kurzfilm

blick auf den see vom eingang des museums aus

in einem kleinen ort am seeufer ist im vorletzten jahr ein kurzfilm gedreht worden, der in los angeles einen preis bekommen hat. das dorf eignet sich als drehort gut, weil alles wichtige an einen einzigen platz liegt, kirche, läden, der see, die beiden gassen und die straße, die auf den platz führen. bilder vom drehtag hier.

gestern war die uraufführung vor publikum, alle aus dem dorf sind gekommen, ein sehr eleganter älterer herr  im smoking, wohl aus der verwaltung, die wunderschöne schauspielerin (hui. zuwenig an hat sie auf den meisten bildern) im glitzernden abendkleid auf halsbrecherischen schuhen, der regisseur leger, die dorfbewohner in abendkleidung oder jeans. kulturleute der nächstgrößeren stadt, zwei frauen von eos, einer organisation, die sich mit dem thema des films beschäftigt und wohl als sponsor mitfirmiert, es geht um gewalt gegen frauen. die beiden sehr ähnlich gekleidet und aussehend wie mutter und tochter. vorher ein sehr leckeres büffet mit prosecco und feiner foccaccia, alles bei entrata libera.

der kurzfilm spielt in den vierzigern, 1. szene in der kirche, junge frau von hinten, weinend, mit einem messer in der hand. an der wand gentileschis judith und holofernes. schnitt, dorf, menschen im alltag der 1940er, mit spinnrad, ziegen, schuster, sehr süßen schmutzigen kindern, hunde, viel dorfleben. die junge frau aus dem ersten bild verkauft sizilianische canelli vom fahrad aus, ein älterer mann sieht sie, verfolgt sie nach feierabend, vergewaltigt sie, man hört lange ihre schreie. zum schluss wird die anfangsszzene in der kirche wiederholt, junge frau alleine, weinend, mit messer, eine alte frau kommt dazu, sie sehen sich an. laut wikipedia bringt die alte dame in der kirche die junge frau dazu, statt mit einem mord lieber mit einer anzeige zu reagieren, hab ich aber nicht erkennen können.

hmm, dachten wir. angekommen ist die verzweiflung und das alleinsein danach, wie unvermittelt es zu gewalt kommen kann, und die solidarietät unter frauen als einzig mögliche hilfe unter gewissen umständen. alle hielten reden, der regisseur stammt aus dem nachbarort und erzählt, wie sie innerhalb von zwei wochen film und dreh auf die beine gestellt haben, zeigt seiten aus dem storyboard, erklärt arbeitsschritte und bedankt sich bei den beteiligten, das war unterhaltsam und ganz spannend. am ende sprechen noch die beiden frauen aus der hilfegruppe, erzählen viel zu lang und ausführlich aus dem nähkästchen, wie die gewaltbereitschaft unter umständen schon im kleindkindalter gesäht wird, wie es dann in grundschule, oberschule, erwachsenenalter weitergeht, vor einem publikum, das offensichtlich nicht wegen ihnen da war. ausführlich. kann man machen, man könnte aber auch die chance nutzen, das publikum irgendwie anzusprechen, die eigene orga vorstellen, interesse wecken.

(eine alte dame neben mir wetterte die ganze zeit, dass sie sowas schon seit 20 jahren am fatebenefratelli (klinik in mailand) anbieten, und überhaupt, wer sei das hier überhaupt, nie gesehen hätte sie diese beiden. sie war bestimmt der einzige gast, der aufgrund des filmthemas gekommen ist.)

ambiente sehr schön, innenhof von einem altem museum, direkt an dem platz, wo der film gedreht wurde, unter freiem himmel, angenehme 25° unten, nachher mit den freunden noch ein bierchen direkt am see.

wildwuchs

der sturm neulich hat die beiden akazien, die mitten in die aussicht gewachsen sind in den letzten 15 jahren, deutlich gelichtet. umgefallen sind leider andere.

