lichter, gedenkfeier

schon wieder in der kirche gewesen, diesmal eingeladen unter schweigepflicht. die kirche sollte voll werden, was einem abend um 18 uhr unter der woche nicht einfach ist, es waren aber wesentlich mehr menschen da als neulich am sonntag, weil die idee ganz schön war, nacht der lichter, zum gedenken an den 9.10.1989, als die ostler in der gethsemanekirche zuflucht gefunden haben vor der draußen prügelnden stasi. die frau neben mir ist dabeigewesen und erzählt, wie sie über den zaun aufs kirchengrundstück geklettert ist, und es ist ein zaun mit sehr spitzen stäben, der ist dem d.-zwilling und mir aufgefallen, als wir zum nebeneingang gelaufen sind, weil der haupteingang blockiert war, „adrenalin war das“ sagt sie, und wie sie nicht wusste, was da grade passierte alles. eine frau im rock mit leopardenmuster und passendem tuch, blodes haar, roter lippenstift, verteilt programme. es ist auf den letzten drücker noch fast voll geworden.

die pfarrerin jasmin el-manhy begrüßt uns, dann liest eine schauspielerin, deren namen ich vergessen habe, aus einem buch über den herbst ’89 in der gethsemanekirche vor. „wachet und betet“ stand damals draußen an der kirche, eine nicht unmittelbar politische, aber doch klar verständliche einladung zur aktivität, zur aufmerksamkeit, zum widerstand, wenn auch im gebet. die kirche war an dem abend voller menschen, dicht gedrängt sitzen und stehen sie im raum, ein foto ist auf einem großen schicken bildschirm zu sehen. el-manhy liest einen psalm, der mir gut gewählt erscheint,

weil in der der ersten reihe angela merkel sitzt (drei reihen vor uns, so nah komm ich der macht nie wieder. sie trägt bordeaux). nach einem lied lesen jugendliche aus tagebüchern vor und verbinden den damaligen widerstand, der tatsächlich zu einer revolution geführt hat, mit dem heutigen, der mindestens zu einer wende führen muss. einer der jungen leuten sagt dabei ein paar zeilen, die der bischof, der natürlich auch da ist, in seiner kurzen rede („ansprache“) wieder aufnimmt, sie mussten protestieren, weil sie es für richtig hielten, diese konzentration auf einen zentralen menschlichen aspekt bei der wende, die gemeinsamkeit, dass es allen zuviel wurde, dieses geheimnisvolle kippen der verzweiflung und unzufriedenheit in die gewissheit, jetzt etwas tun zu müssen. er verbindet es immer wieder mit der heutigen lage, das wort selbstwirksamkeit fällt ein paar mal, meine ich zu erinnern. man spürt seine große betroffenheit über das attentat in Halle, „am jom kippur“, er erwähnt es mehrfach.

immer wieder sehr höfliche ermahnungen, auch in gebetsform, doch bitte irgendwas zum erhalt der schöpfung zu tun, sicher auch an die kanzlerin, aber eher indirekt. es dauerte knapp über eine stunde, am ende zünden alle eine kerze an und singen dabei, in einem sehr leichten und eigentlich in seiner vielstimmigkeit gelungenem kanon „dona nobis pacem“, während die kanzlerin mit mann und herrn platzek und herrn de maiziere und ein paar agenten die kirche wieder verlässt. ich denke, sie wollte aus eigenem antrieb herkommen, sie war ja schließlich dabei, im oktober 1989, in der gethsemanekirche. schade, dass sie nichts davon erzählt hat, notfalls impromptu.

keine öffentliche ankündigung und also auch keine öffentlichkeit. kameras waren aber dabei, mal schauen, vielleicht kam es irgendwo. eigentlich ganz gelungener abend, findet die gemeinde, ich mochte auch das nüchterne, nicht hochkandidelte. paar lieder, paar gebete, paar texte, kein brimborium. sehr protestantisch.

ich habe bilder von angelina jolie immer gern angesehen, diese art von schönheit, die auch im dunkeln erkennbar ist, weil alles im gesicht so groß und ausdrucksstark ist. eine schöne frau, halbwegs engagiert, irgendwie in ordnung. grade über irgendeine doofe facebook-werbung ein interview gelesen, indem sie eine massive esstörung beschreibt („obsessed with weight loss“), ohne dass sie oder sonst jemand das so benennt, endend in werbung für eine von ihr vertriebene diätpille of all things, die den stoffwechsel in ketose versetzen soll, einen zustand, der in notlagen wie hunger und krankheit auftritt, und bei diabetikern zur ketoazidose führen kann, einer ernsthaften und lebensbedrohlichen stoffwechselentgleisung. sie verdient damit geld. unfassbar, ein paralleluniversum. bin doch ein bisschen enttäuscht, ich hielt sie für halbwegs intelligent, also nur soweit ich sie überhaupt für etwas gehalten habe. da hat ihr marketingexperte nicht aufgepasst. hoffentlich enthalten die pillen nur placebos und keine pharmakologisch wirksamen bestandteile, die wären unter umständen ordentlich gesundheitsschädlich. schon verschiebt sich die wahrnehmung von ’schön‘ zu ‚ausgemergelt‘, von außergewöhnlich zu einer von vielen, die von ihrem aussehen leben. vielleicht ist das für sie ja auch ganz erleichternd, endlich sein zu können, wer sie ist. schaudernd ab

„Historische Umkehrung: nicht mehr das Sexuelle ist unschicklich, sondern das Empfindsame – verpönt im Namen dessen, was im Grunde nur eine andere Moral ist.“

in meinem sinnlos zerlesenen fragmente-einer-sprache-der-liebe-band nach der vox „zweifel“ gesucht, nichts gefunden, trotzdem, wie immer, eine lange weile später mit ein paar trovaillen, im sinn von schätzen, kleinen, fast dingfesten gedanken wieder aufgetaucht. (zitat aus: suhrkamp tb s. 182.)

kinder und kunst

[aus dem alten blog, 2011. anreiz, um nach monaten mal wieder mit den jungs in ein museum gehen.]

