ich gehöre eindeutig zur radfraktion und bin meinem rad treuer als jedem mann – meines ist ein grosses schwarzes manufaktur-herrenrad, vom vater zum 30. geschenkt („was wünscht du dir?? haha.“), naben- und kettenschaltung, 17 jahre alter brookssattel (schon mal auf einen vor sehr kurzer zeit gefetteten ledersattel gesetzt, im nichtschwarzen tangokleidchen? man merkt es nicht selber, beim tanzen. nur einmal passiert.), 3. satz ritzel, x-te kette, 2. lenker, sogar die pedalen sind nicht mehr original, warum, hab ich vergessen, ach ja, die lager waren durch. viele macken im lack, kein rost = echte liebe. ich kenne das gefühl, wenn bei schnee der hinterreifen abgeht und weiss, dass man merkwürdigerweise auch auf eis noch fahren kann, auch wenn es sich total unterzuckert anfühlt, ich fahre sommers und winters, mit hohen und flachen schuhen und barfuss, in zu engen röcken, in zu kurzen nicht mehr, ich kenne den inhaber meines wunderbaren fahrradladens persönlich und weiss, wo er vorher gearbeitet hat, nämlich in dem laden, der mir das manufakturrad verkauft hat. wenn ich von irgendwo zurückkomme, freue ich mich auf die erste fahrt fast mehr als auf wohnung, blumen und bücher, ich kann die libidinösen beziehungen mancher männer zu ihren rädern also durchaus nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht teilen kann, ich hätte ein bisschen lieber die echte sache.
(seufz. seit wieder ein hund im haus lebt, mache ich zuviel zu fuss oder mit dem auto, weil bei ausflügen wieder das ziel das ziel ist und nicht der weg, wie bei radtouren. einziger grund gegen hunde.)
dann
[das fortschreiten der zeit, der lauf der dinge, ein gewisser überrest meiner unzufriedenheit mit dem altern, der kleine futility-revoluzzerpups bei all dem sich-fügen-müssen, die paar teilbereiche des lebens, bei denen änderungen unwahrscheinlicher werden (wie die vorstellungskraft mit den jahren klobig und träge wird, ich muss sie warmlaufen lassen, antreten wie ein altes moped) die ehrlichkeit, dieses eine, strahlend schöne + superperfekt aufgemotzte uralte rennrad mit kindersitz neulich am helmi und schliesslich die grossartige bezahlbarkeit von det janze, im vergleich zu einem carman ghia oder auch nur einem alten käfercabrio, die ich nachwievor lieber hätte]
habe ich einen abend statt nach zeug, büchern oder filmen nach rädern gesucht. normalerweise gehen so jieper-artige bedürfnisse ja schnell wieder weg, wenn man nicht danach handelt, also nur guckt & träumt, wie in beziehungen, aber ich hab in zu kurzer zeit eins gefunden, nämlich in 10 minuten. in mailand, wo ich eh hinmusste – wollte, jetzt musste ich hin, denn ich hatte ein rennrad unter hundert euro gekauft, also noch kostete es darüber, aber mir würden schon argumente einfallen. eins von der sorte, das niemals außergewöhnlich war und trotzdem schon über 35 jahre auf dem buckel hat. aber die farbe! ein bianchi, was sonst. sattel hat löcher, alte sachs-schaltung, pedalen sehen aus wie selbstgemacht. muss ich schnell fahren, dann sieht keiner die ollen teile.
ich fuhr also vom see nach mailand rein, lief über die via paolo sarpi, die sehr chinatown ist, ein billigladen nach dem anderen, chinesische zeichen oben, italienische drunter, keine touris. mailand war grosstädtisch und lichtjahre von den achtzigern und von meinen erinnerungen entfernt, mein rad stand in einer kleinen vollen bar an die wand gelehnt, der verkäufer war einer der barbetreiber, jung, tätowiert, freundlich, alle seine kumpels drumrum. ich hob das rad mal vorne, mal hinten und liess es fallen, schaute auf rahmen und schaltung – kaufte ohne weiteres handeln und schob mein neues altes plattes rennrad zum auto, ein bisschen uncooler, als ich es sein sollte mit so einem rad.
mein berliner gast, freund a. war dann, in großer serendipity, ein erfahrener fachmann in der renovierung alter und sehr alter fahrräder, mit ihm habe ich in ein paar stunden das rad entrostet und geputzt, die lager neu gefettet, reifen erneuert und den rest eingestellt. keine ahnung, warum so etwas sonst wochen dauert. es glänzt jetzt wieder, ich habe, ebenfalls im italienischen ebay, einen sattel aus den siebzigern für nix gekauft, auf eine neue alte campagnolo-schaltung warte ich noch.
freund a. war verwundert darüber, wie wenig oldtimer hier herumfahren, räder aus den 30er bis 70er-jahren sieht man nur als traurige schrottesel, und nicht als die wunderbaren prestigeobjekte, die man aus ihnen herstellen kann. oder kommt die mode noch? gerade für großstädter ist es eigentlich ein gesunder und umweltgerechter zugang zum oldtimerwesen, und mit dieser uralten genialen hilfe-reihe schafft man die reparatur und renovierung ohne weiteres alleine. das polieren von alten speichen ist eine sehr stupide und sehr befriedigende tätigkeit, und man macht es ja pro rad höchstens ein paar mal im leben.
ich stell das mal online, obwohl die geschichte und das rad noch nicht fertig sind – bei der gangschaltung sitzt die feder nicht mehr richtig und rutscht immer raus, und der sattelverkäufer schickt erst montag, weil der postangestellte letzte woche krank war. die schalthebel für 5 euro sollten 40 euro versand kosten, der verkäufer meinte dazu: „Ja, aber sonst müsste ich den Preis erhöhen.“, eine betörende logik. die jagd dauert also noch eine weile.