28. juni 2022

heute um vier wach geworden, allerdings auch um 22 uhr eingeschlafen, es war also okay. im lesegruppenbuch gelesen, dabei langsam auf die geräusche aus dem hinterhof aufmerksam geworden. es war befremdlich, wie in einem traum, als würde da frühmorgens etwas völlig anderes stattfinden als tagsüber. die wände ringsum sind mit efeu bewachsen, der hof ist durch zäune in drei eher kleine teile geteilt, es wachsen ein paar gepflanzte dinge und ein paar windgesähte durcheinander.

musste die recht große datei in mp3 konvertieren, ich hoffe, man hört noch was. meine aufnahmeapp ist der notorisch komplizierte field recorder, ich bin da immer froh, überhaupt eine aufnahme hinzukriegen.

jetzt, um kurz vor acht, hört man nur ein oder zwei tauben und die hofamsel. oder hatte einfach mein tinnitus kurz pause, und es ist immer so viel zu hören? die tonhöhen sind ja ähnlich. vielleicht schaltet das bewusstsein den t. jeden morgen neu ein, und ich muss es nur irgendwie schaffen, die wahrnehmung selektiv auszuhebeln, um ihn loszuwerden. interessant.

der sommer kommt mir zupass, weil die zeit da viel leichter zu dehnen ist. wenn ich um 16 uhr oder so zuhause bin, kann ich nach der arbeit wieder in mein eigenes zeitgefühl hineinzufinden, es sind es noch endlose stunden bis zum sonnenuntergang. die wärme stört mich nicht, ich registriere sie und begebe mich automatisch in den schatten oder in einen windzug, aber die meisten teile von mir nehmen alles ähnlich hochkomplex auf wie der field-recorder, mit nebengeräuschen, dem sommergeruch, dem weichen licht, der hitzestille, der fehlenden temperaturgrenze zwischen körper und nichtkörper, speichern für den winter, oder für übermorgen, wenn es wieder unter 20 grad sein wird, wie immer in berlin.

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sommer 1987

ich war verliebt und es war schön. der mann hieß f., ich weiß nicht mehr, wie wir zusammenkamen, weiß nicht mal mehr genau, wie lang wir zusammenwaren. ich wohnte damals als letzte mieterin in einem hinterhaus in der wrangelstr., alle anderen waren schon ausgezogen, das haus sollte renoviert oder abgerissen werden, irgendsowas. es war sommer, im winter würde ich ausziehen, denn die heizung ging schon nicht mehr. ich hatte wenig geld und einen heißhunger auf diese rosane fleischwurst aus dem supermarkt, mit muskatnuss drüber gerieben, aß das täglich, konnte gar nicht glauben, dass mir etwas so leckeres noch nicht früher eingefallen war, oder dass nicht jeder dauernd fleischwurst mit muskat haben wollte, erdbeeren waren der andere glücksbringer, ich glaube, noch nicht bei den karls-hütten, erinnere mich aber null daran, wo ich überhaupt eingekauft habe damals, außer bei bolle natürlich. bioläden gab es auch noch nicht.

ich war noch nicht lange wieder in berlin (bin hier geboren und mit 5 weggezogen) und hab auf der suche nach ärzten bei den unikliniken angefangen, hab mich bei einem arzt in der pulsklinik vorgestellt, weil es für diabetikerinnen schwierig ist, eine gute verhütung zu finden. meine periode war unregelmäßig, meistens viel zu oft, ich war genervt, alle 3 wochen ging es los, dann mal ein paar wochen gar nicht, ich wollte eine pille, weil ich damit die meisten probleme los werden würde. der arzt klärte mich auf, dass die pille bei typ einsern nicht ratsam sei, das würde er nicht machen, er sagt mir, ich würde sowieso nicht schwanger werden können mit meinem kurzen zyklus, ich sollte mich wieder melden, wenn ich ein kind wolle, weil dann müsste man was machen. okay, dachte ich, war erleichtert und dachte nicht mehr weiter drüber nach, wurde erst mißtrauisch, als neben der muskatwurst auch der gedanke an saure gurken einen heißhungerreflex auslöste.

