alte welten

beim bücherlüften mal wieder das kleinste und älteste hervorgeholt, ein kleines taschenbuch in pergament, sehr charmant.

kleines, in pergament gebundenes altes buch auf einem glastich

es enthält eine ausgabe der fünf erhaltenen bände des geschichtsschreibers polybios*, leider in einer schriftgröße, die vielleicht bis zum alter von ca. 29 lesbar ist, mit ich glaube einem nachwort von wolfgang musculus, einem pfarrer und reformator mit bewegtem leben. vielleicht hat der den band auch veröffentlicht? das buch ist noch zu musculus‘ lebzeiten erschienen, 1554.

titelseite der historie von pol<bios in einer ausgabe aus dem 16. jh.

ich habe anstandshalber eine übersetzung besorgt (ups. ich habs für die hälfte gekauft. es gibt aber auch ein reclambändchen für paar euro), die ich nie lesen werde, lieber mal wieder den mommsen nicht lesen, der ist immerhin ein bisschen frischer.

im einband steht handschriftlich „quod mortale fuit posita requieris in urna“ oder so ähnlich, was sterblich ist, bleibt in der urne, und dann geht es weiter mit „spiritus afora vanet“, der geist verschwindet im draussen, bei der letzten zeile brauch ich hilfe: gimnasiaretu rufus oder so, google sagt „rothaarige im fitnessstudio“.

innerer einband eines alten buches, darin erkennbar ein paar handschriftliche zeilen

vielleicht ist die form von gimnasiare rumänisch und das buch stammt vom siebenbürger teil der vaterfamilie? da war ein prof für ur- und frühgeschichte dabei, allerdings mit schwerpunkt rumänien.

nichts bleibt. so ähnlich geht es mir auch oft in dieser jahreszeit, es ist allgemeingültig, aber dieses buch setzt dem schon was entgegen, not?

der autor hatte ein sehr aufregendes leben, er hat von 200 bis 120 oder 117 v. ch. gelebt, geboren in megalopoli in arkadien, griechenland (wie aus einem superhelden-epos), hatte als sohn eines anführers des achaiischen bundes politische ambitionen, er wäre wohl fast als hipparchus, eine art offizier der achaiischen reiterei in den krieg gezogen, daraus wurde aber nichts (wikipedia), war 167 v. ch. einer von 1000 griechischen geiseln, die nach der niederlage griechenlands im dritten makedonischen krieg nach rom gebracht wurden. seine politische karriere wurde dadurch gestoppt, aber er hatte wohl auch so ein gutes leben, er wurde wegen seiner umfassenden bildung privatlehrer für die söhne des mannes, der den krieg in der entscheidenden schlacht gewonnen hatte. er blieb 17 jahre in rom und schrieb in der zeit seine historien, zug dann mit dem jüngeren der söhne, scipio aemilianus, in den dritten punischen krieg und erlebte dort 146 v.ch. den untergang von karthago und corinth. er entwickelt eine art der geschichtsschreibung, die immer noch ernst genommen wird und erkenntnisfördernd ist, analytisch, pragmatisch, bedacht auf zusammenhänge und analysen. im netz steht, er würde tyche eine wichtige rolle in seinem geschichtsverständnis zuschreiben, der göttin des schicksals und des guten gelingens, gleich gedacht, ich sollte das buch dem großen vererben, der als einen von ähm mehreren auch den namen tycho trägt. polybios wurde 80 jahre alt, ich würde glaube ich eine tv-show über dieses leben gerne ansehen. er hat zb auch eine chiffriermethode entwickelt, die bis ins letzte jahrhundert verwendet wurde.

es gab über die jahrhunderte immer wieder autoren, die sich an übersetzungen und ausgaben der bücher gesetzt haben, ihn interpretiert und diskutiert haben. fast 100 jahre lang hat zb ein institut an einem lexikon von polybios gearbeitet, mit einer konkordanz und allem, was dazu gehört, leider auf altgriechisch. sowas hätte ich auch gerne gemacht im leben.

da buch ist ein paar hundert euro wert, also zuwenig, um es guten gewissens zu verkaufen, jetzt habe ich es mir eh wieder lieb gebloggt. beim projekt dinge entsorgen muss ich mir abgewöhnen, sie vorher anzusehen, ergebnis des tages: 700 seiten buch dazu. nächstes mal fange ich gleich in der kammer an.

be- mein name sei gantenbein

beschlossen, wieder mehr ins theater zu gehen, gleich tickets gekauft, gestern mit der a. im berliner ensemble, mein name sei gantenbein mit mathias brandt. wegen allgemeiner verträumtheit beim kartenkauf nicht beachtet, dass es ein solo-abend ist, die ich eigentlich nicht so mag, inszenierung von oliver reese, der ja eine schwäche für diese monologe hat. und dann ist die inszenierung wirklich von der ersten sekunde an (durchs beeindruckende bühnenbild von hansjörg hartung, aber bitte klickt den herrn nur an, wenn ihr noch nicht im stück wart, die überraschung ist teil der freude) perfektes theater. zuerst dachte ich, ich würde auf eine leinwand schauen, weil herr brandt so überdimensional anwesend wirkte, da mittig auf der bühne stehend, ich habe mein opernglas rausgeholt und den menschen auf der bühne hinter der rolle gesucht, dann staunend zurückgelehnt, herr brandt ist so groß, er blieb es den gesamten abend, und der roman ist wirklich ein sehr vielstimmiges stück text, die figur nähert und entfernt sich ihren rollen, probiert sie an und verlässt sie wieder, in lauter kleinen feinen schritten und gesten, in sprache, geist, körper, und herr brandt zeigt sie alle, sie sind erkennbar in all ihrer vielschichtigkeit, bleiben unterscheidbar. am ende so ein overacting, als akt der verzweiflung vielleicht, weil doch keine rolle sein ist und die frau trotzdem verloren? habe den roman einmal vor >20 jahren gelesen und das ende vergessen. es schien aber schlüssig im regieentwurf. von ingeborg bachmann war nichts zu spüren, glaube ich, der roman nährt sich ja aus der beziehung frisch/bachmann, vielleicht wurde das zugunsten der verallgemeinbarkeit dieser themen beiseite gelassen, ich meine zu erinnern, dass die frau im buch auch nicht besonders ausgeprägte persönlichkeitszüge hat, nein, das ist quatsch, das hat mir meine freundin a. erzählt, die den roman unlängst auf theatertauglichkeit hin erneut gelesen hat. habe den roman gestern noch aus dem regal geholt, darin fotos vom ex-mann, eines mit dem kleinen d.-zwilling auf dem schoss, ein notizzettel, ein programm, er hat es offensichtlich beim auszug 2004 vergessen und es wurde seitdem nicht wieder geöffnet = auch das kann theater. geht hin, empfehlung.

