kw fast rum

ich kann gar nicht entscheiden, ob ich dieses jahr zu weihnachten stress haben werde oder nicht, aber sagen wir mal, es würde mich überraschen, ich mach das ja nun schon eine weile alleine. zuviele geschenke, immerhin diesmal auch eine kleinigkeit für mich, mit einer grandezza gekauft, die ich schauspielern musste, sehr stranges und gutes gefühl, dabei immer die hausfrauenstimme, die bist du irre? du bist irre sagte. das war sehr lustig. noch kein baum im haus, heut keine zeit, da mit freundin nachmittags in die philarmonie. ganz gut gefüllt, es gab chormusik, am schönsten das letzte, ein federleichtes, fein und einen tick zu glatt durchharmoniertes te deum von charpentier, es hat uns mit einem alles-wird-gut-gefühl in den frühen abend entlassen. am liebsten mochten wir die paukistin, sie wirkte sehr gut gelaunt. dies jahr kein wo gehört, dafür die matthäuspassion, immerhin, immerhin. mir vorgenommen, endlich mit brahms anzufangen, weil ihn jemand auf bluesky jeden morgen spielt. herreweghe ist eine gute brücke, da ist der weg nicht allzu weit.

kann mich nicht erinnern, jemals nach einem besuch in der philarmonie nicht viel mehr klassik hören gewollt zu haben, genau, die gute absicht verläuft sich schon im satzbau.

neulich auf einem 60. gewesen, mehr frauen als männer zu gast, zwei in der runde hatten in der letzten woche jemanden beerdigt, und ich bin nur nicht hingegangen, auf die beerdigung, sonst wären wir zu dritt gewesen. wir reden über erd-vs feuerbestattungen, was uns lieber wäre, und wie man ev eine urne entführen kann, wenn man sie lieber im eigenen garten hätte. wir reden über unsere großen kinder, die jobs, unser alter, wir sehen alle jünger aus, noch ein weile, noch dieses jahr, vielleicht das nächste.

november, november.

merke die weltlage an einer nervosität, die alles unterlegt, die konflikte sind immer nur einen gedanken weit weg. die zeitschrift micromega, die ich schätze, stellt sich klar auf die seite der palästinenser und differenziert nicht zwischen hamas und zivilisten, ich merke beim lesen, wie sehr ich da bei habeck bin. unfassbar, dass eine zeitschrift die nachrichtenlage nicht hinterfragt und sich nicht um faktencheck bemüht, anderslautende berichte (israel habe eine bombe aufs krankenhaus geworfen vs eine beim start explodierte rakete von der hamas) schlicht ignoriert und vom „genozid“ an den palästinensern schreibt, der 7. oktober wird nur nebenbei erwähnt. selbst wenn es schwerfällt, sich für eine version der geschichte zu entscheiden, gehören beide genannt. zur weltlage habe ich das interview mit dem autor etgar keret gern gelesen. der antisemitismus, der sich auch in berlin zeigt, ist jedenfalls unerträglich.

bei der kaltmamsell den hinweis auf einen blogpost bei rungholt gefunden, den ich euch ans herz lege.

händel-schlager für den grauen november. grad fällt mir ein, wie ich diese arie mal den söhnen vorgespielt habe, „das ist eine oper“, und die kids: „ja, opa singt.“

es sterben weiterhin menschen aus meinem umfeld, mit ende fünfzig/anfang sechzig scheint es da eine art erster runde zu geben, krebs oder herz-kreislauf, mit mitte sechzig ist der fluss dann hoffentlich schon fast überquert. die statistik klärt die wahrnehmung, es geht eben jetzt los, ab mitte 50 sterben mehr als doppelt soviele menschen wie bis 50, ab dann geht es in ähnlichen schritten weiter. ich rechne nicht damit, besonders alt zu werden, würde es aber gern, deshalb kümmer ich mich so gut wie möglich um meinen diabetes, der nach wie vor schwer einstellbar ist. mein eigenes leben findet seit jahren, sehr zu ungunsten meiner karriereplanung, deutlich mehr im augenblick statt, ich freue mich dauernd über irgendwas, einerseits aus bewusster entscheidung ob der unsicherheit des lebens allgemein, andererseits weil ich ein eher geruhsamer mensch bin. ich weiß, dass ich mich kümmern muss und tue das, und kann leute nicht richtig verstehen, die ihre gesundheit als gegeben ansehen, statt als geschenk, dass es zu hüten gilt, sry für satzbau.

im letzten jahr hatte ich in einer mischung aus nostalgie und sentiment meinen söhnen adventskalender zugeschickt, richtig originelle (für den angehenden bio-lehrer einen insektenbausatz), mit dem hinweis, damit erst am 1. dezember zu beginnen, woraufhin der kalender auf einem schrank landete und dort erst ostern wieder zum vorschein kam. ich hab die lektion gelernt und dieses jahr nur für mich einen gekauft, einen trekkie-kalender, mein hausgast ist zum glück auch pro weihnachten. oh, der ist schon vergriffen, hätt ich mal früher gepostet! aber der mit einer mini burg blaustein ist noch verfügbar.

jetzt, wo mein eigenes leben nicht mehr prekär ist, wird die welt zunehmend prekär, oder scheint das nur so, weil ich kapazitäten freihabe dafür?

julian lage, institut français

vorgestern mit den öffentlichen zum konzert des jahres gefahren, riesiger fehler, habe 90 minuten bis zum q-damm gebraucht, statt der geplanten 40 minuten, also nur noch einen platz in der drittletzten reihe bekommen, mit glück, der saal war voll. musste den letzten kilometer mit dem taxi fahren, sonst wäre ich zu spät gekommen, erst um kurz vor acht die vier stockwerke hochgestiegen bis zum boris vian saal. drinnen über das publikum gefreut, es war mehrheitlich viel jünger als ich, hab bisschen bedauert, mich nicht mehr um begleitung bemüht zu haben, weil bei mir die begeisterung eigentlich ein gegenüber braucht. die stühle dort haben lehnen, die sehr weit hinten sind, es fühlt sich an wie 45°, also aufrecht geblieben, weil ich näher dran sein wollte. das ging vielen so, am ende habe ich mich vorne an die wand gestellt, weil es mich nicht mehr gehalten hat auf dem sitz

erst nach ein oder 2 minuten konzert habe ich den ärger loslassen können, es hat einen ordentlichen punkt auf meiner anti-berlin-liste gegeben. aber es ist julian lage da vorne auf der bühne, und wenn er spielt, wird meine gesamte aufmerksamkeit gebündelt, wie eisenspäne von einem magneten, ich erinnere das von den anderen konzerten, und kann zusehen, während es passiert, die mühelosigkeit dabei fühlt sich magisch an.

