Blogs und so

Absolut privat!?: Vom Tagebuch zum Weblog

Ausstellungseröffnung morgen in Berlin, im Museum für Kommunikation in der Leipziger. Was, schon morgen? Ja doch, und ich freue mich auch auf Kid und Gaga, die gehen nämlich auch hin. In diesen Zeiten, in denen alles immerzu verschwinden tut, haben die Kuratoren ein paar Texte aus dem Internet ausgedruckt, so dass man sie anfassen könnte wie ein Tagebuch.

Hier im Hotel Mama hätte ein auch räumlich existentes Tagebuch keine Chance, ich würde es verlieren unter all den Dingen, die genauso wichtig sind. Ich bin dem Internet dankbar, dass es nur als Benutzeroberfläche daherkommt, und dabei so klein und unverlierbar bleibt, das ist doch fast das zweittollste neben seiner Unendlichkeit. Wir werden natürlich hingehen, ich hoffe, die haben mein Teppichstück auch mit.

Es geht den Kuratorinnen bei ihrem Projekt um „die spezifische Form selbstbezogener Kommunikation als einer alltäglichen Kulturpraxis“ – wobei mich die Einflüsse der Öffentlichkeit auf die Form viel mehr interessieren würden, so als Bloggerin, Fragen der Verfremdung oder Anpassung, die Schneisen für Stil, grad bei den Weblogs mit privaten Inhalten. Ich weiß es nämlich selber nicht, warum diese Inhalte sich so wenig grenzverletzend anfühlen, glaube schon an die subliminale (Fischwort) Anwesenheit gewisser kompensatorischer Bedürfnisse, es gibt sonst keinen Grund für die Öffentlichkeit, und lande dabei immer wieder beim großartigen Herrn Sennett, denke aber auch, dass die Grenze zum Privaten sich seit den Sechzigern zum Glück sowieso verschoben hat, auch ohne pathogene Entwicklungen. Diese persönlichen Inhalte gehen ja auch nicht verloren im Öffentlichen Raum, sondern werden dort beantwortet, gespiegelt und benutzt, meinetwegen erst in der Privatsphäre des Lesers, also im Projektionsraum des Blogschreibenden. Aber es ist keine Entblössung, und ich begreife das als Fortschritt, dass man über manche Gefühle, Liebesunfälle oder nebensächliche Empfindungen schreiben kann, weil jeder sie kennt von sich selber, weil sie immer dann, wenn man nicht grade arbeitet oder schläft, so einen großen Raum im Kopf ausfüllen, weil sie der unverkäufliche und unökonomisierbare Teil der Person sind, den es zu verteidigen gilt. Ja, Empfindungen! Das klingt irgendwie noch seltsamer als Befindlichkeiten, und ich schreibe die auch lieber auf, als sie zu erzählen, weil sie ja tatsächlich nicht wichtig sind, sie sind ziellos mit vielleicht einem Erkenntnisgewinn, wenn man mal einen richtig guten Tag hat, und es gibt ja auch soviel Platz hier im Netz. Da ist eine angenehme Interesselosigkeit bei der Bloggerei, was soll denn auch passieren? Es soll bitte gar nichts passieren, es ist alles schon passiert, es soll nur jemand lesen.

Im alten Sinn privat ist vielleicht nur noch das klare Ja oder Nein von Körper, Geist und Herz, die Namen, die unreflektierten Gefühle, durch die Formulierung und das Versprachlichen werden die sozialisiert und irgendwie auch entkernt, und das kleine Ich bleibt ungenannt und unbeschrieben hinterm warmen Ofen, aber hey, vielleicht sind wir tatsächlich Narzissten auf dem Rückzug ins Glück (so ähnlich bei Sennett), und es sollte mir Sorgen machen, dass wir keinem was tun dabei.

Kann aber auch wirklich sein, dass ich da noch ein bisschen drüber nachdenken sollte, ich muss nämlich eigentlich, well, zu spät, schon eins.

