er sehr.

 

4 Gedanken zu „lost and found/ …“

  1. Ich versuche grad vergebens, mir meine Eltern im Theater vorzustellen, mit oder ohne mich. Geht nicht. Außer dem einen Meter Bertelsmann Buch des Monats gabs bei uns keine Literatur. Bewußtes Musikhören mußte ich mir selbst beibringen. Die einzigen Musikkonserven, die es bei uns gab, waren, für den ersten Kassettenrecorder, eine obskure Country&Western-, eine „Alte Rittersleut“ und eine Mozartkassette. Vom Grabbeltisch. Wenn mein Vater nicht doch 3 Kunstbücher über seine Lieblingsmaler gehabt hätte …

    Theater hab ich über die Schule kennengelernt, zuerst Aufführungen in unsrer Aula, dann Ausflug ins Stadttheater. Hat mich nie gefesselt.

    1. (blog ignoriert, kommentare ebenfalls. bitte um entschuldigung!) oha. meinst du, es waren die drei bücher? dein lesehunger und deine bibliothek sind doch eine logische folge aus deinem geist und wirken eher unvermeid- und unverhinderbar. und es ist alles deins, das finde ich cooler als das pflichtbewusste kulturelle bescheidwissen.

      elterliches mitschleifen schafft hoffentlich eine basis für die dinge, an denen die kids sonst kein interesse gehabt hätten, darum fördern wir modernen eltern ja gnadenlos alles, was ans licht kommt, damit sie, auch wenn ihnen per naturam nix am theater liegt, wenigstens mal in einem hamlet waren, oder ein paar sinfonien life gehört haben, etc.

      (es sind natürlich nicht die bücher oder nichtbücher. es ist die liebe dadrin, die den unterschied macht. ohne brauchts ein wunder.)

      1. Über elterliches Mitschleifen haben wir neulich auch diskutiert. Daß gerade wir zwei das Draußensein so verehren. Ich, aus dem Dorf kommend, umgeben von Wald und Berg und Kühen und Nichts, wo niemand auf die Idee gekommen wäre, das Draußen irgendwie zu fördern, weil es „eh da“ war. Und sie, von der Stadt in einen Vorort verpflanzt und dann mit dem ständigen Drang zurück dorthin aufgewachsen, in ihrer Pubertät irgendwann entdeckten die Eltern das Wandern und schleiften sie mit, was sie ganz furchtbar fand.
        Ich glaube ja, man kann es nicht richtig machen. Aber auch kaum so richtig verkehrt. Was raus muß, muß eh raus, und was reinkommt, hinterläßt immer Eindruck, und auch wenn das Mitschleifen auf Ablehnung stößt, dann wissen sie wenigstens, was sie nicht wollen. (Ich hab ja keine Kinder, bin stattdessen selbst noch Kind meiner Eltern, daher bin ich naiv und ahnungslos.)

        1. das glaube ich auch. und nein, nicht naiv!
          schönes beispiel mit den land/stadtmenschen, und mir geht es genau um dieses hängenbleiben, und wenn es für die stücke selbst noch zu früh ist in so einem teenagerkopp, dann vielleicht das lebendige, die stimmung, die pausen, der beifall, die verschiedenheit der leute auf der bühne … nell hatte das kind jedenfalls in seinem bann, beim hamlet mehr als beim faust. einer der zwillis weiß durchs mitschleifen jetzt genau, dass er die alte kunst in der gemäldegalerie gar nicht mag. zeit wirds zeigen.

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