julian lage und jorge roeder auf der bühne des institut français in berlin

zusammen mit dem bassisten jorge roeder, die beiden habe ich 2018 schon in empoli gesehen. ich erkenne die stücke nicht, habe jetzt beim suchen gemerkt, dass die gefunden aufnahmen lange nicht so wild, schnell und frei sind wie gestern beim konzert, die waren fast schwindelerregend perfekt. und wie er dann auf unerwartbare harmonische lösungen kommt, aus zb einem rasend schnellen lauf über das gesamte griffbrett, um dann in großer schönheit ein paar sekunden lang runterzukommen in etwas unerhört schönes. und das mehrere male in jedem einzelnen stück. das publikum ist total mitgegangen, gab viel ah und oh beim zuhören, so unwillkührliche ausrufe, ist mir auch paarmal passiert, obwohl ich das eigentlich mega blasiert finde, aber hey. es wurde gelacht und geyeaht und es gab szenenapplaus, akkordapplaus, lage hat sich nach der ersten halbzeit beim publikum bedankt, es hätte tiefgang (depth meine ich gehört zu haben), es sei außergewöhnlich fun, hier zu spielen, aber das sagt er vielleicht immer? ich fand sein spielen atemberaubend. nach der ersten hälfte hat er sich kurz die hand gehalten, gleich sorge, dass ein normaler organismus so ein spiel gar nicht aushalten kann, aber er ist ja noch jung. er hatte beim konzert eine akustische gitarre, ich glaube, die collings.

es gab zwei zugaben, von denen die erste sensationell gut war, die beiden haben sich über den abend gefreut, so mein eindruck, ich würde so gern mal eine einschätzung der künstler hören, wie bei den fußballern nach dem spiel, „ja, bei „northern shuffle“ haben wir uns bis zum thema richtig schön zeit gelassen“ oder so (wusstet ihr, dass es eine seite extra für setlists gibt?)

auf dem wiederum anderthalbstündigen heimweg bedauert, keine kopfhörer mitgenommen zu haben, um noch ein bisschen länger im musikalischen raum bleiben zu können. das war nach dem geburtstag neulich schön, im stillen, dunklen taxi nach hause gefahren mit mek, fürs nächste konzert überlege ich mir das.

peter fox in der waldbühne, 22. august 2023

der g.-zwilling war nicht dabei. wegen ihm wollte ich ja überhaupt zum konzert, er hat einen hammerjob als backgroundtänzer auf der tour von peter fox erhalten, die tour war ausverkauft, ich hab dann per serendipity über eine freundin tickets bekommen, die jemanden kannte, der welche loswerden wollte, für den 22. der g. wird leider erst einen tag später dabei sein, das hat er aber erst kurz vorher erfahren.

waldbühne berlin, peter fox mit tänzer*innen

ich war dann unsicher, ob überhaupt hingehen oder nicht, und meine begleitung war ähnlich zwiegespalten, wir haben uns dann bis paar meter vorm eingang damit zeit gelassen, die tickets wären wir zu jedem moment noch losgeworden. wir sind dann doch reingegangen, haben einen platz im oberen drittel gefunden, geschaut und geplaudert, immer mit dem gefühl, wenns doof wird, können wir ja gehen. dann kam nach anderthalb stunden erstmal der voract auf die bühne, eine paula hartmann, sehr charmant overwhelmed von der bühne, dem auftritt, dem leben, das war ganz süß, obwohl mir die songs zu sehr liebeskummer für ganz junge menschen waren („ich war noch nie verliebt„). es gab einen song, da sollte das publikum den mittelfinger zeigen, was fast alle mit begeisterung getan haben. da fühlte ich mich alt. dann laaange umbaupause. es war voll bis auf den letzten platz.

mit peter fox dann kam dann sofort sehr viel lebensfreude auf, auf die ersten takte schon, keine ahnung, wie sie das immer schaffen, das ist die hohe kunst, dass die musik sofort mit 100% im herzen ankommt, hochenergetisch, das publikum stand sofort auf, ich erst so innerlich ochnöö seufzend, stehen? aber dabei noch beim ausatmen in bewegung geraten. ich kannte die alten songs alle noch, konnte aber nicht überall mitsingen, anders als die menge wusste ich nicht immer sofort, was alt und was neu ist, aber es war auch gar nicht wichtig. gute musik ist ja eh zeitlos.

(der g.-zwilling war vorher noch nie dort, und konnte so die waldbühne das erste mal von der bühne aus erleben, was ich schon recht cool fand.)

wir sind dann geblieben bis zur zweiten zugabe, die ganze zeit getanzt, stillstehen unmöglich, und es passte einfach alles, ich fand es toll, dass er menschen wie den g.-zwilling und die anderen zum mittanzen engagiert hat, eine sehr demokratische bühnenshow, und sie waren alle vom ersten song an dabei, lauter junge leute. bei einigen passagen haben sich aus der gruppe die profitänzer herausgelöst, sich einen freiraum geschaffen, ohne sich in den vordergrund zu drängen, es wirkte ungeheuer organisch, ich mochte besonders die energiereichen dicken tänzer und tänzerinnen, habe mich beim mittanzen über jedes gramm auf den hüften gefreut. irre lebensfroh und bejahend, musik, herr fox, alles wirklich gut. platte gekauft.

minus noch 9 tage

die erste woche ist schon um, die zweite hat angefangen, hab es kaum gemerkt, bin aber schon im totalen zeitlosmodus ohne termine und mir selbst überlassen. gestern mit den freunden ein essen in der tana del ghiro, einem b&b ein stück den berg rauf, wir sitzen an zwei großen tischen auf einer stufe im berg über dem restaurant, blick über den gesamten riesigen see, die berge, die wälder drumherum, als wir kommen, ist es noch heiß, es gibt einen sonnenschutz und kaltes wasser zum ankommen, dann leichte weißweine. ich hab einige der leute seit jahren nicht gesehen, viel freude, viele geschichten, nummern werden ausgetauscht, und ja! da bist du, ich hab dich noch. die betreiber haben einen pizzaofen gebaut, wir bekommen erst focaccia und brote mit salami, bresaola, schinken, olivenöl, dann pizza, dann rippchen und hühnerschenkel aus dem ofen, mit ofengemüse in großen keramikschalen serviert. es hat zwischendurch mal gegossen, aber nur 2 minuten, darum essen wir das fleisch aus der hand, während das tageslicht verschwindet, setzen uns dann noch mal hin für die letzte flasche wein (ich nur wasser), die ruhigen minutengespräche, wenn der laute abend leiser wird. inzwischen sind von der anderen seeseite nur noch die lichter zu sehen, lange reihen entlang den bergstrassen, und die städte am ufer natürlich. viel spass, viel reden, gutes essen, um 23 uhr löst es sich auf und ich fahre über die seestrasse zurück nach hause, mit wenig verkehr. die tana del ghiro macht das im sommer häufig, man kommt am besten mit 10, 20 leuten.