x ist noch für was gut, heute habe ich dort gelernt, wie man schokolade macht. ich hatte wirklich keine ahnung, obwohl ich nur äußerst ungern einen tag ohne schokolade verbringe.

allgemein möchte ich jetzt, sonntag 11:11, verkünden, dass mir die tage zu kurz sind, insbesondere die sonntage. hab noch termine, würde lieber lesen, schreiben, denken, wozu die zeit unter der woche nie reicht.

letztes juni-wochenende

gestern auf dem weg zu meiner mutter das erste jede zelle umfassende sommergefühl gehabt, 26°, sonne, paar wolken, perfektes licht, eine einzige umarmung. kisten gepackt, nach rückkehr abends kann ich den zwiespalt zwischen kannweg und ichbins nicht abschütteln und gehe mit so einem entsorgunsbedürfnis durch meine wohnung. bei der mutter muss ich die entwertung der dinge, die wegkönnen, selber vornehmen, vorwegnehmen, vorschlagen, sie will fast alles mitnehmen, deshalb abends ähnlich erschöpft wie sie. es ist alles kein vergnügen.

es hat vorteile, wie ein studierender mit ein paar koffern durchs leben zu reisen, oder nicht? die ansammlung von dingen entwickelt ja eine eigendynamik, kaum hat man eine bibliothek, da kommen schon bilder, objekte, schuhe dazu.

„I was 17 years old, and at that time a girls place was to be a wife and a mother. We were outside the box, we were mermaids, before it became a thing.“ lebe deinen traum. (merpeople, netflix-doku)

alte leute bleiben im amt, teilweise bis 100, wie der spiegel beobachtet hat (ich habe den artikel nicht gelesen, weil ich kein abo möchte, aber eine freundin hat ihn mir nacherzählt, ich hoffe, das ist erlaubt) ich weiß nicht, ob das eine frage der generation ist, oder eine der machtgenese, weil soviel energie für den weg ins amt notwendig war, dass in diesen leben kein platz mehr übrig war für eine persönlichkeit jenseits des amtes. das alter nicht als hemmschuh wahrnehmen, oder es überhaupt nicht wahrnehmen, das geht natürlich nur in posten mit viel macht und wenig mühsal. ich glaube nicht, dass das mittelfeld, der mittelbau, die vielen dienstleister mit vollzeitberufen so an ihren jobs kleben. dabei gäbe es für hochaltrige machtpersonen so viele möglichkeiten, sie könnten im ehrenamt sinnvolles tun, aber das ist halt kein cooler job, es müsste etwas sein, von dem sie gerne beim aperitiv erzählen, wenn sie ihre privilegiertheit irgendwie mitnehmen könnten, wäre es vielleicht einfacher, auch in der schönsten seniorenresidenz wären sie nur eine*r unter vielen.

grade ein abendessen aus erdbeeren, gruyere, hummus verspeist, will ein paar kilo abnehmen ohne aufwand, ich koche nur noch selten, weiß auch nicht, wie das passiert ist. meistens bin ich zu müde dazu, vielleicht hätte ich mehr energie, wenn ich nicht nur für mich? ich hoffe, in den ferien geht das wieder besser.

wollte einen geleerten bücherkarton von der strasse wieder ins auto stellen für die nächste ladung, aber jemand hat ihn mit gammligem müll gefüllt. dazu passanten, die mir raten, die bücher doch auf momox anzubieten. menschen ey.

es ist wie es ist

in den achtzigern war ich ja schon in berlin, in meiner uni- und freunde-blase, hatte noch keine genaue ahnung, was ich mit meinem leben machen soll, zuviel war noch abgrenzung von all dem, was ich nicht war. ich habe zu wenig gelesen für mein studium, aber ein paar autoren haben mich erwischt, wie man halt mit paarundzwanzig erwischt werden kann. ein seminar mit rainer niehoff war dabei, das erinnere ich noch heute als intensiv und leicht und leidenschaftlich klug. ich habe nicht viel gesagt da, hab aber verstanden, was literaturwissenschaft sein kann, brücke und fluß, und was nicht. es ging um hans henny jahnn, immerhin heißt der g.-zwilling mit zweitem namen henny, die bücher stehen im regal, ich lese alle paar jahre mal ein theaterstück nach, wenn jemand das inszeniert, aber für die romane fehlen mir inzwischen geduld und glauben, oder nein, es fehlt die zeit, vor allem, die fähigkeit des abtauchens in eine welt, die das wert ist.