ich suchte mir eine frauenärztin in neukölln, stellte mich vor und ließ mich testen. bingo! noch in den ersten 12 wochen, was ich denn tun wolle, fragte sie, mit dem diabetes sei es ja nicht so einfach. ich hatte ein paar jahre vorher von einer ärztin gehört, ich solle lieber keine kinder bekommen, weil „was sollen ihre kinder mit einer blinden mutter?“, hatte diesen satz betrauert und beschlossen, mich nicht danach zu richten. trotzdem wollte ich mit 22 kein kind. der mann, der eigentlich, wie mir ein freund mitgeteilt hatte, total gegen abtreibungen war, wollte auch kein kind, oder keins mit mir, zumindest nicht dieses kind. die ärztin schickte mich ins krankenhaus neukölln, ich weiß gar nicht mehr, ob ich vorher eine beratung hatte oder nicht, es war aber kein aufwand. das einzig wirklich unangenehme am eingriff war der arzt, der mit ein paar studenten, alle in meinem alter, in den raum kam, als ich schon auf dem stuhl lag, und fragte, ob ein paar praktikanten dabei sein könnten. ich habe nicht nein gesagt, weil ich dazu nicht in der lage war, ich war halt aufgeregt, fühlte mich aber extrem scheiße dabei. die pumpe musste ich abnehmen, hatte sehr hohe werte danach, die keinen weiter gekümmert haben. nach ein oder zwei tagen war ich wieder zu hause. ach ja, eine frau neben mir im zimmer, die einen teilweisen abbruch hatte, wo das kind nicht ganz geboren war, sehr grausam, die weinte und litt. f. kam mich besuchen, die beziehung ging ich glaube in den monaten danach auseinander, nicht wegen dem abbruch, es war einfach vorbei. der f. hat in den jahren danach noch drei kinder bekommen, sogar ein viertes, ungeplantes, das hat er mir erzählt, als ich in vor ein paar jahren mal in meinem kiez getroffen habe. wir haben glaube ich nicht mehr drüber geredet, aber hatten auch kein bedürfnis danach, ich erinnere es aber nicht mehr. es war jedenfalls eine klare entscheidung. ich denke manchmal an das kind und zähle es dazu, im stillsten kämmerlein bin ich eine frau mit 4 kindern.

als ich 2000 mit den zwillingen schwanger wurde, hatte ich riesige angst vor der schwangerschaft. die erste mit dem großen war sehr schwierig, ich bin andauernd unterzuckert, musste einen hba1c von 5 halten aus sorge vor schäden beim kind, bin umgekippt und ein paarmal im krankenhaus aufgewacht, große angst davor, dass der große schäden davontragen würde. es gab noch kein cgm, ich habe andauernd getestet, hatte eine wunderbare betreuung, auch in der pulsklinik, bei einem großartigen arzt, dr. rott, der immer genau das richtige getan und gesagt hat.

der große war anderthalb, als ich wieder schwanger wurde, es ging ihm gut, aber. meine frauenärztin (eine neue im neuen kiez) hat mir gesagt, es sei eine hochrisikoschwangerschaft, wie die erste, aber vermutlich nicht schlimmer. ich könne die schwangerschaft auch beenden, wenn ich angst hätte, ich würde sicher schnell wieder schwanger werden. ich bin dann mit dem mann zu einer beratung gefahren, das war pflicht, ich glaube, es war eine diakonische, und habe dort mit einer frau gesprochen, ich erinnere mich leider nicht an das gespräch. es lag nicht am gespräch, dass ich die kinder behalten habe, aber die totale entscheidungsfreiheit, die mir und dem mann gegeben wurde, hat mir diesen weg möglich gemacht. ich schreibe „und dem mann“, weil er dabei war die ganze zeit, aber es war zuallererst meine entscheidung, ich wäre ernsthaft gar nicht auf die idee gekommen, dass es irgendjemanden außer mir selber etwas angehen könnte. wenn der vater die kinder gewollt hätte, ich aber nicht, hätte ich mich überzeugen lassen? ich weiß nicht, was passiert wäre. das ist auch so eine sache, die frau erleben muss, mit einem kind im bauch ist alles anders, alte überzeugungen sind nicht mehr relevant, es liegen plötzlich ganz neue, unbekannte karten auf dem tisch. es verändert alles, grundlegend.