um drei setze ich die zwillis aufs rad und fahre mit ihnen zum hamburger bahnhof. „mama, mama, was gibt s denn da?“ als wir davorstehen, sagen sie, das sei das langweiligste museum der welt, da waren doch diese rentiere, das war to-tal langweilig. welches mögt ihr denn am liebsten? „das technische!“ kommt sehr schnell. und überhaupt, am schrecklichsten sei diese große leere halle mit nur luft drin. aber sie kommen fröhlich schimpfend mit hinein und stehen nach 5 sekunden barfuss in der warteschlange, um die plastikballons besteigen zu können. die andere, größere kugel mit den beiden etagen drin muss auch sein, obwohl man da noch länger stehen muss, es stört sie nicht, sie genießen wie ich die höhe und das tauchgefühl in der luft. es ist immerhin etwas weniger langweilig als die rentiere, die waren furchtbar langweilig. als ich noch die steile stiege herunterklettere, stehen die beiden schon im durchgang zur flick-sammlung, wusch, sind sie weg, mit schnellem schritt durch jeden raum, einmal um jede arbeit herum, die skulpturen von dieter roth mögen sie natürlich, den raum von bruce naumann ohne seele finden sie kurz spannend, „mama, erklär mal“, rufen sie und sind schon wieder eine arbeit weiter.

brennstoff selbstgemixt

ich sollte immer zucker in reichweite haben. erfahrungsgemäß unterzuckere ich dann sehr gerne, wenn ich im wald bin oder sonstwie meilenweit vom nächsten kiosk entfernt. oder beim ersten date im guten restaurant mit einem, der vom diabetes noch nix weiß. oder kurz vorm yoga – neulich stand ich auf einem parkdeck und fragte mich, warum die zivilisation so komplexe dinge wie parkhausschranken erfunden hat. also kaufe ich alle paar monate große ladungen traubenzucker als drops oder als glukosetabs, oder haribo in 3kg-packungen. die geschmäcker gehen dabei auseinander, jeder hat so seine erfahrungen mit mengen und marken. bei mir dauern 12g traubenzucker 20 minuten, bis sie im blut ankommen, alles andere dauert noch länger.

jeder diabetiker hat da seine vorlieben, ich esse haribo am liebsten, mag es aber zu gern, das ist riskant. es gibt von dextroenergen kleine trinkbeutel mit einer art zuckerlösung, oder so plastikpackungen mit zuckersirup von medizinischen herstellern – alles verhältnismäßig teuer und unbefriedigend, weil die dosierung nie stimmt und man dann die hälfte wegwerfen muss, und wo genau ist die hälfte, wenn dein körper die ganze zeit mehr! mehr! brüllt? caprisonne und kleine saftpackungen sind auch beliebt, aber die passen ja nicht in jede clutch.

jetzt habe ich endlich eine nachhaltige und sehr preiswerte lösung gefunden, auf der informativen italienischen seite deebee. ich habe dafür im netz verschließbare kleine 30ml-röhrchen gekauft,  für diese tabak-parfüms oder für homöopathiekram, aus plastik, alu oder glas, und befülle sie mit simpler selbstgemixter glukoselösung, pro portion mit 15g kohlenhydraten, genau die menge, die mich wieder auf den deich bringt.

so gehts (rezept von deebee): 155ml wasser zum kochen bringen, 150g traubenzucker einrühren,  wenn es trüb bleibt: wieder erhitzen, weiterrühren, bis es klar wird. auf 10 fläschchen aufteilen. hält sich im kühlschrank länger, außerhalb ca. eine woche. kostenpunkt: einmalig die behältnisse kaufen, hier zum beispiel, dextrose gibts ab 4,50€ das kilo. traubenzucker als tabs oder drops kostet aufs kilo gerechnet zwischen 18 und 25€, der verpackungsmüll (einzeln abgpackte tz-tafeln bei dextro energen) kommt noch dazu. jetzt verspüre ich eine gewisse vorfreude auf meine nächste hypo.

Nels Cline 4 im Zig Zag Jazz Club

Sobald die Musiker auf der Bühne waren, gingen im Publikum diverse Handies an. Gitarren wurden gegoogelt. Ich mag die Vorstellung, dass Menschen sich ein Instrument kaufen, oder ihr Wissen darüber horten, weil jemand anderes gut drauf spielt. Stehe ja auch anderen Mechanismen der virtuellen und symbolischen Aneignung sehr aufgeschlossen gegenüber.

Cline (der übrigens einen Schlagzeug spielenden Zwillingsbruder hat) hatte das Mikro, hat aber nix gesagt, sondern gleich angefangen, nach einem kurzen Blick in den sehr, sehr vollen Saal. Mir sind dann die Gitarristen nach ein paar Sekunden wieder aus dem Fokus geraten, weil der Schlagzeuger so gut war, viel mehr Raum als nur Rhythmuslinie, ein reicher und durchdachter Raum. Ihr kennt vielleicht dieses kurze Gefühl der Richtigkeit und des Echtwerdens, wenn man auf Google Earth von 2D ins Dreidimensionale wechselt, aus Vierecken werden Häuser, aus Flecken Bäume, oder Berge, jedenfalls Welt. Als wäre es ein Abend mit Tom Rainey und Band. So gehört das also, so hört sich das wirklich an, wenn jemand Schlagzeug spielt.

Ich weiß nicht, ob das heutzutage einfach eh so gemacht wird, aber nach diesem Einstieg war ich wieder wach und aufmerksam.

(Das erste Konzert an dem Abend, waren zwei sehr sehr freie Jazzer, das Kropinski-Heupel-Duo. Einer auf Querflöte und sogar Bassquerflöte, hat aber meist so etwas wie gescrambelte Läufe gespielt, atemlos, ohne Anfang oder Ende oder sonst eine Hommage ans Ohr des Hörers. Ich hör mir das dann an und denke „ah, interessant“ und finde keinen Zugang, weiß aber auch nicht, was mir das bringen würde, wenn ich einen hätte, weiß nicht mal obs da überhaupt um Zugang geht, nicht viel mehr um reine art pour l’art. Andrerseits: Ein Zuhörer hat mir vorm Konzert von seiner Zeit beim Militär in der DDR erzählt, und wie ihm der freie Jazz seine Seele gerettet habe, das ist natürlich ein excellenter Grund. )

Die Musik und die Stücke (als Inhalt und Form) waren meistens von Cline, und da war alles drin, es sind hochkomplexe Systeme, sie haben alle ein Ende (ich mag weder ausklimpern noch das fadeout), sind abgeschlossene Miniwelten.  Swing Ghost ’59  ist wirklich großartig, auch wenn ich nicht begreife, was ich da höre, nur: es stimmt alles darin. Und es ist wunderschön und lustig. Das aufregende Gefühl, wenn sich lauter bisher unbekannte, aber vage vertraut klingende Einzelteile zu einem Kunstwerk zusammenfügen, oder eher ineinander verschränken, wie Magie, als hätte Cline bei irgendwas göttlichem angefangen, hätte es retro-engineert, und das ist dabei rausgekommen. (Tick unterzuckert bin ich)