es gibt ja autoren wie hesse, sartre, camus, chatwin, kurze bücher, die vor allem von zwanzigjährigen gelesen werden, ich bin mit dem großen in seiner hesse-phase vom see aus nach montagnola ins museum gefahren, hab mich gefreut, als beim g.-zwilling ein band sartre lag, allerdings auch gemerkt, dass ich den jungs außer paar gemeinplätzen kaum was dazu sagen konnte, es ist zu lang her, meine lebensumstände haben mit literatur nichts mehr zu tun, es gibt nur noch ein paar fragile fäden ins literaturnetz, immerhin glitzernde fäden.

ich versuche das mit diesen besonderen büchern alle paar monate mal, bleibe ein paar dutzend seiten, lese nicht oder selten zu ende. vielleicht ist es lesegruppenmaterial, aber wie früher in der uni kapitelweise, als eine art lesebegleitung, das gabs doch beim ersten knausgård, wenn ich es richtig erinnere? für all diese monolithe, vielleicht auch für den tunnel von william gass, oder den horcynus orca von d’arrigo, dann die sorge, dass auch diese bücher im rückblick verschwimmen, nicht mehr die meilensteine sind, die sie ungelesen und im vorfeld noch waren, so als sehnsuchtsobjekt, das buch, in dem ich endlich verloren gehen darf oder mich wiederfinden kann. die glastonbury romance von powys ist da anders, der roman funktioniert auch in auszügen, da lese ich gelegentlich als eine art ausflug ins grüne drin herum.

ich schaue allerdings auch gelegentlich indiana jones, aus ähnlichem impetus. egal. wochenende!

eine freundin, die literatur unterrichtet, hat mir gesagt, das heutige buch der jugend sei allegro pastell von leif randt, und naja, wenn ich das probelese, also sagen wir, ich nehme dann mein alter wahr, es liest sich wie nahtlos aus dem leben gegriffen, zwanzigjährige schreiben tagebuch, was sie unbedingt tun sollten, aber es sind halt uninteressante zwanzigjährige. dann lieber drama, intensität, grenzen, fremde weltgebäude.

hmm. ein versuch, mich selber ins lesen hineinzubloggen, und das hat ja schon mit dem daten nicht wirklich gut funktoniert.

26. februar 2023, sonntag

überlegt, ob ich mir noch so ein kleines chromebook fürs bloggen von unterwegs kaufen soll, ich habe mir ja kurztrips und kaffeehaus-gänge für dieses jahr vorgenommen. dann ist mir eingefallen, dass ich seit jahren ein kleines fire hd – tablet herumstehen habe, für 20€ eine tastatur bestellt, problem solved, also falls der akku noch anderthalb stunden oder so hält.

heut nacht habe ich auf dem land bei leuten einen kleinen schwarzen colliewelpen getroffen, er stand hinter einer reihe dunkler holzkisten, rabenschwarz, der bleibt so, auch wenn er ausgewachsen ist, das wird ein großer schwarzer collie, das fell matt und weich fließend. ich wollte ihn mitnehmen und habe eine weile überlegt, ob das nicht irgendwie gehen könnte. der hund hat mich gesehen und nicht gesehen, er hat an mir vorbeigeschaut, noch nicht verziehen, hab ich gedacht, und komm, ich machs wieder gut! bin aber ohne hund weggegangen.

am wochenende von simone buchholz „unsterblich sind nur die anderen“ gelesen, in einem zug, feines buch für einen kalten februartag, besonders, wenn einem das meer so fehlt. seit langer zeit mal wieder lust zu segeln.

mit frisch entgrautem haar sagen mir die leute, ich würde so frisch aussehen. den effekt werde ich wohl doch noch eine weile beibehalten, für ein paar jahre zumindest.

in den letzten tagen sehr auf die zeit gefreut, wenn sich meine jeweiligen aufenthaltsorte nicht mehr mit diesen vielen kabeln auffüllen werden, unzählige sich verknotende aufladekabel, und ich nicht mehr andauernd zeit mit sich geheimnisvoll verflüchtigenden passwörtern verbringen muss, und dann von gerät zu gerät sprinte, um die mehrdimensionale 3d-x-faktor authorisierung für jeden weiteren kleinen schritt rechtzeitig wegzuwischen, in der ewigen himmelsleiter des appwesens. ich bin es, ich bin es doch, will man rufen, aber es hört ja keiner zu, und dann schmeisst mich ebay-kleinanzeigen raus, weil meine ip-adresse nicht vertrauenswürdig ist. versuchen sie es später noch einmal. ob der liebe gott das auch so machen muss? es wäre allmacht, überall sofort reinzukommen. hier, madame, ihre mails, aber sofort. ich denke manchmal, so groß ist die erleichterung durch onlinezeugs nun auch nicht, früher habe ich meinen kram auch erledigt bekommen.

heute auf dem spaziergang um den wasserturm zweimal männer in montgomerys gesehen, einer hatte sogar einen hund dabei. ich weiß nicht, was genau diese mäntel bei mir auslösen, ein gutes gefühl jedenfalls, sicherheit, souveränität, zeitlosigkeit, vielleicht eine gute erinnerung an meinen vater, oder einfach an diese italienischen männer der achtziger, aus der zeit vor funktionskleidung. ich sollte einfach selber einen tragen.

