t1day 2019

heute war mein erster t1day, ein treffen von lauter diabetikern, mit industrie, ärzten und forschern, das war besonders. ich fühle mich mit meiner looperei immer wie mitten im strom, weil die comunity da so lebendig ist, dabei sind wir insgesamt nur um die 3000 leute (bei allein in d 300.000 typ einsern), auf dem treffem sind mir also überdurchschnittlich viele begegnet. die automatisierung der insulingaben ist auf jeden fall der königsweg in der therapie, ich habe von verschiedenen projekten gehört, wo pumpenfirmen mit cgm (continuos glucose monitoring)-systemen zusammenkommen wollen, um etwas auf den markt zu bringen, aber es war alles eher gerüchteweise und irgendwann und eventuell, außerdem kamen die stories darüber alle von den nutzern, die pharmastände auf dem t1day haben nur die vorhandenen systeme präsentiert. medtronic, einer der größten pumpenhersteller, hat mit der aktuellen 640g immerhin ein system mit notab- und anschaltung auf dem markt, es reagiert dabei schon auf den sinkenden blutzucker, nicht erst auf einen zu niedrigen wert. ohne den zugriff auf die basalrate bleibt das feuerwehr, und wird niemals echten brandschutz liefern können. na, ich such noch ein besseres bild.

die alarmsysteme scheinen inzwischen standart zu sein, also cgms mit warnung bei zu hoch oder zu niedrig, das neue eversense (ein winziger stick, der unter die haut eingepflanzt wird, wie der chip bei hunden, im idealfall 3 monate hält, und über ein draufgeklebtes flaches kleines lesegerät ausgelesen wird) vibriert dabei direkt auf der haut, beim dexcom und beim aktualisierten libre 2 melden sich wohl die lesegeräte oder apps. der neue libre lässt sich leider nicht mehr mit dem pancreas-algorithmus verbinden, da war ich richtig beleidigt, dass so ein tolles system schon nach so kurzer zeit grundlegend verändert wird, jetzt hab ich da 50 jahre drauf gewartet, und darf dann nur so kurz? pff. – aber der mitarbeiter hat erzählt, dass sie grad pro [zeitraum vergessen] mehrere hundertausend neue nutzer bekommen, da sind die paar bastler einfach kein faktor. finde ich trotzdem doof, muss dann wohl zum dexcom wechseln, ein zwar recht schickes, aber viiiiel teureres und aufwändigeres system. zahlt hoffentlich die kasse, aber der unterschied macht mir zu schaffen: 120 kostet der libre pro monat, 370 der dexcom. das dreifache. der eversense ist zu neu auf dem markt, den sollen erstmal andere versuchen.

ein thema des tages war die telemedizin, also die verbindung von elektronisch verfügbaren patientendaten mit übers netz erreichbaren medizinischen ansprechpartnern, wobei die ärztin (simone von sengbusch mit ihrer virtuellen ambulanz) sich den hinweis auf die fehlende netzanbindung in großen teilen des landes nicht verkneifen konnte – damit steht und fällt das ja alles. in holland jedenfalls funktioniert telemedizin super. die zweite große session hat sich mit den diy-technologien befasst, unter anderem mit einem sehr lustigen vortrag des juristen jan twachtmann zu dem, was ärzte und patienten dürfen und was nicht. ärzte dürfen wohl die looperei nicht empfehlen, können aber ihre patienten weiterhin begleiten, wenn sie loopen, auch die kassen zahlen weiterhin, weil der patient sich selber helfen will, und weil sie müssen. auch dr. kurt rinnert (pdf) hat seine erfahrungen zum thema beruf und diabetes sehr kurzweilig und fundiert vorgertragen, ted-reif. den dritten vortrag der session hab ich irgendwie verpasst, weil ich mir die firmenstände zu lang angeschaut habe, schade. da hat die sehr tolle und vielseitig engagierte dr. katarina braune gesprochen, zusammen mit andreas thomas von medtronic und bernd kulzer vom diabetes-zentrum bad mergentheim – ach nee, den vortrag habe ich ja doch gesehen, fällt mir grad ein, nicht erinnert heut nacht, es waren eher drei sichtweisen auf  den stand der dinge bei den diy-technomixen. wenn ich falsch erinnere, gerne kommentieren.

