abenteuer zahnspange

spätnachmittags höre ich davidzwilling plötzlich leise vor sich hin weinen. „ich muss nochmal raus“ sagt er, will nichts erklären, und ist weg. ich schicke die anderen beiden hinterher, vielleicht hat er munition draussen verloren, es ist schon stockfinster, sie können ihm suchen helfen. sie finden ihn nicht, nicht im hof, nicht vorm haus, kein david. dem großen fällt dann die lösung ein: „wenn es so wichtig ist, hat er bestimmt etwas wertvolles verloren: seine zahnspange! nicht so doofe plastikmunition.“ ich nehme den anderen zwilling mit, der große soll stellung halten, wir gehen mit einer taschenlampe den ganzen langen spazierweg von heut nachmittag zurück. dazwischen anruf vom großen: david war wieder zuhause, es ist wirklich die spange, er ist wieder raus zum weitersuchen, wieder allein, er gibt nicht auf. david gibt niemals auf. denke kurz an den größenunterschied zahnspange und prenzlauer berg, ich meckere, der große hätte ihn da behalten sollen, denke kurz an die mutterregel  vier, „logistik “ (die ersten drei lauten essen, trinken, pflaster), aber das nützt jetzt auch nichts mehr. ich bin mit gregor schon anderthalb kilometer weg von zuhause, wir suchen jetzt zumindest einmal den ganzen weg ab. er hatte die spange in ein taschentuch gepackt, um die superekligen leckeren pommes vom flohmarkt essen zu können, und dann in die jackentasche – stellen sie sich die suche nach einem weißen taschentuch mit einer kinderzahnspange drin vor, im teilgeschmolzenen, plattgetrampelten berlinschnee. im dunkeln. mit leerem magen – aber was soll man denn tun? das ding war neu und es ist teuer. wir laufen die ganze strecke bis zum flohmarkt, durch den mauerpark, mit der taschenlampe, ich suche auch mein kind, das mir doch wichtiger ist als die spange, obwohl der ärger das ein bisschen vernebelt grade. das kind kann ja notfalls auch von der polizei gesucht werden, aber die blöde spange, das nimmt uns keiner ab. kein david, keine zahnspange, natürlich nicht. als ich grade mit einem stock im mülleimer herumwühle, in den die kinder ihre pommesschalen geworfen haben, dabei mit dem sich schon abgefunden habenden mutterblick versuche herauszufinden, welche zeitung da im müll unter den kaffeebechern liegt, klingelt mein handy, david ist zu hause. er erzählt: er ist auch beim zweiten mal fast die ganze strecke zurückgelaufen, da war ein mann im dunklen cantianpark, vor dem hatte er angst und ist ein paar schritte zur seite getreten, und da lag, genau vor seinen füssen, ein papiertaschentuch, da hat er dann reingesehen, und sie war drin, seine spange. er hat sie wiedergefunden, auf einer schneewiese im dunkeln. ein gottesbeweis, wenn sie mich fragen, „ich hab so gebetet“, sagt er später, und hält gefaltete hände hoch. ich hab gefragt, ob sie nicht vielleicht einfach in der zweiten jackentasche gelandet ist, und ihm das peinlich … ? nein. er hat sie wiedergefunden. ich glaube ihm, er ist nämlich ein gründlicher sucher und kein panikkind. er weint wirklich nicht so leicht.

 

last winter day

die zwillinge vergessen ihren anderthalbstündigen ich-will-aber-keinen-ausflug- streit sofort, als sie am ende der sandkuhle im grunewald den gefrorenen tümpel entdecken, wusch, stürmen sie den hügel herab, hund hinterher.

wir haben keinen schlitten mit, es liegt auch nur noch auf den wegen und im waldschatten schnee, aber die zwillis holen sich große dicke eisbrocken aus dem gewässer und versuchen darauf, die paar verbliebenen schneeflächen runterzukommen, es klappt perfekt, die eisstücke sind überhaupt nicht steuerbar, drehen sich, rutschen unterm hintern weg, zerbrechen, dann muss man neue holen oder auf immer kleineren flächen den hang runterrutschen. es macht ihnen so einen spass, ich muss es nichtmal verbieten vorher. fürs familienleben ist das wichtig, da sie ein schlechtes erlebnis nie vergessen und bei jedem zukünftigen ausflugsplan neu einbringen können (die guten werden pragmatisch erinnert, eis=notschlitten wird bleiben, und märz=südhang schneefrei).