Julian Lage war diesmal für meinen Geschmack zuwenig zentral, der hat rumgekaspert und viel gespielt, aber es ging um einen Bandabend, einen Konzertabend, bei dem die Songs mehr im Vordergrund stehen als die Helden. Kein Dialog wie damals in Mailand, diese vier herausragenden Musiker waren heute gleichberechtigt zu hören. Der Bassist war Jorge Roeder, ein anderer als der auf der CD. Vielleicht ist diese Tour ja die zweite Seite der Medaille Cline/Lage, erst eine Tournee mit mehr Lage, dann eine Tournee mit mehr Band. Es gab auch ein paar free- oder Avantgarde-Jazz-Soli, sogar vom Schlagzeuger!, aber eben mit Herzblut und dem ganzen Mann dahinter, und mit einer gewissen sexiness. Das Hingerissene beim Solo hat bestimmt, wie das Solo selber, ein bisschen Show dabei, aber die Hauptenergie war das Glück, Musik machen zu können, dauernd, jeden Tag, mit Leuten, die besser sind als du selber, das wirkt jedenfalls sehr anziehend. Mit diesem Drive der Musiker vor Augen kann ich das hören, also nur live im Konzert, sonst ist es für mein Gehör zu verschlossen,  wenn man erkennbare Harmonien oder Melodien als Öffnung begreift.

Der Abend war mir eigentlich zu kurz, 80-90 Minuten, es gab als Zugabe ein ganz ruhiges Stück, Cline hat danke gesagt, sich verbeugt, und „schön dass ihr gekommen seid“.

Der Club ist ein Raum für vielleicht 200 Leute, der Weg zum Bad führt direkt an der Bühne vorbei, ich habe dabei den Blickkontakt gesucht und bekommen, ein Hoch auf kleine Locations. Die Leute mit den Handys sind zur Bühne gegangen, sobald die Musiker runter waren, um Verstärker und Pedale zu fotografieren. Am Ende des Abends war der Saal schon fast wieder leer, Cline und Lage haben auf der Bühne ihren Kabelkram zusammengeräumt, habe ihnen meine CD zum Signieren gebracht. das machen wenige leute, ist das Signieren nur bei Büchern üblich? Ich lasse ja alles signieren, was nicht bei drei auf dem Baum ist, es ändert mein Gefühl und die Nähe zu Kunst und Künstlern, und man bekommt noch ein Lächeln zum Erlebnis. Es ist ein zusätzlicher Anker.

Hatte jedenfalls mein  letztes Bargeld für die CD ausgegeben und wollte nicht allein darauf warten, ob die Musiker sich nochmal blicken lassen. Was mich wirklich interessiert, werden sie eh nicht beantworten können, woher nämlich der Zauber kommt, ob sie etwas opfern mussten dafür, ob alles in ihnen Musik ist, und wie man das Ende eines Stückes findet, eher mit dem Herz oder dem Kopf? Das ist natürlich Quatsch, weil sie ja deswegen so genial sind, nicht nur das Talent ist außergewöhnlich bei dieser Klasse, auch die Intelligenz, die Wahrnehmung, die Offenheit der Seele. Wozu das aufdröseln

Und wann sie wiederkommen. Bitte bald.

julian lage und nels cline in berlin

die beiden gehören zu den besten gitarristen der welt und damit des universums, sie kommen aus verschiedenen ställen und ich vermute, auch ihre leben waren sehr verschieden, was egal ist, wenn man sich in der musik begegnen kann wie diese beiden. vor lage wusste ich nichtmal, wie sehr ich jazzgitarre hören mag, er hat genau den richtigen dreh, nicht nur virtuosität (reine perfektion genügt nicht für wirklich große musik, sie bleibt eher fordernd) sondern auch humor und zwei beine fest im american song, im bluegrass, im folk. cline kenne ich nicht so gut, aber julian lage kann das große andere, viel seltenere, wo beim zuhören alles im kopf musik wird und ineinander aufgehoben scheint, der große strom mal restlos gekapert wird von musik, in schönheit. und er grinst dabei.

ich weiß nicht, was die zu viert miteinander machen werden, vielleicht bleibt es auch beim erwartbaren, aber ich denke, diese beiden können gar nicht anders als etwas wirklich neues zu spielen. es könnte diese magischen momente geben, lage schüttelt sie aus dem handgelenk (irre hohe schule, wenn es so aussieht), als würde er selber nicht wissen, wohin der flow ihn führt, und ihm einfach vertrauen. magic.

edit: es wird wohl doch bisschen wilder bei dieser tour:

in berlin, im zigzag jazz club, am 25. april. geht hin. (ich bin zu einem konzert von lage und cline mal richtig weit angereist, so wild war ich drauf, ihn/sie live zu sehen, und das hat sehr sehr lang niemand mehr geschafft)

… und jeder Ort ist hier.

aus Ursula Ziebarth: Hexenspeise, Verlag Günther Neske Pfullingen 1976

ich kann mein nachdenken über ihre sammlung schlecht fokussieren, auch weil in ihrem zimmer überall etwas steht oder liegt, in reihen über- und hintereinander,  würde gern in reihungen schreiben, komma an komma an komma, damit nichts verloren geht. es ist ein schatz im romantischen sinne, wie die schätze im indiana jones-film, eine unübersehbare menge von einzelnen dingen. sie sind einander ähnlich, weil man ihnen das handwerk noch ansehen kann, die nähte, die perlen und muscheln, (- schon wieder reihungen), die spuren vom schnitzmesser. sie sind farbenfroh und meistens eher nicht so abstrakt.

sie hat sie ihr ganzes leben lang gesammelt, ich habe sie nie gefragt oder gefragt (wahrscheinlich, es ist ja  naheliegend) und die antwort wieder vergessen, womit sie angefangen hat, oder ab wann es eine sammlung wurde. vielleicht eine antwort auf den verlust ihres elternhauses in der bombardierung berlins, oder einfach faszination an schönen dingen, das behaltenwollen mehr als das habenwollen, glaube ich. die schönheiten nicht mehr aus der hand geben müssen. 60 jahre später hat es sich ausgewachsen zu einer welterfahrung, einem wissensberg, der eben nicht metaphorisch erfahren wird, sondern tatsächlich da ist, vorhanden, anfassbar.

