schulwechsel

die zwillinge sind in der 6. grundschulklasse, beim diesmaligen lehrergespräch geht es hauptsächlich um die abläufe und bedingungen bei der wahl der weiterführenden schulen. bei den gesprächen mit den lehrerinnen der zwillinge gelernt, wie sich der schnitt errechnet, hauptfächer mal zwei, die anderen noten nur einfach, bis 2,2 unbedingte gymnasialempfehlung, bis 2,7 ermessensspielraum, „aber es ist schon eine grössere entscheidung, so einem schüler eine empfehlung zu geben“. beide lehrerinnen schreiben alle ausserschulischen aktivitäten mit auf die förderprognose, instrumente, sport („verein ist besser“), kirche und theater und what not, falls noch jemand grundschulkinder mit freizeit hat – füllt sie, denn man kann das nicht ganz aus dem blauen erfinden, die lehrer kennen ja die kids. es sind 3 zeilen dafür vorgesehen auf dem formular.*

gefreut über den davidzwillling, über den seine lehrerin lauter wunderbare dinge gesagt hat, er entwickelt sich, ist gut integriert, lernt eigenständig, lässt sich nicht ablenken, ist sozial und arbeitet mit, nur einser und zweier, als ich es ihm zuhause erzähle, fragt er erst ungläubig nach und strahlt dann sehr, und traut sich seitdem gelegentlich, seinen bruder zu verkloppen.

ich werde ihm erstmal nicht erzählen, dass er gegen hunde und katzen allergisch ist, wie heute erfahren, „häufig nicht gegen den eigenen hund“, sagt die arzthelferin am telefon, aber er soll den kontakt möglichst gering halten. well. nun gut, ich werde die weckprozedur morgens ändern (emma springt zu david ins bett und legt ihren kopf direkt neben seinen kopf) und sowieso, öfter mal neue herausforderungen! habe null lust auf google-exegesen, lieber eine schön bebilderte broschüre vom arzt mit do this und don’t do that.

zurück zum thema schule und berlin: mit dem englischen ist es an ihrer grundschule so, dass die englischlehrerin der zwillinge erst drei wochen und dann nochmal 4 wochen krank war, und es berlintypisch mit der krankheitsvertretung gar nicht geklappt hat. es gab keine. der unterricht ist einfach ausgefallen, weil sich dummerweise auch keine eltern fanden, die zeit und staatsexamen zur verfügung hatten. nach den ersten wochen kam die lehrerin eine woche wieder, lang genug, um eine arbeit schreiben zu lassen, bei der die noten sehr lala waren, dann verschwand sie aufs neue, um einen monat später wieder aufzutauchen, rechtzeitig für die klausuren. die noten in englisch werden auch zweifach gezählt, „unter vorbehalt“ wollen sie nicht dazuschreiben, ich hab gefragt, „schreiben sie doch dem senat, wir können da nichts machen“, heisst es.