zuhause gibts eis auch noch von oben, versenkt in frischgekochtem heissen kakao mit schlag, und schokokekse. jetzt stille, der große schläft nach dem gerenne, die zwillis spielen irgendwas. ich überlege, ob ich die sechste staffel lynley wirklich noch zuende ansehen  soll, so düster und freudlos, wie sie daherkommt, der mord interessiert nicht wirklich, der symbolische überbau ist mächtiger als der plot, die figurenentwicklung steht der dramaturgie im weg. die autoren lieben ihn sehr, ihren lynley, sie wollen ihn für sich behalten, er wird immer sturer und wortkarger.

das vollkommen neue gefühl, heute genug licht bekommen zu haben, wie der grünmangel in den alten lichtmangel diffundiert. diese winterwaldfarben wie aus den fünfzigern, all das vergangene, das ein stück weiter weg scheint, nur weil man da noch nicht auf der welt war, so dass nichts davon unsere nerven berührt haben kann. das große mischmasch in sepia.  mehrere männer in norwegerpullovern gesehen, ein schöner anblick, und der eine, der nicht jünger war als ich, hatte bestimmt nur wegen der kälte so einen roten kopf, und nicht wegen dem flachmann, den er benutzte.

berlin, berlin

mit bloggerinnen tango tanzen – im bebop, das liegt inzwischen direkt an der spree,  gegenüber von der 02-arena, sehr suggestiv, in einem loftgebäude, das seit den 80zigern bespielt wird. ich hab da mal sylvester gefeiert, also in einem der lofts, ich glaube im ersten offenen berliner winter, und wir sind nachts über die oberbaumbrücke, an deren ostberliner ende ein grenzwärterhäusschen stand, wir hatten die pässe dabei und haben ein eintagesvisum bekommen, ein grünes a5-blatt. drüben war nix, sind wir wieder zurück, aber die brücke war aufregend genug, meine ich zu erinnern.

im bebop, noch am mehringdamm, ist damals mein großartiger tangolehrer gestorben, bei einem tanz in den mai. alte zeiten, ich war danach nicht mehr da, ich hatte drei kleinkinder und bin nicht mehr tanzen gegangen, aber natürlich kriegt man den tango nicht aus dem system.

gestern abend  waren wir auf auf einer praktica, ich habe zum ersten mal im leben geführt, schwieriges unterfangen, mich dann aber doch einem mann überlassen für ein paar richtig schöne tangos zu später stunde, bisschen wackelig gefühlt, aber die musik fängt mich auf, und der tänzer, wie es sich gehört. wie immer will ich gleich weitermachen. großen dank an engl fürs mitnehmen und an wortschnittchen und anne fürs mitkommen. wir haben alle getanzt! vorwärts wie rückwärts. könnt ihr glauben. ich habs genossen, die welten ein bisschen zu verknüpfen, vorgestern und jetzt, tango und bloggen. schöne nacht.

heut um kurz vor elf an der gethsemanekirche im schnee fast vom rad gefallen, weil die glocken losgeschlagen haben, tief und laut. das sind ernsthafte glocken. ich war auf dem weg in die nächste kirche, wo der große mit seinen kumpels als konfirmand vorgestellt wurde. geborgen gefühlt, ich sollte wahrscheinlich einfach mehr in die kirche gehen, dann hat sich der agnostizismus ganz schnell erledigt. schöner morgen.

