(aufgew.)

geträumt von einem mann, den ich auf einer steilen bergaufstrecke gefunden habe, er sitzend in einer art rundem, flachem planschbecken aus schnee, auf rädern, langsam den berg hochfahrend, er war krank, hatte krebs gehabt, ich hab ihm den berg hochgeholfen, oben sind wir ins gespräch gekommen, er hat mir etwas sehr nahes gesagt, ich fand sein breites lächeln wunderbar. ins aufwachen hinein darüber nachgedacht, ob ich so ein risiko eingehen soll, mit einem mann, der eventuell bald sterben wird, gleichzeitig sicher, das da etwas sehr schönes ist zwischen uns. das merkwürdige gefährt hatte ich vielleicht von einem stück zusammengebundenem erdreich, auf dem frühlingsblumen wachsen, wie ein mini-hochbeet, das stand gestern vor einem blumenladen, aus dem eine freundin etwas mitnehmen wollte, es sah gleichzeitig leicht zerbröselbar („bloss nicht anfassen“ gedacht, als die freundin es hochheben wollte) und sehr naturnah und gewachsen aus.

kw 11

gehe heute ins be, yana ross inszeniert knausgård, sterben lieben kämpfen. habe bisher kein stück von ihr gesehen, es wird höchste zeit, sie macht internationales theater, davon gibt es sehr, sehr wenig, bleiben doch theaterregisseur*innen mitsamt ruf und ruhm meistens innerhalb ihres sprachraumes. ihren macbeth an der volksbühne 2008 hätte ich sehen können. wollte diese woche knausgård lesen, um wieder in diesen raum zu kommen, der sich damals beim lesen wie ein zuhause angefühlt hat, als eines von nur ganz wenigen büchern/autor*innen über die jahre, bolaño war es vor knausgård zuletzt, zur zeit könnte es auster werden, aber ich kann grad nur sehr schlecht lesen, meine aufmerksamkeit ist ein löchriger flickenteppich. habe meinen sterben-band wohl dem großen geliehen, der ihn zu meiner freude sehr gern gelesen hat. jetzt digital nachgekauft, es genossen, in den arbeitspausen sofort wieder im text drin zu sein. gehe erfreulicherweise mit frau gedankenträger, deren blog mich ja damals auf knausgård gebracht hat.

war bei der lesung von k. im haus der berliner festpiele, 2015, damals las er aus „träumen“, wenn ich das richtig erinnere, und hab danach sehr, sehr lange in der schlange zum signieren gestanden, der mann hat mir leid getan, ist aber sehr diszipliniert sitzen geblieben und hat ein erkennbares kürzel im buch hinterlassen, mit datum und stadt. darüber nachgedacht, warum eine signatur so einen unterschied macht, sie ändert nichts am text, aber irgendwie hat der/die autor*in mir das buch dann persönlich übergeben, nee, ist präsenter im text? auch nicht. die signatur öffnet auch keine türen, so steht die dicke signierte erstausgabe von the tunnel immer noch größtenteils ungelesen im regal, weil die hauptfigur so eine unangenehme person ist. als leserin bleibe ich auch bei signierten büchern eine von vielen, aber das buch ist eins von wenigen, die der/die autor*in persönlich authentizitiert hat.

habe im letzten jahr zu meinem erstaunen damit angefangen, mir fan-utensilien zu kaufen, ein kostüm, für die faschingsfeste im job (sonst gibt sowas nicht in meinem umfeld, habe aber gemerkt, ich habe spass daran), war dieses jahr ein science officer aus dem ds9-universum, trug einen overall mit reissverschluss hinten, sehr lästig, dazu einen schicken comunicator, aber auf die perrücken/kontaklinsen-kombi habe ich verzichtet, weil wir ja mit sehr kleinen kindern gefeiert haben. ein oder zwei eltern haben es erkannt, immerhin, immerhin. jetzt grade einen thermos-becher mit defiant-aufkleber, genau wie die in der serie verwendeten. ich verstehe meinen spass daran selber nicht genau, warum will ich da was manifestes im haus haben, zum anfassen, ist das eine steigerung der weltflucht, indem ich mir echte teile des fluchthafens ins haus hole? ein zusammenbringen der welten? etwas in die realität holen, mich auch im alltag daran erinnern/erfreuen. es ist ähnlich wie mit den signierten büchern.

zum cosplay bin ich aber noch nicht bereit, weiß auch nicht, ob ich zu einer convention fahren würde, nicht alleine, glaube ich, mit freund*innen sofort. wobei, „im letzten jahr“ stimmt nicht, ich habe mal ein von darren e. burrows (alias ed chigliak) verziertes solides taschenmesser gekauft, ich glaube, nicht über etsy. weil frau ja, wie gibbs es sagt, immer ein messer dabei haben sollte. ich werde für solche postings die kategorie peinliches hinzufügen, falls mir kein freundlicheres wort dafür einfällt. mit zunehmendem alter sollte immer mehr platz für solche albernheiten sein.

berlinale, another end *

*spoileralert

heute früh auf, weil ich um 9 uhr (an einem sonntag! grrr.) ins kino wollte, mit null lust, aber nuja, für gael garcia bernal stehe ich natürlich immer auf, habe aber gestern trotzdem noch versucht, dem grade zu besuch weilenden david-zwilling das ticket anzudrehen, weil sonntag ist sonntag. ihn heute extra dafür mit kaffee geweckt, dann nochmal geschaut, und siehe da! es gab wieder tickets, also sehr zufrieden, fast glücklich, mit dem sohn ins kino gefahren, diesmal nur eine minute zu spät gekommen. ein riesensaal, verti music hall, kannte ich nicht, sie haben glaub ich noch stühle vor die saalreihen gestellt, daher die zusätzlichen tickets.