(die ausstellung war september 2008)

Leben, Tod, und der Weg drumrum

Schulkind Elias neulich: Die Sonne explodiert auch mal und dann irgendwann wird sie ein schwarzes Loch mit Anziehung, man sieht das nicht und kommt nie mehr raus.
David: Ja, aber früher war das Loch zu, und Luft war drin.
Elias: Aber dann ist es für immer offen und verschluckt alles, auch die Luft.
David (bricht in Tränen aus): Ich will nicht sterben, ich will nie sterben.

Sehr lang gebraucht, um ihn zu trösten, vor allem wegen meiner Aussage, dass jeder mal sterben wird. Sind halt immer nur ein paar Sätze zwischen seiner Angst und dem Schluss meiner Rede …und dann erst, viel später, wirst du irgendwann sterben (David, Wallace/Gromit-erprobt: Ich erfinde eine Hose, in der man nicht sterben muss.)

Dann, heut abend, bei Lektüre eines der mitgebrachten Bücher (Bibelgeschichten in der Malerei, oder so, Kunstgeschichte für Kinder): Gott ist aber schon alt.
Ich: Äh, ja.
David: Und die Bilder sind auch schon alt.
Ich: Ja, über 400 Jahre alt.
David: Dann stirbt Gott nie?
Ich denke Mönsch, wat kaufste auch so Bücher und weiß nicht weiter.
Elias: Ja, der lebt ewig, aber nur, wenn du an ihn glaubst.
David: Ich werde Gott, wenn ich groß bin.
Gregor: Ich auch.
Elias: Ich werde Bauarbeiter.

Also, das wird noch heiter.

10 Sekunden

Er hat 10 Sekunden gedauert, dieser Unfall, der wie alle dramatischen Unfälle aus dem Nichts kam, unerwartet und mitten in der Nacht. Diese langen Sekunden habe ich noch im Kopf wie zehn runde Glasmurmeln, klar und unzerkratzbar. Davor war lange nichts, oder etwas vollkommen anderes, eine intensive Stunde allein voller Wünschen und Fragen. Ist der Mann richtig? Ist ers nicht, kriegt man das noch hin, was da schiefläuft, wie kann man das steuern, das wilde Leben? Ich lag schon eine Weile in meinem Bett und war, das stimmt, voller Zweifel. Er grub mir durch den Magen und schraubte am Solar Plexus herum, der Zweifel, das kennt man ja vielleicht: Nächtliches Grübeln.

Der Mann, mit dem ich seit anderthalb Jahren was hatte, schmiss in einem anderen Raum noch ein paar Bier und kam dann schließlich zu mir ins Zimmer. Er legte sich neben mich aufs Bett, es war unsere letzte Nacht, bevor sein Urlaub enden würde. Die Stimmung war nicht gut, ich wollte nicht reden mit ihm und stellte mich schlafend, weil es nichts zu sagen gab, und es erstaunt mich selber, dass ich das rechtfertigen möchte, meine Verstellung, aber das hab ich auch gelernt inzwischen: Es gibt Lügen und Lügen, und es gibt die Wahrheit. Der Mann stellte sich aufs Bett, in ganzer Größe, das fand ich irgendwie rührend, so kindlich. Er hob die Decke an die Brust und legte sich mitsamt Decke vorsichtig hin. Nach 5 Minuten schlug er langsam die Decke wieder zurück, hob leise die Beine aus dem Bett und stand leise wieder auf. Er ging zu Tür. Ich guckte und wunderte mich, was tut er da? Er ging nicht auf die Toilette, er ging ins Nachbarzimmer, in dem meine drei Söhne schliefen, er ging ganz leise, er stieß an kein Möbel, in der absoluten Stille dieser Augustnacht. Sekunden später hörte ich 3 laute, kräftige klatschende Schläge, tack-tack-tack, nichtmal eine Sekunde dazwischen, und mein größerer Sohn, damals 5, began laut und angstvoll zu schreien. Ich war in Sekunden im Kinderzimmer, in dem eine Lampe brannte, damit die Kinder keine Angst haben in der Nacht. Der Mann stand keuchend und von meinem schnellen Auftauchen vollkommen überrascht vorm Bett des Sohnes, er kam mir riesig vor, ich schrie ihn an: Hör auf, hör sofort auf! Er, atemlos und mit einem schnellen Keuchen, wie nach einem Dauerlauf, das ich wie den Klang der Schläge niemals vergessen werde: Hey, hey, was soll das, was redest du da?