das ist berlintypisch, glaube ich, menefreghismo auf jeder amtsebene. aber die verantwortung für den bildungsstand der kinder ist in D höher als in anderen ländern**, und man verliert jahre, bis man das bemerkt. sollte mit auf die infoblätter vom senat: vertrauen sie der schule ihrer kinder nicht. es liegt nicht an den lehrern, die bis auf zwei ausnahmen alle in ordnung waren, es liegt an der erschreckenden unsicherheit des systems über sich selber, glaube ich, und dass höchstes engagement für die bildung keine selbstverständlichkeit ist. vielleicht geht es in den köpfen der entscheider auch um standesdünkel? ein undurchlässiges system schützt ja auch diejenigen, die aufgrund des sozialstatus ihrer eltern eine gute bildung genossen haben, und macht scheint sehr schnell ins wertsystem der machthabenden hineinzusublimieren. ich habe inzwischen gelernt, dass die vielen pädagogischen gründe für schulreformen nur fassade sind und es meistens nur um eine anpassung an löcher in der haushaltskasse geht, dass also der pädagogische nutzen nur sekundär, der finanzielle dagegen hauptausschlaggebend für neue ideen ist, das sagt einem natürlich keiner, kein lehrer, kein schuldirektor, kein senator. mein großer, 8. klasse, hat in seinen schuljahren mehrere große reformen über sich ergehen lassen müssen, das jahrgangsübergreifende lernen fing in seiner ersten klasse an (soll jetzt wieder abgeschafft werden), oder die reduktion auf zwei schularten (haupt+ realschulen abgeschafft, ex-haupt- mit den ex-realschülern in sog. sekundarschulen) ohne änderung der abschlüsse (die wurden nur unbenannt, realschulabschluss heisst jetzt msa, beim hauptschulabschluss ist ihnen die lust ausgegangen, der heisst jetzt berufsbildungsreife) und natürlich ohne änderung der kinder, die genauso unterschiedlich gestrickt sind wie zuvor. es ist bestimmt nur ein zufall, das jedes modell weniger kostet als das vorherige, die klassen größer, der lernstoff mehr und die schulzeit immer kürzer wird. laut bildungsbericht tabelle b1 sind die berliner ausgaben von 2000 bis 2009 von 5,2 auf 5,0% des bip gesunken, da muss man schon sagen: viel schaden für son bisschen ersparnis. europaweit ist deutschland sowieso eine peinliche niete.

und wer musses ausbaden? ich! in berlin außer den schülern immerhin auch die eltern.

 

* und dass die versorgung der kids mit all diesen extras den familien leichterfällt, die die finanziellen und logistischen mittel (zeit! üben, bringen, kuchenbacken) dafür haben – na wie praktisch, noch ein easy zu habendes distinktionsmerkmal.

** heute irgendo was über eine studie darüber gelesen, aber wo? aber wo?

s***l

die winterstiefel, die ich haben wollte, habe ich über google bei einem holländischen onlineladen gefunden, als restpaar sehr herabgesetzt. es gab keinen hinweis darauf, dass sie auch ins ausland liefern, deshalb habe ich eine mail hingeschickt, die sofort, noch am sonntag, beantwortet wurde. keine automatische antwort, sondern eine persönliche und gutgelaunte, die schreiberin hat dann nachgesehen, ob es die schuhe noch gibt, hat sie mir reserviert und gestern kamen sie an, mit handschriftlichem adressaufkleber, wie für ein glas selbstgemachte marmelade. die eigentümerin ist auch kinderbuchillustratorin, wenn ich das holländische richtig errate (es wirkt immer so charmant, wo das deutsch eher hart und krächzig klingt). i’m intrigued,  und ich mag den ins netz gezogenen kleinen laden um die ecke, wo man noch ein bisschen mit der inhaberin plaudern kann. ich wünsche ihr erfolg, aber nicht zuviel erfolg  – möge ihr zeit bleiben für etiketten und anderes.

(der nachteil beim schuhkauf in  virtuellen läden: man wird nachher zugespamt mit werbebildchen der gesuchten schuhmarke, auf jeder besuchten öffentlichen seite. das aufwändige säubern der cookies ist ein ärgernis, das man bei der zeitersparnis durch den online-kauf mit einplanen muss, wie die schnaken bei dämmerung fallen sie über meinen browser her. die schuhfirma erscheint mir jetzt als weltherrscher, da ich sie über- und überall vorfinde. stalkertum ist eine belästigung, tatsächlich finde ich diese werbe-programmierer vor allem unerzogen, aber hey, ich weiss, ich weiss. und meine illusion, ich hätte einen zumindest eigenartigen geschmack, hat sich  auch restlos erledigt.)