auf der beerdigung hat titus georgi (ein beuteenkel, wie ziebarth die kinder und kindeskinder von freunden nannte) das schön beschrieben, er sprach von den vielen verschiedenen wegen, mit denen menschen und kulturen mit denselben gegebenheiten umgehen, er hats viel schöner gesagt, aber in diesem sinne, und die große freude an diesem reichtum.  die verschiedenheit der dinge ist sowas wie ihr ankerpunkt in der sammlung, ein energieknoten, darüber gehen dann die türen auf in die vielen erscheinungsformen von volkskultur.

hat sie es geteilt mit ihren lieben? ihre männer hat sie immer geteilt, teilen müssen, die wollte sie nicht ganz, bei ihren dingen war das anders. sie hat uns manchmal schmuck zum anlegen gegeben, die krone bei david, oder ein schweres kollier, das mal kurz um meinen hals lag, aus afrika. sie hat diese sachen damit für einen moment auch wieder ihrem sinn übergeben, einen menschen zu schmücken und zu verwandeln, oder eine situation, und ich glaube, sie hat das mehr der sammlung zuliebe getan, ihr einen kurzurlaub im alltag gegönnt, und nur ein bisschen, um uns eine freude zu machen. schalen sollen gefüllt werden, bücher gelesen, mit löffeln soll gegessen werden.

der wert der dinge liegt auch in ihrer bedeutung im sozialen miteinander, oder in ihren repräsentativen eigenschaften, sie haben ein bein im symbolischen. wie die vielen dinge bei uns zuhause alle irgendwie nur auf uns zeigen, als familie oder status oder beruf oder persönlichkeit, vielleicht sogar die kunst, die ja eigentlich das andere ist, so wird durch die fülle und das disparate in ursel ziebarths sammlung die ganze zeit die tür aufgerissen und woanders hin gezeigt. mexiko!, südamerika! papua neuguinea! alles voller welt.

vollständigkeit ist etwas furchterregendes, oder nicht? könnte man eine sammlung wie die ihre abschließen, dann wäre die welt leer und die menschheit traurig. es gibt überall neues zu entdecken, neue geschichten, neue kunstfertigkeit, neue wunderbare figuren und gegenstände. auch wenn alle länder bereist waren, gab es  im ypsilon in der bayreuther strasse immer noch die chance auf einen glücklichen fund, einen neuen schatz. das sammeln ist eine lebensart, wie das leben geht die sammlung auch immer weiter, ursel ziebarth hat noch in der woche vor ihrem tod etwas neues erstanden. sammeln ist leben.

heute wurde sie beerdigt, es war sehr schön, ihre theaterfamilie hat sie verabschiedet, mit ansprachen und gesang, ihre freunde und alte berufkollegen waren auch dabei. bach und schubert. und eine trompete.

„… und jeder Ort ist hier.“ weiterlesen

ursel ziebarth ist nicht mehr.

frau ziebarth ist am 20. märz gestorben. die großartige, deren lebenshunger noch für weitere 100 jahre gereicht hätte. habs grad erfahren, ich habe letzte woche noch bei ihr geklingelt, weil ich sie zum theater abholen wollte. sie hat nicht aufgemacht. verabredet hatten wir uns 2 wochen davor, ich habe sie noch anrufen wollen vorher zur sicherheit, und sie ist nicht drangegangen. da war sie schon tot.

(mit ursel ziebarth im BE, festvorstellung zu ihrem 95. geburtstag. ich hab leider kein bild nur von ihr, und wollte mich nu auch nicht rausschneiden)

man könnte bücher über sie schreiben, aber das hat sie selber gemacht, über 2 dutzend, erst das letzte über ihre zweite heimat, nach der literatur und den menschengemachten schätzen, die sie gesammelt hat, endlich ein buch übers theater nämlich. das BE war ihr zuhause, bis reese kam, danach ist sie nicht mehr hingegangen, kann ich auch verstehen. das BE hat ihr eine echte ziebarth-gala gegeben zu ihrem 95., hermann beil, der dramaturg, hat mit seiner wunderbaren stimme aus ihren büchern gelesen in der box oben im theaterhof, herr müller hat ihr die treppen hoch geholfen und sie zu ihrem sitz gebracht, wenn sie kam, ein paar mal jede woche, jedenfalls solange peymann noch intendant war.

„was ist dein lieblingsbuch?“ war fast ihre erste frage, als wir uns nach meiner rückkehr nach berlin irgendwann in den achtzigern neu beschnuppert haben, auf vermittlung meines vaters. sie war mit ihm befreundet, der in den 60zigern mit ihr im DIW gearbeitet hat, und kennt mich seit immer, also länger als ich sie kenne. mein gefühl war so eine mischung aus respekt und ratlosigkeit, was  so eine alte dame (ich war jung damals) denn mit mir anfangen könnte, und ich mit ihr. ich hab damals bulgakow genannt, meister und margerita, und sie war einverstanden und hat mich auf eine atemlose weise sofort in ein gespräch über literatur gezogen. lesen schien überhaupt das einzig notwendige nach den treffen mit ursel ziebarth. „was liest du?“ war in den jahren danach immer ihre erste frage. die bücher, die ich ihr zum geburtstag schenkte, lagen oft schon auf oder unter dem tisch in ihrem zimmer, ihre bücherwand war voll bis zum letzten quadratzentimeter.

vor ein paar jahren hatte ich mich vergriffen, und ihr sterben geschenkt, von knausgard. „da hast du meine souveranität überschätzt“, hat sie gesagt, und es mir wieder mitgegeben. ich hab dann einen anderen band der reihe gebracht, sie: „das buch ist interessant, aber viel interessanter wäre es zu verstehen, was du daran findest.“

ach ach.

in meinen theaterjahren habe ich sie auf den premieren getroffen, nicht nur im BE, sie war immer da. aus respekt vor den künstlern, oder generell aus respekt vor dem theater an sich, wollte sie sofort nach dem schlussapplaus keine meinungen hören, anders als ich, bei der dann immer alles rausblubbert.

die kategorie futility passt nicht zu ihr, mit all ihrer präsenz. hab ich den haken wieder wegemacht.

sie war eine neugiernase, wollte alles genau wissen, liebes- und arbeitsdinge, familie, freunde und kinder, ich glaube, auch wegen ihres sammlertums, und weil auch die ganzen lustigen geschichten ja dazugehören, liebschaften, abenteuer, chefs, nichts irdisches war ihr fremd. ihr bild vom menschen und von ihren freunden umfasste eben alles, also musste sie alles wissen, damit der mensch ganz und wahrhaftig da war. oder? ach. wenn ich sie danach fragen würde, sie würde einen klugen und pointierten satz antworten, der das thema elegant ad acta legt.