Ich habe mein Kind getröstet, er hat noch eine Weile geschrien, so ein stumpfes gepresstes Schreien ohne Vokale, er ist nicht richtig wach geworden, und wenn er richtig wach geworden wäre, und wenn er sich erinnert hätte, dann hätte ich den Mann anzeigen können. Was tust du hier, hab ich gefragt. Noch immer keuchend kam die Lüge, nach einem kurzen Stottern, aber ohne Zögern, er muss das schon oft so gemacht haben:

Er habe Weinen gehört, er habe mich nicht wecken wollen, er sei rüber gegangen, um nachzusehen.

Das waren meine 10 Sekunden, mehr ist nicht passiert, aber das ist passiert. Drei Schläge, eine Lüge. Es gibt ja Beziehungen, die mit mehr Ballast überleben, oder nicht? Ich brauchte drei volle Tage, um die absolute Unrettbarkeit dieser Liebe zu aktzeptieren, das mag lang erscheinen, es scheint mir jetzt selber lang. Alles andere waren die Kreise auf dem Wasser mit dem Stein drin.

Auch das er mir solche Angst gemacht hat, dieser Mann. In der Nacht nach den Sekunden dachte ich, der ist gefährlich, du must Zeit gewinnen bis zur Klärung, der ist schon am Rand. Ich habe mich dann ganz kurz wieder neben ihn gelegt, aber ich habe mich so gefürchtet, ich dachte in meinem pechschwarzen Schock tatsächlich: Der bringt uns vielleicht um, der ist ein Unbekannter, verhalte dich ganz ruhig. Dann bin ich zurück ins Kinderzimmer, habe mich zu meinem Sohn ins Bett gelegt, ich wollte wach bleiben, aufpassen, ich war verzweifelt, weil ich keinen Schlüssel finden konnte für die Kinderzimmertür, ich hatte echte Angst. Die längste Nacht war das.

Wie ich dem immer geglaubt habe, wenn er mit großer Lässigkeit auf die Kinderklagen Mama, der tut uns weh reagiert hat, jaja, das hätten die Kinder seiner Exxen auch immer gesagt, das sei halt so bei neuen Männern. Und ich habe ihm geglaubt, und damit muss man jetzt halt leben, überhaupt ist ja nur mir und meinen Kindern dieser Unfall passiert, dem Mann ist nichts passiert, gar nichts, vielleicht eine Ziernarbe, ein Strich auf seinem Bierdeckel. Wir waren mal Opfer, meine Kinder und ich, und weil es eine so kurze Opferzeit war, und solche Sachen eben einfach passieren, sind wir still geblieben, und nur weil ich diese Geschichte nicht ganz vergessen kann, habe ich sie hier aufgeschrieben.

with love

gestern trotz letzter sommerwärme ins kino gegangen, to rome with love angesehen – der saal war fast ausverkauft, den dritten abend hintereinander. die leute haben es geliebt, es wurde die ganze zeit gelacht und gegluckst, überall lächelnde gesichter beim rausgehen. ich habe fünf! freunde und bekannte getroffen. woody allen, der alte ganove. film ist ein bisschen weise und ziemlich aberwitzig blödsinnig, auf eine souveräne is-jetzt-auch-egal-weise. schöner film. ich liebe natürlich rom, da ist mein vater aufgewachsen, da lebt meine schwester, es ist ein sehnsuchtsort der art, wo man niemals hinziehen wird.