nach dem gespräch wurde es sehr schnell sehr klar, dass ein abbruch nicht in frage kommt. zwei gesunde embryos abtreiben, nur weil ich lieber nur eins hätte, mir nur eins zutraue, das war undenkbar. es waren ja wunschkinder, zwei für den preis von einem, aber ich brauchte die freiheit, die mir meine ärztin gegeben hat, ich musste auch zu dieser selbstverständlichkeit selber hinfinden. sie war nicht gegeben, sie ist nicht da, wenn es dein leben, dein körper, deine gesundheit ist, dann muss es dein ganz eigener weg zu einer entscheidung sein, dann ist selbst der moralisch eindeutig richtige weg nicht sofort zugänglich. ich bin der ärztin bis heute dankbar.

die zwillingsschwangerschaft war dann vollkommen problemlos, stabilerer blutzucker, keine schweren hypos, alles easy, ich war ein entspanntes raumschiff und habe es genossen. als hätte der körper sich inzwischen dran gewöhnt.

die neuköllner ärztin habe ich in den 2000ern noch mal beim tango getroffen, als ältere dame, im estudio sudamerica in der brunnenstrasse. ich habe sie begrüßt, mich vorgestellt, ihr von meinen kindern erzählt und mich für die unkomplizierte hilfe bedankt, die ich damals von ihr bekam. sie hat sich erinnert, und hat sich gefreut.

der staat hat bei keiner entscheidung, bei keinem dieser wege zum kind und gegen das kind irgendeine rolle gespielt. warum auch? es geht ihn nichts an. ich wäre gar nicht auf die idee gekommen, es könne ihn etwas angehen, nichts ist mir näher als mein körper, meine geschichte, meine persönlichkeit. mein kind, schon der vater ist weiter entfernt. es macht mich wirklich wütend, wie in den usa der staat diese zutiefst privaten entscheidungen übernimmt, er mischt sich ja nicht nur ein, er übernimmt sie vollkommen, über das leben von frauen und kindern, und männern ja auch. das ist zutiefst missbräuchlich und übergriffig.

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19. juni 2022

schöner endloser sommertag. ausgeruht, haare entgraut, ein wenig aufgeräumt, gelesen. erdbeeren, kirschen, aprikosen. großartiges lüftchen durch die wohnung, offene türen, ventilator nicht angestellt.

merke, dass ich eigentlich 3 tage erholung bräuchte, erst jetzt, um 18:15 kommt die entspannung im kopf an. gestern tag mit meiner schwester verbracht, sehr intensiv, geredet und gelacht. wir sehen uns viel zu selten. grad die freudige nachricht erhalten, dass ihr flug gecancelt wurde und wir noch einen abend miteinander haben.

sie hat so eine schicke kleine e-zigarette, die eigentlich nur ein tabakwärmer ist. hatte einen habenwollen-impuls, lasse es aber lieber. hat sich angefühlt, wie damals die erste kippe mit 18 oder so, habe die finger gespreizt gehalten und wusste nicht genau, wie es geht und was passieren wird. es kratzt nur ein bisschen, ich hatte nicht dieses befriedigende gefühl von rauch in der lunge (ich bin ja partyschnorrerin und rauche alle paar wochen mal eine), es war mehr eine erinnerung ans rauchen, so eine andeutung. das nikotin kam aber durch irgendwie. neue bewegungsabläufe, schönes objekt. gefährliche kleine dinger.