die iden des mimi

ich möchte ein bisschen rumjammern, aus völlig banalen stressgründen (selber krank, krankes kind, noch 2 kinder, hund u haushalt, und arbeit), aber dann fällt mir immer als erstes der letzte liebeskummer ein, der übers blog nur gesagt hat „selbstmitleid“ (der ist vorher selber jahrelang zum jammern zu mir gekommen, daher wahrscheinlich), dann fällt mir jorge ein (hugs an jorge!), an die schlimmst kranken will ich jetzt gar nicht denken, weil ich ja eigentlich nur ein bisschen jammern will, weil das alleinerziehen bei krankheit am meisten nervt, und ich hab ja schon die chronische grunderkrankung, die überhaupt kein zuckerschlecken ist, nee im ernst, ein bisschen jammern vom hohen podest der lebenden aus, (wie h. h. jahnn schrieb: der toten sind viele) mit noch gesunden kindern, einer wohnung und einem fröhlichen kleinen hund. verd., es war schon mal leichter, ein bisschen wehleidig zu sein, das ganze entnervende relativierungsgewese klebt am leiden wie ein rudel luftballons, ich komme nicht auf grund, nee.

2. versuch: ich hab fieber; ein kind muss kotzen, die anderen streiten, sollen aber a) lernen oder b) rausgehen, ich hab einen hund, ich muss essen machen, ich muss betten beziehen, streit schlichten, bezugsperson bleiben, geld verdienen, aber ich bin echt platt grade. nicht mal komplexe rezepte sind möglich, ich werde die hühnerbeine mit gewürzen bepasten und in den ofen schieben, mehr nicht, von komplexen sätzen ist ja schon lang nichts mehr zu sehen.

wobei, was ich alles nicht muss: müll runterbringen, trockner leeren, hund rausbringen, fällt mir da ein, gell, zu irgendwas waren die letzten 9 jahre allein mit drei kindern ja doch gut, sie machen all das nach nur 4 bis 5 aufforderungen, was ich für einen guten schnitt halte, da hab ich doch was geschafft, oder? ich würde mich jetzt gern 9 jahre ausruhen, bitte danke.

(in zukunft schreibe ich immer nur noch: 9jahre!, dann ist allen klar, was ich sagen will, oder?)

 

handel, projekte, musik.

bei der suche nach einer bespielbaren alten sog. westerngitarre grossen spass. lese mich abends durch gitarristenforen und suche auf ebay und auf seiten mit kleinanzeigen. eine hatte ich schon zuhause, 40 jahre alt, klang super, zuhause habe ich die saiten entfernt (oder sagt man: sie entsaitet?) und dann einen riss entdeckt und innendrin etwas, das wie schimmel aussah. zurückgebracht, ohne saiten, ärger bekommen, ich soll über meinen umgang mit mitmenschen nachdenken. eine nächste ist unterwegs, der verkäufer wortkarg und bildarm im netz, das wird wohl auch eher nüscht, aber ich hab ja zeit und mein jagdfieber ist geweckt.

man ölt gitarrenhälse mit lemon oil, sehr wohlriechend, und sollte sie angenehm temperiert aufbewahren, wie alte bücher, zwischen 45 und 55% luftfeuchtigkeit. ihr holz richtet sich durch das spielen an den klangwellen entlang anders ein, darum verändert sich durchs spielen der klang von vollholz- instrumenten, bei sperrholz nicht, weil es durch die leimschichten unflexibel geworden ist.

oder die geschichten über das beste holz.

natürlich sollte ich lieber alle energie in die pflege des herdfeuers job- und kundensuche investieren, aber das handeln, die ergebnisse, die selbstläuferische realisierbarkeit dieses neuen unterfangens erinnert an das leichte leben und die guten zeiten, zauber im anfang. anders als das herumstochern im dunkeln ohne echo und erfolge.

gestern noch eine führung durch die fabrik der altmeister angesehen, danach fällt es schwer, einen nachbau in betracht zu ziehen, die es in guter qualität zu einem viertel des preises gibt, also nicht für mich, ich brauche ein preiswertes anfängerding, aber so als traumobjekt. diese martins waren schon früher der rolls unter den opels, freund g. hatte eine, sie wurde im koffer transportiert und war perfekt, silbrig, rund, warm. kann aber auch sein, dass das die zeit war, und nicht die gitarre.