herr x geht weiter

(bild gehandyknipst auf der abc 2012, künstler)

es gibt da wen, der mir aufgefallen ist, ist das nicht nett? er ist groß und vollbärtig und sein haar ist leicht zerzaust, auf eine nicht-hipster-art. ich begegne ihm immer beim joggen, und zwar auf dem heimweg, wenn es mit der coolness vorbei ist. er grüsst mich inzwischen, wahrscheinlich kennt er meine doppelgängerin hier im bezirk, die mir zum verwechseln ähnlich sieht, also für männeraugen: braune haare und brille. ich könnte ein taschentuch fallenlassen! habe aber kein sauberes mehr nach dem laufen. elegant stolpern? ihn nach dem weg fragen, oder ist charmantes fake-unwissen nicht mehr in? ach ach, wenn ich ihn mir aus der nähe ansehen kann, wird mir sein zartes alter und sein ehering auffallen höchstwahrscheinlich.

 

totensonntag

anfang oktober ein besuch beim vater auf dem friedhof am see. meine mutter und die kinder sind dabei, der grosse hat etwas mitgebracht, das er unter den kies legt, meine mutter hat heidekraut dabei, die zwillinge zupfen unkraut und pflanzen die kleinen töpfchen ein. ich sehe auf das jahr, 2003, weil ich immer wieder vergesse, wie lang genau er schon da liegt. der grosse holt die giesskanne und füllt sie mit wasser, die zwillis finden ein plätzchen für die zweite pflanze, direkt auf vaters brust, meine mutter freut sich über das engagement der jungs. die kinder mögen diese kleinen rituale, sie schaffen eine beziehung zu dem opa, an den sie sich kaum erinnern können, auch mir helfen sie, über meine fehlende trauer. ich halte mich trotzdem vornehm zurück und vermeide es, das grab anzufassen. den kindern tun die familienbande gut, sie mögen das sehr, die fäden, an denen sie hängen können in zeit und raum, es ist ihnen wurscht, dass dieses zuhause in italien liegt, es könnte ebensogut bayern oder rumänien oder der hamburger raum sein, andere orte mit familie und mit gräbern, italien ist noch nichts, was die coolness erhöhen kann. ich erinner heut noch den  typen auf einer party im mauerberlin, der mir auf irgendeine italienstory sehr entschieden entgegnete, das könne niemand so gut wissen wie er, er habe nämlich da gelebt. danach habe ich aufgehört, meine italienische jugend ständig zu erwähnen.

in berlin hatte die familie meiner großmutter väterlicherseits eine apotheke und diese großmutter hat an der tu berlin ingenieurswissenschaften studiert, „immerhin“, wie alle sagen, aber sie hat dann in die ferne geheiratet, und die beziehungen zum berliner teil der familie haben wir nie intensivieren können, bis auf die freundlichen fraternisierungen auf den beerdigungen, „ach du bist…? melde dich doch mal“, schade eigentlich, ein pfarrer, ein apotheker, es hätte bestimmt jede menge geschichten gegeben.

meine mutter bedauert, dass mein vater die größer werdenden enkel nicht mehr erleben konnte, mir fällt da nur ein, wie er bei den wenigen besuchen sofort das zimmer verlassen hatte, wenn eins der kinder anfing zu weinen. er ist gestorben, bevor er die zwillinge auseinanderhalten konnte, er hat seine ganzen enkel immer mit freundlicher reservierung betrachtet, ich weiß nicht, ob sie wesentlicher bestandteil seines lebens waren, nicht seines sozialen handeln jedenfalls, soweit ich mich erinnern kann.