leider bin ich auch ins camp zum thema diy-sachen nicht reingekommen, weil zu voll. dann gab es ein camp zu beruf und sicherheit und eins zur teilnahme an medizinischen studien, von denen es sehr viel mehr als erwartet gibt, anlass zur hoffnung. zur zeit starten wohl studien, die sich mit den ergebnissen des closed loop beschäftigen, bisher läuft eine umfrage.

interessant war eine session, wo ein paar zahlen gezeigt wurden, anhand von cgm-daten aus vielen ländern (einige milliarden daten) wurde für deutschland ein durchschnittsblutzucker von 169 errechnet. meiner ist grad 110, das fühlt sich gut an, was immer das jetzt genau heißen mag. den höchsten wochenwert misst man am sonntag um 12 (stimmte zumindest heute, mir war da was durcheinandergeraten), der beste tag im jahr ist der 28. september, der schlimmste der 1. januar. die länder mit der geringsten datensicherheit haben dabei natürlich die umfangreichsten datensätze, china sammelt wie ein weltmeister und weiß sehr viel von seinen diabetikern.

hatte das gute gefühl,  die beste verfügbare therapie einzusetzen, hab die paar gespräche mit loopern genossen, fand die camps ein bisschen zu groß. es ist alles sehr in bewegung gekommen, seit den neuen messystemen und -technologien, die geschwindigkeit nimmt da weiter zu und bleibt atemberaubend im vergleich zu den jahrzehnten davor. es ist wirklich aufregend und befreiend, dass bei so einer alten krankeit mit ein paar frischen ideen und neuer technologie so viel möglich wird.

gemerkt, dass sich der fokus von der hardware auf die software verschoben hat, nachdem von der industrie die wirklich genialen neuen meßsysteme auf den markt gebracht wurden, damit vom konzern, der die mittel für forschung und studien aufweisen kann, hin zur gruppe von genies, die mit open source und hirnschmalz sensationelles erreicht haben. einige meiner helden waren dort, hab sie leider nicht kennengelernt, developer und coder als brücke zwischen vorhandener hardware mit ihren proprietär geschlossenen systemen (mit ausnahme der dana-pumpen) und der bestmöglichen therapie, besonders im vergleich mit allen anderen tollen ideen, die wie immer noch tief im urschleim lange nicht marktreif sind (z.bsp. bionics oder der biochemische weg). we are not waiting.

 

kw 1

über den jahreswechsel zu einer freundin ins polnische gefahren, eigentlich wegen der netten gesellschaft, aber die einladung kam besonders gelegen, weil ich so emma aus dem lärm holen konnte. wir haben gut gegessen, haben viel über uns, die hunde, die kinder, die arbeit, die männer geredet und um null uhr eher pflichtschuldig kurz angestossen. am ersten januar kleinen spaziergang an die oder gemacht, die freundin lebt in einem paradies, völlig naturbelassene landschaft. zuhause noch mit kuchen den großen gefeiert, der am 1.1. seinen 20. geburtstag hatte.

gemerkt, dass ich mir nix längerfristiges vornehme, nur so ein- bis drei- monatsziele. ich möchte die ersten 20 seiten von „fundamental algorithms“ verstehen, weil mich mein verstehen der ersten paar seiten so verblüfft hat,  ich hab es es nicht für möglich gehalten. mal schaun, ob ich diese faszination auf die mathematik übertragen kann.

werde meinen 50.  diaversary irgendwie feiern, am 1. februar, weiß noch nicht genau, wie. mit freunden natürlich.

mir ist erst jetzt aufgefallen, dass nicht mein gewicht dauernd um mehrere kilo herumwackelt, sondern meine waage. ich hab sie von meinem diabetesbedarfsladen geschenkt bekommen, als ich noch in neukölln wohnte, in den achtzigern.

seitdem ich vg-wort-zählmarken nutze, vermute ich bei vielen blogtexten eine extrinsische motivation für die länge („Genügend: nein, 400 fehlen“).