die ferien ausgenutzt, um auf ein anderes cgm-system zu wechseln. ich hatte den vielgelobten g6 von dexcom, der liefert aber die ersten 24h sehr springende werte und läuft insgesamt nur 10 tage, ist also nur 9 tage nutzbar, und er ist viel größer als der libre 3. ein begabter coder hat eine app geschrieben, mit der sich die werte des libre 3 auslesen und in eine andere app wie xdrip+ überführen lassen, von dort bekommt sie dann aaps, meine pancreas-app. drücken sie mir die daumen, dass es läuft. es ist immer ein weg über eis, weil ich zwar den anweisungen für die einstellung der neuen app folgen kann, es aber nicht selbsterklärend ist, und die fehlersuche gestaltet sich dann oft mühsam, weil ein haken in einem untermenue in einer der apps anders gesetzt gehört und das dann eventuell einfluss auf die andere app hat. keine sorge, die lieferung von insulin ist von diesen einflüssen nicht betroffen, da ist aaps sicher.

im oktober spielt julian lage in berlin, das weiß ich seit mitte juni, und es sind nirgendwo tickets zu kriegen, bei eventim gibt es seit heute immerhin eine warteliste, nachdem es wochenlang nur „nicht verfügbar“ hieß. im netz steht, er spielt im kammermusiksaal, aber im netz steht auch, er spielt im institut français de berlin of all things, aber die webseiten des instituts und die vom kammermusiksaal wissen beide von nichts. geheimnis. bitte daumen drücken, dass der vorverkauf einfach noch nicht begonnen hat. [edit 26.08.: es war zu früh. grade gibts noch tickets!]

heute faulen tag gehabt, damit verbracht, endlich die letzte staffel meiner lieblingsserie zu gucken, aus prinzip, an der ich bis jetzt immer gescheitert bin. meine konzentration nicht halten können, die staffel ist ein bisschen kraut und rüben. gehört, dass sie in den staaten auf prime und google buchbar ist, jetzt hoffnung für euch, ich hab sie natürlich als dvd, und, äh, als video.

5. april 2023, matthäuspassion im dom

früher konnte man einfach reingehen in die kirche, die tür stand immer offen, wie meine freundin a. sich erinnert hat, im innenraum stehen die kirchenbänke in der breite für 4 personen in blöcken hinter- und nebeneinander, meine karten sind für die navata centrale, die ersten paar reihen sind abgegrenzt, bestimmt für die honorationen, sonst ist alles demokratisch offen, wir sitzen weit vorne. fassungslosigkeit angesichts der höhe dieses kirchenschiffs, die mächtigen pfeiler voller figuren, es ist alles so auf überwältigung ausgerichtet, und es funktioniert natürlich, es ist ja eine biophysische reaktion.

zur info: im mailänder dom wird jedes jahr abwechselnd eine der beiden bach-passionen aufgeführt, in der osterwoche, man kann die karten ungefähr eine woche vorher auf der webseite online buchen. sie kosten nichts. in der osterwoche wird die jeweilige passion auch noch zwei oder dreimal im konzertsaal des orchesters aufgeführt, dafür muss man tickets kaufen.

matthäuspassion im mailänder dom, 5. april 2023, orchester und 2 chöre
foto: arianna geith

es gibt ein programmheft mit dem vollen text auf deutsch und italienisch, sehr angenehm, es fehlen bloss so kleine displays auf der rückseite der sitze, die hülfen bestimmt auch bei den lateinischen messen, die da immer noch gelesen werden. wir sind früher in der sommerhitze manchmal reingegangen, ich fühle mich in diesem monsterdom sofort allein, irgendwie vereinzelt durch den leeren raum, die kühle wie etwas, das man empfängt, auch gestern kam die kälte im lauf des abends langsam von oben herab und lief den rücken hinunter. so etwas wie eine gemeinschaft der gläubigen ist nicht spürbar, es bist nur du, tief unten und kaum sichtbar. bin sehr froh, dass zwei freundinnen mitgekommen sind, ich hatte tickets über, dann ist noch bisschen anker zur gegenwart und zur alltagsperson, die ich meistens bin.

und dann kommt die musik und … nein, erstmal kommt ein mensch der kirche und erzählt von der tradition dieser konzerte, dann kommt ein dottore und hält einen bestimmt 15minütigen vortrag über die passion, ein brillianter und guter vortrag, der sofort vergessen ist, als die vorführung dann endlich beginnt.

es dauert ein paar takte, bis ich dabei bin, aus planung und aufwand und allem, auf der kirchenbank im hier und jetzt. die stimmen sind klar und schön, es gibt einen kinderchor (voci bianche, weiße stimmen heißen die auf ital.) und den chor la barocca, sie sind richtig gut, der riesige raum des doms liefert von allen seiten ein weiches und flüssiges echo, tiefgang und körper, wie ein riesiges instrument, es vertieft und intensiviert den klang, es ist kein hall wie befürchtet, es klingt wie eine zusätzliche dimension, ein paar sekundenbruchteile nach dem ton, die stimmen und instrumente wie ein feiner wellenkamm auf dem klang des riesigen kirchenraumes, man badet darin, und es trägt.

matthäuspassion im mailänder dom, im bild der tenor martin platz
foto: arianna geith

am liebsten mochte ich diesmal ein rezitativ, tenor mit begleitchören (nr. 19, o schmerz, hier zittert das gequälte herz!), ganz überraschend, das ist mir beim cd-hören nie aufgefallen, durch den großen raum ist der dialog zwischen stimme und chor perfekt auf eine weise, die überall sonst anders klingen wird. das erbarme dich vom countertenor ist natürlich auch zum steineschmelzen, eine körperlose und klare stimme, sogar im lagenwechsel höre ich keine veränderung. bei allen solisten konnte man den aufwand sehen, den diese kirche bedeutet, der tenor (auf dem bild oben, martin platz) war mit vollem körpereinsatz dabei, der sopran (katja stuber) hatte es am schwersten, das kann aber auch an meinen schlechten ohren liegen. gehört hat man die anstrengung aber nicht, so gut waren sie.

in der reihe vor uns eine alte dame in steppjacke und wollmütze, sie ist aufgestanden und hat sich hin- und hergewiegt bei den arien, ihr mann neben ihr blieb sitzen. vielleicht war es etwas medizinisches, aber es wirkte wie ihr persönlicher umgang mit der musik, wie ein bedürfnis.

ich wollte eigentlich das letzte „oh haupt voll blut und wunden“ noch hören, mit beiden chören, aber die arie des countertenors (nr. 52, können tränen meiner wangen) nahm kein ende, viermal wird sie wiederholt, und wir mussten den letzten zug erwischen. hatte schlechtes gewissen, habe mich nochmal umgedreht, aber das orchester mit solisten schon gar nicht mehr sehen können, so groß ist der raum. mit taxi zur stazione garibaldi, im zug auf dem handy hätten wir die letzte halbe stunde noch als stream sehen können, erst um kurz vor halb zwölf waren sie fertig.

der letzte zug fährt nur bis gallarate, dann müssen wir in so einen kleinen modernen bus umsteigen, mit noch zwei anderen fahrgästen, und fahren noch über einen stunde durch die pampa, 1000 kreisverkehre, der bus fährt jedesmal in eine andere richtung als erwartet, bin total lost, kenne keinen ort in diesem hinterland. um halb zwei im bett, erst heute am karfreitag wieder halbwegs beieinander.

bisher die schönste mp, die ich live erlebt habe, einmal mit guttenberg in der philarmonie, die war effektvoller auf eine nichtbachsche weise, romantischer, das hätte im dom gar nicht funktionieren können. die ist jetzt auf platz zwei gerutscht, mit einigem abstand.