der film hatte muckis, ein riesenthema, eine traurige liebesgeschichte, ein mann, der seine partnerin verloren hat, findet keinen weg, damit umzugehen, und wendet sich an eine firma, die das bewusstsein und die persönlichkeit von menschen für kurze zeit in einem anderen menschen unterbringen kann, einem host, damit ungesagtes gesagt werden kann, ein abschied möglich wird. schön fand ich den weg, wie im film ein erklärbär der firma den kunden erklärt, wie sie es schaffen können, die teilweise anwesenheit des toten in eine vollständige gegenwart zu verwandeln, für die wenige zeit, die sie noch miteinander haben, wie sie bei der begegnung mit den hosts eine notwendige willing suspension of disbelief (das steht irgendwie immer und überall in kursiv) durchlaufen müssen, damit das bewusstsein der trauernden darüber hinweggehen kann, dass der körper der geliebten person ein anderer ist. in einem streit sei das leichter, so der erklärer, weil da sofort verbindende emotionen ins spiel kämen. dem mann gelingt das auch, und im streit erkennt man sehr schön, wie gut sich die beiden kennen, es entsteht eine merkwürdig vibrierende nähe, weil man etwas über die vergangene beziehung der beiden erlebt, nicht nur erfährt. schreiben vs schreiben über, das alte ding. gleichzeitig bleibt das gefühl der fremdheit des mannes gegenüber dem host spürbar, schauspielerisch sicher eine schöne aufgabe. das war ein filmisch sehr dichter moment.

ich stelle mir erinnerungen immer als einen synchronen moment in der diachronen wahrnehmung vor, wo *etwas in der gegenwart uns an personen, situationen, an andere ereignisse erinnert und beides sekundenlang miteinander verbunden wird, eine glitzernde synapsenkette lang (sry), eine intensive und physiologisch spürbare gegenwart im bewusstsein des erinnernden haben, aber dadurch werde ich auch getrennt von meiner umgebung, das ist womöglich bei gemeinsamen erinnerungen in einer liebe anders, weil das gefühl da sofort gespiegelt wird vom anderen, ein zusätzlicher anker, als bei erinnerungen an eine liebe, eine erinnerte liebe ist auch eine liebe, aber liebe braucht gegenwart, es erscheint mir unvorstellbar, den tod aus einer erinnerung zu löschen, er färbt doch alles, was noch da ist, es wäre ein sehr gruseliges gefühl übrig. (hmm, ich weiß leider nicht mehr, wohin ich mit dem gedanken wollte, fällt mir vielleicht morgen wieder ein.)

der film ist spannend und funktioniert, ich war drin, hatte am ende tränen in den augen, ich mochte auch die fast beiläufig gezeigte erkenntnis, dass leute sich nicht ändern können, selbst wenn es nur noch diese eine chance gibt, das zu tun, auch weil der tod sofort nicht mehr vorstellbar ist, wenn er aufgehoben wird. und dann nahm der film in den letzten minuten noch eine wendung, die diese erkenntnis als nicht relevant für den film markiert hat, darauf hat mich david-zwilling aufmerksam gemacht, durch das ende bekommt der film noch eine andere richtung, der handlungsbogen schließt sich ganz anders als erwartet, es bleiben offene stellen, nicht nur die nicht abgeschlossene trauerarbeit, die ist wie im richtigen leben, wo sie ja auch niemals endet, sich nur verändert.

der film wirke „verkopft“, so der sohn, und ich habe jetzt auch mühe, die letzten minuten des films zu rekapitulieren, wer war jetzt host, wer kunde, wessen verlust wird da bearbeitet, die schöne authentizität der figuren gerät durch diesen pirandello-moment durcheinander. da wär ich gern beim gespräch dabei gewesen, falls es eins gegeben hat. [edit: es gibt die pressekonferenz] david hätte sich außerdem gewünscht, dass die beziehung zwischen den beiden hauptfiguren vertieft wird, glaubwürdiger wird, dass es in den gesprächen nicht nur ums thema geht, es ist irgendwie ein sehr lang anhaltender dramatischer höhepunkt, dieser umgang mit spannung ist aber glaube ich modern in der gegenwärtigen dramaturgie, ich mag das ja auch nicht so. wir beide hatten auf dem heimweg das gefühl, der film hätte bisschen kürzer sein können, david hatte auch eine perfekte letzte szene im kopf: der moment, als der mann, mit tränen in den augen, im bordell von der prostituierten weggeschoben wird, sobald er nähe sucht.

der film wird was gewinnen, so mein vollkommen unprofessionelles gefühl.

kw 2

kälte ist selten geworden, dabei kommt sie ja jedes jahr für ein paar tage. erinnert ihr euch an die jahre mit minus 18° bis in den märz? das grün-blau schimmernde eis auf den bürgersteigen bei den hunderunden, vorbei vorbei. die kälte beisst noch in die beine beim radfahren, man vergisst sie nicht, auch wenn man im warmen sitzt, sie bleibt in der wahrnehmung wie etwas solides, das mag ich, innen und außen sauber getrennt. auf der strasse war es nicht glatt, überall sonst schon, komme mir auf dem rad aber eher dämlich als cool vor. ich mag dieses jahr auch das bewusste einkleiden, schicht um schicht in die wärme, baumwolle-seide-wolle, fast schade, dass es schon wieder über null grad sind.

genervt von der stadt berlin, die mit der inflationszulage (pdf) nicht herausrückt, dabei hatte ich die praktisch schon ausgegeben, und nicht, weil ich auf großem fuße lebe, sondern weil die gasnachzahlung ein riesenloch gerissen hat. silly me. januar bis märz wird es werden, also wohl april, wenn wir glück haben. fühle mich und meine arbeit nicht gewertschätzt, dabei geht es mir ja noch gut im öffentlichen dienst, obwohl ich für größere rücklagen nicht genug verdiene. weiß nicht, wie die mitarbeiter der privaten und kirchlichen träger durch die angespannte lage navigieren können, also ohne unterstützung durch partner*in oder familie. wir können ja wohngeld beantragen, wenn es eng wird, sagte im november der verhandlungsführer der tdl. pff.

edit: es wird in berlin doch schon im februar überwiesen, alles gut.

morgen auf eine demo gegen die afd gehen, obwohl ich nicht weiß, ob das wirklich hilft. inzwischen bin ich ja eher im alter für die omas gegen rechts, egal, sucht euch was aus, die aufrufe werden bis morgen vielleicht noch mehr. bei der einschätzung dieses treffens in potsdam bin ich eher beim kommentar aus der taz, zuviel aufmerksamkeit für diese paar traurigen gestalten, aber jetzt rollt die welle, man kann sie nicht mehr aufhalten, nur noch reiten. auf der demo wird es bestimmt sprüche für ein verbot geben, afd, nee nee nee, aber der weg dahin ist lang, das ergebnis unsicher, wie ein verfassungsrechtler im zdf erläutert, das ist frustrierend. also die rechtsradikalen positionen dieser partei als faschistisch oder präfaschistisch kennzeichnen, die grenzüberschreitung sichtbar machen, als demokratiefendlich deklarieren? damit jeder weiß, wen er da wählt.