auf seinem friedhof liegt er nicht alleine, es sind viele deutsche dort, mein vater kannte sie teilweise seit seiner schulzeit in rom. ich kenne viele der namen, fäustle, leupold, konig, battisti, ich weiß sogar, ob ich die leute mochte oder nicht, und wie gut mein vater sie kannte. meine mutter erzählt den jungs, dass sie auch „einmal“ dort liegen wird, david guckt sie sehr missstrauisch an, als ob sie vorhätte, jetzt gleich zu sterben, dann sagt er „ich werde auch mal unter der erde liegen“. „jo“ sagt sein zwilling, „wir alle“ sage ich, ohne lust auf trost und gerede, „aber nicht hier“, das sage ich aber nicht. die jungs galoppern herum und laufen zurück zum auto, nach ein paar metern richtung parkplatz streiten sie schon wieder, wer jetzt ganz hinten beim hund sitzen darf. ich versuche, die schräge zugehörigkeit zu diesem ort abzuschütteln, den geruch nach nasser erde und die erinnerung an lange verregnete nachmittage dort am see, meine kinderzeit, die ziemlich fest verbuddelt liegt untern den vielen lauten und quirligen sommern am lago mit meinen kindern und mit freunden. das zuhausegefühl, wie ein alter muffiger pullover, in dem man sich nie zeigen wird. eine angebotene dicke edle ralph-lauren-strickjacke am see gelassen, weil der große meinte, ich sähe darin aus wie ein vollöko „im sack“. er hatte recht. nur weil ich die toten kenne, diese leben nicht weniger vorbei als meine kindheit (dieser eine superstarke traum bei der therapie, in dem ich meinem therapeuten sagen sollte, ich hätte jemanden umgebracht, definitiv umgebracht). abends zeigen mir die kinder auf dem handy einen riesigen stapel zombies, den sie bei „pflanzen vs zombies“ erledigt haben, lob ich sie natürlich. tote zombies, gute zombies.

auf dem friedhof und abends mit kindern, hund und grossmutter am tisch und später vorm tv: das fiese leise ätsch-gefühl, eher vom körper als vom kopf kommend: wir leben und machen nur so seltene besuche an deinem schiefergrabstein, aber du liegst da für immer und ewig, oder solange der vertrag eben geht. und jetzt einen grappa.

 

adams–zweig

kind hat im kino die vorschau für „schiffbruch mit tiger“ gesehen. ich brauche ewig, um das buch für ihn im regal zu finden, ich habe die bücher immerhin einmal geordnet, bei einzug, das sind 14 jahre entropie. sowas dauert doch wochen, mit festlesen, aussortieren, erinnertes nicht wiederfinden. klassisches herbstvorhaben, vorräte neuordnen, vs. dem ausmisten im frühjahr. ich brauche immer ein paar sekunden, um mich vom alphabetaren system zu lösen, dann suche ich ein weilchen still und unverdrossen nach den kindersystemen verlag-farbe-größe-bett?-wann gelesen, bis dann langsam andere, nicht gut steurer- oder formulierbare erinnerungen aufblinken, die zu einem gefühl führen, wo das buch stehen könnte. bis ich diesem gefühl vertraue und es ins bewusstsein lasse, das ist die suchzeit.

*

„glaube liebe hoffnung“ in der volksbühne gesehen, zum ersten mal ungeduldig geworden, als der abend immer wieder in stille und einem mehrfach gebrochenen, also akustisch gebrochenen, musikkauderwelsch stehenbleibt. das stück wird mehrfach aufgeführt an einem abend, die szenen dabei direkt nacheinander wiederholt, mit zwei elisabeths gespielt. ich mag das stück sowieso nicht allzusehr, es ist zu statuarisch, bleibt pamphlet, es ist mir zu klar, die figuren brauchen gar keine entwicklung, sie rutschen exemplarisch die geröllhalde runter und landen im sumpf, außer der frau, die landet im wasser. die handlung ist wie in einem boulevard-schicksal aufs wesentlichste reduziert, es ist wie ein plakat von staeck, blablubb, aber natürlich ist es aktuell und präzise, und wenn ich so ein weilchen drüber nachdenke, dann hat marthaler die figuren vergößert und ihre niederlagen irgendwie absolut gesetzt, durch diese verlangsamung und die wiederholungen. man hätte natürlich auch einfach ein paar sätze hinschreiben können auf die bühne, das wäre dann der nächste schritt, der verzicht aufs schauspiel, weil die wahrheit woanders passiert, die ganze zeit passiert, das theater macht den blick frei auf die welt, und zwar sozusagen ganz frei. mäh, bin unterzuckert. schöne stelle: wo die beiden elisabeths ganz leise und wie aus der ferne kommend wer hat dich so geschlagen aus der MP singen.