11. dezember 22

(vermute, das war von parka lewis, aber nix genaues erinnere ich)

mit dem neuen gerät teste ich mal safari als standardbrowser, und habe dort in den lesezeichen dutzende von blogs gefunden, die es nicht mehr gibt, nach sprachen sortiert. von den 40 italienischen blieben 4, von den xx englischen bleiben 6, viele wurden gelöscht, ein paar haben dann eben die letzten beiträge oben, von 2003, 2005. ein paar mal als letztes posting der hinweis auf ein buch. ich sollte vielleicht einfach schauen, was nachgewachsen ist. blogs sind ja häufig so äußerungsformen für bestimmte phasen im leben, dokumente eines übergangs, leute wie ich, die den kram auch ohne großen aufwand seit 2004 betreiben, als echokammer fürs ich, sind eindeutig in der minderheit, einerseits, andererseits gibt es fast alle blogs, denen ich folge, schon seit mindestens 15 jahren. es ist wie ein freundeskreis, der sich im lauf der jahre verändert, auch da ist der raum für neue kontakte irgendwann besetzt, es bleibt keine zeit übrig im alltag, die geduld fürs kennenlernen geht woanders drauf. im wirklichen leben sind dann irgendwann nur noch 5 freunde übrig und man wundert sich, im virtuellen gerinnt die illusion, sich zu kennen, zur wirklichkeit, wir lesen ja nur, nehmen nicht teil, gehen nicht miteinander aus (oder zu selten), haben eine sehr passive rolle. wir sind, wie neulich geschrieben, ersatz gewöhnt.

seit 2 stunden wach, immer noch dunkel. es ist 8:05. genieße die ruhe, wobei ich beim ausgeruhten aufwachen wie heute den trubel der kinderjahre doch einen hauch vermisse. vor ein paar tagen ist mir klargeworden, dass dieses jahr nur ein sohn die ganze weihnachtswoche hier sein wird, der andere nur über die beiden feiertage, g.-zwilling bleibt in chile. ich hoffe wirklich, dass zumindest ein bis zwei söhne sich später mal im berliner raum niederlassen, dann kann man sich zum pranzo della domenica treffen oder mal zum kaffee. im älteren freundesumfeld vergehen bis dahin um die 5 bis 10 jahre, bis berufe gefunden, familien gegründet werden. bei der weltlage grade ist es schwer abzuschätzen, was bis dahin alles passieren kann. lieber ausflüge, kultur, essen planen, um die kids zur anwesenheit zu verführen. lieber gegenwart.

neulich beim heimkommen auf einer fensterbank ein neues buch gefunden, fretten von helena adler. vorne hat jemand mit kugelschreiber „helena adler“ reingeschrieben, vielleicht habe ich also ein signiertes buch gefunden. ihr schreiben ist sehr dicht gefüllt mit vergleichen, metaphern, alliterationen, mit sprachspielen, die das geschriebene mit bildern und bedeutung überfüllen, die aussageebene ist gar nicht mehr erkennbar. es ist sprachlich opulent und sehr barock, mir ist das nach 30 seiten zu viel, ich glaube, mich stört, dass die interpretation und wahrnehmung der inhaltsebene so sehr vorgegeben ist durch die vielen bilder, da bleibt wenig raum für eigenes empfinden.

fretten, helena adler, jung und jung, s. 18

es ist ein dominanter text, ich mag das zuweilen, wenn der/die autor*in einfach um eine gewisse vollständigkeit bemüht ist, also detailliert und vollständig beschreibt, was zu sehen oder fühlen gibt, obwohl ich da auch manchmal das vertrauen in mich als leserin vermisse. die expressionistische bildlichkeit, ihre übertreibung ist eine interessante neue variante von dieser art inhaltlichem horror vacui, weil ihr ziel eine ebene tiefer liegt, in meinen kopf hinein will, weg vom text. sie lässt keinen raum für meine interpretation, meine eigene textwahrnehmung, ich kann nur das überaus intensive empfinden der autorin im text rezipieren sozusagen. sie findet großartige bilder, sinnliche, reich an gerüchen, körperlichem, das ist einzigartig. vielleicht ist es mir zuviel, weil ich gerade wenig erlebe, ein reduziertes leben führe und es genieße? werde das buch zurückbringen aufs fensterbrett.

22. 11. 22

twitter gibt es noch, es ist für mich genauso nutzbar wie vor musk, weil ich harmlose dinge poste. dauernd neue follower, sehr schräg. damals, als twoday kurz damit drohte, dichtzumachen, habe ich mir ein weblog auf eigener domain gebaut, das war ein fortschritt, da habe ich einen tritt gebraucht. mastodon wirkt bisher weniger wie ein netzwerk und mehr wie facebook, wo jeder seine dinge kundtut, ich weiß nicht, ob das nur an der optik liegt, es hat aber noch den zauber des neuen. ich schreibe da bisher auch nix rein, nehms mir aber vor. in italien gibt es mastodon auch, es wird hie und da erwähnt, ich weiß aber nicht, ob es auch so einen ansturm gab. in meiner timeline, wenn ich auf meiner instanz (mastodon.social) nachsehe, sausen jede menge spanische, englische und italienische posts durch, es scheint im italienischen twitter aber weniger thema zu sein. gemerkt, dass mir die aura von twitter, das design, die geschichte doch wichtig sind, was bei facebook nie so war, das ist reine und oft nervige funktionalität.

hab diese woche noch zwei urlaubstage, für die ich zum glück doch keinen spontanen trip gebucht habe, weil da jetzt die beerdigung von m. stattfindet. fürchte das ein bisschen, die gemeinsamen freunde können alle nicht mitkommen, denke, ich werde da kaum wen kennen und deutlich spüren, wie wenig ich teilhatte an seinem leben in den letzten jahren.

gegenwart ist alles.

vermisse die kinder, das langsame kleine hochköcheln der weihnachtsdinge ende november, anfang dezember, die pakete und verstecke, die lebkuchenberge. susan cooper ist da eine hilfe, schneelangsam hat die stattkatze es genannt, auch wenn ich die späteren bände zu … zu bedeutungsschwanger und übertrieben dramatisch fand, da hab ich die leise, beharrliche verbundenheit mit land, winter, kindheit und rittergeschichten vermisst. es muss nicht immer um alles gehen.