hmm. schwierige lage. ich hoffe, da sind profis dran, harhar. zur erinnerung der sehr lesbare text von eco (auf englisch) über seine kindheit im faschistischen italien, mit den berühmten 14 punkten, an denen sich faschismus zeigt.

der soundtrack dazu. gleich festgehört, wollte nur mal wieder winterreise, weil mitten im tiefen winter usw., und für die bekannten versionen (die von matthias goerne mag ich zb) ist die zeit dann doch zu offen, unklar, brüchig, you name it, und maurenbrecher hat wirklich was neues draus gemacht. omg, ist das auch schon wieder 10 jahre her? das ist bitter.

hups, wieder soviele links, bitte um entschuldigung. ich hoffe, meine ausflüge ins politische geschehen bleiben so fremdverankert sozusagen, ich möchte nicht, dass die politik einen größeren teil in meinem alltag hat, demokratie lässt einen ja in ruhe, nur die despoten wollen einen teil an allem haben, überall mitmischen, den ganzen menschen. ich bleibe lieber allein damit beschäftigt, mein schiefes geheimes selbstbild gradezurücken (dieser satz ist ohne rechten zusammenhand, er stand als erster im posting, den hab ich mir irgendwann mal notiert und wollte ihn einbinden).

die lampe

großartig finsteres januarwochenende, bin allein in der wohnung, was selten vorkommt, es ist ein liegenbleiben, dass die ganze wohnung umschliesst, alles ist still. wenn die zeit langsam vergeht, bin ich schon im erholungsmodus, wenn sie zu schnell ist, besteht noch bedarf. jetzt ist es erst kurz vor drei, alles ist gut.

habe good grief geguckt, netflix, schöner film, der haarscharf neben dem thema trauer bleibt, wenig zeigt, nicht übergriffig im leid schwelgt. mochte die etwas dick aufgetragene anfangsszene, da habe ich ein bisschen die liebe vermisst, also bei mir, nicht im film. hätte-wäre-könnte. ich bin das alleinsein zu gut gewöhnt.

dann nach telefonaten mit freundinnen in den sessel gesetzt und die lampe angeschaut, die ich in der weihnachtswoche mit hilfe der jungs endlich aufgehängt habe, angetrieben durch die fragen meiner mutter, was ist mit der lampe, hast du sie ausgepackt? also die jungs haben sie aufgehängt, ich habe nur mit „vorsicht! vorsicht!“ -rufen genervt. seit meine mutter ins seniorenheim umgezogen ist, war die lampe ein paar monate in 2 kisten und mehrere quadratkilometer packpapier verpackt, mit vielen einzelteilen. es ist das dritte erbmöbel in der wohnung, natürlich zuerst erdmöbel geschrieben, wie bei den anderen beiden weiß ich noch nicht sicher, ob ich es behalte oder weitergebe. die tante ahne hat sie in den zehnerjahren des letzten jhs auf ihrer hochzeitsreise in venedig gekauft, nach ihrem tod in den sechzigern (ein satz, ein leben, so ist das irgendwann) lag die lampe eine weile im keller, bis sie vor 50 jahren erst in mailand und dann vor 25 jahren in berlin bei meiner mutter wieder aufgehängt wurde. sie erzeugt für ihre funktion zuviel aufruhr, ist nicht diskret, hat einen verspielten stil, den sie mit nichts in der wohnung teilt. habe sie mit 6 x 40w-led-birnen bestückt, die ein gleissend helles licht erzeugen, bei dem der ganze raum etwas schattenlos zweidimensionales bekommt. muss andere birnen besorgen. gestern stand ein krankenwagen eine zeitlang vorm haus, das blaulicht hat die blumen an der fassung zum glitzern gebracht, das hatte was. bei mir heißt die lampe noch „der kronleuchter“, aber sie kommt langsam an, ich erfreue mich jetzt am gelb und blau der blumen, über das rosa kann ich hinwegsehen. farben sind ja was feines im berliner winter. immerhin hängt sie weit genug oben.

wie die jugend meistens die deckenlampen verwendet und nicht die kleinen steh- und tischlampen in den räumen, helligkeit ist wichtiger als raumgestaltung, und sie sind die ganze zeit nur auf der durchreise, wenn sie mal hier sind, bleiben nur kurz, suchen sachen, essen dinge, ziehen weiter, anders als ich.

alte welten

beim bücherlüften mal wieder das kleinste und älteste hervorgeholt, ein kleines taschenbuch in pergament, sehr charmant.

kleines, in pergament gebundenes altes buch auf einem glastich

es enthält eine ausgabe der fünf erhaltenen bände des geschichtsschreibers polybios*, leider in einer schriftgröße, die vielleicht bis zum alter von ca. 29 lesbar ist, mit ich glaube einem nachwort von wolfgang musculus, einem pfarrer und reformator mit bewegtem leben. vielleicht hat der den band auch veröffentlicht? das buch ist noch zu musculus‘ lebzeiten erschienen, 1554.

titelseite der historie von pol<bios in einer ausgabe aus dem 16. jh.

ich habe anstandshalber eine übersetzung besorgt (ups. ich habs für die hälfte gekauft. es gibt aber auch ein reclambändchen für paar euro), die ich nie lesen werde, lieber mal wieder den mommsen nicht lesen, der ist immerhin ein bisschen frischer.

im einband steht handschriftlich „quod mortale fuit posita requieris in urna“ oder so ähnlich, was sterblich ist, bleibt in der urne, und dann geht es weiter mit „spiritus afora vanet“, der geist verschwindet im draussen, bei der letzten zeile brauch ich hilfe: gimnasiaretu rufus oder so, google sagt „rothaarige im fitnessstudio“.

innerer einband eines alten buches, darin erkennbar ein paar handschriftliche zeilen

vielleicht ist die form von gimnasiare rumänisch und das buch stammt vom siebenbürger teil der vaterfamilie? da war ein prof für ur- und frühgeschichte dabei, allerdings mit schwerpunkt rumänien.

nichts bleibt. so ähnlich geht es mir auch oft in dieser jahreszeit, es ist allgemeingültig, aber dieses buch setzt dem schon was entgegen, not?