david mit krone, bei frau ziebarth im okt 15

die söhne haben sie kennengelernt, einer figur in ihrer wohnung die ohren abgebrochen („kann man reparieren, aber passt jetzt lieber auf“), auf ihrem brecht-stuhl gesessen und fragen gestellt. zum glück.

ihre sammlung. was schön ist: angesichts ihrer persönlichkeit war die sammlung nicht mehr so wichtig, sie war ein teil von ihr, aber nicht alles. ich trauere um sie, denn sie ist nicht mehr da, ihre sammlung wird ein zuhause finden, aber ohne sie sind es nur noch sachen, die geschichten zu all den dingen, das herz und die seele der gegenstände, die waren nur in ihrem kopf. wie ihr eine bestimmte statue eingefallen ist, oder ein kleiner löffel, oder ein stein, und dann hat sie oft gesagt „wir können ebensogut mal schnell hingehen“, um die statue selber in der hand zu halten, den stein ans licht. was man anfassen kann, ist da.

die ganze weite welt hat sie bereist dafür, „aber jedes land nur einmal“.

ihr langes, in wilden dutts und zöpfen hochgestecktes haar, schwarz bis zuletzt. die schönen kleider, mit spiegelchen, aus indien und den ländern, die sie bereist hat. die männer, denen sie ihr herz geschenkt hat, über die sie auch ein buch geschrieben hat, und die sich glaub ich würdig erwiesen haben.

ach, ach. ich war mir sicher, sie würde den tod überlisten können. mit dem tod kann man ja nicht verhandeln, aber für jemanden wie sie sollte es sowas wie eine ehrenrunde im irdischen geben, damit alles sich von ihr verabschieden kann. sie war einzig. ihr tod zieht und zupft und zerrt an der welt, sie war überall verwurzelt und hatte diese tausenden kleinen anker der welt in ihrem zuhause. ich hoffe, du hast sie bei dir, und auch etwas von uns. eine liebende ist gegangen. möge die erde dir leicht sein, liebe muschi. sehr traurig.

 

edit: ein wirklich schönes portrait im tagesspiegel, von johannes laubmeier

ein arg kurzer nachruf im tagesspiegel vom 17. april

ein gefilmtes interview mit ihr aus einer videoblog-reihe, einen monat vor ihrem tod

open artificial pancreas system

2018 kann ich als diabetikerin die steuerung meines stoffwechsels einem algorithmus überlassen, muss das system dafür aber noch alleine zusammensetzen. irgendwann übernimmt das ein kleiner implantierbarer blutzuckersensor, der die insulinzufuhr durch meine insulinpumpe alleine regelt, selbstlernend und wasserdicht. bis dahin macht es das internet.

die menge an insulin, die wir brauchen, ist sehr wandelbar. der blutzuckerspiegel kann durch einen haufen faktoren erhöht werden und durch einige verringert, bei stress oder wut oder aufregung wird adrenalin ausgeschüttet, das erhöht den spiegel, alkohol kann ihn verringern. andere hormone verändern den bedarf auch, bei frauen östrogen und progesteron. es ist wie ein marionettenspiel, bei dem die länge einzelner fäden und das stück dauernd verändert werden, der patient ist dabei marionette und puppenspieler in einem.

ausgehend von einem alten, für die steuerung von kraftwerken verwendeten programm (lineare modellpräventive regelung) haben diabetiker1 in den letzten paar jahren ein programm entwickelt, das uns die entscheidung darüber abnimmt, ob wir jetzt weniger oder mehr insulin geben sollten. das projekt läuft unter #wearenotwaiting (weil es in den pressemitteilungen über großartige neue heilungswege immer heißt: in 5 jahren frühestens, und man danach nie wieder etwas davon hört) und ist ein open-source-projekt, es wird als offenes nicht proprietäres  system mit den erfahrungen seiner vielen nutzer gefüttert, so wie ich das verstanden habe. die initiatoren haben dafür auch einige alte insulinpumpen gehackt, die sich dann durch das programm steuern lassen2.

es läuft entweder auf einem ein-chip-computerchen wie einem rasberry pi oder einem intel edison (intel hat die herstellung leider eingestellt, eine alternative wird grad gesucht), oder in einer app auf dem handy, je nach benutzter pumpe. alte pumpen wie meine, von 2006, haben eher funk. die anfunkbaren brauchen den eddy (kann funken) oder den rasberry, die neueren sind auch über bluetooth erreichbar. das programm gibt dann der insulinpumpe signale wie „weniger insulin“ oder „mehr insulin“ für den zeitraum x, bis mein idealer blutzuckerspiegel erreicht und gehalten wird. die entscheidungen fällt es anhand meiner blutzuckerwerte, die ich über ein cgm-system (continous glucose monitoring) sammele und irgendwie ins programm einspeisen lasse, alle 5 minuten. wenns läuft, ist es ein closed loop, und macht uns also zu loopern.

das tolle an der sache sind die vielen parameter, die ich einsetzen kann. wie lang wirkt mein insulin, 3, 4 oder 5 stunden? wie schnell baut mein körper es ab? wieviel insulin brauche ich zum essen, morgens, mittags und abends? wie hoch ist heute meine resistenz, brauche ich also zur korrektur mehr oder weniger insulin als sonst? der ganze kram läuft in diabetikerköpfen dauernd ab, ein bisschen wie bei einem koch, der sein rezept immer neu zusammensetzen muss. und wenn so ein ordentlicher pasta-pizza-torten-kloß manchmal erst morgens um 4 richtig im blut angekommen ist, lieg ich im tiefschlaf, aber openaps fängt dann die werte auf.

neulich sagte jemand, dass hinter jeder app viel mehr arbeit steckt als ersichtlich, hier sind wir als ein haufen betatester alle von anfang an dabei. ich bin schon die nachhut, die gar nicht coden kann, fühle mich aber an msdos-zeiten erinnert, wo trial and error dazugehörten und das funktionieren nur eine option unter anderen war.

gestartet bin ich über die wunderbar gehaltenen anleitungen im netz, deren größter vorteil die methode idiotensicher und c/p ist. sogar das drücken der enter-taste wird erwähnt, was sehr hilfreich ist, wenn man keinerlei ahnung hat. auf github habe ich ja am anfang nichtmal die verben und substantive verstehen können, inzwischen habe ich eine ungefähre ahnung, mehr nicht, aber hey, es funktioniert. das programm selber wird dauernd aktualisiert, er wird ständig angepasst und weiterentwickelt, inzwischen kann man sogenannte microboli geben, also insulin in sehr kleinen dosierungen, wenn bestimmte kriterien erfüllt sind, das programm kann die basalrate meiner pumpe überprüfen und korrekturen vornehmen bzw. vorschlagen. weil ja jeder körper eigene bedürfnisse hat.