fahre weiterhin mit dem rad zur arbeit, wie immer auch bei schnee oder eis. bin aber vor ein paar monaten einmal mit dem rad hingefallen, kein sturz, mehr ein umkippen nach zu engwinkligem auffahren auf eine platte in der welt der holprigen berliner strassen. schmerzhafte prellung am knie, ich weiß noch, ich sass bei frau modeste mit frau engl zusammen, die auch grade einen (viel schlimmeren) radunfall hinter sich hatte. bei mir wars ganz klar das alter, fehlende schnelligkeit beim gegensteuern, bremsen, herumreissen, es ist so weit, es geht nicht mehr zurück, ich bin keine 50 mehr. klare innere stimme: du solltest in deinem alter bei schnee und eis nicht mehr rad fahren, und dann guck ich raus, die strasse sieht trocken aus, das eis in den pfützen kann ich doch umfahren … seit dem hinfall bin ich unangenehm vorsichtig geworden, ich fahre nicht mehr einfach drauflos, sondern plane jede kurve irgendwie, ein paar sekundenbruchteile, bevor mein rad sie fährt, wie ein mentaler spiegel, der alles genau wissen will. ich hoffe, das legt sich wieder. überlegt, die von den kids stammenden knie- und ellenbogenschoner anzulegen, wenn es unter null grad sind, es ist ja berlin, da geht alles.

3. juli 2022

nachdem ich mir jetzt doch zweiter hand etwas lego gekauft habe, komme ich nicht dazu, es aufzubauen. das ist gut, es ist viel los, besuch, freundinnen, es braucht eine spezielle form der langeweile, um dafür lust zu haben. es funktioniert wie der regenschirm, den man nur dabeihat, wenn es nicht regnet. der merkwürdige widerspruch, dass ich im internet problemlos davon schreiben kann, es mir aber beim besuch ein bisschen peinlich ist, mit lego zu spielen, es zumindest eine zu überwindende hemmschwelle gib, die dem spielreiz etwas nimmt, also warte ich lieber. die unterschiedlichen arten von intimität in den formen von öffentlichkeit, die ich kenne. ich werde den kram mit an den see nehmen, wo sich bisher nur eine freundin angekündigt hat. sonst kann ich es ja wieder verkaufen.

wegen einem besuch den kühlschrank aufgeräumt, damit sie auch ein paar sachen hineinlegen kann. dabei unzählige 6 halb- oder ganzvolle gläser und gläschen mit marmelade entsorgt, mit sorten wie birne/mirabelle, pflaume/apfel, erdbeer/irgendwas, alle in brauntönen und mit eher fester konsistenz. ich finde diese brauntönige marmelade nicht appetitanregend, und das quittengelee, das mit einem befriedigenden plumps komplett in die tonne gerutscht ist, das mag ich auch nicht. wonach schmeckt quitte? nach nichts halbem und nichts ganzem. das meiste mitgebracht als gastgeschenk. ich esse fast nie marmelade, und wenn, dann lemon curd von chivers oder hagebutte, es steht also alles schon eine lange weile dort. auch die mutterhefe musste gehen, ich habe sie zu lange vernachlässigt, ich backe nicht mehr, seit ich so gut es geht auf kohlehydrate verzichte. die gläser habe ich alle in die spülmaschine gestellt, die werfe ich dann beim entrümpeln der abstellkammer weg.

muss mir womöglich ein neues cgm-system suchen, weil mein heißgeliebter libre 2 ausläuft und durch den, sie ahnen es, libre 3 ersetzt wird. der neue sensor gilt als nicht hackbar, die werte können nur übers internet in meine pancreas-app eingespeist werden, nicht über bluetooth, wie beim libre 2. ich kann fragen, ob ich auf arbeit das dortige wlan für private zwecke nutzen darf, halte das aber für unangemessen. das internet ist ja generell in deutschland nicht sicher verfügbar, ich füge also meiner ohnehin großen abhängigkeit von technologie noch eine weitere hinzu, bei der ich gar nichts mehr selber beheben kann – kein netz ist kein netz. die firma abbott hat null interesse daran, uns loopern zu helfen, es ist ein rein markt- und nicht kundenorientiertes unternehmen. anders als der hauptkonkurrent dexcom, der da eine gewisse kulanz zeigt, aber in der anwendung mit dem loop sehr viel komplizierter ist, mit u.a. einer weiteren app, nicht zuletzt mit einem fast dreimal so hohem preis (120€ bei abbott vs 313€ bei dexcom monatlich) etc. der sensor muss alle 10 tage ausgetauscht werden, der libre nur alle 14 tage, das sind wichtige details, es geht um lebensqualität. ich muss es sowieso erst bei der kasse beantragen. sehr genervt.

der markt ist da aber hoffentlich noch in bewegung. wir diabetiker verfügen ja über einen völlig autonomen, erfolgsunabhängigen hoffnungsgenerator, anders ginge es gar nicht. ein weiteres neues system, der eversense, muss vom arzt unter die haut verpflanzt werden, hält aber im idealfall 6 monate, das klingt richtig gut, aber es muss mit einem per magnet auf der haut über dem sensor gehaltenen lesegerät ausgelesen werden. wozu dann etwas implantieren, wenn ich doch wieder etwas drauf befestigen muss?

es wird wohl dexcom.