der weg ins dorf geht ein stück durch einen steilhang mit sehr ungepflegtem wald, an den straßenrändern mit brombeeren auf der einen und holunder auf der anderen seite, drumrum dichtes unterholz und von kletterpflanzen umrankte bäume. kastanien und akazien sehen gesund und munter aus, viele andere sind unter dem gestrüpp längst morsch und faulig, bei jedem sturm fällt irgendwas um, meistens jüngere bäume mit stämmen zwischen 10 und 15cm, diesmal ist allerdings auch eine richtig große esche (glaube ich) umgeknickt, die hängt da jetzt auf halbmast im dickicht, die krone liegt grade neben der straße und welkt ganz langsam vor sich hin, kein schöner anblick.

habe neulich auf twitter eine eher brutale praxis der entrindung gesehen, um in einem wald für totholz zu sorgen, damit platz für insekten und kleintiere ist, davon gibt es hier genug. vielleicht wurde der wald früher besser gehalten, ein paar prachtvolle alte bäume mit anderthalb meter dicken stämmen stehen dort auch, die müssen vor dem schlingzeug hochgekommen sein. beim größten, einer eßkastanie, sieht es aus, als habe sie selber mit unzähligen austrieben ihren stamm geschützt, efeu ist da nur als ein paar einzelne zweige zu erkennen. sie ist nach ihrem umfang über 400 jahre alt, das erzähle ich grad allen, denn damals ging hier die renaissance grad zu ende, so sehr damals ist es, in mailand regierten die sforza, die lombardei ging zwischen den spaniern und den schweizern hin- und her, nach der blütezeir folgte ein langer, ökonomischer abstieg, vielleicht wurden ihre kastanien damals noch gesammelt und verwendet. die beiden kleinen mädchen, die immer bei den hunderunden mitkommen, weil sie in emma verguckt sind, hören stets interessiert zu und sagen höflich toll!, oder ja?

eine andere kastanie sieht bis zwei meter über der erde aus wie mehrere bäume, der stammteil unten ist ein paar meter breit, lässt auf ein alter von einigen hundert jahren schließen. jetzt ist der stamm im gestrüpp kaum zu erkennen, lebendige und tote bäume stehen dort dicht an dicht, alles bleibt im ständigen halbschatten. der hang ist seit dem tiefsten mittelalter sich selber überlassen. der dicke baum verdient eine geschichte, dacht ich, und wollte ihn mal aus der nähe erkunden.

von einem pfad unterhalb des wäldchens wollte ich mich hineinwagen, hab dazu sogar sneaker angezogen, aber die dornen stehen dort bis auf den boden, darunter schlamm, dazu um die 45° steigung:  ich müsste mir alles freischneiden, im grunde mit einer säge, also nee. dafür reicht der erkenntnisgewinn nicht. ein wunder, dass sich die bäume da halten können, wenn es nicht umgekehrt ist, und die bäume das gelände halten, bei den andauernden sturzregengüssen.

also weiter ins dorf gelaufen, bei der nächsten freistehenden kastanie angehalten, sie trägt eine lange stola, und sieht auch sonst sehr elegant aus. die könnte ich ja messen, wenn ich ein maßband hätte. so stand ich da kurz herum, allein im wald, und dachte mir so, du kannst den umfang auch mit deinen armen messen, zweimal ganz rum bin ich gekommen, die stola ist überraschend weich. dann habe ich die jungen ausflügler gesehen, die grad vorbeiliefen, natürlich, als ich meine arme noch um den baum hatte.

