be- mein name sei gantenbein

beschlossen, wieder mehr ins theater zu gehen, gleich tickets gekauft, gestern mit der a. im berliner ensemble, mein name sei gantenbein mit mathias brandt. wegen allgemeiner verträumtheit beim kartenkauf nicht beachtet, dass es ein solo-abend ist, die ich eigentlich nicht so mag, inszenierung von oliver reese, der ja eine schwäche für diese monologe hat. und dann ist die inszenierung wirklich von der ersten sekunde an (durchs beeindruckende bühnenbild von hansjörg hartung, aber bitte klickt den herrn nur an, wenn ihr noch nicht im stück wart, die überraschung ist teil der freude) perfektes theater. zuerst dachte ich, ich würde auf eine leinwand schauen, weil herr brandt so überdimensional anwesend wirkte, da mittig auf der bühne stehend, ich habe mein opernglas rausgeholt und den menschen auf der bühne hinter der rolle gesucht, dann staunend zurückgelehnt, herr brandt ist so groß, er blieb es den gesamten abend, und der roman ist wirklich ein sehr vielstimmiges stück text, die figur nähert und entfernt sich ihren rollen, probiert sie an und verlässt sie wieder, in lauter kleinen feinen schritten und gesten, in sprache, geist, körper, und herr brandt zeigt sie alle, sie sind erkennbar in all ihrer vielschichtigkeit, bleiben unterscheidbar. am ende so ein overacting, als akt der verzweiflung vielleicht, weil doch keine rolle sein ist und die frau trotzdem verloren? habe den roman einmal vor >20 jahren gelesen und das ende vergessen. es schien aber schlüssig im regieentwurf. von ingeborg bachmann war nichts zu spüren, glaube ich, der roman nährt sich ja aus der beziehung frisch/bachmann, vielleicht wurde das zugunsten der verallgemeinbarkeit dieser themen beiseite gelassen, ich meine zu erinnern, dass die frau im buch auch nicht besonders ausgeprägte persönlichkeitszüge hat, nein, das ist quatsch, das hat mir meine freundin a. erzählt, die den roman unlängst auf theatertauglichkeit hin erneut gelesen hat. habe den roman gestern noch aus dem regal geholt, darin fotos vom ex-mann, eines mit dem kleinen d.-zwilling auf dem schoss, ein notizzettel, ein programm, er hat es offensichtlich beim auszug 2004 vergessen und es wurde seitdem nicht wieder geöffnet = auch das kann theater. geht hin, empfehlung.

x ist noch für was gut, heute habe ich dort gelernt, wie man schokolade macht. ich hatte wirklich keine ahnung, obwohl ich nur äußerst ungern einen tag ohne schokolade verbringe.

allgemein möchte ich jetzt, sonntag 11:11, verkünden, dass mir die tage zu kurz sind, insbesondere die sonntage. hab noch termine, würde lieber lesen, schreiben, denken, wozu die zeit unter der woche nie reicht.

der mann für sich („Sarah“, BE)

erstes mal wieder im theater, und ich hätte mir die zeit nehmen sollen, das stück vorher zu googeln. es war eine voraufführung, uraufführung heute, dramatisierung eines romans von scott mcclanahen, eventuell bisschen autobiographisch, die hauptfigur heißt genauso. ich sass da und habe mich auf ein ensemble gefreut, und dann kam ein mann auf die bühne und stellte ein mikrofon auf, oh nee, dachte ich, das wird doch wohl nicht … dann begann der mann mit großer geste zu erzählen, wirkt betrunken, verliert fast die fassung, die ganze figur scheint nicht fest verankert in zeit und raum, der text ist gut geschrieben (usa, szene im auto, fahrer wird von polizei angehalten, fürchtet alkohol-kontrolle, steigert sich rein, dabei zeitsprünge, mal redet er, mal spielt er die szene nach, sehr dicht alles) es geht um sarah, seine frau und die mutter seiner kinder. nach 10 minuten text ist die figur eigentlich fertig erzählt, ich hab verstanden, es wird kein ensemble geben, scott bleibt allein auf seiner bühne. hrmpf, und zeigt uns einen vollkommen unaushaltbaren mann, spielt und wütet sich dabei in ein so ein auswegloses selbstmitleid hinein, ach, ich musste anderthalb stunden einem mann auf egotrip zuhören, wäre gern wieder gegangen, aber der große war mit einer freundin dabei, also tief ein- und ausatmen und durchhalten. der schauspieler war natürlich großartig, ein richtiges monster-solo, aber so eine figur hätte ich im internet nach 5 sätzen geblockt. niemand will sich so etwas anderthalb stunden lang anhören, die figurenentwicklung ging auch nur richtung abgrund. gerade die szenen, wo der mann die nerven verliert und sich in jähzorn-attacken fallen lässt, nein, sich hineinwirft mit dieser gewaltlust, in der sich die situation hermetisch schließt, kein zugang mehr möglich wird, auch kein ausweg, nur die erschöpfung irgendwann, wenn das mobiliar zerstört ist und keiner mehr antwortet, die sind unerträglich, wenn man solche situationen selbst schon erlebt hat. brr.