ich verwende das system seit 2 monaten, davon lief es vielleicht 2 wochen, nicht durchgehend. an seiner peripherie liegen die blutzuckersammelmethoden, die auch alle einen selbstgebauten teil haben. viele daten müssen da dauernd wandern, deshalb hakt es häufiger mal, da ist eine bluetooth-verbindung unzuverlässig, oder der wechsel zwischen wlan und g3 klappt nicht, oder man ist in brandenburg, oder hat einen haken in einer der apps falsch gesetzt. die bausteine fürs cgm sind anfällig für fehler, und die syntax für das openaps hat auch bugs, oder ich hab irgendwas falsch copypastet. wenn es nicht lief, mußte ich früher immer das ganze system neu aufsetzen, inclusive handy-reset.  jetzt frage ich auf gitter oder facebook direkt bei den entwicklern nach, schildere mein problem so deutlich wie möglich, durch kopieren der diversen logbücher, und erhalte meistens in kurzer zeit von irgendwo auf der welt hilfe, die ich nach längerem nachdenken auch verstehe. nach einigen tagen hatte ich den wirklich befriedigenden eindruck, die welt bestünde aus diabetikern.

die zahl der downloads der verschiedenen typen an closed-loop-software hat sich in den letzten wochen verdoppelt auf ca. 1000, in deutschland sind wir um die 50-70, das sind noch nicht so viele, aber es fühlt sich in der szene schon ein bisschen nach einem hype an. ich merke den diy- anteil daran sehr deutlich, je mehr coder an einem teil des systems beteiligt waren, desto sicherer und runder läuft es, es ist wie ein ameisenbau mit vielen spezialisten, man meint das vergnügen zu spüren, das programm so komplex wie nötig gestalten zu können, and then some. beim anpassen der hard- und softwareteile bleibt oft kein stein auf dem anderen. es geht schnell und die leute sind gut.

die verwendung der aps-systeme ist 2018 noch eine juristische grauzone, ein diabetologe darf die sache nicht weiterempfehlen oder bewerben, er kann nur darüber informieren. find ich doof, schließlich sind wir es gewohnt, verantwortung über sämtliche therapeutischen maßnahmen alleine zu tragen, inclusive der menge an insulin oder kohlenhydraten, die wir uns geben. der minipankreas wird ja vom benutzer ans seil gelegt, er darf unter anderem nur bis maximal x einheiten insulin dazugeben, und so weiter. im nebeneffekt muss ich meinen stoffwechsel noch einmal sehr genau analysieren und dokumentieren, als grundlage für das programm, weiß also mehr über mich und nicht weniger, wie man ja bei automatisierungen annehmen könnte. und es macht spass.

1 die ersten waren 2015 dana lewis und scott leibrand, beide immer noch sehr aktiv dabei. in d hat saskia wolf das loopen in bewegung gebracht.

2 in der pumpentherapie wird die für den grundbedarf des körpers täglich benötigte insulinmenge basalrate genannt. der bedarf ist je nach tageszeit verschieden hoch, und  ist für jede stunde oder halbe stunde in die pumpen programmierbar. alles, was ich zum essen brauche, gebe ich als bolus in die pumpe ein. wenn man mal wegen hormonen oder krankheit oder party oder what not mehr oder weniger insulin über einen längeren zeitraum benötigt, stellt man sich eine temporäre basalrate ein. auf die steuerung dieser temporären basalraten hat das programm zugriff.

 

50-60kg

im letzten sommer unter den überwiegend schlanken bis mageren italienerinnen meines alters am strand zum ersten mal seit meinen frühen zwanzigern unpassend gefühlt, anders. habe so ein blaues langes leinenkleid für den strand, es fühlte sich nicht mehr elegant und luftig an, sondern raumgreifend bis enorm vor all den t-shirts und engen kleidchen um mich herum. es begann mit einem blick: als jemand einen witz über eine cicciotella machte, sah die freundin mich kurz entschuldigend an, an diesem blick hab ich mich zum ersten mal mit ihren augen gesehen, sie, die man mit drei händen umfassen kann, und war erschrocken. die wertenden kriterien in meiner körperwahrnehmung betrafen in den letzten 30 jahren nur änderbares, friseur ja/nein, nägel manikürt oder nicht, kleidung passend/unpassend oder schön/langweilig. die schönheit es körpers war gegessen sozusagen. mit diesem blick war sie wieder im raum, als dichotomie, ich wurde auffällig, die kategorie ‚gewicht‘ kam damit über mich wie eine mückenplage oder ein quallenkontakt. aus dem nichts. ich hab dann noch am meer drauf geachtet, wie bewußt das thema gehandhabt wird, wie öffentlich es ist (gar nicht), es läuft so mit, das wahren der jugendlichen fasson ist wie das atmen und schlafen, selbstverständlich und leise,  es bedarf keiner kommentare, ist längst verinnerlicht worden, bis der letzte rest appetit weg ist, niemand isst noch etwas, salat und dietcoke füllen die mahlzeiten. ob der körper dadurch dauernd anwesend wird? oder verschwindet er hinter seiner symbolhaftigkeit als erotisches objekt? vielleicht so, wie mein blutzuckerspiegel in meinem bewußtsein herumlungert, ein meßsystem, vor dem ich jede empfindung abgleiche, unterhalb des bewusstseins. der zu dünne körper ist in seinen bedürfnissen zum verstummen gebracht, als symbol spürbar wie eine art halo über dem körper aus fleisch und blut. wie ein geschmeide von bulgari. wie konnte mir das jahrelang nicht auffallen? freundin erzählte gestern davon, wie dünn die frauen überall sind, wie üppige büffets bei veranstaltungen unangetastet stehenbleiben, wie sie nur salate essen, nur noch trinken tun sie, aber weniger als die männer, die darin maßlos werden können. die statur vermittelt vielleicht so eine diffuse zugehörigeit zu denen, die dazu gehören, völlig unberührt von feministischen und historischen diskursen und realitäten. je wichtiger und größer diese frauen beruflich sind, desto kleiner und harmloser sollte ihr körper aussehen, wie eine entschuldigung (das ist ein gemeiner gedanke aus dem sommer, in dem der text entstand, weiß ich, und vermutlich nicht frei von neid). mir ist das in meiner auch beruflichen abgeschiedenheit gar nicht aufgefallen, auch weil mein körper fast immer das ganze ich ist, mit entspannten 70kg, und ich schon ewigkeiten an keinem rennen mehr teilnehme.

es ist anders, es gibt wirklich diese menge an dünnen frauen, erst meine eigene normalgewichtige körperlichkeit bringt mich zum lästern, oder? „bei datingbörsen heißt ’normal‘ immer ‚fett'“, sagte mir neulich jemand. dann lach ich drüber, elegant verschiebt sich mein innerer bewertungsapparat wieder weg vom kriterium wenig gewicht auf die art schönheit, die ich selber sein kann. mein diabetes läßt mich ja eh in einem zahlenkäfig leben, das sollte genügen. maybe baby!