ich werde aber auch ideell zum treehugger auf meine alten tage, erhöhte baumsensitivität seit den sequoias 2012. kastanien können ja genauso alt werden wie sequoias, der älteste baum europas ist eine kastanie, geschätztes alter liegt zwischen 2000 und 4000 jahren, sie steht auf sizilien und trägt immer noch früchte, sie tragen erst ab 30 jahren, sagt wikipedia, und am ertragreichsten sind sie ab 100. kastanien sind so nährreich wie kartoffeln, wißt ihr, oder? seit den alten römern werden kastanienwälder angelegt, sie haben die bevökerung norditaliens durch einige hungersnöte gebracht, aus ihrem mehl kann man backen, wenn man es mischt, es ist glutenfrei, süß, vielseitig verwendbar. ein ehrwürdiger baum, hier überall zu finden, im oktober liegen hier die esskastanien zentnerweise herum. er wird auch noch angebaut, mehr in süditalien und in der toscana, im piemont gibt es auch noch ein paar.

ich könnte ja mal, dachte ich beim herumlaufen, nach alten schönen bäumen suchen, gemerkt, das geht auch über google, hier hat ein guter geist in ganz italien nach besonderen bäumen gesucht, nach provinzen sortiert, sehr toll. sollte mal wieder in die villa taranto und auf die isola madre fahren.

habe den jungs auch von den bäumen erzählt und ihnen fotos geschickt. sie meinen, dass ich wohl langsam genug entspannung hatte und teilen mit, ich sollte jetzt lieber wieder nach hause kommen.

ferragosto

das feuerwerk ist hinterm berg, aber es ist nur ein kleiner berg, und die schläge dröhnen tief und laut. ich hab schon fast alles probiert, bis zufällig in einer playlist norwegian wood kam, und dann hat emma ihren kopf auf die pfoten gelegt und kann ausatmen. es sind die sachen für ruhige momente, die auch bei ihr funktionieren.

dann spielt das verf… itunes statt nur einer arie auch die nächste des albums, ausgerechnet  „avert these omens“ mit dem pauken-donner von semele, und der hund zittert wieder. so ein schreckliches programm. grad (einen tag später) nochmal gespielt, um den namen zu suchen, emma reagiert nur im kontext mit panik.

bin zur ruhe gekommen und wieder bei mir, es fühlt sich an wie geschlossene kreise, nicht nur die alte musik, auch das wegkönnen und dableiben, nicht mehr fassade, sondern die mischung aus freiem und unfreiem, lautem und leisem, den zartheiten und der ungeduld, kein halber meter abstand zu sich selber, selbst wenn man zu zweit ist. sehr angenehmer zustand. keine ahnung, ob es erholung oder abstand ist. plan für den winter: sich im griff haben als umarmung.

angenehme um die 30°, abends frischt es auf, vom see hört man die motorboote, ein kleines lüftchen weht und bringt die wolken von der westseite herüber. heute kein monte rosa zu sehen. keine lust auf strand.

jetzt sehr sehr rote nägel, aber flipflops dazu.

instakram

instagram – account der nachbarn entdeckt, kurzer anflug von einer art fernweh für ein anderes leben. schöne bilder, tolle kunden, lago, meer, italien und london. ich mag sie, kenne schon seinen vater, der früher hier lebte, sie haben kinder und enkelkinder und fahren unter anderem einen wunderbaren alten fiat 500, beide arbeiten, machen irgendwas mit marketing (sie) und motoren (er). instagram funktioniert. denke darüber nach, auch solche fotos zu machen, dann hätte ich auch so ein leben, als selbstversuch, es scheint leicht genug, es wirkt verlockend einfach, ohne die arbeit und den aufwand, den ein erfolgreiches unternehmen bedeutet. vom typus her würde ich wohl eher symbolbilder für die arbeit verwenden, wobei ich da vielleicht work und pleasure durcheinanderbringe, so ein i-account gehört ja zum beruf.

welche bilder könnten mich repräsentieren? für mich sind diese schönen aufnahmen auf instagram immer bilder vor dem wort, eine arbeitsgrundlage, ich sehe sofort die absicht, die intendierten projektionsflächen, meine geschichte, die renaissance, den goldenen schnitt, die bilder springen also sofort zu geschichten auf, wie eins dieser wunderbaren popup-bücher. auch weil sich so ein ansatz angenehmer anfühlt als die sehnsucht nach dem dargestellten. ich bin mir ja viel näher beim geschriebenen, habe aber jetzt endlich wieder eine kamera! ich glaube, es gibt da sogar einen account, mit einem einzelnen bild. ich könnte also. wollte schon mal meine jungs zum täglichen knipsen für die familien-whatsapp animieren, mit einem preis, aber sie haben es total ignoriert. sie machen fotos, aber wollen die für sich behalten, keiner nutzt social media, was ich mir nicht hoch, aber doch irgendwie anrechne.

