dass ich dieses buch gelesen habe, verdankt sich vermutlich seiner bewegten entstehungsgeschichte. der erste entwurf wurde von d’arrigo im jahr 1961 bei seinem verleger abgegeben, für die korrektur der fahnen hatte er selber 14 tage veranschlagt, es hat aber tatsächlich 15 jahre gedauert, gefüllt mit intensivster arbeit an einem roman, der seit der veröffentlichung einiger kapitel daraus in der literaturzeitschrift menabò als italienischer uliysses angekündigt worden war. (vgl. hier, worin man außerdem erfährt, dass d’arrigo im film accattone einen auftritt hatte.)
Da chi ebbe modo di frequentarlo in quegli anni egli è ricordato come un uomo totalmente posseduto dal demone dell’arte e dedito notte e giorno, anche a costo della salute, a uno sforzo creativo rivolto soprattutto all’invenzione di una lingua inaudita che affondasse le sue radici ultime nel magma delle numerose lingue (dilalettali e non) di cui lo Stretto di Messina è stato punto d’incontro e di filtraggio. (von hier)
mein vater war als deutscher in rom aufgewachsen, er war seit jugendzeiten sehr kulturbeflissen und war auf eine verbindliche art zuhause in der deutschen literatur, konnte den faust rezitieren, liebte thomas mann, sammelte zeitlebens erstausgaben von goethe bis musil, etwa die klassiker bis ende der sechzigerjahre, max frisch schon, ingeborg bachmann nein. ich denke, das versprechen eines jahrhundertromans hat ihn so schnell in den buchladen gebracht, etwas bleibendes mit einem gewissen wertversprechen. ich weiß nicht, ob auch neugierde auf den text dabei war, es fanden sich in seiner ganzen umfangreichen bibliothek wenig italienische autoren, malaparte, manzoni in übersetzungen, die ergiebigen roten reiseführer. d’arrigo jedenfalls war das einzige italienische buch in seiner sammlung.
1975 war ich zehn, mein italienisch war 3 jahre alt, ich las hanni und nanni und die fünf freunde, den topolino zum italienisch lernen, und asterixe aus deutschland. anfang der achtziger hab ich damit begonnen, nach richtigen büchern zu suchen, vor allem italienische, schon weil das ein ort war, zu dem meine eltern nicht wollten, und bin dabei auch auf den dicken mondadori-band gestossen, fasziniert und schnell auch frustriert, weil ich so wenig davon verstehen konnte, es schien darin aber auch um eine andere art des verstehens zu gehen, eine, die nicht nur nach vorne will, sondern auch in die tiefe, der orte, personen und handlung gleichwichtig sind. schon die onomatopoetik des buches, vielleicht der grund für die vielen ausflüge in die etymologie, oder ist sie nur beiwerk? die blanke überforderung, wenn man nichtsahnend in den text fällt. ich habs wieder beiseite gelegt, aber die faszination ist geblieben, der roman begleitet mich beständig, es ist wie die lust auf ein bestimmtes musikstück, und ist genauso unersetzbar. d’arrigos sprache hat einen unverwechselbaren und elaborierten klang, eine mischung von pärt, schubert und wagner, in seiner andersweltlichen intensität.
über die jahre sind so immer mal wieder 50 oder 100 seiten dazugekommen, richtig damit befasst habe ich mich erst, als ich die bücher nach dem tod meines vaters hier in berlin hatte. ich wusste, das moshe kahn daran sass, hab bei ihm sogar mal nachgefragt, als ich den roman kurz als magisterthema in erwägung zog, in absoluter selbstüberschätzung, die übersetzung schien auf ewig ein work in progress, beim verleger ernst amman, und jetzt bei s. fischer.
und jetzt ist sie übersetzung tatsächlich vollendet, es ist ein lebens- und meisterwerk, und ich glückspilz hab den newsletter nicht gleich weggeclickt, sondern gelesen, mich angemeldet (bis auf den letzten platz voll) und bin hingegangen. kahn hat neologismen erfunden, 7- bis 800, hat er gesagt (im original sind es wohl 2-3000), er ist bis ins frühneuhochdeutsche zurückgegangen, um passende vokabeln zu finden, hat sich in dialekte und alte kulturtechniken vertieft, er wollte die musikalität erhalten, hat er gesagt, ein ernster mann mit druckreifer rede.
es ist die erste übersetzung des romans, 40 jahre nach erstveröffentlichung, eine französische ist wohl in arbeit, ich bin gespannt, ob das buch gelesen wird, hoffe es, glaube aber nicht daran. zu anders.
die ersten sätze auf italienisch und deutsch:
Il sole tramontò quattro volte sul suo viaggio e alla fine del quarto giorno, che era il quattro di ottobre del millenovecentoquarantatre, il marinaio, nocchiero semplice della fu regia Marina ‚Ndrja Cambrìa arrivò al paese delle Femmine, sui mari dello scill’e cariddi.
Die Sonne ging auf seiner Reise viermal unter, und am Ende des vierten Tags, welcher der vierte Oktober neunzehnhundertdreiundvierzig war, erreichte der Matrose ‚Ndrja Cambrìa, einfacher Oberbootsmann der ehemaligen Königlichen Marine, den Landstrich der Femminoten an den Meeren zwischen Skylla und Charybdis.
auf youtube: „Teaser ‚Horcynus Orca von Stefano D’Arrigo und die deutsche Übersetzung von Moshe Kahn‚“, kahn liest dort ein paar sätze. vom dezember 2014.
eine schöne rezension im tagesspiegel.
Oh oh oh! Darf ich kommen und es anschauen? Ich hab doch eine Schwäche für solche monumentalen Randerscheinungen. (Ich erzähl dir dann auch von den 25 kg Büchern, die ich vor 2 Wochen in einem Lagerraum abgestaubt hab.)
jederzeit! dir würde ich es sogar ausleihen. (ich war beim signieren immer noch so beeindruckt von dem mann, dass ich meinen ganzen vornamen angegeben habe, mit dem mich sonst nur mein exmann anredet.)