(oh, weblog ist volljährig geworden am 1.4., hab ich verpasst. es ist mir immer noch lieb und teuer, es funktioniert, gibt auslauf und bodenhaftung. ich hab früher so viel schönere texte geschrieben, das ist wohl der lauf der zeit. alles ist eitel.)

das erste viertel ’23

dieses jahr immerhin schon ein bisschen kunst goutiert, habe im februar sogar in feiner begleitung meine allererste operette gesehen, die geschichte der fledermaus in der komischen oper, war sehr unterhaltsam und auf eine erich-kästner-hafte weise fabelhaft. mir sind arien aber lieber.

chancen für rockmusik hätte es in diesem jahr auch gegeben, frau gaga wollte mich gelegentlich mal mitnehmen, aber da konnte ich immer nicht. rockkonzerte sind mir auch eigentlich inzwischen zu laut, es sollte eher jazz oder klassik sein. julian lage hab ich leider verpasst, das hamburger konzert ist ausverkauft, amsterdam wäre noch zu haben, aber das erste konzert ist ebenfalls uitverkocht, nur mitte der woche ist noch was zu haben, und ich habe keine drei urlaubstage mehr übrig.

anstrengende monate gehabt, abends oft so kaputt, dass ich um 21 uhr einschlafe und erst um 5 uhr früh wieder aufwache. es wird vermutlich so bleiben, grad keine große lust, den job noch 9 jahre zu machen, also drüber nachdenken, wie es besser werden könnte, ich muss mich besser organisieren, mehr planen, effizienter werden, ändern, was in meiner macht liegt, vor allem die ganzen dokumentationsaufgaben rutschen mir noch etwas durch. die dramatische personalsituation kann ich nicht verändern. noch eine woche, dann eine woche ferien, die nicht ausreichen wird. meine uffs sind legion.

mit etwas glück habe ich im herbst eine woche lang eine hinreissende hündin zu besuch, drücken sie daumen! beim kennenlernen damals zusammen mit emma bin ich ihr ein paarmal auf die pfoten getreten, aus nervosität, und weil sie so wuselig war, aber sie hat es vergessen, und ist ja auch inzwischen kein welpe mehr. hundeferien.

das wochenende ist voll, ein tag mutter, viel haushalt, wenig zeit zum chillen. allgemeines genervtsein, was nicht am wetter liegt, der viele regen ist mir willkommen in zeiten der trockenheit, er sollte noch ein paar wochen anhalten, bis die pflanzen alle im grünen sind (ups! kaffee geholt, jetzt ist der himmel wieder blau, immerhin echter april). habe das lesegruppenbuch noch nicht geschafft, das wird jetzt ein bisschen eng, ich verliere andauernd den faden, genau wie beim picard, die letzte staffel ist ein einziger intrigantenstadl.

die tröstlichste nachricht in all der entropie ist die möglichkeit von zeitreisen, zumindest auf quantenebene. es würde zwar eine million jahre dauern, um einen menschen eine sekunde zurückzuversetzen, und selbst wenn die entwicklung dieser quantentechnologie ähnlich wie bei moores law eher exponentiell als linear verläuft, dann sind wir auch in ein paar jahrzehnten erst bei einer zahl, die immer noch keinen ausweg aus der gegenwart bietet. auch vor einer stunde war die welt schon in einem traurigen zustand. well.

ich weiß gar nicht, ob ich lieber in die vergangenheit oder in die zukunft reisen würde, vielleicht sind dazu eh ganz verschiedene technologien notwendig, und die zukunftsreisen werden irgendwann in der zukunft erfunden werden, sind dann super einfach, aber die vergangenheitsreisen dauern immer noch eine ära für eine sekunde, das wär blöd, dann würden wir nie davon erfahren. vorwärts immer.

in diesem sinne werde ich morgen zum volksentscheid gehen und für eine schnellere energiewende stimmen, auch wenn ich dann ab 2030 in berlin nie mehr ein auto fahren werde.

alltag und kultur

im gespräch mit freund*innen über dinge, die wir nicht gern tun, so haushaltstechnisch, gibt es einen steten fluss, der mir rätselhaft schön oder beunruhigend erscheint, je nach standpunkt. wie ich früher den umgang mit haufenweise wäsche als sehr unangenehm wahrgenommen habe, waschen-aufhängen-legen-wegräumen als nur mit widerwillen durchführbar erinnere, so ist das jetzt in eine emotionale belanglosigkeit gekippt, mit ausnahme des kleinen geschafft-gefühls, wenn der wäscheständer zusammengeklappt werden kann. es ist nicht mehr interessant genug, nicht mehr vom alltag unterscheidbar genug, um es zu prokrastinieren. ich wasche nur noch ein oder zweimal pro woche, nicht mehr jeden tag, teils mehrfach, daran liegt es vielleicht, aber ich mag den gedanken einer erziehung oder entwicklung viel lieber, weil er sich auch ohne die notwendigkeit denken lässt.

ich würde gerne wieder mehr lesen und musik hören, mehr ins theater gehen, ich lasse mich leider ablenken von dingen wie müdigkeit (ich schlafe ein) oder streaming (mein kopf ist woanders). damals hat das beim gitarre-üben funktioniert, weil ich den lehrer so überaus den unterricht bezahlen musste, ohne so einen sachfremden motivator habe ich das (auch mangels begabung) nicht durchhalten können, obwohl ich das instrument großartig finde, im gegensatz zur wäsche. der extrinsische motivator fürs lesen ist zb der termin für die lesegruppe, das funktioniert auch, manchmal erst kurz vor schluss, wenn das buch mich nicht so packt.

um das lesen wieder selbstverständlich werden lassen, bräuchte ich entweder eine art gamification, wie sie goodreads im ansatz bietet, oder ich müsste es eine zeitlang eben einfach tun, bis die gewohnheit gesiegt hat, und dann unabhängig vom buch sozusagen als selbstläufer funktioniert. bin für tips dankbar.

wenn ich weniger bei twitter oder im feedreader herumhänge, nehme ich meine wohnung mehr wahr, das hilft mir auch dabei, mehr zu lesen, inzwischen fühlt sich ja das netz wie ein wohnraum an, meine 2-d-existenz. ich versuche also, ohne rechner/handy die raumtiefe zu feiern, mich in den sessel zu setzen, den kindle oder ein buch in die hand … usw.

