eine liebste freundin war mal wieder in berlin, aus heilbronn, wo sie seit ein paar jahren arbeitet, bis nächste saison, danach geht sie eventuell nach greifswald, also wieder ganz woandershin. sie ist eine reisende und muss den verträgen folgen, jedesmal ein neues abenteuer. ich habe versprochen, sie da öfter als nie zu besuchen, anders als in heilbronn, schon wegen der ostsee, die im italienischen mar baltico heißt, was noch ein bisschen mehr nach abenteuern, schiffsunglücken und wilden geschichten klingt. die ostsee ist fast halb so groß wie das mittelmeer – halt, das stimmt überhaupt nicht, merke ich grade, sie schien mir nur größer, weil ich sowenig von ihr kenne. vor den kindern, ich glaube nicht vorm mauerfall, war ich mal mit einem mann auf fehmarn, in einer neubauwohnung mit aussicht, nicht im sommer, jeder mit einem eigenen bild des anderen vor den augen, wir waren wahrscheinlich eigentlich zu viert dort. ich erinnere außer ein paar dingen noch einen langen, verlassenen strand, mit großen, runden steinen, von wasser und sand abgeschliffen, hin- und hergespült, ich fand den zweitschönsten stein meines lebens und habe ihn nicht mitgenommen, weil wir mit dem motorrad da waren. er sah aus wie ein herz, mit kammern, aorta und allem.
ein paar jahre lang hab ich mit den kindern auf rügen ferien gemacht, erinnere die ostsee als wenig aufdringlich und mit langen, flachen wellen und gezeiten, nicht so einladend wie das mittelmeer, es ist ja sowieso fast immer zu kalt zum schwimmen dort. die ostsee ist sogar ein stückchen tiefer als der lago maggiore, und ach, ich war seit jahren nicht am meer, obwohl es mich heil und ganz machen kann. ich hoffe, es wird was.
(ich habe wirklich noch einen schönsten stein gefunden, ein paar jahre danach, und mitgenommen, den hat ein kind, ich sag nicht, welches, mal mit hammer und meißel angeschlagen, stundenlang hörte ich aus dem nebenzimmer das feine pock-pock-pock, ohne nachzusehen. jetzt hat er eine delle und das kind die aufgabe, einen neuen perfekten stein zu finden, egal, wie lang das dauert.) (ja, ich weiß, der angeschlagene ist jetzt erst recht der schönste, aber die sehnsucht bleibt.)
Komisch, die Tage habe ich an die Ostsee gedacht, es ist 50 Jahre her, daß ich da im Wasser war, drei Gerüche weiß ich noch ganz deutlich:
– der muffige aufdringliche Geruch von ganz vielen Quallen. Ih bah.
– der scharfe würzige Geruch von Seetang am Strand, der in der Sonne hart und stachlig wurde.
– der süßliche, extrem salzige Geruch über den kopfgroßen Kieseln, die mit weichen Algen bewachsen waren wie mit Fell und unter den Füßen halb kuschlig, halb eklig waren.
Wir waren in Laboe auf dem Campingplatz, den gibts wohl immer noch, mit einer Holztreppe den Steilhang hinunter zum steinigen Strand, einmal hatten sie die Treppe erneuert und sie roch noch ganz frisch nach Holzschutzmitttel, ich mochte das, aber wir haben uns ja auch hinter den Auspuff des VW Käfers gestellt, weil der Geruch so toll war. Einmal war Gewitter, dunkle Wolken, und wir noch in der Sonne, und der Wind blies eins von den damals ganz neuen Schirmzelten vor sich her bis zum Weidezaun, wo Wolle in den Drähten hing. Schafe gabs dort, die konnte man anfassen, und eine Weide voller Kuhscheiße, in die ich reingetreten bin. Es gibt Fotos, meine Schwester und ich sitzen auf kleinen Hockern und essen aus Plastikschüsseln, die rot sind mit weißen Punkten, viele Jahre später habe ich erfreut festgestellt, daß es die immer noch gibt, und welche gekauft, man kann die bei mir besichtigen.
Einen Stein hab ich viel später, 1973, mal mitgenommen von Helgoland. Er war flach und schichtweise abgeschliffen und lag auf der Fensterbank im Wohnzimmer, die immer warm war, entweder von der Sonne oder von der Heizung darunter, und ich konnte stundenlang den Stein anfassen und für eine Insel halten.
awww. alles. wie schön, vollkommen zeitlos. ich sags ja immer, das meer.