(hier:)

aber ich hatte während der inszenierung zuviel zeit zum nachdenken über die inszenierung,  zuviel raum. ich bin ein kind meiner zeit, jede minute stille fülle ich mit dem inner stream, leere gibt es nur in ganz seltenen momenten totaler selbstidentität.  wenn man mit dem meditieren beginnt, hat freund a. von einem workshop in indien erzählt, und du eigentlich deinen kopf  befreien solltest, ihn ganz leer bekommen willst, dann kommen stundenlang gedankenketten nach oben. ich sollte noch ein paar mal reingehen, glaube ich, ich könnt mir vorstellen, der abend erlangt dann eine wucht.

im bücherstapel an der regalaußenseite im wohnzimmer: römische satiren. darin wollte ich zufällig eine stelle finden und habe bei persius begonnen, liest sich wie von google übersetzt:

Opfre dein Ich dem Gewinn, treib Handel, erstöbre mit Scharfblick
jegliche Seite der Welt, daß ja kein anderer geschickter
patsch auf hartem Gerüste den Speck kappadokischer Sklaven;
dopple das Gut! „Ich tat’s; schon dreifach kehrt es mir, vierfach,
zehnfach schon in den Beutel zurück; steck ab, wo ich ruhn soll!“

kappadokien.

ich wollte heute bei horaz, dem klaren, nach einem weniger drolligen vers suchen, aber das buch ist schon wieder auf die reise gegangen.

luft

rückfall in alte mutterhuhn-reflexe, wenn einer der mäuseriche im krankenhaus liegt. davidzwilling hatte einen schlimmen asthaanfall und hat keine luft mehr gekriegt, sie haben ihn gleich dabehalten, erst nur für eine nacht, jetzt für eine woche, seine sättigung war bei 88, geht inzwischen aber kontinuierlich nach oben, und das virchow hat eine referenzabteilung für kinderpneumologie, der vorteil einer großstadt. er sieht klein und dünn aus in seinem bett, legt mir aber inzwischen abends nahe, doch nach hause zu gehen, er tut das genau so, nicht laut, nicht fordernd, ein leises „mama, du kannst jetzt ruhig gehen, mir geht es gut“, und versucht sein grinsen zu verbergen, wenn ich frage, ob er lieber tv gucken möchte. am telefon mit dem gregorzwilling gewinnt er inzwischen, weil er länger da ist, länger am tropf hängt und eine sauerstoffmaske tragen muss. gregor sagt dann „aber ich hatte schmerzen!“ und david meint, zu recht, atmen sei wichtiger.

 

alle 4 jahre gucke ich west wing

bevor ich allzu spontan die staffeln 1-7 von west wing auf deutsch runterlade, für die jungs in ein paar jahren, weil es die grad für 69€ auf itunes gibt – schaue ich nochmal kurz in meine dvds auf englisch, dachte ich. dann kommt „this is bad on so many levels“ und ich bin wieder am haken.