alltag

jetzt ist sie rum mal wieder, die filmschau. zum ersten mal seit 26 jahren berlin null berlinale, auch weil ich grade glamour nicht sehen kann, er könnte einen meter vor mir vorbeilaufen, ich würde ihn nicht bemerken, glaube ich, es wäre ein mensch in schöner kleidung, die wertschätzungskette, die aus dieser person etwas besonderes macht, verläuft gerade weit hinter dem sichtbaren horizont. dort sind freunde, familie, einkaufen, essen, hund ausführen, lichtmangel, auch bisschen abwechslungsmangel, bücher und wintermüdigkeit. und weil die stadt so wunderbar groß ist, merke ich hier in meinem kleinen viertel nichts von weltereignissen, auch wenn ich jude law sehr gern mal in kameranähe gehabt hätte. ich lebe hier ganz ruhig im kulturellen abseits (als berlinerin heisst das, ich müsste bis zur nächsten kulturmöglichkeit 7min fahrrad bergrunter zur volksbühne in kauf nehmen, wenn ich nicht zu einem kino will, das näher liegt, oder zu einer galerie, die noch näher liegen würde, aber will ich ja nicht, ich bleibe hier oben und gucke vom zweiten stock aus in den grauen himmel), behalte meine millionen schnupfenviren für mich und versuche wie immer und ewig mein leben umzugestalten, am liebsten so, dass alles beim alten bleibt.

 

wecker: kleine hommage

vor 14 jahren ging mein wecker kaputt. mein leben hatte damals gerade einen neuen mittelpunkt mit weckfunktion, ich wollte aber irgendetwas für gäste und notfälle im haus haben und habe im kaufhof am alex für fünf mark einen funkwecker gekauft. ich hatte dann einen und benötigte also keinen mehr, es kamen noch kinder dazu, mein mann hatte einen schönen wecker, weil er anders als ich morgens nicht stillen musste, den hat er dann beim auszug mitgenommen. ich benutzte den billigwecker und beachtete ihn nicht mehr als eine türklinke oder einen heizungsknauf, als er dann regelmässig nötig wurde mit der einschulung des großen, seit 14 jahren steht er auf dem nachtisch und weckt mich immer 3 minuten, nachdem ich von alleine aufgewacht bin, und dann nocheinmal, wenn ich nach 5 minuten wieder eingeschlafen bin.

er ist nicht schön, aber ich habe ihn auch nicht ansehen müssen. jetzt fordern seine knöpfe morgens und abends erhöhte aufmerksamkeit, weil ich sie aus veschiedenen richtungen drücken muss, mal 5, mal zehn mal hintereinander, manchmal reagieren sie auch gar nicht, die weckzeit ist nicht mehr änderbar und steht immer auf 6:30, die datumsanzeige ist verschwunden, ich habe sie allerdings auch vernachlässigt in den letzten jahren, hätte ich sie öfter aufrufen sollen? gibt es einen ort für nichtbenutzte weckerfunktionen? ich brauche einen neuen, endlich ein designwecker, um den herum sich dann ganz automatisch auch das restzimmer langsam modernisieren wird, auch ich natürlich, bis in ferner zukunft alles vorzeigbar ist.

es ist der erste auf der suchseite, als wäre kein tag vergangen seit 1999, anders als ich hat er sich sogar verbessert und kostet jetzt fast 8 euro. kurze verlockung. den alten weg noch einmal einschlagen, um dann auch den ganzen rest nochmal neu machen zu können, so frisch wie damals,  mit den erfahrungen von heute.

 

jazz im garten

grade häufiger das köln concert, wie alle paar jahre. dabei frühlingsgefühle, das jazzfest zu mauerzeiten irgendwo bei der neuen nationalgalerie, obwohl jarrett da nie gespielt hat, oder doch? aber es gab einen steinway, ich hab mir immer vorgestellt, dass der kurz rübergerollt werden könnte von der philarmonie, aber die haben wahrscheinlich keine samsonite-rollen an den füssen. man konnte bei ticketmangel oben auf der mauer sitzen und in den hofgarten runterschauen, wo die konzerte stattfanden, das dabeisein irgendwie genauso wichtig wie die musik und die interessanten jungen männer mit ihrem doofen ernst, das leise mitwippen der kenner, wie dann immer mal wieder nur noch musik da war, und sonst nichts, keine stadt, keine leute, nur die magie. ich hab dringend was gesucht im jazz und dachte immer, es liegt an mir, wenn ich es nicht richtig finden kann, dann hab ichs verstanden und mich am weg gefreut.