grade eine stunde mindestens damit verbracht, ein neu erstandenes legoteil auseinanderzunehmen, wieder zu vereinzeln, dem wahren sinn des endlosen neubauens wieder zuzuführen. ich kaufe diese dinge auf ebay-kleinanzeigen für ein x-tel des originalpreises, sie kommen dann bei peniblen menschen in schönen zipperbeuteln, bei anderen grob so zerlegt, dass es irgendwie in den karton passt. im wettbewerb um nachhaltigkeit fehlen noch interessenten, die lego ausschließlich wieder zerlegen wollen, extrasternchen gibt es, wenn die teile nach bauschritten sortiert werden. einen namen habe ich schon: lego reverse.

edit: in berlin gibt es die möglichkeit, legosets auszuleihen, aufzubauen und dann wieder zurückzugeben. eigentlich gehört das auseinandernehmen dazu, aber man kann das auch dazubuchen, dann macht das jemand anders.

schöne woche gehabt, 2 tage frei, einen mit viel bach verbracht, den habe ich immer noch im kopf, am feiertag das verschobene date (wie oft ein interessanter mensch, mit dem aber weiter nix entstehen wird). der d.-zwilling hat mich besucht, wie immer spontan, sehr gefreut, wir haben zusammen gekocht (kaltmamsells blumenkohl-curry, als einen tick zu aufwändig befunden), geredet, bevor er zum lernen wieder nach halle weitergezogen ist. die anwesenheit vom d. in der wohnung ist wohltuend und schafft so eine art emotionales klangfeld, ich sehe ihn gelegentlich, höre ihn, weiß, er ist da, kann tee oder essen anbieten. genießt die zeit, solang eure kinder noch bei euch wohnen, im ernst, sie geht vorbei und kommt nicht wieder.

leipzig, mp

mit frühem zug los, die pension nimmt erst ab 14 uhr auf, also bin ich dann noch ein paar stunden durch die stadt gelaufen, was ich in fremden städten sowieso immer am liebsten mache. an der nikolaikirche gleich vorbeigekommen, sobald ich drin war, rief der g.-zwilling an, zum telefonieren brav rausgegangen, mit ihm verabredet und danach noch eine führung durch die kirche mitgemacht, bei der ich einfach so mitlaufen konnte. der schwerpunkt der führung lag auf dem widerstand gegen die ddr, der in der kirche begann, sehr schön erzählt, viele kommen wohl auch hauptsächlich deswegen dorthin. mich hat die kirchengeschichte mehr interessiert, johann sebastian bach hat da 1723 seine stelle als kantor angetreten, hat in den ersten beiden jahren wöchentlich kantaten geschrieben, eine nach der anderen. eine zeitlang vorgenommen, den kindern jeden sonntag die passende kantate vorzuspielen, aber wie es so geht, es kommt dann anders.

mit dem g. weiter in die thomaskirche. ich wusste nicht, dass bach dort begraben liegt, hatte dann ein fangirl-herzflattern an der großen schwarzen platte im altarraum. es gibt auch einen fanshop, ein glaskasterl zwischen kirche und thomanerhaus. vor der kirche war ich mit gregor im buchhandel, er suchte ein buch von 50 cent, fühlte mich deshalb voll berechtigt, ihn in den fanshop von bach mitzunehmen. kugelschreiber, aufkleber, tshirts, kaffeetassen. ich hätte alles kaufen können, war aber brav, habe trotzdem 35€ dort gelassen für irgendwelchen pipifax, inclusive der playmobilfigur von jsb. überall im zentrum hört man bach, strassenmusikanten spielen bach, in den cafés läuft bach, mir kam die welt plötzlich als friedlicher ort vor, bis der g.-zwilling zu recht darauf hinwies, dass es ja auch noch andere komponisten in leipzig gegeben habe, mendelssohn bartholdy, die schumanns, grieg, mozart war dort, mahler, richard wagner wurde in leipzig geboren, was ich auch nicht wusste vorher. heute teilt der g.-zwilling noch mit, auch karl liebknecht sei in leipzig geboren, nur ein paar häuser von seiner wg entfernt. am haus griegs sind wir vorbeigelaufen, es steht eine kleine statue im garten, aber die statue bachs ist natürlich um einige meter größer. stelle mir vor, wie all diese komponisten eigene fanclubs unter den honoratioren der stadt haben, die sich dann um gelder, museen, veranstaltungen und feierlichkeiten balgen.

selbstverständlich ist nichts auf der welt so schön, so perfekt, so etc. wie die matthäuspassion, weil. und sie wäre fast in vergessenheit geraten, wenn nicht der sehr junge mendelssohn bartholdy sie hundert jahre nach der ersten aufführung und 70 jahre nach bachs tod zu ostern 1829 das erste mal wieder aufgeführt hätte, und sie damit zum teil der moderne hat werden lassen. heinrich heine, friedrich schleiermacher und hegel waren teil des illustren publikums an diesem abend, das erinnert bisschen an das foto mit delon, faithful und jagger nebeneinander auf demselben sofa.

dann höre ich ein bisschen zu und bin sofort wieder drin. sie beginnt ja mit dem verrat, keine lebensgeschichte, keine bergpredigt, wir werden gleich ins zentrum der osterpassion geworfen, und sein opfer weiß es alles schon vorher. die trauer, wenn sie singen ach, nun ist mein jesu hin!, als er abgeführt worden ist nach dem verrat von judas. jesus schweigt zu lügen stille, antwortet nicht auf die vorwürfe, und bittet um geduld, wenn mich falsche zungen stechen (tick zu inbrünstig mit wunderlich, aber classics go!). ob er gottes sohn sei, fragen ihn die priester, er bestätigt und das wars dann, er wird zum tode verurteilt, in einem leichten, kurzen und etwas hämischen chörchen, man hört, es kostet sie nichts, kein nachdenken, keine überlegung, sie tun es einfach. es folgt das wunderschöne wer hat dich so geschlagen, obwohl du nichts getan hast, fragt der chor. petrus verrät ihn derweil ein weiteres mal, ob er ihn denn kenne, wird er gefragt, nein, sagt er, jesus? nie gehört. mittlerweile ist es nacht geworden, dann wieder morgen, und petrus erinnert sich an die prophezeihung, er würde jesus dreimal verraten haben, ehe die sonne wieder aufgeht. ihm wird anders, er weint, und während man noch zweifelt, ob man ihm denn jetzt noch glauben könne, planiert bach mit erbarme dich jeden zweifel. da sitzt man dann und verzeiht einfach allen und allem und jedem, für diese paar minuten. das muss man erst mal 294 jahre lang schaffen.