bei der cd war es auch so, dass ich nach ein paar jahren die eine oder andere platte neu nachgekauft habe. ich habe schon filme als daten nachgekauft, weil ich sie nur auf video hatte, cannery row zum beispiel, den ich den kindern im hotelbett in san francisco gezeigt habe, bevor wir nach monterey weitergefahren sind. jetzt erscheint es mir noch ein bisschen dämlicher, digital zu digital? die kleine, sich altmodisch und albern anfühlende empörung darüber, dass der erwerb so einfach und schwellenfrei möglich ist, andererseits habe ich diverse laufwerke voll mit literatur von autoren, die seit >70 jahren tot sind. ich fand die zeit sehr gut angelegt, die ich fürs hingehen, suchen, entscheiden und bezahlen und nach hause schleppen kultureller erzegnisse angesetzt habe, ich finde es blöd, dass ich diese zeit jetzt mit anderen dingen füllen muss, die ungleich sinnloser sein werden. egal was der zeitökonom dazu zu meinen glaubt. effizienz sollte ein schimpfwort sein, eine beleidigung und reduktion von lebensqualität auf ein reproduzierbares und übersetzbares mass, das außer einem mass eben NICHTS ist. es sind natürlich keine vollen laufwerke. die bindung an diese e-bücher  ist ein bisschen arm an biographischen ornamenten, die gründe für diesen oder jenen kauf liegen viel häufiger im zufälligen, kaum geschichten darüber, wie, wann oder warum ich sie gekauft habe, wobei nein, das stimmt auch nicht ganz, „capital“ hab ich im california zephyr gelesen, mit blick auf rockies und so weiter, das weiß ich schon noch. trotzdem habe ich vieles nur deshalb geladen, (ich wollte erst schreiben: wurde vieles nur deshalb geladen, weil es sich so passiv anfühlt, die ausblendung privater gründe im zuge der welteroberung der werbewirtschaft) weil ich im schwung auch die nächsten autoren im alphabet noch angeklickt habe, und weil natürlich die römische geschichte in jeder lebenslage ein guter begleiter ist.

 

fail

diese art niederlagen, die man von weit weg kommen sieht, wie eine tür, durch die ich nicht gehen sollte, ich kann weitergehen, mich vorbereiten, über motive, strategien und über die lage im kopf meines sohnes nachdenken, bevor ich mein vorhaben mit schmackes in den sand setze, weil das will ich ja nicht, ich will, dass es ihm gut geht. ich weiß auch noch gar nichts über die gründe der lehrerin, die zu einer anderen schule rät, keinem gymnasium, weil da zieht es jetzt an, und da sieht sie den großen nicht so, ich weiß nicht, wie sie generell über das losverfahren zur schulaufnahme denkt, ob sie vielleicht den klassenschnitt heben möchte, um ihre pläne für subventionierte klassenfahrten nach england doch noch – ob sie keine lust auf störungen hat durch mein  dauernd „und was jetzt“-fragendes kind, es stört die anderen, meint sie, oder will sie aus privatpsychologischen gründen keinen schüler, der nicht besser wird in ihrem fach, obwohl sie sich mühe gibt – blablubb, ich merke schon beim grübeln, wie ich das naheliegende lieber nicht denke: erfahrene lehrerin will ein kind vor seinen ehrgeizigen eltern schützen und vor dauernden schulischen misserfolgen.

der vater teilt die meinung der lehrerin.

jetzt ist aber gerade mein kind to-tal glücklich in seiner klasse, er hängt jeden tag stunden am telefon, er schätzt auch seine leistungen als eigentlich in ordnung ein, mein sohn hüpft morgens singend aus dem haus –

ich dachte dann, naja, phh, ich werde ihm etwas gegen seine konzentrationsschwäche anbieten, er ist ein LRS-kind, ergotherapie kann helfen, ich kann die und die und die eltern und therapeuten mal anrufen, es wird sich was finden, ein nachhilfelehrer, sowas. der gedanke daran, ein in der schule glückliches kind in eine fremde schule zu tun, bricht mir das herz.

und was mache ich?

ich sage ihm beim abendessen, vor den brüdern, und höre mir dabei zu, er müsse sich in der schule deutlich mehr anstrengen, er könne aber ebensogut auf ein sekundarschule (berliner murks, oder gibts das auch anderswo?), dort habe er 13 jahre zeit bis zum abi, der unterricht sei leichter.

einem 13-jährigen.