 

erfolg ist ein weites feld

neulich wollte eine bekannte ganz unerwartet von mir wissen, ob ich meine erfolglosigkeit vielleicht einer art adhs zuschreiben würde, sie hätte da drüber nachgedacht, vielleicht wäre das auch ein problem bei meinen kindern? ich war zu höflich und zu fassungslos, sie einfach stehen zu lassen, aber ich habe noch eine weile darüber nachgedacht, über diese wertungsbeflissenheit bei andern leuten, die vermutlich auch über sich selber so urteilen, in marktwirtschaftlichen kriterien. über ihr urteil („erfolglos“) habe ich nicht nachgedacht, es tangiert mich nicht so, mein schwerpunkt liegt einfach woanders. ein freund hat mich beim ausgehen auch mal darauf angesprochen, er war mir freundlich gesonnen und meinte, wir (er und ich) würden ja auch eher später im leben unseren weg finden, oder so ähnlich. das konnte ich bestätigen, es ergab sich ein interessantes gespräch.

warum tangiert es mich nicht?* es liegt am diabetes, denke ich, und dem daraus resultierenden training in der wahrnehmung des ist-zustands, aller ist-zustände. mein unmittelbares überleben passiert nicht von alleine wie bei gesunden leuten, ich habe dafür bis vor ein paar monaten dauernd entscheidungen fällen müssen, insulin, essen, bewegung, alkohol, erst seit der verwendung von aaps wird das deutlich weniger, die entspannung darüber ist grundlegend, und kommt nur langsam ans licht. die gegenwart ist nicht mehr zuerst stoffwechsel.

ich kann mich jetzt in ruhe den anderen existentiellen ängsten widmen, wie der suche nach einem zuverlässigen brotjob. das klappt ja seit jahren nicht, liegt an mir, aber auch an den verschiedenen arbeitgebern, es beschäftigt mich, ob ich wirklich so schlecht bin, dass sie mich nicht mehr wollen, oder ob es der markt ist, der eine bindung an einzelne arbeitsnehmer überflüssig macht. es ist weniger ein vorhaben als eine notwendigkeit, etwas zu finden, weil das leben als alleinverdiener mit drei kindern und hund einfach mehr kostet, als ich verdiene. das genügt ja eigentlich als streßfaktor.

nachdenken über arbeit. hatte nie einen traumjob, vielleicht als mädchen kurz mal die schriftstellerei, aber dazu fehlt mir die disziplin, und auch der ehrgeiz ist für mich eher eine rätselhafte kampfsportart, die mich nicht so interessiert. ein job soll mich nicht ganz fressen, ich brauche viel kraft für mein leben außerhalb, es war mir zeitlebens nicht so wichtig, womit ich geld verdiene, und irgendwo bin ich immer untergekommen. schreiben war schon ein schwerpunkt, aber das journalistische schreiben macht für so mittelbegabte wie mich viel arbeit bei (heutzutage) sehr wenig lohn, und es gibt genug leute, die das wirklich wollen und können. junge leute, die bei instagram zuhause sind.

dabei möchte ich gar nicht unbedingt etwas tun, mir genügt die vorstellung davon. die meisten dinge sind nicht interessant genug, um sie mit aller kraft tun zu wollen. die idee der dinge ist ein kosmos, ich sehe da paläste und habe ein gefühlspanoptikum zur verfügung, um die vorstellung einzurichten, also gelegentlich, kurz vorm einschlafen. der weg ist viel mehr mein zuhause, also nicht toll gitarrespielen, sondern beim üben besser werden. ist natürlich auch bisschen quatsch, weil ich ja auch bei gleichbleibender tätigkeit in jedem neuen job alles wesentlich neu lernen darf, abläufe, menschen, beziehungen, pflicht und kür.

*bei meinen kindern habe ich auch keine sorgen. ich will nichts zu privates über sie schreiben, obwohl es sie nicht sonderlich stört, sie lesen es ja nicht, aber sie könnten selber schreiben, wenn sie es wollten, und sie tun es nicht, also lass ich es auch.

pump, duck and circumstances

kurz die versuchung, meine alte paradigm 722 mit epoxydharz zu kleben und weiter zu benutzen. die insulinpumpe funktioniert noch, und wenn der kolben, der die einheiten in den katheder drückt, ohne hinderung läuft – hmm. die unerklärlichen schwankungen, die ich als letzte möglichkeit auf eventuelle ungenauigkeiten des alten motors geschoben hatte, also komplett andere werte bei gleichen insulin/essensmengen, die habe ich unverändert, und trotz täglich frischen kathedern. das ist mein körper, deswegen loope ich. kann ja die pumpe mal mit 24U/24h laufen lassen, in einen kleinen behälter, dann mit spritze die menge testen – hmm. unbefriedigend. die gesundheit als pfadfindercamp.