viel kontakt mit zwei söhnen, einer mit corona, einer wohl doch nicht, beide richtig krank mit fieber, husten etc. früher hatten die das fast nie, bin mir sicher, auch der negativ getestete hatte das 2. mal c. mit tee und aspirin versorgt, per post. einerseits würde ich mich gern um sie kümmern, andererseits. der dritte hatte vor 3 wochen corona, ist wieder gesund und plant eine alpentour mit freundin und fahrrad, sehr aufregend. ich hatte es noch nicht, trotz vielen kontakten. kleiner stolz darüber, aber das jahr ist ja noch lang.

(ups. veröffentlichung vergessen. sry)

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12. juni 2022

ich würde so als wirklich rundum funktionierenden eskapismus gerne eine serie gucken, in der die usa vom waffenwahn geheilt werden. die nra wird dort entmachtet, die leute geben ihre waffen ab, es werden keine kinder mehr erschossen. gerne als politshow, gerne west wing- oder borgen-qualität. als prequel oder prolog die umstrukturierung der wahlfinanzierung nach europäischem modell, mit einem neben- oder hauptplot, in dem es um den umgang mit den sozialen medien geht, mit der radikalen rechten. die schulbildung wird besser, der frauenverachtende religiöse wahn wird wieder marginalisiert, bah, es müssten an sovielen stellen veränderungen stattfinden, das gibt 20 staffeln mindestens. da wäre eine zeitreise zur unabhängigkeitserklärung einfacher. eine version der usa, in der james madison seiner regierung vertraut und den bürgern kein recht auf waffen in die verfassung schreibt.

durch die stadt geradelt, nach moabit, zu den uferhallen. wie es im wedding keine radwege gibt, sofort flashbacks an die berliner sommer der achtziger, als ich durch leere strassen in kreuzberg geradelt bin, die bunte vielfalt und das helle licht aufgesogen habe, mal hierhin, mal dorthin, mal ein kaffee irgendwo. wie sich diese touren ewig angefühlt haben, zeitlos. die strassen waren natürlich sehr voll diesmal, also wie früher hindurchschlängeln, als gäbs kein morgen. der verkehr war so laut, ich hab mein sirrendes vorderrad nicht mehr gehört, irgendwas schleift da. ich weiß im ernst nicht mehr, wie man eine fahrradkette auswechselt, dabei ist auch das dringend nötig.

offene ateliers in den uferhallen. viele viele künstler*innen arbeiten dort, unter anderem auch mein freund hansjörg schneider, von dem ich eine schöne arbeit im wohnzimmer hängen habe, eine große qualle. er macht jetzt ganz wunderbare papierskulpturen, die eigentlich weggehen sollten wie warme semmeln, aber die leute kaufen in kriegszeiten vielleicht nur die wirklich berühmten künstler*innen. ein großes bild von peter böhnisch hat mich, hat uns beeindruckt. es geht über die ganze länge des ateliers. er weiß noch nicht, ob es fertig ist, sagt der künstler, ich mag gerade das lebendige, vibrierende daran, die offenen grenzen, das unfertige als teil des konzepts. und das blau natürlich.

peter böhnisch

ich mochte auch die arbeiten von rainer neumeier, denen man ihre tiefe erst auf den zweiten blick ansieht. mesmerizing, und schön altmodisch mit farben, klingen, sieben und anderen materialien erst aufgebaut und dann wieder ins zweidimensionale zurückgebracht, wie kleine welten. oder hat so ein analoger weg einen schwierigen stand im zeitalter digitaler bildbearbeitung? ich mag ja den handwerklichen aspekt bei bildern.

noch ein paar andere funktionierende arbeiten, aber auch viel wilde persönlichkeitskunst gesehen, da müsste man den/die künstler*in dann gleich mit ins haus holen.

die uferhallen sind bedroht durch ein bebauungsprojekt, sie wollen ein elf stockwerke hohes haus reinstellen, mit platz für 800 menschen, die künstler sollen in der mitte des grundstücks in so einer alten fabrikhalle ateliers bekommen, wie bienen im stock, das weitläufige, freie und wilde des orts wird verloren gehen. man kann noch protestieren dagegen, hier ist der link. denkt an ford prefect! irgendwann ist alles schöne weg.