der autor hatte ein sehr aufregendes leben, er hat von 200 bis 120 oder 117 v. ch. gelebt, geboren in megalopoli in arkadien, griechenland (wie aus einem superhelden-epos), hatte als sohn eines anführers des achaiischen bundes politische ambitionen, er wäre wohl fast als hipparchus, eine art offizier der achaiischen reiterei in den krieg gezogen, daraus wurde aber nichts (wikipedia), war 167 v. ch. einer von 1000 griechischen geiseln, die nach der niederlage griechenlands im dritten makedonischen krieg nach rom gebracht wurden. seine politische karriere wurde dadurch gestoppt, aber er hatte wohl auch so ein gutes leben, er wurde wegen seiner umfassenden bildung privatlehrer für die söhne des mannes, der den krieg in der entscheidenden schlacht gewonnen hatte. er blieb 17 jahre in rom und schrieb in der zeit seine historien, zug dann mit dem jüngeren der söhne, scipio aemilianus, in den dritten punischen krieg und erlebte dort 146 v.ch. den untergang von karthago und corinth. er entwickelt eine art der geschichtsschreibung, die immer noch ernst genommen wird und erkenntnisfördernd ist, analytisch, pragmatisch, bedacht auf zusammenhänge und analysen. im netz steht, er würde tyche eine wichtige rolle in seinem geschichtsverständnis zuschreiben, der göttin des schicksals und des guten gelingens, gleich gedacht, ich sollte das buch dem großen vererben, der als einen von ähm mehreren auch den namen tycho trägt. polybios wurde 80 jahre alt, ich würde glaube ich eine tv-show über dieses leben gerne ansehen. er hat zb auch eine chiffriermethode entwickelt, die bis ins letzte jahrhundert verwendet wurde.

es gab über die jahrhunderte immer wieder autoren, die sich an übersetzungen und ausgaben der bücher gesetzt haben, ihn interpretiert und diskutiert haben. fast 100 jahre lang hat zb ein institut an einem lexikon von polybios gearbeitet, mit einer konkordanz und allem, was dazu gehört, leider auf altgriechisch. sowas hätte ich auch gerne gemacht im leben.

da buch ist ein paar hundert euro wert, also zuwenig, um es guten gewissens zu verkaufen, jetzt habe ich es mir eh wieder lieb gebloggt. beim projekt dinge entsorgen muss ich mir abgewöhnen, sie vorher anzusehen, ergebnis des tages: 700 seiten buch dazu. nächstes mal fange ich gleich in der kammer an.

carpe somnium

ich schaue grade diplomatische beziehungen, bin in einer folge, wo sie auf dem englischen land sind, einer gegend mit riesigen parks und gärten. bin dabei so weggenickert, hab dann im traum den m. auf dem land besucht, er hat mir seine projekte gezeigt, es war lustig und richtig und leicht, und alles grün, ich hab mich gefreut, zeit mit ihm zu haben. wollte ihm sagen, es wär doch schade, wenn wir die nacht nicht zusammen verbringen würden, weil so eine gelegenheit so selten ist oder sowas, ich wusste aber, das wird wohl nichts, weil er eine freundin hat, obwohl es der freundin nichts wegnehmen würde, da war ich mir sicher. im traum war er lebendig, alles war lebendig, aber nicht warm. ich wusste nicht, dass er tot ist. aufgewacht, bevor ich fragen konnte. da hat sich was bewegt, ist zur ruhe gekommen. (dankbar)

werbung wirkt, wenn das produkt stimmt, auf bluesky neulich hat jemand die farben der creuset-linien gezeigt, paar tage später habe ich becher gekauft, die ich nicht brauche, ich habe diverse services in viel zu wenig schränken, jedenfalls hat minuten später in der serie eine hauptdarstellerin einen dieser becher in der hand. kurz die angst, dass eines tages in den filmen am rand des geschehens die dinge auftauchen, die wir grade gegoogelt haben, als eine art mehrdimensionales product placement (hier haben sie es zuerst gelesen, danke). jedenfalls machen die das ganz gut, da bei creuset.

in der serie ist die hauptfigur leider nicht besonders sympathisch, sie wirkt sehr verbissen und hat keinen humor, lacht wenig. ich mag ja bei politserien die illusion einer gewissen leichtfüssigen souveranität der souveräns, wie es in west wing oft dargestellt wurde, aber vermutlich ist das hier näher dran. sie ist allerdings hinreisssend ungekämmt die ganze zeit.

ich würde jetzt gern zurück in den traum, aber der ist hinfort und kommt nicht zurück, nie wieder. godspeed.

25. september 23

nachmittags anderthalb stunden über einen friedhof spaziert, um ein grab zu finden. m. hat geburtstag, er wäre jetzt so alt wie ich. der einzige weg, wie sich der altersunterschied zwischen zwei menschen vergrößern kann. wie altert jemand, der tot ist? eine weile nachgedacht, was ich anziehen soll, weil er schöne schuhe liebte, mich dabei nicht albern gefühlt, mal schauen, wie sich das entwickelt über die nächsten jahre. noch jemanden mit blumenstrauss getroffen, ich rufe seine familie an, die andere frau findet schließlich das grab, es liegt direkt neben einer dicken, vielleicht anderthalb meter hohen hecke, die bei der beerdigung im letzten november noch nicht da war. auf dem grab ist eine fahrradklingel befestigt, sehr schöne idee. das radeln nach kreuzberg genossen, ein warmer, sonniger septembertag. durch die sucherei war es zu spät, um am grab zur ruhe zu kommen, aber in zukunft werde ich es wiederfinden können. alles intensiv wahrgenommen, das leben ist kostbar.

volksbühne – mein gott, herr pfarrer!

ein problem des spätmittleren alters ist dieser unklare mangel, den frau nicht genau begründen kann. lässt der verstand nach, ist das gedächtnis einfach von alleine zum sieb geworden, hab ich jetzt wirklich schon mit ende fünfzig arthrose, ist es ein leichtes postcovid, oder sind es die wechseljahre? geht das vorbei, oder bleibt das so? der bauch wird wohl sicher bleiben. es ist ein kreuz mit dem frausein.

dann lieber theater, gestern erst hinten, dann wegen leeren plätzen im mittleren drittel gesessen, sophie rois und inga busch sehen beide alterslos und jung aus, da ist vielleicht aber auch die entfernung von der bühne besser als cgi oder andere maßnahmen, und nope, das vergleichen kennt kein halten, ist aber nicht mehr so existentiell bedrohlich wie früher die wahrnehmung von schönheit anderer frauen, die waren fast alle immer schöner, jetzt ist es mehr interesse. das altern schafft gleichheit, es ist sehr demokratisch.