die alternative wäre eine dana rs, neues produkt von neuem pumpenhersteller, offen für bluetooth und über eine app bedienbar. da schreckt mich die fehlende erfahrung des herstellers etwas, das plastik wirkt billig, und das gerät benutzt proprietäre batterien, die extra bestellt werden müssen (in den usa werden ev. simple aaa-batterien eingesetzt, ist aber nur gerücht). andrerseits käme die kasse eventuell für einen ersatz nach ein paar jahren auf. oder eine accu-check combo, mit der verliere ich aber die garantie durchs loopen, bei der dana ist das nicht so. ich müsste mit der accu check auch wieder mit teststreifen und fingerstechen messen, um die pumpe voll nutzen zu können, ein wirklich denkwürdiger rückschritt seit libre und anderen cgm-systemen.

klare entscheidung, aber ohne begeisterung.

wie genau funktioniert epoxydharz?

bedingt frei

eigentlich schon frei, keine energie, mir für die 5 tage noch einen auftrag zu suchen. ärger über meine lage, aber ein so alter und festgewordener ärger, er stört kaum noch. ich habe mich sogar dran gewöhnt, dass ich nicht mehr richtig schreibe.

die erfahrung, dass es eh nichts nützt, ist ein alter ausgelatschter schuh in meiner psychischen landschaft. futility ist mein anker. ich versuche gelegentlich, mich bei männern oder jobs zu bewerben, richtiger einsatz ist das allerdings nicht, eher so ein immerhin-einsatz, aber die agentur für arbeit wäre unzufrieden. ob es die frühe erfahrung von vergeblichkeit ist, dass schlimme zustände eben bleiben, dass widerstand zwecklos ist? ich war drei, als mein diabetes kam, ich weiß aber kaum noch was davon – das „aber“ in dem satz fühlt sich richtig an, das lasse ich. ein diabetiker muss immer alles wissen.
meine mutter erzählt, wie sie mich auf der waschmaschine festgehalten haben für die spritzen, weil ich so gebrüllt habe, und wie sie dachte, ich könnte dadurch meine wut über die krankheit ausleben, aber es ist nicht meine erinnerung. die angst und überforderung meiner mutter, an der ich schuld war, spüre ich heute noch, die ist fest in unsere beziehung verwoben und beschwert sie noch immer.

heute ist das alles anders, der weg in den alltag wird bei allen beteiligten besser begleitet. dieses primäre und existentielle angstding bei eltern ist wohl nicht vermeidbar, hoffentlich vermitteln die ärzte ihnen einen umgang damit, holen es ans licht, machen es gestaltbar. bei mir war es schwarze pädagogik: wenn du das machst, dann kannst du sterben, autonomie ist lebensgefährlich. all die nicht ausgelebte energie macht mich traurig, manchmal, andrerseits geht mir eigentlich ganz okay. ich hab sie woanders ausgelebt.

(damit hab ich heut wieder die ein oder andere bewerbung prokrastiniert, ist es nicht prima?)

brennstoff selbstgemixt

ich sollte immer zucker in reichweite haben. erfahrungsgemäß unterzuckere ich dann sehr gerne, wenn ich im wald bin oder sonstwie meilenweit vom nächsten kiosk entfernt. oder beim ersten date im guten restaurant mit einem, der vom diabetes noch nix weiß. oder kurz vorm yoga – neulich stand ich auf einem parkdeck und fragte mich, warum die zivilisation so komplexe dinge wie parkhausschranken erfunden hat. also kaufe ich alle paar monate große ladungen traubenzucker als drops oder als glukosetabs, oder haribo in 3kg-packungen. die geschmäcker gehen dabei auseinander, jeder hat so seine erfahrungen mit mengen und marken. bei mir dauern 12g traubenzucker 20 minuten, bis sie im blut ankommen, alles andere dauert noch länger.

jeder diabetiker hat da seine vorlieben, ich esse haribo am liebsten, mag es aber zu gern, das ist riskant. es gibt von dextroenergen kleine trinkbeutel mit einer art zuckerlösung, oder so plastikpackungen mit zuckersirup von medizinischen herstellern – alles verhältnismäßig teuer und unbefriedigend, weil die dosierung nie stimmt und man dann die hälfte wegwerfen muss, und wo genau ist die hälfte, wenn dein körper die ganze zeit mehr! mehr! brüllt? caprisonne und kleine saftpackungen sind auch beliebt, aber die passen ja nicht in jede clutch.