(die frauen nehmen die männliche sehnsucht nach der schmalen maid auf sich, als wäre es nichts, jahrelang, und werden dann irgendwann alte mädchen in einem kosmos traurig trinkender alter männer.)

das urteil trägt man trotzdem herum, es ist ein binärer code, das |false| macht unsichtbar fürs gesellschaftliche begehren (den leise anerkennend nickenden neid), oder für die immaginäre nebenei-selbstbestätigung im schaufenster, das reicht ja schon als stein im schuh. vielleicht nicht fürs sexuelle, but who am I. dünnes eis. es ist müßig, diese kriterien zu kritisieren, sie unterliegen keiner bewußten entscheidung.

die ewige aufgabe der normalen frauen, nicht um schönheit zu trauern. schöner gesagt: Wo mehr ist, muss ich womöglich mehr lieben.

verrückt. (brauche mal wieder ein paar nächte, glaub ich)

edit: grad noch ein strandfoto vom letzten sommer gesucht. auf allen waren gleichviel runde wie eckige frauen zu sehen. wahrheit oder pflicht?

wer war ingeborg bachmann?

meine innere bachmann-alertness kann man daran bemessen, dass ich diese biographie nicht bemerkt hätte, wenn sie mir nicht geschenkt worden wäre. habe früher erst die gedichte, dann den rest gelesen. bei der fachliteratur danach ist mir die autorin sehr schnell und umfassend verlorengegangen, bis auf die lyrik in all ihrer unmittelbarkeit, die wird nicht so durchwuchert von der sekundärliteratur, der unterschied zwischen den textarten wirkt da desinfizierend. erinnerte nach 25 jahren alles außerhalb der gedichte als eher mühsam, oder zeitgebunden und biographisch, ins komplexe bewegt und da stehen gelassen, das lag aber an den texten über die werke, die der liebe zu einer autorin ja niemals guttun. aye, keine geborene wissenschaftlerin bin ich.

ina hartwig kümmert sich nicht um die forschungslandschaft, sie schreibt so, als gäbe es noch nix über die bachmann. beginnt bei ihrem tod, das liest sich spannend wie am ersten tag, es ist vielleicht einen tick zu  skandalistisch (ruhm, neid, egos und drogen) geraten, obwohl sie auch da eher beschreibt als urteilt, aber mir fällt der unterschied zum rest des buches auf. habs so überrascht wie gespannt gelesen, vielleicht ist das ja auch der zweck dieser passage, die den ganzen menschen aus dem literaturlexikon und dem wikipedia-pragmatismu herauslöst und dabei  gefühle weckt und neugierig macht. in den weiteren kapiteln erzählt ina hartwig von bachmanns reisen, ihren jobs, den liebesgeschichten und den männern, auf eine vorsichtige und respektvolle weise, als würde sie noch leben. das liebe ich sehr, es ist souverän und klug, frei von dem anstrengenden bedürfnis nach meinung oder auch nur zuordnung. die feine art.

im zweiten teil des buches beschreibt sie gespräche mit zeitzeugen, und diese passagen sind großartig. wegen der anekdoten, aber auch weil im (unterscheidbaren) nacheinander aus gesagtem und den beobachtungen und intuitionen der autorin etwas sehr lebendiges entsteht. die zeitzeugen werden dabei genauso präsent. das buch ist auf eine amerikanische weise sehr gut geschrieben, wie ein text im new yorker oder so. sehr tolles buch. ich habe sogar malina entstaubt und oben auf den stapel gelegt.

panikherz am berliner ensemble

sehr höflich bedankt worden dafür, das wir ohne vorherige kritik ins theater gekommen sind. och, dafür nicht gedacht, obwohl das BE deutlich teurer geworden ist mit dem neuen intendanten (reese), parkettplätze kosten jetzt 30 statt 20€, das fühlt sich schon eher nach luxus und nicht mehr nach grundnahrungsmittel an. es ist alles neu am BE, lauter schauspieler, die ich nicht kenne, handwerklich perfekt, textsicher auch bei 2 einhalb stunden-kloppern, aber das gute gedächnis ist ja grundvoraussetzung für die ausbildung wahrscheinlich. sie haben beeindruckende präsenz und energie und schöne singstimmen! hat nicht jeder.

der regisseur (reese) hat den text so wie er ist auf die bühne gebracht, wörtlich, in auszügen natürlich. vier schauspieler, jeder stellte ev. einen aspekt dar, eine haltung, eine stimmung, zwei waren der ich-erzähler, zwei übernahmen die textpassagen, in denen außer dem ich-erzähler im buch andere stimmen zu wort kamen, ärzte, freunde, eltern, gewissen, eine metaebene der selbstwahrnehmung, mehr kommentar als ich-erzählung. glaube ich. ich habs ja nicht gelesen.

ich weiß nicht genau, was mich gestört hat, es könnte eine regisseurentscheidung gewesen sein – aber es war mir alles zu deklamatorisch, zu gespielt, noch zu sehr vortrag durch leute, die das gelernt haben, das scheint mir ein mangel bei einem text, in dem sich jemand ausschließlich um den eigenen bauchnabel dreht. mit mehr method acting wäre mir der narzissmus der figur vielleicht nicht so auf den keks gegangen, ich wäre in die figur hineingerutscht. das ging gestern nicht. ich blieb zuhörerin bei einem text, in dem es nur um den autor geht, sollte nur publikum sein, beifall spenden, lachen, wenn die witze fallen. der text versucht keine eroberung, er tritt auf, reisst witze, du lachst oder gehst. es geht deswegen auch auf der bühne weder um empathie noch um poesie oder gar erleuchtung, jut, kann man machen, das fällt mir hier nur negativ auf, weil es ja um existentielle katastrophen geht. das passt nicht. ich will ja im theater eh lieber erleuchtet werden, hingerissen und verzaubert, es passiert etwas einmaliges, nur hier und jetzt, und ich darf dabei sein!