er sagt mir „na danke, du willst, dass ich penner werde? ich bin nur in ein paar fächern schlecht.“

ich sage noch, bevor nicht mehr mein überich sein spitzes bitteres lied singt, sondern wieder die frau drumrum:  in mathe, deutsch, englisch und französich.

er sagt „na eben, nur ein paar.“

dann sagt er, das verhältnis zwischen tomaten und fleisch im chili sei heute echt nicht gelungen, steht auf und verlässt die küche. jetzt ist er still und will selbstverständlich nichts mehr hören von mir.

dieser verbratene bullshit ist schon ein zeichen für einen gewissenen inneren stress, und naja, es fehlt jemand, der mir dann einfach blitzschnell übers maul fährt und das texten übernimmt. sonst mache ich das selber, ich kenne mich ja, aber ich bin müde heute, und mein kopf ist zu laut.

 

 

das rennrad

ich gehöre eindeutig zur radfraktion und bin meinem rad treuer als jedem mann – meines ist ein grosses schwarzes manufaktur-herrenrad, vom vater zum 30. geschenkt („was wünscht du dir?? haha.“), naben- und kettenschaltung, 17 jahre alter brookssattel (schon mal auf einen vor sehr kurzer zeit gefetteten ledersattel gesetzt, im nichtschwarzen tangokleidchen? man merkt es nicht selber, beim tanzen. nur einmal passiert.), 3. satz ritzel, x-te kette, 2. lenker, sogar die pedalen sind nicht mehr original, warum, hab ich vergessen, ach ja, die lager waren durch. viele macken im lack, kein rost = echte liebe. ich kenne das gefühl, wenn bei schnee der hinterreifen abgeht und weiss, dass man merkwürdigerweise auch auf eis noch fahren kann, auch wenn es sich total unterzuckert anfühlt, ich fahre sommers und winters, mit hohen und flachen schuhen und barfuss, in zu engen röcken, in zu kurzen nicht mehr, ich kenne den inhaber meines wunderbaren fahrradladens persönlich und weiss, wo er vorher gearbeitet hat, nämlich in dem laden, der mir das manufakturrad verkauft hat. wenn ich von irgendwo zurückkomme, freue ich mich auf die erste fahrt fast mehr als auf wohnung, blumen und bücher, ich kann die libidinösen beziehungen mancher männer zu ihren rädern also durchaus nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht teilen kann, ich hätte ein bisschen lieber die echte sache.

(seufz. seit wieder ein hund im haus lebt, mache ich zuviel zu fuss oder mit dem auto, weil bei ausflügen wieder das ziel das ziel ist und nicht der weg, wie bei radtouren. einziger grund gegen hunde.)

dann

[das fortschreiten der zeit, der lauf der dinge, ein gewisser überrest meiner unzufriedenheit mit dem altern, der kleine futility-revoluzzerpups bei all dem sich-fügen-müssen, die paar teilbereiche des lebens, bei denen änderungen unwahrscheinlicher werden (wie die vorstellungskraft mit den jahren klobig und träge wird, ich muss sie warmlaufen lassen, antreten wie ein altes moped) die ehrlichkeit, dieses eine, strahlend schöne + superperfekt aufgemotzte uralte rennrad mit kindersitz neulich am helmi und schliesslich die grossartige bezahlbarkeit von det janze, im vergleich zu einem carman ghia oder auch nur einem alten käfercabrio, die ich nachwievor lieber hätte]

habe ich einen abend statt nach zeug, büchern oder filmen nach rädern gesucht.  normalerweise gehen so jieper-artige bedürfnisse ja schnell wieder weg, wenn man nicht danach handelt, also nur guckt & träumt, wie in beziehungen, aber ich hab in zu kurzer zeit eins gefunden, nämlich in 10 minuten. in mailand, wo ich eh hinmusste – wollte, jetzt musste ich hin, denn ich hatte ein rennrad unter hundert euro gekauft, also noch kostete es darüber, aber mir würden schon argumente einfallen. eins von der sorte, das niemals außergewöhnlich war und trotzdem schon über 35 jahre auf dem buckel hat. aber die farbe! ein bianchi, was sonst. sattel hat löcher, alte  sachs-schaltung, pedalen sehen aus wie selbstgemacht. muss ich schnell fahren, dann sieht keiner die ollen teile.