jetzt habe ich endlich eine nachhaltige und sehr preiswerte lösung gefunden, auf der informativen italienischen seite deebee. ich habe dafür im netz verschließbare kleine 30ml-röhrchen gekauft,  für diese tabak-parfüms oder für homöopathiekram, aus plastik, alu oder glas, und befülle sie mit simpler selbstgemixter glukoselösung, pro portion mit 15g kohlenhydraten, genau die menge, die mich wieder auf den deich bringt.

so gehts (rezept von deebee): 155ml wasser zum kochen bringen, 150g traubenzucker einrühren,  wenn es trüb bleibt: wieder erhitzen, weiterrühren, bis es klar wird. auf 10 fläschchen aufteilen. hält sich im kühlschrank länger, außerhalb ca. eine woche. kostenpunkt: einmalig die behältnisse kaufen, hier zum beispiel, dextrose gibts ab 4,50€ das kilo. traubenzucker als tabs oder drops kostet aufs kilo gerechnet zwischen 18 und 25€, der verpackungsmüll (einzeln abgpackte tz-tafeln bei dextro energen) kommt noch dazu. jetzt verspüre ich eine gewisse vorfreude auf meine nächste hypo.

Fasziniert von moderner Chirurgie: Bei Muttern wurde in Lokalanästhesie das eine Auge instand gesetzt, Glaukom und Katarakt, Minuten später guckt sie mit dem andern Auge TV. Mein Tag mit SMS-Geschnatter zwischen Tanten und Freundinnen und mit aus Stress-Mimesis hohem BZ. Der Moment am spätnachmittag, wo ich unterzuckert an der Parkschranke auf dem Rewe-Parkplatz in Auto sitze und nicht verstehe, warum die Schranke nicht aufgeht. Klar und verläßlich strukturierte Serien gucken.

open artificial pancreas system

2018 kann ich als diabetikerin die steuerung meines stoffwechsels einem algorithmus überlassen, muss das system dafür aber noch alleine zusammensetzen. irgendwann übernimmt das ein kleiner implantierbarer blutzuckersensor, der die insulinzufuhr durch meine insulinpumpe alleine regelt, selbstlernend und wasserdicht. bis dahin macht es das internet.

die menge an insulin, die wir brauchen, ist sehr wandelbar. der blutzuckerspiegel kann durch einen haufen faktoren erhöht werden und durch einige verringert, bei stress oder wut oder aufregung wird adrenalin ausgeschüttet, das erhöht den spiegel, alkohol kann ihn verringern. andere hormone verändern den bedarf auch, bei frauen östrogen und progesteron. es ist wie ein marionettenspiel, bei dem die länge einzelner fäden und das stück dauernd verändert werden, der patient ist dabei marionette und puppenspieler in einem.

ausgehend von einem alten, für die steuerung von kraftwerken verwendeten programm (lineare modellpräventive regelung) haben diabetiker1 in den letzten paar jahren ein programm entwickelt, das uns die entscheidung darüber abnimmt, ob wir jetzt weniger oder mehr insulin geben sollten. das projekt läuft unter #wearenotwaiting (weil es in den pressemitteilungen über großartige neue heilungswege immer heißt: in 5 jahren frühestens, und man danach nie wieder etwas davon hört) und ist ein open-source-projekt, es wird als offenes nicht proprietäres  system mit den erfahrungen seiner vielen nutzer gefüttert, so wie ich das verstanden habe. die initiatoren haben dafür auch einige alte insulinpumpen gehackt, die sich dann durch das programm steuern lassen2.

es läuft entweder auf einem ein-chip-computerchen wie einem rasberry pi oder einem intel edison (intel hat die herstellung leider eingestellt, eine alternative wird grad gesucht), oder in einer app auf dem handy, je nach benutzter pumpe. alte pumpen wie meine, von 2006, haben eher funk. die anfunkbaren brauchen den eddy (kann funken) oder den rasberry, die neueren sind auch über bluetooth erreichbar. das programm gibt dann der insulinpumpe signale wie „weniger insulin“ oder „mehr insulin“ für den zeitraum x, bis mein idealer blutzuckerspiegel erreicht und gehalten wird. die entscheidungen fällt es anhand meiner blutzuckerwerte, die ich über ein cgm-system (continous glucose monitoring) sammele und irgendwie ins programm einspeisen lasse, alle 5 minuten. wenns läuft, ist es ein closed loop, und macht uns also zu loopern.