gestern mit freundinnen durch berlin mitte spaziert, sehr touristisch gefühlt, auf eine gute, unkritische art. die vielen gut angezogenen jungen leute, die konsequenz, mit der die leute sich kleiden und stylen, es bleiben keine leeren stellen, alles stimmt. das fühlt sich immer mehr wie etwas an, das außer geschmack und geld auch ein ideell anderes wertsystem erfordert, das ja-nein in den teuren designerläden, auf den stangen die gleichen klamotten in unterschiedlichen farbschattierungen, die gesellschaftliche vorauswahl durchs preisniveau wird ja woanders und für immer getroffen. das erobern der feinen, nur für insider erkenntlichen unterschiede, diese eine uhr, der schuh, die unversäuberte naht. die samstagsrunde in mitte wie eine art kirchgang. ich mag ja die leute und finde sie schön, und es ist schwer genug, einen weg zu finden in der welt von heute. ich erinnere mich dran, das selber wichtig gefunden zu haben, das glück als beute, die lückenlose außenhaut, kein lindenblatt hatte platz. wir haben dann in den heckmann-höfen noch einen sprizz genommen, uns über krankheiten, immobilien und urlaub unterhalten, ganz automatisch, es hat keine von uns gestört. das system ist betörend.

seit langer zeit mal wieder ein buch gekauft, das in einem anderen buch erwähnt wurde, sehr gespannt darauf, eine taschen-ausgabe vom augsburger wunderzeichenbuch. den k-filmen mal ein bisschen kunstgeschichte entgegensetzen. so ist es immer, ich will kein einziges buch mehr kaufen, noch dazu kein großes, noch dazu keines, dessen abbildungen komplett online verfügbar sind. und dann. es bleiben keine leeren stellen.

somatismen

mitten in der woche nach greifswald gefahren, zu einer theaterpremiere. die freundin hat irreparabel inszeniert, ein stück von sergej gößner fürs junge theater, mit zwei großartigen schauspielern, hauke petersen und philipp staschull. zwei teenager mit behinderung, einer nach unfall, der andere nach ms, und wie sie sich begegnen, der eine schon seit jahren krank, der andere in der ersten phase nach dem unfall. wild, schnell, dabei charmant und zart, es gab keine phrasen, keine betulichkeit, die beiden jungen schauspieler ganz traumwandlerisch in ihren nuancen. ein schnelles stück, in dem viel passiert. superbühnenbild, mit traumwolken, die von den akteuren heruntergeholt werden, von yvonne marcour. danach premierenfeier, ohne publikum, in meckpomm gilt ja noch corona. die bühnenbildnerin trug ein schwarzes oberteil im stil der boss-bluse, von der neulich mal die rede war, aber mit weniger falten und halblangen armen, sehr elegant und viel frischer im stil als das teil von boss. seitdem denke ich darüber nach, mal wieder mehr auf meine optik zu achten.

(a propos, heute brief von der krankenkasse, „Aus einer der letzten Dokumentationen ihrer Arztpraxis geht hervor, dass das Thema Schädigung der Augen für sie interessant sein könnte.“ – hatte überweisung zur jährlichen untersuchung mitgenommen. diese sendungen scheinen wie eine art spam zu funktionieren, ich wette, da hat kein mensch drübergelesen.)

am nächsten tag mit dem auto der freundin ans meer gefahren, herumgelaufen, versucht, da total im jetzt zu sein, das kann ich ganz gut inzwischen. es hat geregnet, luft und wasser, der weite blick zum horizont, ich war 60 minuten da und es fühlte sich an wie ein halber tag. der blick aufs meer führt zu ruheinseln in meinen schläfen, als hätte ich die augen geschlossen dabei, so eine stille und leere, eine entspannung, die sonst nur im schlaf gelingt.

in der bibliothek der freundin herumgeguckt, ein buch zur körpersprache gefunden (ich glaube, dieses), dort erst die bewegungsmuster von kleinkindern nachgelesen, dann berichte von therapeutInnen über ihre klienten. sehr faszinierend alles. vielleicht ist die stille meines körpers ein symptom und nicht einfach eine phase, der rückzug aus bedürfnissen. dinge, in denen ich gern besser wäre, haben ja alle einen anker im körperlichen. ich spiele fast keine gitarre mehr, ist ja auch ein mangel des körpers, der aufstehen sollte, die gitarre nehmen, sich wieder hinsetzen, zu spielen beginnen könnte, weil es wohltuend ist. oder zu tanzen beginnt, oder klimmzüge übt. wie aktivierend bewegung ist, merke ich ja durch das fahrradfahren und herumlaufen und allgemein das viele hin- und her im berufsalltag. die kiste mit prokrastiniertem mal vom körper her denken, und nicht von der psyche. ich hatte so ein ping! im bewusstsein dabei. irgendwas ist da. interessant.

nehme meinen körper meistens über den diabetes wahr, der andauernde und häufig frustrierende beschäftigung einfordert, es gibt gründe dafür, wenn es wieder mal nicht gut läuft, seit fast 2 jahren die wechseljahre, usw. usw., und jede idee hilft immer nur einen moment. ein instrument lernen wäre bewegung, entwicklung, ein weiter wurf, ein einsatz, aus dem etwas entstehen soll. das traue ich mir und meinem körper gar nicht mehr zu. vielleicht sollte ich wirklich wieder üben.

auf der rückfahrt waren ukrainerinnen im zugabteil, wollte ihnen irgendwie ein zeichen der unterstützung geben, aber kam mir dann blöd vor. einmal gingen zwei sicherheitsleute mit einer uniform und warnwesten durch den zug, große, breite junge männer, und haben leute irgendwas gefragt, weiß nicht was es war, vielleicht ging es um die impfausweise? da haben sie sich kleiner gemacht, weggesehen, vielleicht hab ich mir das aber auch eingebildet. bei der kartenkontrolle haben sie dem schaffner ihre pässe gezeigt, er sagte: das geht in ordnung

auf repeat

ins ähm 15 jahre alte autoradio einen bluetooth-empfänger eingestöpselt, seitdem kann ich dort meine playlists hören. vorgenommen, alles mal durchzuhören, es sind laut itunes nur 20 tage, das müsste doch zu schaffen sein in einem dieser langen, dunklen winter? höre kaum noch musik, nur noch in aufgewühlter emotionaler lage, fast immer ist mir stille einfach lieber, eben mit ausnahme beim autofahren. auf den hunderunden wäre mir musik im ohr einfach zuviel input, und ich kann diese kleinen bluetooth-ohrstöpsel leider nicht benutzen, sie passen nicht, halten auch ohne jedes schaumgummi drumrum nur kurz und tun dabei weh. zu kleine ohren.