schall und rausch. inzwischen wirft der reuige judas den hohepriestern das geld wieder hin und bittet in der einspielung der chapelle royale (ich glaube, es singt peter kooy) fast freudig: gebt mir meinen jesum wieder! (leider nirgends online gefunden, lieblingsaufnahme von 1985, hier eine weniger leichtfüssige, aber auch bisschen tänzerische version von viel später, mit mertens bei ton koopman), und dabei schon erleichtert klingt, weil er einen schritt in die busse getan hat, oder bei karl richter sehr bestimmt und fordernd, als sei es sein recht. bei bach kommt dann als antwort ein tröstliches und leises „befiel du deine wege„, auf die melodie vom schlager der passion, der erst später mit allen stimmen gesungen wird, wenn jesus zum kreuz gehen muss, „o haupt voll blut und wunden„. erstmal bieten die hohen richter dem volk noch einen austausch an, das klappt nicht, lasst ihn kreuzigen singt der chor am ende des gesprächs in einem geschlossenen, schnellen kreislauf, da gibt es kein entkommen mehr. keine chance. dann geht es noch ein bisschen hin und her, aber barrabas wird freigelassen, jesus wird gepeitscht und geschlagen, es ist vorbei. dann singt der alt, gefasst, man hört, der j. ist verloren, aber er ist noch da, da steht jemand noch am anfang der trauer, noch ganz abgewandt vom geschehen, ganz für sich, noch fassunglos, aber schon in der akzeptanz, als sei er schon gestorben. das hat mich früher immer so aufgeregt, der generelle mangel an revolutionären aktionen bei hinrichtungen jeder art. man nimmt sie hin. jesus stirbt dann neun stunden lang, am ende erkennen die menschen ihren fehler, aber es ist zu spät. er wird vom kreuz genommen und joseph übergeben, der ihn beerdigt, mit reinem herzen.

menno, jetzt ist schon 00 uhr, nur weil meine liebste einspielung nicht online ist. besorgt sie euch, es ist die beste. und ja, ich bin agnostikerin, außer beim hören dieser musik. dann wird alles schlüssig sozusagen, schlüsselfertig, besenrein.

edit: heute früh mit dem dringenden traum wachgeworden, ich müsse noch schreiben, dass ein bach-sohn direkt nach dem auftritt als sänger der mp verstorben sei, und dass die passion auch deswegen so lange nicht mehr aufgeführt wurde, weil ein persönlicher leidensweg damit verbunden war. im traum habe ich das am sonntag im bach-museum gelesen, in einem text zu seiner familie, aber in meiner dicken bachbiographie finde ich das nicht, auch nicht im netz. schräg. war mir sehr sicher heute früh. vielleicht, weil der g.-zwilling dem d.-zwilling und mir auf dem spaziergang von einem unfall in chile erzählt hat, bei dem er ein paar meter in freiem fall in einen abgrund gestürzt ist, aufgehalten von so einem absatz im fels, hoch über einem vereisten see. wurde mir sehr anders, als ich das hörte. er musste dann „20 km mit verstauchtem fuss“ zurücklaufen. (heute frei, da kann ich bachforschung betreiben).

es war jedenfalls in leipzig richtig kalt, hätte fürs stundenlange herumlaufen doch eine schicht thermowäsche drunterziehen müssen, vor allem die kälte war anstrengend. vor einem jahr war ich im kurzurlaub um den frauentag beim großen in trier, da hab ich auch gefroren, diesmal immerhin mit warmer wollmütze. märzkälte beisst.

am abend ist noch der d.-zwilling dazugekommen, halle ist nur eine stunde mit der s-bahn entfernt, wir haben beim g tee getrunken und sind dann essen gegangen, in ein riesiges lokal mit offener küche, vietnamesich-japanisch. wir haben gut gegessen, aber nicht gut genug für den preis, ich habs genossen, die beiden an einem tisch zu haben. beim plaudern und reden läuft bei mir immer der zweite film im hintergrund, die erinnerung an die 18 jahre, die ich die kinder zuhause jeden tag beim essen um einen tisch hatte. worüber haben wir geredet? es gab wenig heftige diskussionen, wie ich es bei anderen eltern immer mit einem gewissen respekt beobachtet habe, soviel intellektuelles engagement, andauernd, es war bei uns schon eher bewusst friedfertig, versöhnlich, eher den konflikt vermeidend und dabei auch mal ins smalltalkhafte gleitend, oder erinnere ich das falsch? manchmal sorge, dass das alleinerziehen die gute beziehung zu dem einen hauptzuständigen elternteil wichtiger macht, es bei zwei eltern leichter ist, auch mal mit allem ins kontra zu gehen. ach nee, es gab gar nicht soviele konträre punkte früher, mit den kindern bin ich mir in den meisten grundlegenden dingen einer meinung. nach dem essen haben wir den d.-zwilling noch in die illustre albertina begleitet, wo er abends noch lernen wollte, für eine klausur heute. hat mich sehr beeindruckt.

am nächsten tag musste ich um 10:30 auschecken, sonst noch einen tag bezahlen, bisschen frech, also frühstück beim g., dessen wg zufällig nur 100m neben meiner pension liegt. danach sind wir ins grassi – museum für angewandte kunst spaziert, wo wir erstmal einen kaffee und ein süppchen zu uns genommen haben (der stoffwechsel der jugend!). ich bin da 2 stunden herumgelaufen, fand es entspannend, die ganzen schönen gebrauchsdinge, die keine meinung erfordern, viel porzellan, allerlei kram aus dem alltag in anderen jahrhunderten. überraschend eine toilette aus dem 18. oder 19.jh, in reich geschmückter blaublüten-keramik, sehr schön, das wäre doch was! würde ich lieber reinigen als die ewig klinisch weißen unserer tage. der g. ist dann zurück in seinen sonntag, mich hat es noch ins bach-museum gezogen, wollte unbedingt einmal ein paar manuskripte sehen, dicht davor stehen, im gleichen raum sein mit ihnen, yadda yadda.

das museum ist im bose haus, dem haus der familie bose, die mit den bachs gut befreundet waren, es liegt direkt gegenüber der ehemaligen thomasschule, in der bach mit seiner familie gewohnt und gearbeitet hat. das museum ist schön eingeschmiegt ins haus, es gibt sehr viel musik zu hören, das mochte ich, auch wenn die displays zur auswahl nicht mehr top of the line sind. gut gemacht, sie schaffen es, mit den wenigen objekten, die es aus bachs lebenszeit noch gibt, ein paar seiten noten, eine schatztruhe, eine orgel, dieses bunte und so vielseitige und wirkungsvolle musikerleben nachvollziehbar zu zeigen.