ich fuhr also vom see nach mailand rein, lief über die via paolo sarpi, die sehr chinatown ist, ein billigladen nach dem anderen, chinesische zeichen oben, italienische drunter, keine touris. mailand war grosstädtisch und lichtjahre von den achtzigern und von meinen erinnerungen entfernt, mein rad stand in einer kleinen vollen bar an die wand gelehnt, der verkäufer war einer der barbetreiber, jung, tätowiert, freundlich, alle seine kumpels drumrum. ich hob das rad mal vorne, mal hinten und liess es fallen, schaute auf rahmen und schaltung – kaufte ohne weiteres handeln und schob mein neues altes plattes rennrad zum auto, ein bisschen uncooler, als ich es sein sollte mit so einem rad.

mein berliner gast, freund a. war dann, in großer serendipity, ein erfahrener fachmann in der renovierung alter und sehr alter fahrräder, mit ihm habe ich in ein paar stunden das rad entrostet und geputzt, die lager neu gefettet, reifen erneuert und den rest eingestellt. keine ahnung, warum so etwas sonst wochen dauert. es glänzt jetzt wieder, ich habe, ebenfalls im italienischen ebay, einen sattel aus den siebzigern für nix gekauft, auf eine neue alte campagnolo-schaltung warte ich noch.

freund a. war verwundert darüber, wie wenig oldtimer hier herumfahren, räder aus den 30er bis 70er-jahren sieht man nur als traurige schrottesel, und nicht als die wunderbaren prestigeobjekte, die man aus ihnen herstellen kann. oder kommt die mode noch? gerade für großstädter ist es eigentlich ein gesunder und umweltgerechter zugang zum oldtimerwesen, und mit dieser uralten genialen hilfe-reihe schafft man die reparatur und renovierung ohne weiteres alleine. das polieren von alten speichen ist eine sehr stupide und sehr befriedigende tätigkeit, und man macht es ja pro rad höchstens ein paar mal im leben.

ich stell das mal online, obwohl die geschichte und das rad noch nicht fertig sind – bei der gangschaltung sitzt die feder nicht mehr richtig und rutscht immer raus, und der sattelverkäufer schickt erst montag, weil der postangestellte letzte woche krank war. die schalthebel für 5 euro sollten 40 euro versand kosten, der verkäufer meinte dazu: „Ja, aber sonst müsste ich den Preis erhöhen.“, eine betörende logik. die jagd dauert also noch eine weile.

 

wie spät ist es

ehrlichgesagt weiss ich es auch nicht. plötzlich will nichts mehr reden, ich atme aus, das licht wird schräg mit dieser blendenden tiefstehenden wintersonne, schöne eindrücke, 1000mal gesehen, ich sehe die langeweile, ich begrüße sie freundlich wie den ersten yogitee des jahres, hello again, und habe meine sonnenbrille immer dabei. zeitung lesen, aufräumen, schränke leeren, wie eine vorbereitung. ich versuche jeden tag, ein paar dinge zu erreichen, aber die sind meistens schon woanders und kennen mich gar nicht, also denke ich über meine pflanzen nach oder über den total ungezogenen hund einer freundin. nichts geht tiefer, vor allem meine sätze bleiben weit über dem horizont und vermeiden relevanz. nur oberfläche geht, nach jedem dritten gedanken kommt eine wand und es wird dunkel, ich drehe ab und bleibe im licht, es stört mich nicht mal, die welt hier oben ist ja groß genug. da ist was untergetaucht und nicht mehr erreichbar, aber ich esse dann einfach ein stück schokolade und habe es schon vergessen, was da war.