ein freund von mir hat seiner umschwärmten jedenfalls kurz vor, aber gerad noch zu weihnachten die von jarrett eingespielten händelsuiten geschenkt, davor gab es nur ganz kleine sachen, das reduzierte alphabet von halbsätzen, gesten, die berühung zum abschied, diese schritte ins offene, bei denen man den fuss noch nicht aufsetzt. weil ihn die musik so an sie erinnert hat, die leichtigkeit und eleganz, das bischen verspielte, und wie sich im spiel immer wieder etwas unerwartetes auftut, das alte und neue an den einspielungen. sie hat ihn nicht erhört, das mag am altersunterschied gelegen haben, ab plus 25 hilft auch das gesehen werden nicht mehr, macht mich fast traurig eigentlich.

aber seitdem höre ich den wieder und freue mich dran, nur den händel kenne ich immer noch gar nicht.

2012

jahresrückblick? ach nö. ein gemischtes jahr, ein ruhejahr, so fühlt es sich an, ein luftholen. bin dabei, mal wieder einen neuen weg zu finden, gerade habe ich lust, in die diabetesberatung zu gehen, größter vorteil: sinnvolle tätigkeit. bin dabei die nadel im heuhaufen. habe meinen frieden gemacht mit meiner langen berufsliste, das leben ist zu kurz für nur einen job, und kein frieden führt ja auch nicht weiter. dass keiner der berufe genug geld oder bestätigung gebracht hat: well, thats me.

das tollste sind wie eigentlich immer die kinder. es ist so ein glück, welche zu haben, muss ich ja weiter nix zu sagen, denke ich mal. leider darf ich nicht mehr viel von ihnen schreiben, schon gar nichts lustiges, weil sie das nämlich nicht mehr wollen – (ihr kleinkindbloggereltern: geniesst die zeit) – aber die jungs sind natürlich meine familie und mein lebensmittelpunkt. und emma, die mir füsse und herz wärmt und die doppelt soviele haare wie ein normaler collie hat, bei halber größe. und die kitchenaid.

sport war super, halte seit anderthalb jahren durch mit laufen und seit zweieinhalb mit yoga. körper wieder integriert. lotussitz ist trotzdem noch eher lala, aber ich fühl mich topfit und bin zuhause in mir.

literatur ja, doch, wieder mehr gelesen dieses jahr. stecke gerade in einem sehr skurrilen roman von william gass, der tunnel. kann ich meine schwäche für bombastische parallele weltsysteme ausleben. hatte das buch als signierte erstausgabe 2004 in new york gekauft und bin im englischen nicht in den fluss gekommen, jetzt hat nikolaus stingl das mammutwerk übersetzt.

warte übrigends immer noch auf eine übersetzung von „horcynus orca“ von stefano d’arrigo, moshe kahn sass daran, es sollte im amman-verlag erscheinen, den es ja nicht mehr gibt. die sprache des romans ist überwältigend, herrlich und dicht auf eine nicht mehr zeitgemässe = nicht ökonomische weise. ich bin neugierig darauf, ob das werk wiedererkennbar bleibt im deutschen, weil land, figuren, geschichte so unlösbar in der sprache verwoben sind im original.

männertechnisch war das jahr suboptimal, eine uncharmante geschichte am jahresanfang (ja. ich weiss. selber, selber schuld), merke grade, das ich gerne was total fieses über die männer schreiben möchte, aber es sind ja immer nur die doof, die ich mir ins bett hole, und davon nicht mal alle, das wäre also eine verallgemeinerung, die zu unwahr ist, um noch statthaft zu sein. sonst nur ein paar betrunkene küsse auf parties. es fehlt mir bis weit in die tiefe nicht, der lack ist trocken, der boden hält, wer tiefer bohrt, muss whisky schenken und zeit und eine schulter, ansonsten ist das thema partnersuche offiziell durch. vielleicht gelingt mir mal eine funktionale trennung sex/herz, damit wenigstens ein bisschen haut rumkommt – wobei ach, vielleicht einfach mal wieder hier rumsurfen.