28. juni 2022

heute um vier wach geworden, allerdings auch um 22 uhr eingeschlafen, es war also okay. im lesegruppenbuch gelesen, dabei langsam auf die geräusche aus dem hinterhof aufmerksam geworden. es war befremdlich, wie in einem traum, als würde da frühmorgens etwas völlig anderes stattfinden als tagsüber. die wände ringsum sind mit efeu bewachsen, der hof ist durch zäune in drei eher kleine teile geteilt, es wachsen ein paar gepflanzte dinge und ein paar windgesähte durcheinander.

musste die recht große datei in mp3 konvertieren, ich hoffe, man hört noch was. meine aufnahmeapp ist der notorisch komplizierte field recorder, ich bin da immer froh, überhaupt eine aufnahme hinzukriegen.

jetzt, um kurz vor acht, hört man nur ein oder zwei tauben und die hofamsel. oder hatte einfach mein tinnitus kurz pause, und es ist immer so viel zu hören? die tonhöhen sind ja ähnlich. vielleicht schaltet das bewusstsein den t. jeden morgen neu ein, und ich muss es nur irgendwie schaffen, die wahrnehmung selektiv auszuhebeln, um ihn loszuwerden. interessant.

der sommer kommt mir zupass, weil die zeit da viel leichter zu dehnen ist. wenn ich um 16 uhr oder so zuhause bin, kann ich nach der arbeit wieder in mein eigenes zeitgefühl hineinzufinden, es sind es noch endlose stunden bis zum sonnenuntergang. die wärme stört mich nicht, ich registriere sie und begebe mich automatisch in den schatten oder in einen windzug, aber die meisten teile von mir nehmen alles ähnlich hochkomplex auf wie der field-recorder, mit nebengeräuschen, dem sommergeruch, dem weichen licht, der hitzestille, der fehlenden temperaturgrenze zwischen körper und nichtkörper, speichern für den winter, oder für übermorgen, wenn es wieder unter 20 grad sein wird, wie immer in berlin.

24. april 2022

der unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten cello ist wirklich überraschend. beim ersten höre ich die suite und mag die wärme und den klang des instruments, freue mich über die melodie. beim zweiten ist sofort alles anders, jeder ton ist klarer, genauer, hat mehr tiefe und raum, ist viel komplexer, dabei ganz leicht und fein, eine ganze dimension kommt dazu, das instrument hat eine eigene stimme, die alles zusammenhält, sich nicht aufdrängt, aber ich höre sie und habe respekt. dieses gefühl werde ich nicht mehr vergessen. alles stimmt, alles fügt sich, so soll es sich auch im leben anfühlen, wenn etwas wirklich gut ist, ein klares erkennen (das ist es).

bin grad erkältet, habe bei andauernd negativem schnelltest absurd hohe blutzuckerwerte, brauche fast dreimal soviel insulin wie sonst. das passiert eigentlich nie. das fatale hinterhersein bei stoffwechsellagen. frust, weil es auch mit den tollen systemen nicht besser wird, es geht halt mit meinem körper nicht. meine ärztin ist da stellvertretend für die medizin bei all meinen fragen oder vermutungen nur so „ja, das kann natürlich mal sein“, liefert immer nur freundliche antiklimax. vielleicht komme ich langsam ins leibärztïn-alter (das gendern liest sich hier aber doch verwirrend, ich sehs ja ein) und brauche jemanden, der alle meine werte, vitamine, hormonlagen in beziehung zum diabetes kann und zu allem eine idee hat, wie das internet.

balkon in betrieb genommen beim fertiglesen des lesegruppen-buches, anything is possible von elizabeth strout, sehr besonders. immer wieder bücher, auf die ich nie gekommen wäre, das ist mit das schönste an diesen treffen, wobei ich ehrlich gesagt immer noch kaum lese. ob die lesezeit vorbei ist? wie ist das passiert? ich habe keine disziplin und heutzutage bräuchte ich welche, gegen netflix und co., früher war das lesen der einzige ausweg.

zwischendrin behaglichkeit wg dem ´job, der so sinnvoll ist, dem regelmässigen lohn, dem alltag mit seiner struktur. wie ich morgens früh mit emma die erste runde drehe, auf dem heimweg vom job beim rewe einkaufe, dafür eine schöne radtasche gekauft habe, am samstag putze, abends erschöpft bin. dann fällt mir der krieg wieder ein, dauernd, ist das normal?

die zwillis sind 21 geworden, bis jetzt sind diese 21 jahre viel länger bei ihnen als bei mir. die kids haben mich beweglich gehalten, dafür musste ich gar nichts tun und habe mich daran gewöhnt, aber ich war natürlich jung. trotzdem nehme ich meine nachlassende kraft bis jetzt als persönliches manko wahr, nicht als normale alterserscheinung. neulich einem älteren elternteil gesagt, 60 sei das neue 40, aber das ist natürlich blödsinn, das altern beginnt unabänderlich mit anfang 50, vorher sind es eher nuancen, danach wird alles graduell immer nur schwieriger. also vom körper wegdenken, im kopf beweglich bleiben, mich an erfahrung und selbsterkenntnis und whatnot freuen, geht alles, aber als frau gibt es einfach eine dramatische zusatzdimension, grade als single. ich hab mich dran gewöhnt, im spiegel sehe ich mein altern noch nicht so, ich habe auch okaye gene, nur wenn ich gelegentlich bei heller sonne aus der nähe im handybildschirm gespiegelt werde: senkrechte falten an den lippen, wtf., und die vielen feinen linien, trotz hohem lichtschutzfaktor in den letzten jahren. es ist ein fortdauernder prozess, es wird nicht wieder weggehen, das stört mich gar nicht so, aber bis jetzt ist es auch noch ein akt der entfremdung, weil das selbstbild langsamer altert, oder anders, eben kumulativ und nicht destruktiv. jedes bild mit falten ist ein weiteres in der langen reihe aus eigen- und fremdwahrnehmungen, mit und ohne foto, und irgendwann sind es dann mehr alte als junge. wie schnell die zeit wirklich vergeht, sehe ich am hellgrauen haaransatz an den schläfen, der andauernd wieder da ist, dabei hab ich doch grade noch … keine ahnung, ob mein haar ohne nachfärben ganz oder nur teilweise grau wäre, auf den gefühlt intensiven verjüngungseffekt mag ich noch nicht verzichten. erwarte dann schockaltern ab 60 oder 65 oder so, aber die grenze wird sich bestimmt weiter magisch nach hinten verschieben, wenn ich, wenn wir dann noch da sind.

meine mutter, mit 87, über ihre freundin, 85: die ist viel jünger als ich.