nachher noch bierchen auf dem hof mit dem großen sohn und einer freundin von ihm, dort bewunderung für die schauspielerische leistung von marc oliver schulze (die szene, wo er die geburt seiner tochter schildert, die ist wirklich sehr toll, hochdramatisch, rabenschwarz, komisch) und ein gewisses rätselraten darüber, warum reese das auf die bühne bringen wollte.

panikherz am berliner ensemble

sehr höflich bedankt worden dafür, das wir ohne vorherige kritik ins theater gekommen sind. och, dafür nicht gedacht, obwohl das BE deutlich teurer geworden ist mit dem neuen intendanten (reese), parkettplätze kosten jetzt 30 statt 20€, das fühlt sich schon eher nach luxus und nicht mehr nach grundnahrungsmittel an. es ist alles neu am BE, lauter schauspieler, die ich nicht kenne, handwerklich perfekt, textsicher auch bei 2 einhalb stunden-kloppern, aber das gute gedächnis ist ja grundvoraussetzung für die ausbildung wahrscheinlich. sie haben beeindruckende präsenz und energie und schöne singstimmen! hat nicht jeder.

der regisseur (reese) hat den text so wie er ist auf die bühne gebracht, wörtlich, in auszügen natürlich. vier schauspieler, jeder stellte ev. einen aspekt dar, eine haltung, eine stimmung, zwei waren der ich-erzähler, zwei übernahmen die textpassagen, in denen außer dem ich-erzähler im buch andere stimmen zu wort kamen, ärzte, freunde, eltern, gewissen, eine metaebene der selbstwahrnehmung, mehr kommentar als ich-erzählung. glaube ich. ich habs ja nicht gelesen.

ich weiß nicht genau, was mich gestört hat, es könnte eine regisseurentscheidung gewesen sein – aber es war mir alles zu deklamatorisch, zu gespielt, noch zu sehr vortrag durch leute, die das gelernt haben, das scheint mir ein mangel bei einem text, in dem sich jemand ausschließlich um den eigenen bauchnabel dreht. mit mehr method acting wäre mir der narzissmus der figur vielleicht nicht so auf den keks gegangen, ich wäre in die figur hineingerutscht. das ging gestern nicht. ich blieb zuhörerin bei einem text, in dem es nur um den autor geht, sollte nur publikum sein, beifall spenden, lachen, wenn die witze fallen. der text versucht keine eroberung, er tritt auf, reisst witze, du lachst oder gehst. es geht deswegen auch auf der bühne weder um empathie noch um poesie oder gar erleuchtung, jut, kann man machen, das fällt mir hier nur negativ auf, weil es ja um existentielle katastrophen geht. das passt nicht. ich will ja im theater eh lieber erleuchtet werden, hingerissen und verzaubert, es passiert etwas einmaliges, nur hier und jetzt, und ich darf dabei sein!

beste stelle: die drogenraserei als der moment, wo innen und außen nicht mehr aufeinander passen, wo die figur in panik und hektisches herumhopsen gerät auf der suche nach nasenspray. das war gut gespielt, wobei ich immer wieder rausgekippt bin und gedacht habe hihi, nasenspray! das lachen über einen, der am boden liegt, es wäre mir lieber gewesen, wenn sie uns da im entsetzen gelassen hätten. aber im text lacht der autor ja auch über alles, eine dauernde witzischkeit. vermute ich, ich hab ihn ja nicht gelesen.

bisschen wie die szenenteilung in the affair, wo die trunkenheit einer figur mal in der selbstwahrnehmung (coole braut), mal von außen (lallende frau) gezeigt wird. im theater geht das nicht, da ist alles linear (außer bei marthaler), hier ging es auch nicht um einen unterschied zwischen eigen- und fremdwahrnehmung, es war keine bloßstellung, eher sowas wie das eingeständnis bei diesen 10-schritte-programmen. gleichzeitig zu spät und self serving.