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damals im theater

letzte woche einen ausflug in eine andere welt gemacht, in bester begleitung. in der einladung stand: „audio-visuelle dokumentation“, ich hab mich gefreut, eine berühmte theateraufführung sehen zu können, die 1962 für furore gesorgt hat. peter hacks hat damals im deutschen theater seine version von aristophanes‘ frieden inszeniert, ich habe ein bisschen hacks im regal, einiges gelesen, aber nie ein stück von ihm auf der bühne gesehen, er wird seit den sechzigern kaum noch gespielt (youtube, tv-beitrag von 2008 über hacks, mit ua wiglaf droste), mit ausnahme einiger gallischer dörfer. eingeladen hat die galerie am amalienpark, der ich schon einige sehr schöne abende verdanke, zum beispiel diesen mit gisbert von knyphausen und anderen musikern. der abend fand soviele interessent*innen, dass die galerie auf einen anderen ort ausweichen musste, in einer stiftung cajewitz, auch in pankow. wir also hingeradelt, im eingang lauter interessante leute, besonders angezogene frauen, freundlich und plauderbereit. ich mag ja das publikum dieser galerie sehr gerne, die menschen verbreiten einen mühelosen eindruck von sagen wir mal kulturellem bewusstsein, mehr durch die frauen getragen, fast alle besonders und eigenwillig gekleidet. der zweite blitzeindruck war: altersheim. frau seubert und ich konnten den altersschnitt kaum senken, dazu passend ist diese stiftung eine seniorenresidenz.

beate rosch, die die doku zusammengestellt hat, meinte, sie wäre zum zeitpunkt der aufführung 15 jahre alt gewesen und hätte das stück also nie gesehen, mein eindruck vom publikum war, dass die meisten es zumindest theoretisch noch auf der bühne gesehen haben könnten. es lag so ein kleiner hauch melancholie im raum, eine wehmütige erinnerung an die zeit, als kultur noch folgen hatte, als theater noch wichtig war, als die menschen im raum noch bedeutung hatten, aber vielleicht überinterpretiere ich da auch.

es waren sogar zwei musiker der inszenierung anwesend, sie haben ein rührendes stück jazz vorgespielt. frau rosch machte ein paar kennerwitze über die musik, es war wohl in den sechzigern nicht üblich, jazz als theatermusik einzusetzen, die entscheidung hat wohl für einige aufregung gesorgt und war so einprägsam, dass jemand im publikum nur einen dreiklang draus vorsingen musste, und sofort gab es so ein kenner-gelächter im saal. bisschen ehrfurcht, weil all dieses fantum 60 jahre nach dem theaterereignis ein wirkliches liebeszeugnis ist, als sei es doch keine so sehr vergängliche kunstform. ein dritter musiker kam verspätet an, ob wir denn nochmal ein stück mit allen drei musikern hören wollten, fragte die moderatorin, ich dachte öhm, aber das publikum dachte natürlich anders, es bedeutet ja auch mehr gegenwart, etwas leibhaftiges aus den wilden sechzigern geht live! wie die stones! also nochmal mit pianist. dann war aber der flügel abgeschlossen, und wir mussten verzichten. ob wir nach der ersten stunde eine pause wünschten, fragte sie noch, dringend, dachte ich, frau seubert und ich waren im saal mit 100 alten und sehr alten menschen die einzigen mit maske.