merkwürdigerweie fühlen sich fotos aus meinem alltag viel mehr als verletzte privatsphäre an, obwohl ich soviel öffentlich aufschreibe. hängt einen tick mit meinem selbstbild als sagen wirs mal so nicht durch schönheit auffallender frau zusammen, in italien vor allem, wo unter jedem kleinen bild immer zuerst die bella bellissima!- kommentare kommen, und nie einer fragt „was liest du denn grade?“, besser gesagt, ich finde mich schön, ohne das mein aussehen dabei eine relevante rolle spielt. das fällt mir nur beim drübernachdenken auf, es spielt keine rolle im alltag oder vorm spiegel, nur manchmal nach körben. sachen wie instagram sind da ein anderer ansatz, ich guck mir die schönen sachen gern eine weile an, wie die zeitschriften beim friseur, aber ich möchte sie nicht mit nach hause nehmen. diese schönen pics stellen das andere dar, nee, sie sind etwas grundlegend anderes als ich. ich nehme sie wohl auch bisschen zu ernst. text-vs-bildmenschen.

(das oben als unerwarteter kurztrip hin-und zurück zu instagram, jetzt geh ich zufrieden an den strand.)

 

museo villa panza

zu einem ausflug nach varese mitgenommen worden, in die villa und sammlung panza, ein museum, von dem ich noch nichts gehört hatte. mit einer landkarte und stilgerecht im offenen käfer über verwinkelte und kurvenreiche strassen, ein stück weit auf den berg,  parken in einer engen strasse direkt vorm museum. von außen sieht es nach einem gepflegten landhaus aus, 2 etagen, alte fenster, ich erwartete ein paar räume voller bilder. dann eine glastür, und sofort ist alles gegenwart und neu, der empfangsraum, die museumsarbeiter, die preise (15€ für normalsterbliche), ein museumsshop (ich liebe museumshops). dann läuft man um die ecke und steht auf einem großzügigen hof, mit einer großen wasserskulpur von meg webster, unter einem romantischen kleinen brücke sehen wir in einen riesigen park, ein klassischer blick, mit raumflucht, einem brunnen, wegen und wiesen, und einem sehr romantischen heckengang, direkt gegenüber der orangerie mit alten, verwitterten glasfenstern. hier hat ein genießer gebaut. uns ist wirklich kurz der mund offen geblieben. wir haben uns umgedreht und standen vor einem wandhohen spiegel, der den blick in hof und park noch einmal neu zeigt, diesmal mit uns kleinen gestalten darin. selfiemotiv, aber die installation ist älter als smartphones, überall im haus schaffen spiegelwände trügerische weiten und verändern die perspektiven.

seit 20 jahren sind die arbeiten dort öffentlich zugänglich, seit der letzte besitzer, giuseppe panza di biumo und seine frau giovanna ihren palast 1996 dem fai* übergeben haben. die beiden haben dort seit den fünfzigern gelebt, 5 kinder großgezogen und sind bzw. waren (giuseppe panza ist 2010 gestorben) liebhaber und aktive sammler zeitgenössischer, vor allem nordamerikanischer kunst.

panza hat als einer der ersten rauschenberg nach italien gebracht (1959 von john cage vermittelt), im park steht ein kleines häuschen mit einer arbeit von robert wilson, dan flavin hat ihm einen ganzen flügel mit lichtskulpturen eingerichtet, die liste seiner künstler ist sehr beeindruckend.

bis januar 2020 werden arbeiten von sean scully gezeigt, die auf ganz merkwürdige art in die räume passen, auf dem prachtvollen sternparkett sehen die streifen fast zurückhaltend aus, wie hinweise auf die geordnete struktur der dinge.