ich kann das ja auch mit meinen büchern machen, sie einfach der reihe nach nochmal lesen, oder überfliegen, um mich nicht nur an den inhalt, ich erinner mich an fast alle bücher irgendwie, wenn ich sie so vor mir habe, und falls verschütt gegangen, komm ich an die erinnerung über die umstände, also wo und von wem gekauft/geschenkt bekommen, und warum gekauft, war es mode, interesse, textliebe, das feste band der vollständigkeit, – sondern an tonfall und autor*in und textfluss und sprachgestus usw. neu zu erinnern. oder nur die bücher, zu denen ich gar keinen bezug mehr bekomme? damals beim neusortieren vor anderthalb jahren bin ich so an eine neulektüre von hermann broch gekommen, den ich jetzt deswegen erinnere.

das wird natürlich nichts werden, aber heute erfreue ich mich an dem plan.

come in from the cold

in den letzten tagen einer freundin beim umzug geholfen, kisten um kisten gepackt, den übergang von etwas vertrautem in etwas leeres herbeigeführt, wie dabei möbel und dinge am letzten tag die kategorien wechseln, vom grauen lieblingssofa mit parties, abenden mit strickzeug oder tv oder den freunden und der katze zu 4 einzeln einschweißbaren elementen werden, mit katzenhaaren drauf. die wohnung sieht kleiner aus. die möbelpacker waren sehr hinreißend, rücksichtsvoll und freundlich und unglaublich stark. unglaublich. breite schultern etc., leichter gang, treppen rauf und runter mit drei kisten hinten auf dem rücken, auch die drei, auf die ich „schwer“ geschrieben habe. sie wirken so, als könnten sie den job noch in jahrzehnten machen, oder vielleicht mal atlas ablösen. profis.

die dicke mitchell-biographie ist voll mit geschichten über ihre songs, wie und für wen sie geschrieben wurden, oder aus welcher situation heraus. ich wusste nicht, dass sie auch im nichtmusikalischen teil des lebens so hochintelligent, schnell und lustig ist, und so selbstverständlich eigen. sehr schönes buch, wenn man sie mag, dicht, detailliert. vollständig sein, wenn das genie schon nicht zu fassen ist. bin gespannt, ob meine lieblinsgsongs nach lektüre andere sein werden. es werden auf jeden fall mehr.

„ich regel mich da raus“ sagte heute eine freundin im gespräch über geschichten. wir wissen nicht genau, was wir wollen, und glauben, das wissen zu müssen, und dann regeln wir uns raus, und übersehen dabei die zartheiten, weil sie klein sind, und die nähe, weil sie keinen namen hat, und wie schön diese umarmung doch war, eigentlich, gehalten im jetzt.

last sommerfest 2021

einen echten höllentrip mit dem auto zum lcb gemacht, mit umweg zu frau engl, die ich abholen wollte. erst paar staus, dann eine demo, dann weitere staus, dann eine weile stillstand. über 2h im auto gesessen für die strecke nach neukölln. helga schubert verpasst, die hätten wir gern gesehen. dann ein autor, der sich wach und wendig in seinem thema bewegt, geschichte europas über drei familiengeschichten, uns war nicht so nach richelieu, aber der vortrag war sehr faktenreich und irgendwie freudvoll, das war nett. es folgten drei autorinnen mit geschichten, bei denen der geist ins wandern kam, über schicksalsschläge, die ich nicht verstanden habe, eine szene mit einer fußpflegerin, die in ihrem beruf nicht glücklich geworden ist, im gespräch mit der hauptfigur, die wohl keine gute mutter war, anders als die fußpflegerin, wir als mütter im publikum wurden vorher aufgerufen, die hand zu heben, wenn wir eine mutter haben oder eine mutter sind. nicht alle haben die hand gehoben, immerhin, immerhin. wiederholt haben die moderatorInnen erzählt, wie berührt sie waren von den büchern, gradezu umgeworfen wurden, niedergestreckt ins mitgefühl, besonders die eine szene, wo ein verstorbener („toter“) vater seinen söhnen einen zettel hinterlässt, auf dem steht: an meine söhne. wir so: hmm? (halt, das letzte war aus dem buch von einem mann, alex schulmann, die überlebenden). das hat sich alles nicht so erschlossen leider, auch die auswahl der vorgelesenen stellen hatte wohl verborgene gründe. ein guter, funktionierender text war dabei, über hoden und helden (zitat von j.-u.), die heldenbilder von baselitz spielten eine rolle. von lukas rietzschel, den werde ich weiterlesen. lustig war auch, wie aus den noch nicht erschienenen büchern die schlüsselszenen nacherzählt wurden, nicht vorgelesen, was die schriftstellerei vom joch der poetik, des stils, und allgemein des literarischen talents befreit, eine echte demokratisierung. oder gibt es da eine schweigepflicht vor veröffentlichung? es war so rätselhaft wie lustig. ist vielleicht auch eine feuerprobe, wenn ein text die nacherzählung aushält, ich hab wohl einiges verpasst in der literarischen szene. den hang hoch und runtergewandert, brezel geteilt mit frau engl, frau gaga und paar freunde getroffen. ins grüne, sehr grüne wasser geschaut, am ende im letzten sonnenlicht gesessen und herrn schulze zugehört, mit diesem befreienden gefühl, wenn der ganze kopf für einen text gebraucht wird, ich mich konzentrieren darf und das gerne tue, weil die stellen eine gewisse schnittige eleganz haben. und bisschen schönheit. zweiter text, den ich gerne ganz lesen möchte.