nicht mehr alles hören können leider, aber das stück war solide, pointiert, also mehr pointen als handlungsverläufe, einzelne zeilen sind so gut, im ernst, ich versuche dann da in meinem stuhl mir die zeilen zu verinnerlichen, aber derweil geht ja das stück weiter, nicht schlimm, man kommt immer wieder rein in den flow, das synchrone vs das diachrone theater, wie immer denke ich dann beim zuschauen, ich hätte vielleicht etwas verpasst, würde gerne nachschauen (ein paar pollesch-stücke gibt es als buch, aber viele sind nicht zum nachspielen freigegeben, falls jemand weiß, wo man sie zumindest nachlesen könnte, bitte gerne!), das stück passiert im text, im wortwechsel, im gespräch.

das bühnenbild war toll, es ist mehr eigene kunstform als nur ergänzung und staffage, das gefällt mir, es gab auch einen mädchenchor, der halleluja und ein kyrie gesungen hat, ich weiß nicht, der gehörte irgendwie mehr zum bühnenbild als zum textanteil des stücks. der taz-kritik entnehme ich heute, dass der bergman-film von 1962 „licht im winter“ fürs stück eine zentrale referenz ist, nun ja, hätte ich das gewusst! es hätte nichts verändert vermutlich, das stück trägt sich selber, mit leichtigkeit. ich les ja vorher keine kritiken. so blieb ein bisschen offen, woher allgemein das thema jetzt gekommen ist, wobei die klare und herzzerreißende frage „mein gott, warum hast du mich verlassen?“ natürlich seit zweitausend jahren im raum steht, und, wie sophie rois im stück sagt: „es hat immer noch niemand geantwortet.“ auch sehr schön: „alle reden immer von erlösung, aber hier sind gar keine erlösten.“ (oder so ähnlich). sie ist ein energiebündel, wirkt wie eine tänzerin, die jederzeit alles vom stapel lassen kann, wie bei sehr guten musikern spürt man bei den leisen, eindringlichen stellen, wie gut sie ist. sie füllt den raum. benny claessens übrigens genauso sensationell, bei ihm kommt mehr emotion rüber, also wenn ich meine jetzt paar tage später aufplopppenden erinnerungen richtig deute, die körper/stimme-einheit funktioniert irgendwie anders, von seiner körperlichen präsenz ist mehr spürbar. sehr gern gesehen jedenfalls, geht hin.

danach gegenüber der vb noch ein bier vorm hostel, umgeben von sehr, sehr jungen menschen, die alle zigaretten, sogar zigarren!, und ein bier in den händen halten, teilweise gleichzeitig. sie kommen aus holland und sind das wohl gewöhnt so.

die ankündigungen vom datingportal („sie haben post!“) lese ich inzwischen mit ähnlichem gefühl wie die von der lottogesellschaft („sie haben gewonnen!“)- die nachrichten lassen sich in etwa zusammenfassen mit „hi, hier sind 3 euro fuffzich, und ich seh keine likes.“

sommer hier und da

seeblick nach abfahrt, lungolago in porto valtravaglia

wollte ja wieder mehr bloggen, aber das bedürfnis ist grad gar nicht da, anders als immer, weiß auch nicht, woran das liegt. in den ferien war ich sehr angenehm im privatmodus, eigentlich zum ersten mal mit dem gefühl, dass mein innenleben eigentlich keine öffentlichkeit braucht bzw. umgekehrt, und es fehlt mir nichts. hatte jedenfalls sehr schöne ferien, hab viele leute gesehen, einen ausflug ans meer und einen in die berge gemacht, gut gegessen, gut geschwommen, die 3 wochen waren eigentlich zu kurz, brauche eine, um überhaupt aus der erschöpfung rauszukommen, eine, um in den genussmodus zu kommen, und kann dann in der letzten woche die sorglosigkeit freier tage auskosten bis zum letzten tropfen, und am freitag fahre ich dann ja immer schon. mein job ist definitiv zu anstrengend.

sehr schön war, dass meine neue untermieterin, die ich noch gar nicht kannte, mich mit einem leckeren curry empfangen hat, weil man das in ihrer heimat so macht. nach hause kommen.

es ist mir zu kalt hier mit dem ewigen aprilwetter. das sichere helle und luftige plateau verlässlicher hochsommertage, vielleicht gehört das auch zur vergangenheit.

tassen im schrank

unglücklicherweise gemerkt, dass mein geschirr nicht mehr lieferbar ist, ich hatte das eher bunte arzberg tric, jetzt gibt es das nur noch in etwas pompösem silber. bisschen sauer, ich meine mich an das versprechen von ewiger lieferbarkeit zu erinnern, und was sind schon 15 jahre, meissen zwiebelmuster gibt es anstandslos seit 1730, da können diverse generationen immer mal was nachkaufen. auf ebay die fehlenden teller gefunden, aber wenn wieder was kaputt gehen sollte, esse ich eben nur noch vom meissen. habe dann gleich kontrolliert, wie das mit einer anderen lieblingsserie aussieht, den schon etwas arg bunten iittala-tassen, und naja, heute war porzellantag. ich kann gut verdrängen, dass ich nur selten mehrere leute am tisch habe.

sonst ist alles wunderbar grade, counting meine blessings, beide zwillis im haus, einer sogar ein paar tage, mit dem g. über den markt spaziert, mit beiden gebruncht, dann zusammen scrabble gespielt, dann sind die beiden wieder weiter gezogen. meine tickets für ophelia’s got talent am sonntag habe ich an den g. vergeben, werde es mir aber auch nochmal ansehen, frau catatonia hat mich überzeugt. bin gespannt, was g. erzählt.

beim scrabble hab ich verloren, aber nur knapp.

muttertag nachmittag, vergessen, wo ich mein auto geparkt habe, nach spaziergang gefunden, den blumenstrauß abgegeben, sofort fällt der absurde stress von mir ab. schwester rät, das schuldproblem in den griff zu bekommen, solang meine mutter noch lebt, das werde ich angehen, scheint sehr sinnvoll. war gar nicht auf den gedanken gekommen, dass sich sowas auflösen lässt, habe es als wesenszug der beziehung als gegeben angesehen. wieder zuhause, schokolade, likörchen, entspannung. bei meinen kids ist es mir nicht wichtig, ob sie dran denken oder nicht, es ist keine kategorie, diese symbolischen gesten spielen keine überhöhte rolle. (1 2 3 von 3, hab mich doch gefreut).

auf der autofahrt im radio erst eine sendung über die frankfurter schule/horkheimer/marcuse versucht zu hören, aber nicht folgen können, dann kam was über den orthodoxen stalinismus, gedacht ooookay, keine mütter im elfenbeinturm, das kennt man ja aus dem alltag. sender gewechselt, ich war ja auf müttertour.

versucht, mein depot zu befüllen, gemerkt, dass man so etwas nur zu geschäftszeiten der börsen kaufen kann, wie altmodisch ist das denn bitte?

