re 7

mit dem 9€-ticket eine alte art des reisens wiederentdeckt, das einfach herumfahren und schauen, wo man landet, aussteigen, wenn der ort spannend ist, eine stunde länger bleiben, weil die sonne grad schön steht. all das habe ich nicht gemacht, weil ich einfach nicht auf die idee gekommen bin, weiß auch nicht warum, anders als millionen anderer leute, die das jedes wochenende tun. und millionen von rentnern, die es unter der woche tun, was ich bei meinem ostseebesuch in warnemünde gemerkt habe. eine dame im abteil neben mir sabbelte ununterbrochen mit ihrer freundin, zweieinhalb stunden lang lebensgeschichte, geschichte aller freunde, kinder, kindeskinder, es nahm kein ende. das ist mir auch aufgefallen, die menschen reisen meistens in gruppen oder zu zweit.

blick in den sonnenuntergang aus einem zugfenster

jetzt ist august, ich fahre bald in die ferien und habe nur vier trips gemacht, ich hoffe, das angebot wird wiederholt oder doch fortgeführt, obwohl die kapazitäten der regionalbahn wirklich an ihre grenzen gekommen sind. gestern bei der heimfahrt in roßlau-elbe gelandet, ich hatte einen zugwechsel verpasst, bin also versehentlich zurückgefahren, musste deshalb dort umsteigen und eine weile herumstehen. nach dem nächsten zug war der bahnsteig komplett überfüllt mit menschen, die auch auf den re7 nach berlin gewartet haben. es ist ein ansonsten verlassener bahnhof, mit einer einfachen bahnsteigbrücke aus metall, von den wartenden fotografiert zusammen mit den roten lichtern am bahnsteigende, von links leuchtete der sonnenuntergang. die alte doppeltür zum bahnsteig ist zugesperrt und vollgeklebt mit antimasken-flyern, sogar ein tweet von julian reichelt hängt ausgedruckt im fenster. ich fotografiere das und sehe dabei, dass in der bahnhofshalle dahinter ein großer tisch steht, an dem ich im halbdunkel zwei menschen erkennen kann, außerdem noch zwei schaufensterpuppen zwischen tisch und tür, topfpflanzen, kein licht, es ist schon kurz vor 21 uhr. die türen zum bahnhofsvorplatz stehen offen, das kann ich von der bahnsteigseite sehen, ich gehe um das gebäude herum, frage die beiden, ob ich das bahnhofsklo benutzen darf, oder ob das hier privat sei. die bahnhofsutensilien sind rausgenommen worden, bis auf eine theke an einer seite, es stehen vasen drauf, es sieht aus wie ein riesiges wohnzimmer, ein bisschen eingerichtet im stil der fünfzigerjahre, ein sofa, regale, der große tisch mit tischdecke. es ist nicht privat, sagt die frau, aber sie dürften diesen ort nützen, können hier auch schlafen, und klar könnte ich aufs klo. beim rausgehen werde ich um 50ct gebeten, die ich ihnen gerne auf den tisch lege.

auf der fahrt nach berlin im überfüllten zug dann doch noch sprachlich vergriffen, indem ich meinen nachbarn auf englisch gefragt habe, ob ich mal durchs fenster fotografieren dürfte, weil der sonnenuntergang einen perfekten farbverlauf von dunkelgelb bis tiefblau gezeigt hat. er antwortete, auf deutsch, ich könne gerne bilder machen, mit einem hauch freundlichem spott. jut. der mann ihm gegenüber schwankte derweil gefährlich, ist immer wieder mit dem kopf auf den tisch gesunken, wieder hoch gekommen, schob die ganze zeit seine beine und füße herum und guckte dabei aus großen pupillen ins absolute leere, eine droge, dachte ich, jedenfalls ging es ihm nicht gut. neben dem müden, und mir gegenüber, sass eine sehr, sehr alte kleine dame im t-shirt und kurzen hosen, ganz mager und ein bisschen in sich eingerollt, ihre füße in sandalen, und nur die füße sahen nach strasse aus, und ihre paar beutel vielleicht noch. auf der anderen seite des ganges eine hochschwangere im pinkfarbenem bodenlangen kleid, reich mit goldtrassen verziert, die haare geflochten, mit zwei kindern, vielleicht 5 und 8, mit denen sie auf französisch sprach, schnell, spöttisch, laut, bis das kleine mädchen bitterlich anfing zu weinen, sie spricht weiter, das kind weint mehr, endlich erbarmt sie sich und ruft die kleine zu sich. ab dann habe ich sie nicht mehr angelächelt. neben ihr ein mann mit zopf, der die ganze zeit unbeweglich in bahnzeitschriften liest, oder zeitschriften zum thema bahnfahren, hochkonzentriert. er hat einen ganzen stapel vor sich. ein paar hunde waren auch da, die standen mit einer berliner familie, frau mit drei fast erwachsenen jungen leuten, weißblonder undercut, runde schultern, mit dieser soliden berliner warmherzigkeit, die jedes stundenlange herumstehen hinnehmen kann und dabei freundlich bleibt.

der re 7 ist schon sehr berlin.

gemerkt, dass ich auf den drei wochenendfahrten immer inmitten von andersprachigen leuten gesessen habe, türkisch, ukrainisch, französisch, tamilisch (vermutlich), englisch.

auf der rückfahrt von magdeburg letzte woche saßen mir gegenüber zwei gut gekleidete ältere gentleman, die „zum spazierengehen“ nach brandenburg gefahren waren, wie jedes wochenende seit dem ticket, wie sie mir sagten, ob ich auch spazieren gegangen sei? ich erzähle vom kindesbesuch, der eine der beiden erzählt dann, wie er seinen sohn in der türkei verloren habe, und seine frau, sie seien kurden. sein freund legt ihm die hand auf den arm, beide nicken, es klingt zeitlos, es ist ja auch für immer passiert. dann reden wir noch ein bisschen über das schöne wetter.

anstrengend war dabei nur die 14-köpfige großfamilie gestern auf dem stück zwischen wittenberg und jüterbog, die sich auf 5 plätze verteilte und dabei sehr, sehr lautstark debattierte, wer oben und wer unten sitzen sollte (vermute ich), weswegen ich die durchsage, dass der zug im pendelverkehr unterwegs ist, schlicht nicht mitbekam.

am alex ausgestiegen und den rest tram gefahren, dann müde ins bett.

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