das tolle an der sache sind die vielen parameter, die ich einsetzen kann. wie lang wirkt mein insulin, 3, 4 oder 5 stunden? wie schnell baut mein körper es ab? wieviel insulin brauche ich zum essen, morgens, mittags und abends? wie hoch ist heute meine resistenz, brauche ich also zur korrektur mehr oder weniger insulin als sonst? der ganze kram läuft in diabetikerköpfen dauernd ab, ein bisschen wie bei einem koch, der sein rezept immer neu zusammensetzen muss. und wenn so ein ordentlicher pasta-pizza-torten-kloß manchmal erst morgens um 4 richtig im blut angekommen ist, lieg ich im tiefschlaf, aber openaps fängt dann die werte auf.

neulich sagte jemand, dass hinter jeder app viel mehr arbeit steckt als ersichtlich, hier sind wir als ein haufen betatester alle von anfang an dabei. ich bin schon die nachhut, die gar nicht coden kann, fühle mich aber an msdos-zeiten erinnert, wo trial and error dazugehörten und das funktionieren nur eine option unter anderen war.

gestartet bin ich über die wunderbar gehaltenen anleitungen im netz, deren größter vorteil die methode idiotensicher und c/p ist. sogar das drücken der enter-taste wird erwähnt, was sehr hilfreich ist, wenn man keinerlei ahnung hat. auf github habe ich ja am anfang nichtmal die verben und substantive verstehen können, inzwischen habe ich eine ungefähre ahnung, mehr nicht, aber hey, es funktioniert. das programm selber wird dauernd aktualisiert, er wird ständig angepasst und weiterentwickelt, inzwischen kann man sogenannte microboli geben, also insulin in sehr kleinen dosierungen, wenn bestimmte kriterien erfüllt sind, das programm kann die basalrate meiner pumpe überprüfen und korrekturen vornehmen bzw. vorschlagen. weil ja jeder körper eigene bedürfnisse hat.

ich verwende das system seit 2 monaten, davon lief es vielleicht 2 wochen, nicht durchgehend. an seiner peripherie liegen die blutzuckersammelmethoden, die auch alle einen selbstgebauten teil haben. viele daten müssen da dauernd wandern, deshalb hakt es häufiger mal, da ist eine bluetooth-verbindung unzuverlässig, oder der wechsel zwischen wlan und g3 klappt nicht, oder man ist in brandenburg, oder hat einen haken in einer der apps falsch gesetzt. die bausteine fürs cgm sind anfällig für fehler, und die syntax für das openaps hat auch bugs, oder ich hab irgendwas falsch copypastet. wenn es nicht lief, mußte ich früher immer das ganze system neu aufsetzen, inclusive handy-reset.  jetzt frage ich auf gitter oder facebook direkt bei den entwicklern nach, schildere mein problem so deutlich wie möglich, durch kopieren der diversen logbücher, und erhalte meistens in kurzer zeit von irgendwo auf der welt hilfe, die ich nach längerem nachdenken auch verstehe. nach einigen tagen hatte ich den wirklich befriedigenden eindruck, die welt bestünde aus diabetikern.

die zahl der downloads der verschiedenen typen an closed-loop-software hat sich in den letzten wochen verdoppelt auf ca. 1000, in deutschland sind wir um die 50-70, das sind noch nicht so viele, aber es fühlt sich in der szene schon ein bisschen nach einem hype an. ich merke den diy- anteil daran sehr deutlich, je mehr coder an einem teil des systems beteiligt waren, desto sicherer und runder läuft es, es ist wie ein ameisenbau mit vielen spezialisten, man meint das vergnügen zu spüren, das programm so komplex wie nötig gestalten zu können, and then some. beim anpassen der hard- und softwareteile bleibt oft kein stein auf dem anderen. es geht schnell und die leute sind gut.

die verwendung der aps-systeme ist 2018 noch eine juristische grauzone, ein diabetologe darf die sache nicht weiterempfehlen oder bewerben, er kann nur darüber informieren. find ich doof, schließlich sind wir es gewohnt, verantwortung über sämtliche therapeutischen maßnahmen alleine zu tragen, inclusive der menge an insulin oder kohlenhydraten, die wir uns geben. der minipankreas wird ja vom benutzer ans seil gelegt, er darf unter anderem nur bis maximal x einheiten insulin dazugeben, und so weiter. im nebeneffekt muss ich meinen stoffwechsel noch einmal sehr genau analysieren und dokumentieren, als grundlage für das programm, weiß also mehr über mich und nicht weniger, wie man ja bei automatisierungen annehmen könnte. und es macht spass.