eine absolut großartige USA-reise gemacht im juli, mit den jungs, die war alles wert. es ist einfach alles dabei gutgegangen, ich habe die vielen bilder noch vor der nase, muss bloss die augen zumachen. die weite, die großen augen der kinder, das immer-weiter-fahren können, die freundlichkeit der amis, das essen, die 45°-strassen und die brücke in san francisco, der highway 1, der riesige buckelwal, der vor unserem boot einen luftsprung gemacht hat, der geschmack von eiskaltem bud an einem lauwarmen swimmingpool nach einem tag mit +45°C in der wüste. die total verlassene route 66 mit meinem ältesten am steuer, der sonnenaufgang am grand canyon, der erste blick in diesen abgrund. die überwältigenden sequoias mit ihrer zimtrinde und ihrer größe, die livrierten kellner im california zephyr, der sonnenuntergang in den rockies, das kurze herumstolpern in chicago, unsere fahrt mit den öffis zum flughafen dort, der nächtliche anflug auf new york mit blick auf alles, neben einem orthodoxen juden mit schläfenlocken, der den jungs in kinderenglisch die freiheitstatue zeigte – diese reise liefert nachhaltige und wunderbare erinnerungen, eine toller als die andere.

habe freundschaften bissken schleifenlassen dieses jahr und mich zuwenig gemeldet bei meinen lieben, es ist zuwenig freiraum im kopf geblieben bei all dem existenzgewurschtel. wird wieder anders.

und jetzt montale mole, der mit „Opening the World“ eine sehr schöne sammlung herausgegeben hat – ich mag mich aber nicht entscheiden. vielleicht ein vers aus „Following the Thread“:

All the stories are made up. So am I;
so are you. In the end there is no end,

there is only the spider angel spinning out
the drifting threads of heaven.

ich wünsche allen lesern einen wunderbaren start ins neue jahr. feiert feste, küsst jemanden, egal wen, zündet ein paar knaller, brüllt laut yippieyeh, wenn die raketen hochgehen!

 

imago

gestern abend auf der bbc-app eine doku über die mappa mundi von hereford gesehen, die karte aus dem 13. jh, eine mittelalterliche kombination aus abbild, weltentwurf und mythisch-religiöser inszenierung von geschichte. kannte ich die karte schon? nein. ein passendes hä?-geschenk für die jungs gefunden, sie bekommen ein plakat und dürfen rätseln. gleich bereut, dass ich den großen doch nicht auf ein humanistisches gym geschickt habe, latein ist ja wirklich einfacher als französisch.

ich habe eine grosse schwäche für karten. für wertvolle habe ich keinen platz, aber alle reisen stehen hier noch im regal, und natürlich der falkplan „mit allen grenzübergängen“. mein vater hat unsere familie einmal bis zu mercator zurückverfolgt, 16 jh., aber ich habe die aufzeichnungen nie gefunden und halte die geschichte inzwischen für einen familiären mythos, es gibt auch nur einen geografen in der familie.

aber die alten, zerfledderten, mit bleistiftzeichen, bei denen ich noch die kühlerhaube darunter sehen kann, wo wir sie raufgelegt hatten beim x-ten verfahren in frankreich, die  spanienkarten zerrissen, weil ich sie im offenen käfercabrio liegen hatte, und mein gott, was habe ich mich gern verfahren in meinem leben. wenn jetzt das navi ausfällt, fluche ich laut und drücke drauf herum und bin auf unangenehme weise verloren, aber mit einer karte weiss man ja noch ungefähr, wo man grade langfährt, dann anhalten, karte auseinanderfalten, konzentrieren, suchen, mit durchatmen verbunden, während einen das navi-neu-laden erstmal wieder wegholt vom reisen.