(ich-sattes laber-rhabarbern, bitte um vergebung. im kopf durch den krieg so einen grundton von alles ist eitel, dann plappere ich eben ein wenig.)

auf repeat

ins ähm 15 jahre alte autoradio einen bluetooth-empfänger eingestöpselt, seitdem kann ich dort meine playlists hören. vorgenommen, alles mal durchzuhören, es sind laut itunes nur 20 tage, das müsste doch zu schaffen sein in einem dieser langen, dunklen winter? höre kaum noch musik, nur noch in aufgewühlter emotionaler lage, fast immer ist mir stille einfach lieber, eben mit ausnahme beim autofahren. auf den hunderunden wäre mir musik im ohr einfach zuviel input, und ich kann diese kleinen bluetooth-ohrstöpsel leider nicht benutzen, sie passen nicht, halten auch ohne jedes schaumgummi drumrum nur kurz und tun dabei weh. zu kleine ohren.

ich kann das ja auch mit meinen büchern machen, sie einfach der reihe nach nochmal lesen, oder überfliegen, um mich nicht nur an den inhalt, ich erinner mich an fast alle bücher irgendwie, wenn ich sie so vor mir habe, und falls verschütt gegangen, komm ich an die erinnerung über die umstände, also wo und von wem gekauft/geschenkt bekommen, und warum gekauft, war es mode, interesse, textliebe, das feste band der vollständigkeit, – sondern an tonfall und autor*in und textfluss und sprachgestus usw. neu zu erinnern. oder nur die bücher, zu denen ich gar keinen bezug mehr bekomme? damals beim neusortieren vor anderthalb jahren bin ich so an eine neulektüre von hermann broch gekommen, den ich jetzt deswegen erinnere.

das wird natürlich nichts werden, aber heute erfreue ich mich an dem plan.

kanal dicht

wir hören wie jeden herbst wieder mehr musik, aus dem kosmos der irdenen, soma-nahen, eigentlich ein bisschen zu zugänglichen stücke. gemerkt, dass fast alle meine playlists aus denselben songs bestehen, vielleicht insgesamt 200 oder so, die playlists getrennt nach genre (klassik, rock/folk, jazz) und stimmungen. jemand schrieb auf twitter, dass ihm an den berliner taxis die songs im radio gut gefallen, die er alle kennt, weil sie aus den 70iger/80iger jahren stammen.

vielleicht höre ich auch deswegen so gerne jazz, weil da der wiedererkennungsfaktor nicht so leicht zu haben ist. überlegt, die anderen ca. 40gb zu löschen, weil ich sie ja eh nie höre, aber ich habe noch genug platz auf meiner riesigen festplatte, weil die zeiten des speichermangels noch nicht so lang zurückliegen. jetzt werden die leute ja in abos bewegt, naja nee, gedrängt eigentlich, das eigentum bleibt beim hersteller oder vertreiber.

ich habe sogar noch ein paar platten. kassetten nur noch 5, die hinters regal gerutscht sind, videokassetten keine mehr. cds habe ich zuletzt nur aus fantum gekauft, sonst nur digitales.

wieder dran gedacht, weil auf netflix die letzte star-trek-serie gelöscht wurde. wenn ich sie nochmal sehen möchte, muss ich sie wie früher kaufen, bzw. dauerleihen. halte ich für eine frechheit, das angebot ohne vorankündigung zu meinem nachteil zu ändern, auf diese in der sekunde des aufbegehrens wieder zurückgenommene, weil vollkommen sinnlose und schon deshalb alberne weise. ich habe keine stimme in der sache, die entscheidung ist rein finanziell, nicht am kunden orientiert, der wird nicht gefragt. auch interessant, dass die gleichgültigkeit gegenüber einzelnen filmen, songs, texten beim endnutzer vorausgesetzt wird, wenn der anbieter so damit umgeht, genau wie immer vom geschmack des einzelnen auf den der masse verwiesen wird, „nr. 1 heute“, „die 10 beliebtesten filme heute“, nur dass über der masse noch das kapital steht. wobei, ich hätte mir den kram ja downloaden können, weil ich ja aus der festplatten-generation komme. gna.

man sollte einfach alles kündigen.

der rest ist musik

neulich beim lcb-fest die freude über diese art von berlin verspürt, mit büchern, menschen, zuhören und reden, sehen und gesehen werden. der herbst bleibt hoffentlich weiterhin so offen, der ganze kulturelle alltag hat wahnsinnig gefehlt im viel zu langen letzten jahr, in dem man sich so von spaziergang zu spaziergang schleppt, und am ende nicht mal mehr über kultur redet, also wir nicht, die anderen bestimmt alle, aber wir eher nicht, es gab höchstens mal ein oder zwei empfehlungen, aber alles für sachen aus dem vorletzten jahrhundert.

zur ersten lesung nach corona bin ich ende august mit einer freundin ins pfefferwerk gegangen und habe manfred maurenbrecher und jim rakete zugehört, wie sie sich döntjes aus den achtzigern erzählen und maurenbrechers neues buch „der rest ist mut“ vorstellen, „übers liedermachen in den achtzigern“. die beiden sind sich im studio bei maurenbrechers erster plattenaufnahme über den weg gelaufen, beide in den ersten jahren eines lebens mit, von und für die musik, jeder auf eigenen wegen ins große netzwerk. maurenbrecher hat nach seiner promotion gemerkt, dass er doch eher auf die bühne gehört, hat lieder geschrieben und sich eine band gesucht. ich weiß nicht, ob das früher einfacher oder schwieriger war, es liest sich so, als hätte der wunsch schon fast gereicht, und das einfach machen, dann kennt der den, und die passenden leute finden sich auf parties, bei konzerten, in studios und an den vielen orten, die berlin dafür bietet, zumindest in den achtzigern geboten hat. aber es hilft sicher, so genuin dafür begabt zu sein.

mochte es, wie bei dem ganzen wilden leben mit tourneen und tv-auftritten und wirklich sehr vielen leuten, von denen man manche sogar noch kennt, es ist ja auch erst 40 jahre her, 40 kleine glitzernde perlen in der lebenskette, wir legen sie uns einfach mehrfach um den hals, das war gefühlt gestern – also: wie im buch ganz viel ruhe bleibt, um zb über die liebe zu schreiben, ganz zurückhaltend, und wie sie ihren weg in manche lieder gefunden hat. hab gern über die entstehung einzelner lieder gelesen, herr maurenbrecher hat sie mal allein, mal mit anderen geschrieben, ein geben und nehmen, finde es faszinierend, wie selbstverständlich das bei einem klingt, der eben zuhause ist im liedermachen. und wie es von den einfällen dann weitergeht in die konzentration und sorgfalt beim zuendeschreiben.

das ganze buch liest sich sehr organisch, wie mitgeschrieben, als würde es gerade jetzt geschehen, oder grade erst gestern, jede seite neu, bei jedem konzert ist wieder alles offen, ob es gelingt, ob die leute es mögen und sich freuen, oder ob nur ein paar kommen, und wie sich über serendipity und andauerndes musikmachen und -schreiben ein richtiges lebenswerk entwickelt.

beim lesen ist die freude darüber spürbar, es ist außerdem ein sehr kluges und freundliches buch geworden, auf eine altmodische art freundlich. die achtziger wirken darin wie ein abgeschlossener kosmos, in dem die mauer noch für immer stand, bis zu dem moment, wo sie eben nicht mehr stand, dann hört das buch auch auf, obwohl ich grad so schön drin war in den geschichten übers musikmachen. gern gelesen.