gelingt mir grad nicht gut, text und inszenierung auseinanderzuhalten beim schreiben. textkritik: als kind waren ja die eigenen witze einzigartig lustig, raffiniert und gekonnt aus der hüfte, dann kam natürlich das internet und hat uns die augen geöffnet, stuckrad barre war wohl während des internets durch seinen lebenswandel verhindert, der hat nix mitbekommen und war ganz bei sich in diesen jahren. hmm. das theater hat schon die bewegung vom herumkaspernden teenager über den von sich begeisterten musikkritiker zum haltlosen junkie gezeigt. es war sicher eine kongeniale darstellung dieses buches, aber warum um alles in der welt soll man so ein buch auf die bühne bringen wollen? als antidrogending? gelesen ist es lustiglustig, im theater fällt der mangel an tiefgang zu sehr auf, oder auch nur der mangel an welt.  das publikum soll nur über die gags im text lachen, obwohl man ja bei diesem ganzen narzissmus auch schnell mal unfreiwillig in den spott gerät und dringend selbstironie vermisst. es gab natürlich einige sehr tolle zeilen über sucht, drogen und musik und all das im text, aber sie haben das ganze nicht halten können. da kann das BE nix für. natürlich füllen sie mit einem gutgehenden titel das theater mit einem sehr jungen publikum, alle jünger als wir, das war früher sehr anders dort.

mir war das zuviel. ich war nicht drin, wurde nicht mitgenommen, selbst in der raserei nicht, dabei hätte ich gerne mal wieder ein bisschen raserei, also rasende gedanken, welt- und gesellschaftssprengenden rausch, der einen unbemerkt mitnimmt, bis man in voller fahrt auf die nase fällt. habe rainald goetz‘ räusche vermisst. goetz wird nächsten monat auch gezeigt im BE, da bin ich schon gespannt drauf.

zum ersten mal nicht in die kantine nach dem stück, frau ziebarth war  nicht da, die freundin hatte geburtstag und wollte woanders hin. in der bar unter den paaren zuviel getrunken und dabei langsam an höhe verlierende herzensballons beiseitegschoben, das war lustig.

(puh. versuch, mal wieder sowas zu schreiben, aber es stimmt alles noch nicht, ist hakelig, und die sätze bleiben klein. der fluß ist woanders.)

… /hamlet

wir sassen in der ersten reihe, auf dem orchestergraben, die bühne ragte neben uns noch anderthalb meter weiter in den raum. wir haben von schräg unten auf die szene sehen können, mit bester sicht auf alles, was es zu sehen gab. sehr intensiv. christopher nell ist einer der ganz grossen, oder wird es werden, er hat eine rasante vielseitigkeit, kann aber auch mal gleichzeitig wütend, traurig und hoffnungsvoll wirken, und eine sekunde später im diskant singend herumhüpfen, oder blitzschnell einen schmerz ironisch aufbrechen, um sofort danach wieder in ihn einzutauchen. virtuos, irisierend. er ist zu uns runter gesprungen in einer szene, nach dem polonius von ihm ausgeweidet wurde, frau ziebarth blieb gebührend todernst, der grosse und ich haben die gesichter unwillkührlich in ein grinsen verziehen müssen, vor schreck. das theater hatte in den vorderen reihen decken verteilt, gegen das theaterblut, der grosse hatte die decke hoch über seine helle hose gezogen, die gedärme sahen allerdings auch sehr echt aus. hamlet hat dem grossen die schutzdecke über den kopf gezogen, weil er gelacht hat, so frau ziebarth später, für mich wars eher ein kommentar: du willst das blut nicht? dann kriegst du gar nichts. alles oder nichts. ich hätte auch das blut genommen, habe aber später nur ein paar tropfen wasser und schweiss abgekriegt.

hamlet und nell sind zusammen wirklich mehr als eben figur und schauspieler, ich hab an seinen lippen gehangen und konnte auch die haußmannsche kunstfertigkeit vergessen, die bei den anderen acteuren sichtbar blieb, zb das perfekte schnellrednertum von hamlets vater, gespielt von roman kaminski, das trampelige/ hilflose der gertrude, gespielt von traude hoess, beide super, ihr spiel blieb aber eingeschlossen in diese künstlerischen entscheidungen des regisseurs, durfte kein eigenleben entwickeln, während nell all das hinter sich liess und wirklich lebendig geworden ist, sein agieren nicht mehr trennbar in haußmann, shakespeare oder BE. hamlet war lebendig. gut, es war ein tick mehr nell als hamlet zu sehen, bestimmt gewollt, es wurde um nell herum inszeniert, die anderen haben da weniger zu melden. meh, muss ich noch klarer ausdrücken. eine echte neue lebensform da auf der bühne, oder eben: theater. das mehrdimensionale und zerrissene vom hamlet wird nells begabung gerecht, würde ihn trotzdem gern mal in einer ernsten rolle sehen, wo also all seine fähigkeiten sich mehr zu einer einzelnen stimme vereinen könnten/müssten. geht hin, es lohnt sich sehr. next time: noch nicht bekannt.