 

schulwechsel

die zwillinge sind in der 6. grundschulklasse, beim diesmaligen lehrergespräch geht es hauptsächlich um die abläufe und bedingungen bei der wahl der weiterführenden schulen. bei den gesprächen mit den lehrerinnen der zwillinge gelernt, wie sich der schnitt errechnet, hauptfächer mal zwei, die anderen noten nur einfach, bis 2,2 unbedingte gymnasialempfehlung, bis 2,7 ermessensspielraum, „aber es ist schon eine grössere entscheidung, so einem schüler eine empfehlung zu geben“. beide lehrerinnen schreiben alle ausserschulischen aktivitäten mit auf die förderprognose, instrumente, sport („verein ist besser“), kirche und theater und what not, falls noch jemand grundschulkinder mit freizeit hat – füllt sie, denn man kann das nicht ganz aus dem blauen erfinden, die lehrer kennen ja die kids. es sind 3 zeilen dafür vorgesehen auf dem formular.*

gefreut über den davidzwillling, über den seine lehrerin lauter wunderbare dinge gesagt hat, er entwickelt sich, ist gut integriert, lernt eigenständig, lässt sich nicht ablenken, ist sozial und arbeitet mit, nur einser und zweier, als ich es ihm zuhause erzähle, fragt er erst ungläubig nach und strahlt dann sehr, und traut sich seitdem gelegentlich, seinen bruder zu verkloppen.

ich werde ihm erstmal nicht erzählen, dass er gegen hunde und katzen allergisch ist, wie heute erfahren, „häufig nicht gegen den eigenen hund“, sagt die arzthelferin am telefon, aber er soll den kontakt möglichst gering halten. well. nun gut, ich werde die weckprozedur morgens ändern (emma springt zu david ins bett und legt ihren kopf direkt neben seinen kopf) und sowieso, öfter mal neue herausforderungen! habe null lust auf google-exegesen, lieber eine schön bebilderte broschüre vom arzt mit do this und don’t do that.

zurück zum thema schule und berlin: mit dem englischen ist es an ihrer grundschule so, dass die englischlehrerin der zwillinge erst drei wochen und dann nochmal 4 wochen krank war, und es berlintypisch mit der krankheitsvertretung gar nicht geklappt hat. es gab keine. der unterricht ist einfach ausgefallen, weil sich dummerweise auch keine eltern fanden, die zeit und staatsexamen zur verfügung hatten. nach den ersten wochen kam die lehrerin eine woche wieder, lang genug, um eine arbeit schreiben zu lassen, bei der die noten sehr lala waren, dann verschwand sie aufs neue, um einen monat später wieder aufzutauchen, rechtzeitig für die klausuren. die noten in englisch werden auch zweifach gezählt, „unter vorbehalt“ wollen sie nicht dazuschreiben, ich hab gefragt, „schreiben sie doch dem senat, wir können da nichts machen“, heisst es.

das ist berlintypisch, glaube ich, menefreghismo auf jeder amtsebene. aber die verantwortung für den bildungsstand der kinder ist in D höher als in anderen ländern**, und man verliert jahre, bis man das bemerkt. sollte mit auf die infoblätter vom senat: vertrauen sie der schule ihrer kinder nicht. es liegt nicht an den lehrern, die bis auf zwei ausnahmen alle in ordnung waren, es liegt an der erschreckenden unsicherheit des systems über sich selber, glaube ich, und dass höchstes engagement für die bildung keine selbstverständlichkeit ist. vielleicht geht es in den köpfen der entscheider auch um standesdünkel? ein undurchlässiges system schützt ja auch diejenigen, die aufgrund des sozialstatus ihrer eltern eine gute bildung genossen haben, und macht scheint sehr schnell ins wertsystem der machthabenden hineinzusublimieren. ich habe inzwischen gelernt, dass die vielen pädagogischen gründe für schulreformen nur fassade sind und es meistens nur um eine anpassung an löcher in der haushaltskasse geht, dass also der pädagogische nutzen nur sekundär, der finanzielle dagegen hauptausschlaggebend für neue ideen ist, das sagt einem natürlich keiner, kein lehrer, kein schuldirektor, kein senator. mein großer, 8. klasse, hat in seinen schuljahren mehrere große reformen über sich ergehen lassen müssen, das jahrgangsübergreifende lernen fing in seiner ersten klasse an (soll jetzt wieder abgeschafft werden), oder die reduktion auf zwei schularten (haupt+ realschulen abgeschafft, ex-haupt- mit den ex-realschülern in sog. sekundarschulen) ohne änderung der abschlüsse (die wurden nur unbenannt, realschulabschluss heisst jetzt msa, beim hauptschulabschluss ist ihnen die lust ausgegangen, der heisst jetzt berufsbildungsreife) und natürlich ohne änderung der kinder, die genauso unterschiedlich gestrickt sind wie zuvor. es ist bestimmt nur ein zufall, das jedes modell weniger kostet als das vorherige, die klassen größer, der lernstoff mehr und die schulzeit immer kürzer wird. laut bildungsbericht tabelle b1 sind die berliner ausgaben von 2000 bis 2009 von 5,2 auf 5,0% des bip gesunken, da muss man schon sagen: viel schaden für son bisschen ersparnis. europaweit ist deutschland sowieso eine peinliche niete.