(arbeit von ettore spalletti)

panza mochte klare linien und formen, die kunst wirkt schlicht in den räumen, oder vielleicht wirken die räume eleganter, weil die arbeiten so klar sind?

(arbeit von ettore spalletti)

fast keine möbel, nur im großen salon, der nur für privatveranstaltungen geöffnet wird, mit tiefroten samtsofas, einem billiardtisch, kaminen und großen, monochromen arbeiten von ich glaube phil sims oder ruth ann fredenthal an den wänden. es passt alles so gut, dass man zur ruhe kommt beim ansehen. ich wollte gar nicht mehr raus.

sehr sehenswert, wenn man es findet.

*der fai schützt, fördert und pflegt als gemeinnütziger verein italienische kulturgüter, ein dringend notwendiges unterfangen, so viel geht kaputt, wird vergessen oder verkauft. ich wollte gleich mitmachen. der fai hat das haus zum museum umgestaltet und unterhält das museum, so wie ich es verstanden habe. die stiftung leistet dabei erstklassige arbeit, es ist alles top of the pops.

 

 

fotos machen

es ist ja eigentlich zuhause hier. um das feriengefühl wachzuhalten, nehme ich überall meinen neuen fotoapparat mit. er hat das richtige gewicht, ist einen tick retro, sieht nicht nach profi-im-urlaub, aber schon nach intention aus, wie fast jede kamera heutzutage, die meisten machen ja alles mit dem handy. schaue nach jahren 0hne kamera sofort anders ins umfeld, suche details, perspektiven, insekten, situationen, es intensiviert meine wahrnehmung. das fotografieren macht mir spass, nicht die  bilder, die kamera, nicht das bearbeiten, die bilder habe ich mir kaum angesehen bis jetzt, meistens ist darauf der grund fürs foto nicht erkennbar, ich muss mich also daran erinnern und erinner dann alles umstehende gleich mit: heißer tag, du bist stehengeblieben, weil da schatten war, dann ist dir das riesige spinnennetz aufgefallen, aussehend wie ein feines nie entwirrtes fischernetz, mit dellen, blättern, staub darin, ganz hinten in einem trichter die spinne, die selber wie verknotet aussieht und vielleicht schon lange nicht mehr lebt. das foto gibt den dinglichen teil dieser wahrnehmung wieder, als ganzes, leider ohne auswahl und ohne drama und sonnenschimmer, den ich kann es einfach nicht gut, dafür aber mit allen details, weil die heutigen kameras so gut sind.

mag beim motivsuchen den prozeß, wenn das grün vorm haus nuancen bekommt, wenn baum- und blattformen sichtbar werden, wenn der blick von der konzentration auf die ferne oder den monte rosa umschaltet auf fläche und struktur. wie die touri-familien auf dem markt, die kinder mit buntem plastikspielzeug, die väter mit kamera, die mütter mit sonnenhut, und umgekehrt, die im foto überall auf der welt sein könnten, die ein gelungenes foto ergeben, wenn das besondere an ihnen entweder verschwindet oder ins auge springt, glaube ich, meine bilder sind eher beliebig geraten. oder wie die alten leute, die morgens vor der bar an ihren tischen sitzen, mit kaffee und brioche und freunden, plötzlich aus der zeit fallen, und schon immer da gewesen sein können.

ich kann einen knopf hinten an der kamera mit 12 funktionen belegen, zb wenn ich in die zukunft sehen kann und weiß, welche ich davon brauchen werde. heute hab ich innert sekunden eine mauer neben einer madonna dei ciclisti eingefangen, in einer unübersichtlichen kurve kurz stehenbleibend, das wäre mit handy sicher genauso gut gegangen, aber weniger scharf. so kann ich die namen um die beiden reliefplatten lesen, luigi ganna, der den ersten giro d’italia gewonnen hat, und einen gewissen alfredo binda, der aus cittiglio stammt, 5 giri gewonnen hat und mit dem spruch „ein leben für den radsport“ verewigt wurde. drumherum lauter namensplaketten. in der mitte der wand: eine pedale samt zahnkranz. ich bin da lang gefahren, um einen freund abzuholen, der oben in den bergen mit seinem rennrad einen platten hatte.