1 die ersten waren 2015 dana lewis und scott leibrand, beide immer noch sehr aktiv dabei. in d hat saskia wolf das loopen in bewegung gebracht.

2 in der pumpentherapie wird die für den grundbedarf des körpers täglich benötigte insulinmenge basalrate genannt. der bedarf ist je nach tageszeit verschieden hoch, und  ist für jede stunde oder halbe stunde in die pumpen programmierbar. alles, was ich zum essen brauche, gebe ich als bolus in die pumpe ein. wenn man mal wegen hormonen oder krankheit oder party oder what not mehr oder weniger insulin über einen längeren zeitraum benötigt, stellt man sich eine temporäre basalrate ein. auf die steuerung dieser temporären basalraten hat das programm zugriff.

 

if this, then that


ich bin mitten im finetuning meines loop-versuches. heute eine nette sache entdeckt, die sich ifttt nennt. man muss sich auf der seite anmelden und kann dort eine art befehlskette einrichten, die über umwege zum minipankreas gelangt und dort unter bestimmten bedingungen (if this) eine aktion auslöst (then that). dazu drücke ich in einer app, die ich aufs handy lade, auf einen knopf. ein wenn-dann -knopf. großartig. im leben würde mir ein wenn schon, denn schon -knopf reichen.


I’m in the middle of finetuning my loop trial. discovered a nice thing today called ifttt . you have to register on the page and can set up a kind of command chain there, which reaches the minipankreas via detours, and under certain conditions (if this) triggers an action (then that). I press a button in an app that I load on the phone. an if-then button. Great. in my life a button with do it, if it’s worth doing would be enough.

die werte bin ich: diabetes, internet

es gibt gute und schlechte zahlen. ob mein diabetes gut oder schlecht läuft, sagen die zahlen, und wer sich etwas auskennt, kann leicht herauslesen, wie es mir insgesamt grade geht, ob er mir verantwortung für gute oder schlechte zahlen zuweist, hängt von seinem fachwissen und seiner persönlichkeit ab, die zahlen sind bei aller klarheit interpretierbar in ihrer gewichtung. wer sie kennt, kann urteile fällen, er kann sich an prognosen versuchen, wenn er einer versicherung angehört, mein arbeitgeber ist oder mein liebster. es sind also sehr private daten. will ich die teilen?

den sicherheitsaspekt vergesse ich gern bei den neuen, großartigen apps und geräten, die mein leben sehr erleichtern. das blutfreie meßsystem libre zum beispiel speichert alle meine unglaublich detaillierten daten (alle paar minuten ein meßwert) „auf sicheren servern im eu-raum„, wenn ich nicht sehr aufpasse und zb den rechner aus dem internet nehme, bevor ich das lesegerät auslese, um zugriff auf die schönen bunten pdfs zu haben, die meine daten präsentieren und mir beim auswerten helfen. außer dem mitgelieferten meßgerät der firma können die werte auch mit nfc-fähigen handys ausgelesen werden. dazu gibt es apps, eine vom hersteller, ein paar andere aus der comunity. ein paar leute haben mit einer sony smartwatch und einem androidhandy ein warnsystem gebaut, das mich oder meine lieben bei gefährlichen entgleisungen weckt oder anklingelt. ein beliebtes programm dafür ist der von eltern entwickelte nightscout, an den die lese-apps wie glimp, librelink oder libre alarm die meßwerte des blutzuckersensors schicken, sie werden dort gespeichert und es wird alarm geschlagen, oder ein anderes handy angerufen, das dann alarm schlägt. phantastisches system, aber, wie der hersteller selber sagt: die macher versuchen es nicht einmal, den amerikanischen hipaa compliance regeln (es geht da um die sicherheit medizinischer daten) gerecht zu werden.