und wer musses ausbaden? ich! in berlin außer den schülern immerhin auch die eltern.

 

* und dass die versorgung der kids mit all diesen extras den familien leichterfällt, die die finanziellen und logistischen mittel (zeit! üben, bringen, kuchenbacken) dafür haben – na wie praktisch, noch ein easy zu habendes distinktionsmerkmal.

** heute irgendo was über eine studie darüber gelesen, aber wo? aber wo?

s***l

die winterstiefel, die ich haben wollte, habe ich über google bei einem holländischen onlineladen gefunden, als restpaar sehr herabgesetzt. es gab keinen hinweis darauf, dass sie auch ins ausland liefern, deshalb habe ich eine mail hingeschickt, die sofort, noch am sonntag, beantwortet wurde. keine automatische antwort, sondern eine persönliche und gutgelaunte, die schreiberin hat dann nachgesehen, ob es die schuhe noch gibt, hat sie mir reserviert und gestern kamen sie an, mit handschriftlichem adressaufkleber, wie für ein glas selbstgemachte marmelade. die eigentümerin ist auch kinderbuchillustratorin, wenn ich das holländische richtig errate (es wirkt immer so charmant, wo das deutsch eher hart und krächzig klingt). i’m intrigued,  und ich mag den ins netz gezogenen kleinen laden um die ecke, wo man noch ein bisschen mit der inhaberin plaudern kann. ich wünsche ihr erfolg, aber nicht zuviel erfolg  – möge ihr zeit bleiben für etiketten und anderes.

(der nachteil beim schuhkauf in  virtuellen läden: man wird nachher zugespamt mit werbebildchen der gesuchten schuhmarke, auf jeder besuchten öffentlichen seite. das aufwändige säubern der cookies ist ein ärgernis, das man bei der zeitersparnis durch den online-kauf mit einplanen muss, wie die schnaken bei dämmerung fallen sie über meinen browser her. die schuhfirma erscheint mir jetzt als weltherrscher, da ich sie über- und überall vorfinde. stalkertum ist eine belästigung, tatsächlich finde ich diese werbe-programmierer vor allem unerzogen, aber hey, ich weiss, ich weiss. und meine illusion, ich hätte einen zumindest eigenartigen geschmack, hat sich  auch restlos erledigt.)

luft

rückfall in alte mutterhuhn-reflexe, wenn einer der mäuseriche im krankenhaus liegt. davidzwilling hatte einen schlimmen asthaanfall und hat keine luft mehr gekriegt, sie haben ihn gleich dabehalten, erst nur für eine nacht, jetzt für eine woche, seine sättigung war bei 88, geht inzwischen aber kontinuierlich nach oben, und das virchow hat eine referenzabteilung für kinderpneumologie, der vorteil einer großstadt. er sieht klein und dünn aus in seinem bett, legt mir aber inzwischen abends nahe, doch nach hause zu gehen, er tut das genau so, nicht laut, nicht fordernd, ein leises „mama, du kannst jetzt ruhig gehen, mir geht es gut“, und versucht sein grinsen zu verbergen, wenn ich frage, ob er lieber tv gucken möchte. am telefon mit dem gregorzwilling gewinnt er inzwischen, weil er länger da ist, länger am tropf hängt und eine sauerstoffmaske tragen muss. gregor sagt dann „aber ich hatte schmerzen!“ und david meint, zu recht, atmen sei wichtiger.