(uns sonst: heut noch paar mal die schönen texte bei kaltmamsell, im bärenblog und bei herrn rau gelesen. ist bergaufbloggen grade, ich warte noch, dass die betroffenheit abfällt.)

die berliner

neben unserem stückchen strand liegt ein großes grundstück mit haus und seezugang und pool, bewohnt von „dem berliner“, einem zehlendorfer immobilienmenschen. zu sehen sind meistens ein oder mehrere seiner kinder, junge erwachsene mit 3 bis 4 freunden. der berliner kauft den kids jedes jahr ein neues spielzeug, vor ein paar jahren ein riesiges trampolin im wasser, an dem wir immer vorbeischwimmen und wo jeder erstmal draufklettert, weil es so verlockend ist, bevor jemand aus dem haus das verbietet. das schnelle motorboot haben sie schon ein paar jahre, dieses jahr sind zwei scooter und ein surfbrett mit motor dazugekommen, die alle mit höchstgeschwindigkeit in größtmöglicher küstennähe betrieben werden, in einem wirklich irrsinnigen tempo ziehen sie enge, schnelle kreisel umeinander, sehr nah an den schwimmern entlang. wir strandnutzer beobachten das in so einer ungläubigen und leicht genervten faszination und spenden beifall, wenn mal einer ins wasser fällt. sie verstoßen gegen ein paar gesetze und wurden schon angezeigt, haben ihre strafe bezahlt und dann einfach weitergemacht. erstaunlich ist vor allem, wie laut sie ihren spass haben müssen, der lärm ist erheblich. sie tun halt, worauf sie lust haben, für jede metaebene ist da weder zeit noch raum.

meine gäste (ein zwilling mit zwei freunden) haben auch neues spielzeug bekommen, ein gummikanu für 2 personen, sie pumpen es gemeinsam auf, losen, wer zuerst dran kommt und paddeln dann 3km weit, bis zum kloster santa caterina del sasso, während einer hinterherschwimmt, und wieder zurück. sie sind abends sehr hungrig, sehr müde, haben einen kleinen sonnenstich und planen, heute bis zu den felsen hinter dem kloster zu kommen, von wo man prima ins wasser springen kann. sie plaudern über wirtschaft, pop und die neue staffel house of cards, und zeigen bilder von den pyrenäen, wo sie zwei wochen lang mit zelt und rucksack wandern waren.

heute auf dem liegestuhl hab ich mir versucht vorzustellen, wie die kinder des berliners das restjahr über anständige, ehrenamtlich tätige und konzentriert arbeitende junge leute sind, aber es war deutlich einfacher, sie nach ihrem verhalten zu beurteilen. wenn die berliner nicht da sind, genießen alle die ruhe.

1-satz-träume

im traum sitze ich auf einer kleinen mauer am rand einer nondescript strasse, als jemand vor mir stehen bleibt, auf dem fahrrad, und nichts sagt. ich sehe auf, und es ist m., zu dem ich 2012 den kontakt abgebrochen habe, er lächelt nicht, ich auch nicht. ein paar sekunden sehen wir uns an. er sagt: wir suchen psycho-paten, für ein flüchtlingsmädchen, jemanden, der sich um sie kümmert. dann überlege ich eine antwort, und will sagen: so jemand braucht bedingungslosigkeit, und überlege, ob das kind noch in den kindergarten geht oder schon älter ist, bin aber dabei schon wach. in den ersten paar sekunden, bevor der tag mich erreicht, habe ich das gefühl, dass er immer noch der mann meines lebens ist. zuletzt habe ich ihn mal auf dem rad gesehen, in der stadt, und wollte ein paar ampelphasen lang wieder sofort mit ihm sein.