7. mai 2023

heftige woche. abends kaputt, eher hechelnd durch den alltag, mit momenten in warmer sonne, die alles kompensieren, der absolute ist-zustand. am mittwoch ist überraschend und tragisch der (ex)-mann meiner schwester gestorben, viel zu früh. in italien gibt man solche nachrichten nicht am telefon oder per nachricht, wenn es sich vermeiden lässt, mühe gehabt, es meiner mutter direkt mitzuteilen, bevor sie jemand anruft. trauer und diese fassungslosigkeit darüber, wie schnell dieses große, wunderbare alles vorbei sein kann. er ist heute beerdigt worden, in rom, und ich habe die absurde krönung geguckt. so ist der mensch. die trauer über a. dämmt alles ein bisschen ab, ich habe ihn nicht oft genug gesehen, rom ist dann ja doch weit weg. er war atheist und eher anarchisch unterwegs, hatte ein buntes und volles leben mit abenteuern, liebe, familie und dem film, seiner großen liebe. er ist der vater meiner tollen nichten und war fast 26 jahre lang mit meiner schwester verheiratet, er war also ein glückspilz, und er konnte großartig mit kindern, meine jungs haben ihn geliebt. che la terra ti sia lieve, ale.

wieder ein wochenende, dass sich gut gefüllt hat, gleich kommt überraschend der g.-zwilling vorbei, nachher mache ich mit einer freundin einen ausflug nach brodowin, zu einem violinkonzert ihrer nichte, da war ich schon über 10 jahre nicht.

dir beiden musikerinnen, anna heygster und henja semmler, haben ein paar mir total unbekannte komponisten ausgewählt und ein anspruchsvolles programm gespielt. eugène ysaÿe war dabei, seine sonate für 2 violinen, nie vorher etwas gehört von ihm. es war richtig aufregend da zuzuhören, es war mir vollkommen neue musik, es gab zum ende hin eine stelle, wo ein kleines, leicht liedartiges motiv gespielt wird, das sich gleich wieder verliert im miteinander. die beiden spielen großartig miteinander, die linienführung der stücke mal mit, mal gegeneinander, immer im wechsel, es ist alles aus einem guss und bleibt dabei leicht und glänzend. die kirche war gut gefüllt, viele graue köpfe ein paar junge, wir waren so im mittelfeld.

ich bleibe dabei noch im krönungsthema, denn the king himself, charles III, hat den hof ende april besucht, er ist ja sehr interessiert an ökologischer landwirtschaft. die brodowiner haben mit dem könig einen königskäse hergestellt, er hat sogar hand angelegt, die freundin hat hier darüber geschrieben. mal schauen, wie ich nach der reifung an einen solchen käse kommen kann, das wäre lustig.

heut morgen dem g.-zwilling beim abschied noch einen schein angeboten, er hat ihn abgelehnt, weil er grade genug geld hat (3-monatiges praktikum war bezahlt). sie sind schon so groß, jetzt werden sie auch noch erwachsen!

zahnarzttermin am samstag gehabt, auch neu. sonntagstermine werden aber wohl noch nicht vergeben. eine zahnfleisch-behandlung steht an, etwas, worüber ich noch nie nachgedacht habe, aber ich glaube, das brauchen sehr viele in meinem alter, wenn sie nicht superduper zähne gepflegt haben, ich höre es jedenfalls aus dem umfeld. bin unlustig, will es aber mal erledigen. immerhin hat diese ärztin es irgendwie geschafft, dass ich mein gebiss jetzt wieder mag, ich habe es merkwürdigerweise erst jetzt, wie schon jahre zuvor meinen körper, aus dem wettbewerb der eitelkeiten herausnehmen können, aus der wertungsskala, dem 10er-system, in dem wir uns bewegen, ob wir es wollen oder nicht. es gehört wieder zum ganzen.

die teilewirtschaft in der selbstwahrnehmung.

heute eine idee für ein projekt gehabt, für das ich noch eine software suchen muss. es könnte eine webseite geben, für die viele, sehr viele bilder ins netz gestellt werden, 4-stellig+, nach kategorien durchsuchbar, mit oder ohne text, je nach bild. ein bisschen wie ein shop, also mit der möglichkeit von paar fotos pro gegenstand, aber ohne shop. wordpress kann das glaube ich nicht. gibt es sowas, oder muss man das schreiben lassen? katalog- oder archivsoftware, sowas.

es ist wie es ist

in den achtzigern war ich ja schon in berlin, in meiner uni- und freunde-blase, hatte noch keine genaue ahnung, was ich mit meinem leben machen soll, zuviel war noch abgrenzung von all dem, was ich nicht war. ich habe zu wenig gelesen für mein studium, aber ein paar autoren haben mich erwischt, wie man halt mit paarundzwanzig erwischt werden kann. ein seminar mit rainer niehoff war dabei, das erinnere ich noch heute als intensiv und leicht und leidenschaftlich klug. ich habe nicht viel gesagt da, hab aber verstanden, was literaturwissenschaft sein kann, brücke und fluß, und was nicht. es ging um hans henny jahnn, immerhin heißt der g.-zwilling mit zweitem namen henny, die bücher stehen im regal, ich lese alle paar jahre mal ein theaterstück nach, wenn jemand das inszeniert, aber für die romane fehlen mir inzwischen geduld und glauben, oder nein, es fehlt die zeit, vor allem, die fähigkeit des abtauchens in eine welt, die das wert ist.

es gibt ja autoren wie hesse, sartre, camus, chatwin, kurze bücher, die vor allem von zwanzigjährigen gelesen werden, ich bin mit dem großen in seiner hesse-phase vom see aus nach montagnola ins museum gefahren, hab mich gefreut, als beim g.-zwilling ein band sartre lag, allerdings auch gemerkt, dass ich den jungs außer paar gemeinplätzen kaum was dazu sagen konnte, es ist zu lang her, meine lebensumstände haben mit literatur nichts mehr zu tun, es gibt nur noch ein paar fragile fäden ins literaturnetz, immerhin glitzernde fäden.