beste stelle: die drogenraserei als der moment, wo innen und außen nicht mehr aufeinander passen, wo die figur in panik und hektisches herumhopsen gerät auf der suche nach nasenspray. das war gut gespielt, wobei ich immer wieder rausgekippt bin und gedacht habe hihi, nasenspray! das lachen über einen, der am boden liegt, es wäre mir lieber gewesen, wenn sie uns da im entsetzen gelassen hätten. aber im text lacht der autor ja auch über alles, eine dauernde witzischkeit. vermute ich, ich hab ihn ja nicht gelesen.

bisschen wie die szenenteilung in the affair, wo die trunkenheit einer figur mal in der selbstwahrnehmung (coole braut), mal von außen (lallende frau) gezeigt wird. im theater geht das nicht, da ist alles linear (außer bei marthaler), hier ging es auch nicht um einen unterschied zwischen eigen- und fremdwahrnehmung, es war keine bloßstellung, eher sowas wie das eingeständnis bei diesen 10-schritte-programmen. gleichzeitig zu spät und self serving.

gelingt mir grad nicht gut, text und inszenierung auseinanderzuhalten beim schreiben. textkritik: als kind waren ja die eigenen witze einzigartig lustig, raffiniert und gekonnt aus der hüfte, dann kam natürlich das internet und hat uns die augen geöffnet, stuckrad barre war wohl während des internets durch seinen lebenswandel verhindert, der hat nix mitbekommen und war ganz bei sich in diesen jahren. hmm. das theater hat schon die bewegung vom herumkaspernden teenager über den von sich begeisterten musikkritiker zum haltlosen junkie gezeigt. es war sicher eine kongeniale darstellung dieses buches, aber warum um alles in der welt soll man so ein buch auf die bühne bringen wollen? als antidrogending? gelesen ist es lustiglustig, im theater fällt der mangel an tiefgang zu sehr auf, oder auch nur der mangel an welt.  das publikum soll nur über die gags im text lachen, obwohl man ja bei diesem ganzen narzissmus auch schnell mal unfreiwillig in den spott gerät und dringend selbstironie vermisst. es gab natürlich einige sehr tolle zeilen über sucht, drogen und musik und all das im text, aber sie haben das ganze nicht halten können. da kann das BE nix für. natürlich füllen sie mit einem gutgehenden titel das theater mit einem sehr jungen publikum, alle jünger als wir, das war früher sehr anders dort.

mir war das zuviel. ich war nicht drin, wurde nicht mitgenommen, selbst in der raserei nicht, dabei hätte ich gerne mal wieder ein bisschen raserei, also rasende gedanken, welt- und gesellschaftssprengenden rausch, der einen unbemerkt mitnimmt, bis man in voller fahrt auf die nase fällt. habe rainald goetz‘ räusche vermisst. goetz wird nächsten monat auch gezeigt im BE, da bin ich schon gespannt drauf.

zum ersten mal nicht in die kantine nach dem stück, frau ziebarth war  nicht da, die freundin hatte geburtstag und wollte woanders hin. in der bar unter den paaren zuviel getrunken und dabei langsam an höhe verlierende herzensballons beiseitegschoben, das war lustig.

(puh. versuch, mal wieder sowas zu schreiben, aber es stimmt alles noch nicht, ist hakelig, und die sätze bleiben klein. der fluß ist woanders.)

kw 43

ein paar tage weggefahren, die jungs alleine gelassen. es war für keinen von uns der rede wert, das ist mir auch erst aufgefallen, als ich schon weg war. das schwierigste war die liste mit den hunde-pflichten, nach ein bisschen aber ich mach immer und stimmt gar nicht wurde das blatt akzeptiert und an den kühlschrank gehängt. wenn du immer so einen kram kaufst, müssen sie gar nicht kochen, sagt der große zum vorrat an maultaschen, tiefkühlpizzen und pestogläsern. er hat recht, und er hat nicht „wir“ gesagt. er sieht sich als auserzogen.

in italien erst einen anderen leihwagen als den gewünschten fiat 500 angeboten bekommen, einen schwarzen bmw 118 mit steptronic. begeistert eingestiegen, nach 30 minuten mit sehr angeschlagener ehre aufgegeben: ich verstehe ihn nicht. die automatik konnte ich nicht fahren (in den usa damals das automatikfahren auf der strecke vom parkplatz zum ausgang des parkhauses gelernt, problemlos), bin wie armin müller stahl seinerzeit durch nyc mit quietschenden irgendwassen (bremse? reifen? motor?) durchs parkhaus gehoppelt. ging nicht. drei sixtmitarbeiter davor im gespräch darüber, wie man ihn wohl ankriegt und die schaltung von p auf d umstellt. übel, übel. dann weiter mit dem kleinen 500er, ein vergnügen.*

von haustür zu haustür 6 einhalb stunden gebraucht, mit direktflug wärs in 4 stunden zu schaffen, ökologisch ein riesenschwachsinn, erholungstechnisch sehr effektiv. sinnvoll ab vielleicht 4 freien tagen, finanziell sinnvoll ab zwei wochen, wie gehabt.

der gefürchtete rückfall in die ansia der kindertage, weil ich alleine mit muttern dort war, ist fast ganz ausgeblieben, ich habe das haus inzwischen recht gut mit neuen erinnerungen überschrieben. flashback nur bei unterzuckerungen, da rutscht die decke vom gerippe. vatergrab besucht, friedhof war gut besucht, es war das wochenende vor allerheiligen, da schauen die überlebenden nach dem rechten.

rückflug am sturmtag mit verspätungen, in malpensa und frankfurt gewartet, das warten genossen. ich mag auch den gegensatz zwischen shoppingmall mit lauter kram, den unsereins höchstens mit ruhe und nach entscheidungen kaufen würde, und den rastlosen reisenden. in einem laden eine bestickte stola für 700€ bewundert, da hätte man ein haus drumrum bauen können, so schön war sie.

an halloween hat niemand geklingelt, aber die schale mit süßigkeiten war nach anderthalb tagen trotzdem leer. da sind sie zuverlässig.

*irgendwo gelesen, dass manche autos beim gas wegnehmen von alleine bremsen – so hat es sich angefühlt. ( ich hatte ein so außergewöhnliches gefühl von totaler machtlosigkeit in diesem cockpit)