ferien ey. lasst die träume kommen.

per aspera

zeitweise komplett genervt von meiner finanzlage. so wenig war es noch nie, und um jeden quark muss man kämpfen, kindergeld, versicherungen, steuern. beantragen, x unterlagen besorgen, hinschicken, alle paar monate. es ist bestimmt nur dewegen anstrengend, weil ich darauf angewiesen bin, die fortwährende aufwand dafür kostet zeit und macht mich nebenbei zur bittstellerin (beweisen sie ihren anspruch so oft, wie wir es für nötig erachten), obwohl es mein recht ist.

die versteigerung von ein paar erstausgaben hat wenig gebracht, das wertvollste ist liegengeblieben, ein paar jünger-bände sind im paket vermutlich an einen händler weitergegangen, eher enttäuschend. es sind vielleicht auch einfach schlechte zeiten für alte bücher, sollte kaufen statt verkaufen, aber mir fehlt grad der übermut des habenwollens. oder übersprung?

letztes gekauftes buch war eine studie über die psychoanalytische geldtheorie, weil ich zu verstehen suche, warum mir das geldverdienen so schwer fällt. liegt bisher auf dem stapel, kommt aber mit nach italien. anscheinend geht es darin hauptsächlich um frühkindliches, so richtig hilft mir das auch nicht auf die sprünge, aber interessant ist es allemal.

kw 27

den neuen soth mehr als sammlerin gekauft, die geschichte zum bild ist besser als das foto. mochte auch bei den früheren veröffentlichungen die texte immer sehr, eine kongeniale beziehung. das bild wird hier zur illustration der geschichte, es sind keine gleichwertigen partner. das foto brauchte drei tage von new york bis berlin, genau wie die vier platten, die ich zur unterstützung von tzadik records gekauft habe, das ist mir zu schnell.

dort spielt greg cohen den bass, mit dem ich schon mal ein paar worte gewechselt habe, womit ich damals meinen gitarrenlehrer beeindrucken konnte. jetzt muss ich nur noch den plattenspieler wieder in gang bekommen. (plattenkauf, so ein quatsch.)

mitte juli endet mein arbeitsvertrag, ich bekomme ab september einen neuen, bin aber die ganze zeit als plan und idee unterwegs, nicht wirklich fest gebunden, den pragmatismus am bein wie eine boje. freue mich sehr darauf, im sommer ein paar wochen lang zeit zum denken und herumleben zu haben.

werde die zwillis im sommer allein in der wohnung lassen und hoffe, dass sie aufräumen, zumindest, bevor ich zurückkomme. so wenig grundlegendes in der wohnung getan in den letzten monaten, wie ich immer sinnvolle plätze finden will für bücher und schränke und blumenpötte und geschirr und was sonst noch so über ist, sich dann alles einfach nur ansammelt, bis ich es entnervt wegwerfe. mag das entwertende daran nicht – als hätten die dinge irgendeine bedeutung außer dem wert, den ich ihnen beimesse. ich mag ja dinge, sie haben eine freundliche und stabilisierende wirkung auf mich, aber ohne system und struktur aka gestaltungswillen i.w.s. verlieren sie ihre eigenheit.

pasta

war kurz mitgerissen von der aufregung, aber sie ist wieder verflogen und ich genieße meinen abend. es bleibt ein interesse dafür, wie und in was und warum sie da reingeraten ist, warum sie das getan hat, aber es ist eher so ein verblüfftsein. vielleicht sagt sie was dazu, vielleicht nicht, das ist aber ihre sache, denke ich. liebe frau readon, hier gibts jedenfalls immer eine pasta für sie.