an der stirnwand des raumes liefen dann über einen beamer schwarz-weiß-fotos der aufführung, frau rosch hat eine fundgrube an theaterbildern ausfindig gemacht, dazu hörten wir eine tonaufzeichnung des stücks, die bilder wechselten teilweise alle paar textzeilen, frau rosch hat für das projekt sogar ein paar kurze filmaufnahmen auftreiben können und sie ohne spürbaren wechsel zwischen die partien mit nur fotos geschnitten, eine sehr beeindruckende arbeit. echte theaterliebe. man kann sie, wie ich vermute, auch auf cd und dvd kaufen.

die inszenierung ist intensiv, selbst als reine foto-doku. die schauspieler tragen die masken der griechischen komödien, es wird laut deklamiert, in den filmszenen sieht man ihren vollen körpereinsatz, es wirkt fast tänzerisch, mit viel bewegung. fred düren als trygaios ist kraftvoll, anklagend, pathetisch. er fliegt auf einem sehr großes mistkäfer über der bühne herum, der wäre auch heute noch beeindruckend. mir war es zuviel schreien, vielleicht auch der aufnahmetechnik verschuldet, auch das frauenbild war zum haareraufen. konnte den text akustisch nicht immer verstehen, er ist altmodisch komplex und verdient konzentration. habe nur einen band von hacks‘ dramen, konnte noch nicht nachlesen.

ich würde das stück gern noch mal im theater sehen, es ist ja erschreckend aktuell. wir sind nicht bis zum ende geblieben, ich weiß jetzt also noch nicht einmal, ob bei hacks der frieden siegt, wie bei aristophanes.

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der kleine kern

meine mutter ist 88 geworden, nein: wir haben ihren 88. geburtstag gefeiert, der g.- zwilling war auch dabei. nach dem essen haben wir alte fotoalben angesehen und per WA herumgeschickt, zur freude der anderen beiden jungs. sie wirkt viel leichter als früher, als könnte ein windhauch sie umwerfen, sie bewegt sich sehr langsam und traut dem boden nicht mehr. sie nimmt ihren körper als unzuverlässig wahr und klagt über die vielen stellen, die nicht mehr richtig gut werden, immer noch mit einer kindlichen empörung. sie geht vor ihrem geburtstag zum friseur und lässt ihr haar nachfärben und „legen“, in schönen grossen wellen um ihren kopf. ich möchte immer, dass sie sich mehr bewegt, ihren rollator nutzt, spazierengeht, übungen macht, aber sie will sich gar nicht mehr bewegen, es ist so schon alles abenteuer genug. ich denke, sie klagt zuviel, statt ihr leben zu geniessen, fokussiert nur auf die schlimmen folgen des alterns, statt für ihr relativ gutes befinden dankbar zu sein, sie relativiert nichts mehr, ihre wahrnehmung schließt sich um sie selber. meine andauernden ermutigungen zum weiterkommen, mehr kondition, mehr unternehmen, dabei will sie das alles nicht mehr. es soll nur nichts weh tun.

wie ich das alles sehe und verstehe und trotzdem manchmal, so zwischen außen und innen, im vorbewussten raum, immer noch ein kleiner wunsch nach mehr da ist, zu leise für eine sehnsucht, zu müde, weil die zeit ja vergeht und nichts wiederkommt. wie ihr gelegentliches „toll, wie du das alles machst“ bei mir kaum ankommt, weil ich mehr möchte, von anfang an, und wie dieser wunsch auch nur noch eine matte ungefähre erinnerung ist. ich will gar nicht mehr alles, will nicht erkannt werden, verstanden, mit all meinen lebensbedingungen, nicht ihr ganzes herz, die wege sind getrennt. das leben ist weitergegangen, wir tragen unsere ziernarben mit stolz.

kw dazu: genug kann nie genügen, schon schweigen ist betrug.

ich hoffe, ich bin meinen kindern gewachsen, aber es fühlt sich eigentlich danach an. alles gut. yeah pathos.

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