das vom hersteller entwickelte librelink hat ein allerliebstes chaos als datensicherheit – sie geben an, die daten, also die meßergebnisse, würden von einer externen firma verarbeitet, von libreview, meine daten unterlägen dann anderen (other) privacy policies, die mir bei der registrierung vorgelegt würden. bei der anmeldung unterscheiden sich die agbs je nach land, deutschland kann man nicht auswählen, in den agb steht aber, bei nutzung in D würden meine daten nur entindividualisiert, anonymisiert und nochwas weitergegeben, aber ich kann mir das schlecht vorstellen. zumindest die zeitlinie muss ja gewahrt bleiben, um die daten nutzen zu können. und sind nicht die zahlen selber das individuellste an der sache?

vielleicht sollte man die daten lieber selber entindividualisiert und anonymisiert dort abliefern, aber es fühlt sich nach reiner ablenkung an, bin ich doch immer noch erkennbar in diesen daten, sie sind das wesentliche, egal wie namenlos sie daherkommen, mein organismus ist auch in den reinen zahlen wiedererkennbar, er ist einzigartig. oder ist das albern? es ist sicherlich nicht mehr zeitgemäß. mein unbehagen ist sehr deutlich, ich würde wirklich gern gefragt werden und mich entscheiden können. zumindest hätte ich gerne persönlichen trost oder gute tips nach schlechten tagen, denn die werte genügen, um einen tag als guten oder schlechten erkennen zu lassen, es geht kaum persönlicher. zumindest eine weniger selbstverständlche verwurstung in der statistik hätte ich gerne.

alternativen gibt es meines wissens keine, nur sehr aufwändige. wer macht sich schon die mühe und meldet sich dauernd neu über proxys an? binichzufaulzu. bei glimp (auch eine lese-app) stehen zum datenschutz nur generika, es wird mir auch nicht klar, ob es im text nur um die anmeldedaten oder die fortlaufend gelieferten medizinischen daten geht. aber es soll nix an dritte gehen und nix außer landes (italien), das genügt mir eigentlich auch, das ist mehr als beim rest.

am wochenende habe ich auf facebook gelesen, dass ein samsung gerät und so ein google-dingens unbemerkt alles aufzeichnen und an den werbemarkt weiterverscherbeln. das ist mit absicht böse und nicht aus versehen, aber wenn all diese höchst intimen (intim i.s. von auch aus der mit scham verbundenen privatsphäre stammend, streits, klos, sex, trashtv) daten schon käuflich sind, ohne das mir das klar und deutlich erklärt wird, auf was ich da verzichte, welches recht habe ich dann auf die privacy meiner entindividualisierten körperdaten? nochmal: das gibt es nicht. mein körper ist teil des unteilbaren individuums. der namen ist bei diesen werten nicht so relevant, kein hauptkriterium. und sollen die geklauten oder gesammelten einzeldaten dann nich wieder zu einer person zusammengesetzt werden, soll sie nicht erkennbar werden, zumindest im bereich konsum, dem einzig relevanten für den markt? ist der kenntliche bereich nicht bloss abhängig von den algorithmen und ebenfalls beliebig verschiebbar, wie ein suchscheinwerfer? der namen des individuums ist da bloss so ein altmodisches totem, der interessiert die sammler nicht. kann der ganze kram nicht einfach fachgerecht superverschlüsselt werden und feierabend? verstehe ich nicht.

es ist ja nicht einfach irgendein backend, es ist mein leben.

wie johnny neulich schrieb: ich zahle lieber mit geld als mit meinen daten, danke.

 

einen tag in andauernder unterzuckerung verbracht, immer ins angetrunkene herabgedimmt, im job sprachlos und auf redundanz beschränkt, jetzt mit dem tag etwas überfordert, aber es ist alles gut, ich funktioniere auch im blindflug.

schön wäre ein leben, in dem fast nichts zu tun ist, wo man drei jahre hat für ein buch, einen tag für einen satz, ein leben für ein kind. ein souveränes vergessen der endlichkeit.

bin frei vom horror vacui.

und dann wunder ich mich über andauernde hohe werte in den abendstunden, die ich mit allem möglichen zu erklären versucht habe, von komplizierten multikausalen geschichten bis hin zu spontanen änderungen der essenverarbeitung im körper – und dann waren es einfache 4 stunden komplett ohne basalinsulin. ich hatte meine pumpe bei den letzten änderungen nicht richtig durchprogrammiert. herr, wirf hirn.