 

lost and found/ …

wie ich im april morgens um halb 8 vor der freien volksbühne west anstand, um karten fürs theatertreffen zu ergattern, mit zeitung und thermoskanne. einmal war eine frau mit dabei, typ dame, drei grosse junge männer bei ihr, kurz phantasiert, wie ich das auch stehen werde in ein paar jahrzehnten, mit meinen söhnen. war ich 2001 schon wieder dabei, die zwillis grade ein paar wochen alt? ich hätte das gern, aber es ist unwahrscheinlich. die karten werden immer im april verkauft, ich hätte also entweder höchstschwanger oder als frisches kaiserschnittchen da stehen müssen. war aber jahrelang jedes jahr dabei. ein paar jahre lang gab es immer einen marthaler zu sehen, 2001 war es was ihr wollt, hab ich vielleicht später im jahr gesehen, marthaler/viebrock war mein liebstes theatergespann damals. der nächste shakespeare bei einem theatertreffen war ein titus andronicus, in der bearbeitung von heiner müller, das war glaube ich 2004, den habe ich sicher gesehen, da war ich schon wieder alleinerziehend. regie johan simons, münchner kammerspiele. dazwischen war ich bei noch einem, von der liebsten annette kuss inszeniert, ein sommernachtstraum in oberhausen, im herbst 2001 muss das gewesen sein, ich hab noch gestillt und musste auf dem trip zweieinhalb liter milch täglich abpumpen, das weiß ich noch, und an die merkwürdige monstermall in oberhausen erinnere ich mich auch noch gut. meine zeit als ubiquitäre premierentusse war aber schon mit den geburten abgeschlossen, gar nicht zwangsweise, es war einfach nicht mehr wichtig genug, um dafür stunden anzustehen und mich um karten zu kümmern. auf die theatertreffen bin ich aber gegangen, wann immer ich es einrichten konnte. nie bemüht, fürs theatertreffen zu bloggen, obwohl ich dafür eigentlich prädestiniert war, inzwischen traue ich mir so eine art kulturell relevantes schreiben gar nicht mehr zu. heut also wieder ein shakespeare, ich gehe mit dem großen ins berliner ensemble, um endlich den hamlet von haußmann zu sehen, mit christopher nell in der hauptrolle, den der grosse schon neulich als mephisto gesehen hat, im faust von wilson. er kommt mit, wäre aber wohl nicht fürchterlich traurig, wenn etwas dazwischenkäme. ich lege ihm den dicken und staubigen vierten band einer ddr-gesamtausgabe auf den bauch, 1989 erschienen, damit er sich, wenn er es will, ein bisschen einlesen kann, obwohl es nicht die schlegel-übersetzung ist, die haußmann verwendet. vielleicht hilft es für einen textflow heut abend schon, das buch auf dem bauch liegen zu haben, weil eine emotionale weiche auf grün gestellt wird? who knows.

ganz undramatisch ist der rituelle moment verloren gegangen, hatte ihn glaube ich als ein liebgewordenes symbolbild für ein selbstverständliches bildungsbürgerfamiliending im kopf, zwischen haben und sein, inszenierung und notwendigkeit. seit jahren muss man für die tt- karten nur noch einen zettel ausdrucken, ausfüllen und beim pförtner auf den stapel legen, das ist alles, gemeinsames frühmorgendliches stundenlanges anstehen ist nicht mehr notwendig. die macht der initiation kann jetzt nur noch das stück selber liefern, ohne aufwand. vielleicht genügt das ja auch, es wird der erste hamlet für den sohn, stress hatte er dafür keinen, er wird sogar hingefahren, weil ich frau ziebarth chauffieren möchte. so wird ihm nur das schlegelsche deutsch einige hürden liefern, aber die wird die inszenierung ebnen, sie wird mit tarrantino verglichen. den kennt und mag er sehr.