(hmm. werde noch mal drüber nachdenken, warum mich die sache nicht so wütend macht wie alle anderen.)

texte beamen

die verbindung zwischen einem buch und dem leseerlebnis ist unmittelbarer als bei einem e-book. die ersten augenblicke, der weg vom digitalen in die vorstellung ist eine zusatzstrecke, die energie kostet, konzentration einfordert, mehr phantasie benötigt. beim lesen will mein kopf das gerät ausblenden, das leuchten der oberfläche, und versucht, die wandelbarkeit der buchstaben zu vergessen. weiß nicht, ob die unmittelbarkeit bei papierbüchern frühe prägung und lange gewohnheit ist. auch bei hörbüchern rematerialisiere ich das gehörte immer erst, gebe ihm tiefe und raum zurück, dass es wieder welt wird, das dauert von den ersten worten an ein paar sekunden. diese medien bleiben bewußt, bis der inhalt durchs eindämmungsfeld durch ist, vor allem vorgelesenes ist frei verfügbar im raum, wie ein gespräch am nachbartisch oder ein radio in der küche, außerdem ist es ja schon mal gesprochen und erlebt, und muss mich erst erobern, als ob mein leserherz sagt: du text, du hast doch schon ein zuhause, warum soll ich dich haben wollen? und wenn dann so eine schöne sinnliche stimme liest, bin ich schon wieder abgelenkt durch einen nebenstrang.

normbereich

blick auf den holzkörper der gitarre vom sohn gibt wohlbefinden. palisander, in der maserung eine schattierung von zartbitter auf nougat.

arbeite zuviel. bin so erledigt abends, schlafe sofort ein, noch vorm abendessen, muss mich dann mühsam wieder in gang setzen, spätestens um elf bin ich platt. gleich bisschen dummes gefühl ggü all den selbstverständlichen arbeitsbienen mit 50-60h-wochen, allein – das bin ich nicht. ist vielleicht auch ein stoffwechselproblem, mein insulinbedarf sinkt seit ein paar monaten, ich nehme ab, kann mich schlecht konzentrieren. ich freu mich zwar, dass ich zahlen habe und nicht nur gefühle, aber meine nette ärztin ist keine hilfe und weiß nichts zu sagen, und sie denkt natürlich auch nicht weiter. vielleicht ist einfach mal wieder alles im wandel. unbefriedigend.

heute auf einem 50. fast der gesamte freundeskreis ist inzwischen durch, nur mek, die kekstesterin und frau modeste fehlen noch, als nächstes, fällt mir da auf, kommen die 60. geburtstage. so froh, kinder und einen hund zu haben, die halten mich wenn nicht jung, so immerhin in bewegung, und meine freunde natürlich.

mann fehlt nach wie vor nicht, auch weil es im alltag keine situationen mehr gibt, wo mir ein mangel auffiele, es ist einfach zu lang her. grad neulich im gespräch mit freundin darüber, wieviel arbeit ein mann machen würde, lieber heute entspannt kaffee im bett trinken und im alten pyjama noch mal umdrehen, das ginge ja ev auch mit mann, aber das scheint mir schon nicht selbstverständlich. er müsste schon eine bereicherung sein, niemand, den man in kauf nimmt, um nicht partnerlos zu sein, dabei pflegeleicht, ein lustiger, sexyer, lebensliebender, kinderreicher, der durch hoch und tief gegangen ist und weiter läuft, einer wie ich eben (ich lache nicht).

sucht man nicht sein ebenbild? das gewünschte ebenbild, das geglättete, ohne neon, das überlebt habende. der schöne traum („der schöne traum von dir/ aber du, in der zeit, verletzlich, verführbar, sprachlos.“, so geht das gedicht von chr. meckel dann weiter. immer beides). wenn er dann gleich noch die dichtungen im bad …

manchmal träume ich von wildem sex auf eine nicht bildhafte weise, als mögliche hingabe, mit männern, auf die ich mich im traum freue. aber morgens ist es dann auch wieder gut. ich bin zufrieden, dass die bedürfnisse noch irgendwo existieren, wer weiß, wann ich die noch brauchen kann.