ich versuche das mit diesen besonderen büchern alle paar monate mal, bleibe ein paar dutzend seiten, lese nicht oder selten zu ende. vielleicht ist es lesegruppenmaterial, aber wie früher in der uni kapitelweise, als eine art lesebegleitung, das gabs doch beim ersten knausgård, wenn ich es richtig erinnere? für all diese monolithe, vielleicht auch für den tunnel von william gass, oder den horcynus orca von d’arrigo, dann die sorge, dass auch diese bücher im rückblick verschwimmen, nicht mehr die meilensteine sind, die sie ungelesen und im vorfeld noch waren, so als sehnsuchtsobjekt, das buch, in dem ich endlich verloren gehen darf oder mich wiederfinden kann. die glastonbury romance von powys ist da anders, der roman funktioniert auch in auszügen, da lese ich gelegentlich als eine art ausflug ins grüne drin herum.

ich schaue allerdings auch gelegentlich indiana jones, aus ähnlichem impetus. egal. wochenende!

eine freundin, die literatur unterrichtet, hat mir gesagt, das heutige buch der jugend sei allegro pastell von leif randt, und naja, wenn ich das probelese, also sagen wir, ich nehme dann mein alter wahr, es liest sich wie nahtlos aus dem leben gegriffen, zwanzigjährige schreiben tagebuch, was sie unbedingt tun sollten, aber es sind halt uninteressante zwanzigjährige. dann lieber drama, intensität, grenzen, fremde weltgebäude.

hmm. ein versuch, mich selber ins lesen hineinzubloggen, und das hat ja schon mit dem daten nicht wirklich gut funktoniert.

leipzig, mp

mit frühem zug los, die pension nimmt erst ab 14 uhr auf, also bin ich dann noch ein paar stunden durch die stadt gelaufen, was ich in fremden städten sowieso immer am liebsten mache. an der nikolaikirche gleich vorbeigekommen, sobald ich drin war, rief der g.-zwilling an, zum telefonieren brav rausgegangen, mit ihm verabredet und danach noch eine führung durch die kirche mitgemacht, bei der ich einfach so mitlaufen konnte. der schwerpunkt der führung lag auf dem widerstand gegen die ddr, der in der kirche begann, sehr schön erzählt, viele kommen wohl auch hauptsächlich deswegen dorthin. mich hat die kirchengeschichte mehr interessiert, johann sebastian bach hat da 1723 seine stelle als kantor angetreten, hat in den ersten beiden jahren wöchentlich kantaten geschrieben, eine nach der anderen. eine zeitlang vorgenommen, den kindern jeden sonntag die passende kantate vorzuspielen, aber wie es so geht, es kommt dann anders.

mit dem g. weiter in die thomaskirche. ich wusste nicht, dass bach dort begraben liegt, hatte dann ein fangirl-herzflattern an der großen schwarzen platte im altarraum. es gibt auch einen fanshop, ein glaskasterl zwischen kirche und thomanerhaus. vor der kirche war ich mit gregor im buchhandel, er suchte ein buch von 50 cent, fühlte mich deshalb voll berechtigt, ihn in den fanshop von bach mitzunehmen. kugelschreiber, aufkleber, tshirts, kaffeetassen. ich hätte alles kaufen können, war aber brav, habe trotzdem 35€ dort gelassen für irgendwelchen pipifax, inclusive der playmobilfigur von jsb. überall im zentrum hört man bach, strassenmusikanten spielen bach, in den cafés läuft bach, mir kam die welt plötzlich als friedlicher ort vor, bis der g.-zwilling zu recht darauf hinwies, dass es ja auch noch andere komponisten in leipzig gegeben habe, mendelssohn bartholdy, die schumanns, grieg, mozart war dort, mahler, richard wagner wurde in leipzig geboren, was ich auch nicht wusste vorher. heute teilt der g.-zwilling noch mit, auch karl liebknecht sei in leipzig geboren, nur ein paar häuser von seiner wg entfernt. am haus griegs sind wir vorbeigelaufen, es steht eine kleine statue im garten, aber die statue bachs ist natürlich um einige meter größer. stelle mir vor, wie all diese komponisten eigene fanclubs unter den honoratioren der stadt haben, die sich dann um gelder, museen, veranstaltungen und feierlichkeiten balgen.

selbstverständlich ist nichts auf der welt so schön, so perfekt, so etc. wie die matthäuspassion, weil. und sie wäre fast in vergessenheit geraten, wenn nicht der sehr junge mendelssohn bartholdy sie hundert jahre nach der ersten aufführung und 70 jahre nach bachs tod zu ostern 1829 das erste mal wieder aufgeführt hätte, und sie damit zum teil der moderne hat werden lassen. heinrich heine, friedrich schleiermacher und hegel waren teil des illustren publikums an diesem abend, das erinnert bisschen an das foto mit delon, faithful und jagger nebeneinander auf demselben sofa.

dann höre ich ein bisschen zu und bin sofort wieder drin. sie beginnt ja mit dem verrat, keine lebensgeschichte, keine bergpredigt, wir werden gleich ins zentrum der osterpassion geworfen, und sein opfer weiß es alles schon vorher. die trauer, wenn sie singen ach, nun ist mein jesu hin!, als er abgeführt worden ist nach dem verrat von judas. jesus schweigt zu lügen stille, antwortet nicht auf die vorwürfe, und bittet um geduld, wenn mich falsche zungen stechen (tick zu inbrünstig mit wunderlich, aber classics go!). ob er gottes sohn sei, fragen ihn die priester, er bestätigt und das wars dann, er wird zum tode verurteilt, in einem leichten, kurzen und etwas hämischen chörchen, man hört, es kostet sie nichts, kein nachdenken, keine überlegung, sie tun es einfach. es folgt das wunderschöne wer hat dich so geschlagen, obwohl du nichts getan hast, fragt der chor. petrus verrät ihn derweil ein weiteres mal, ob er ihn denn kenne, wird er gefragt, nein, sagt er, jesus? nie gehört. mittlerweile ist es nacht geworden, dann wieder morgen, und petrus erinnert sich an die prophezeihung, er würde jesus dreimal verraten haben, ehe die sonne wieder aufgeht. ihm wird anders, er weint, und während man noch zweifelt, ob man ihm denn jetzt noch glauben könne, planiert bach mit erbarme dich jeden zweifel. da sitzt man dann und verzeiht einfach allen und allem und jedem, für diese paar minuten. das muss man erst mal 294 jahre lang schaffen.