18. juli 2021

seit ich wieder zum hinterhof schlafe, höre ich jede nacht ein oder zwei orgasmen, aber keine musik oder gespräche. außerdem gurrende tauben, die sich manchmal im efeu verheddern mit lautem flügelschlag. das schlafzimmer ist immer ein paar grad kühler als der rest der wohnung, es gibt nur morgens eine halbe stunde sonne. bisher träume ich noch zu selten vom meer.

den 5. transformers-film geguckt, erst nix verstanden, weil ich nur den ersten vor jahren mit den kids gesehen habe. wusste nicht immer, wer jetzt warum gut oder böse ist, über referenzen gefreut (das raumschiff der angreifer hat gewisse ähnlichkeiten mit dem schiff vom romulaner nero im star trek 11), die animationen übertrieben detailliert, fast ermüdend, trotzdem erschreckend real, drehbuch ist bestimmt von kitakindern entwickelt, wo ein kind eben roboter ist, das andere ritter, und dann kommen aliens.

danach bisschen in „la mort d’arthure“ gelesen, in der von thomas wright 1865 neu herausgegebenen ausgabe von thomas malorys version (nach der abschrift von william caxton). es riecht leider ein bisschen gammelig, aber der text funktioniert noch immer, wright kommentiert gelegentlich, es ist ganz amüsant, und in vielen schlüsselszenen anders, so zieht der junge arthur das schwert nicht nur einmal aus dem amboss, er tut von neujahr bis pfingsten eigentlich nichts anderes, für jeden anreisenden fürsten aufs neue, bis er alle überzeugt hat.

der sommer ist noch lang. ich gehe jetzt schlafen, ein wind bewegt die gardinen.

the parameters of our cage

there is a young man in a prison in the usa. he is looking for a way to spend his time and begins to be interested in art, begins to paint and write, later leads the courses himself. in january 2020 he wrote a letter to a photographer asking for contact and discussion. the photographer replies, and in the following months there will be a long exchange of letters about photography and life.

the photographer is alec soth, he made a book out of the conversation, mack published it for little money, the entire proceeds will go to the writing group in prison where the man started with his art. the book turned out great, and i only found it by chance while loitering on the internet because i never read the publishers‘ newsletters.

the prisoner, chris fausto cabrera, tells his life in the course of the letters (“I had plenty of opportunities to follow some good paths, and I almost did”, p.38), soth talks about his childhood, his path to photography, his workflow. They slowly get to know each other through the letters, at first just like a classic pen friendship in the fifties, then the contact becomes more urgent somehow, Corona and Trump occupy and burden soth, black lives matter happens, the letters are becoming more and more important for both writers, one notices that in the texts, in the beginning it is more of an exciting project, then they kind of dive into it, as a whole person. the two find a level of relaxed curiosity, an interest in each other, where both sides can be completely with themselves, open up, talk about their own world, the other reacts in his own way, with different stories and from a different perspective. From these very different lifes, completely different in everything, something new arises, about photography and dealing with it, about the ways of taking pictures, seeing pictures (soth), about life and the perception of life as an artist (cabrera ). Soth sends photos to jail with the letters and asks cabrera to write about them. At first Cabrera is surprised about the selection, then finds an entrance that offers a place for himself: “It’s interesting to enter the past through the backdoor of other peoples photos ”(p. 46). one takes the pictures, the other lives in them.

soth reports from the corona period, which bothered him a lot, (he emphasizes that the circumstances are totally different), cabrera was in isolation for a while and talks about how it changed him, he says, after the corona period maybe everyone will notice that the view and the interaction with people takes place from a greater distance, that the perception contains more of the self.

cabrera describes the photographs that he would like to have; he is only allowed to keep very few pictures in his closet. a couple of his family, a couple of pornographic ones, one of an actress who sits in her room wearing a t-shirt, a che guevara poster on the wall, a skeleton in the corner (he can practice drawing on it), objects in the space with which he can imagine her life, travel souvenirs, that sort of thing. soth passed the idea on on instagram, and asks his followers to build this photo with photoshop, and promised a signed photo for the best one. he has shown the final selection in the book, and he has asked cabrera to explain his decision in favor of one of them. cabrera does that, in just a few sentences, but he also writes about the other pictures, and goes on about traveling in his head, and then starts meandering through a few stories of his life, also telling about what brought him to prison, which i really wanted to know, of course, but also admired the fact that soth didn’t ask about it directly.

but you should read it for yourself, it really turned out to be one of the finest books of the year, and you can tell that the two of them didn’t intend to do that at all, or only very understated, unlike e.g. the man who put together a 5kg volume about the renaissance, to make a totally inappropriate comparison, and the renaissance band has certainly turned out to be a wonderful book, but not as beautiful as this one.

soth and cabrera both treat each other with this special sincerity, or no, they both take it seriously, they give everything because this seriousness is the best way to deal with the strangeness of the difference between their lives and to overcome it in the process, through communication, contact, proximity. it is also a typical tone, i think, for this kind of contact that it is alien to both of them, that is part of the fascination. it somehow reads very well.

it is a very special educational novel in which both sides learn a lot about each other, a book for photography and for art, even if it is only allowed to take place in the imagination.

(translated with google, sorry for that)