schall und rausch. inzwischen wirft der reuige judas den hohepriestern das geld wieder hin und bittet in der einspielung der chapelle royale (ich glaube, es singt peter kooy) fast freudig: gebt mir meinen jesum wieder! (leider nirgends online gefunden, lieblingsaufnahme von 1985, hier eine weniger leichtfüssige, aber auch bisschen tänzerische version von viel später, mit mertens bei ton koopman), und dabei schon erleichtert klingt, weil er einen schritt in die busse getan hat, oder bei karl richter sehr bestimmt und fordernd, als sei es sein recht. bei bach kommt dann als antwort ein tröstliches und leises „befiel du deine wege„, auf die melodie vom schlager der passion, der erst später mit allen stimmen gesungen wird, wenn jesus zum kreuz gehen muss, „o haupt voll blut und wunden„. erstmal bieten die hohen richter dem volk noch einen austausch an, das klappt nicht, lasst ihn kreuzigen singt der chor am ende des gesprächs in einem geschlossenen, schnellen kreislauf, da gibt es kein entkommen mehr. keine chance. dann geht es noch ein bisschen hin und her, aber barrabas wird freigelassen, jesus wird gepeitscht und geschlagen, es ist vorbei. dann singt der alt, gefasst, man hört, der j. ist verloren, aber er ist noch da, da steht jemand noch am anfang der trauer, noch ganz abgewandt vom geschehen, ganz für sich, noch fassunglos, aber schon in der akzeptanz, als sei er schon gestorben. das hat mich früher immer so aufgeregt, der generelle mangel an revolutionären aktionen bei hinrichtungen jeder art. man nimmt sie hin. jesus stirbt dann neun stunden lang, am ende erkennen die menschen ihren fehler, aber es ist zu spät. er wird vom kreuz genommen und joseph übergeben, der ihn beerdigt, mit reinem herzen.

menno, jetzt ist schon 00 uhr, nur weil meine liebste einspielung nicht online ist. besorgt sie euch, es ist die beste. und ja, ich bin agnostikerin, außer beim hören dieser musik. dann wird alles schlüssig sozusagen, schlüsselfertig, besenrein.

edit: heute früh mit dem dringenden traum wachgeworden, ich müsse noch schreiben, dass ein bach-sohn direkt nach dem auftritt als sänger der mp verstorben sei, und dass die passion auch deswegen so lange nicht mehr aufgeführt wurde, weil ein persönlicher leidensweg damit verbunden war. im traum habe ich das am sonntag im bach-museum gelesen, in einem text zu seiner familie, aber in meiner dicken bachbiographie finde ich das nicht, auch nicht im netz. schräg. war mir sehr sicher heute früh. vielleicht, weil der g.-zwilling dem d.-zwilling und mir auf dem spaziergang von einem unfall in chile erzählt hat, bei dem er ein paar meter in freiem fall in einen abgrund gestürzt ist, aufgehalten von so einem absatz im fels, hoch über einem vereisten see. wurde mir sehr anders, als ich das hörte. er musste dann „20 km mit verstauchtem fuss“ zurücklaufen. (heute frei, da kann ich bachforschung betreiben).

es war jedenfalls in leipzig richtig kalt, hätte fürs stundenlange herumlaufen doch eine schicht thermowäsche drunterziehen müssen, vor allem die kälte war anstrengend. vor einem jahr war ich im kurzurlaub um den frauentag beim großen in trier, da hab ich auch gefroren, diesmal immerhin mit warmer wollmütze. märzkälte beisst.

am abend ist noch der d.-zwilling dazugekommen, halle ist nur eine stunde mit der s-bahn entfernt, wir haben beim g tee getrunken und sind dann essen gegangen, in ein riesiges lokal mit offener küche, vietnamesich-japanisch. wir haben gut gegessen, aber nicht gut genug für den preis, ich habs genossen, die beiden an einem tisch zu haben. beim plaudern und reden läuft bei mir immer der zweite film im hintergrund, die erinnerung an die 18 jahre, die ich die kinder zuhause jeden tag beim essen um einen tisch hatte. worüber haben wir geredet? es gab wenig heftige diskussionen, wie ich es bei anderen eltern immer mit einem gewissen respekt beobachtet habe, soviel intellektuelles engagement, andauernd, es war bei uns schon eher bewusst friedfertig, versöhnlich, eher den konflikt vermeidend und dabei auch mal ins smalltalkhafte gleitend, oder erinnere ich das falsch? manchmal sorge, dass das alleinerziehen die gute beziehung zu dem einen hauptzuständigen elternteil wichtiger macht, es bei zwei eltern leichter ist, auch mal mit allem ins kontra zu gehen. ach nee, es gab gar nicht soviele konträre punkte früher, mit den kindern bin ich mir in den meisten grundlegenden dingen einer meinung. nach dem essen haben wir den d.-zwilling noch in die illustre albertina begleitet, wo er abends noch lernen wollte, für eine klausur heute. hat mich sehr beeindruckt.

am nächsten tag musste ich um 10:30 auschecken, sonst noch einen tag bezahlen, bisschen frech, also frühstück beim g., dessen wg zufällig nur 100m neben meiner pension liegt. danach sind wir ins grassi – museum für angewandte kunst spaziert, wo wir erstmal einen kaffee und ein süppchen zu uns genommen haben (der stoffwechsel der jugend!). ich bin da 2 stunden herumgelaufen, fand es entspannend, die ganzen schönen gebrauchsdinge, die keine meinung erfordern, viel porzellan, allerlei kram aus dem alltag in anderen jahrhunderten. überraschend eine toilette aus dem 18. oder 19.jh, in reich geschmückter blaublüten-keramik, sehr schön, das wäre doch was! würde ich lieber reinigen als die ewig klinisch weißen unserer tage. der g. ist dann zurück in seinen sonntag, mich hat es noch ins bach-museum gezogen, wollte unbedingt einmal ein paar manuskripte sehen, dicht davor stehen, im gleichen raum sein mit ihnen, yadda yadda.

das museum ist im bose haus, dem haus der familie bose, die mit den bachs gut befreundet waren, es liegt direkt gegenüber der ehemaligen thomasschule, in der bach mit seiner familie gewohnt und gearbeitet hat. das museum ist schön eingeschmiegt ins haus, es gibt sehr viel musik zu hören, das mochte ich, auch wenn die displays zur auswahl nicht mehr top of the line sind. gut gemacht, sie schaffen es, mit den wenigen objekten, die es aus bachs lebenszeit noch gibt, ein paar seiten noten, eine schatztruhe, eine orgel, dieses bunte und so vielseitige und wirkungsvolle musikerleben nachvollziehbar zu zeigen.