und nicht vergessen

das bisschen verunsichernde gefühl, eine sache gleichzeitig zu wollen und nicht zu wollen, zwei äste, deren stamm ich bin, in beiden weit auseinanderliegenden alternativen das gemeinsame suchen, mich darin wiedererkennen, auch nicht weiter kommen. der weg zur entscheidung mal nur zwischen herz und kopf und mal auch noch durch alle außenbezirke.

die kleine lust darauf, immer den größeren sprung zu wagen.

northern exposure ’13

gestern ein päckchen aus den usa im briefkasten, nicht wie sonst nur der hinweis vom zoll, weil der versender die rechnung klugerweise aussen drauf geklebt hat.

alle zwei jahre oder so falle ich ein paar tage lang in meine in den neunzigern entdeckte lieblingsserie northern exposure. es gab kein internet damals, es gab ausser dieser serie keinen ort auf der welt, wo so ein leben möglich schien, ich sass abends um 10 auf dem bett und schaltete das verrauschte rtl2 an, in meiner 2 raumwohnung in der schönholzer strasse, und war in einer stimmung wie vor einem date, warm und aufgeregt und tierisch neugierig und, doch, richtig froh darüber, wenigstens als publikum an so einem lebensgefühl teilnehmen zu können.

ich hab also im herbst 2013 beim gucken mal wieder den schauspielern hinterhergegoogelt und gemerkt, dass es fast allen NEX-fans so geht, sie bleiben dabei, auch nach inzwischen über 20 jahren. auf einer seite entdeckte ich ein buch von darren burrows („ed chigliak“), das es offensichtlich noch zu bestellen gab. paypal schien sicher, ich hoffte also auf ein staubiges restexemplar aus der garage des autors oder so, war mir aber sicher, nie wieder etwas davon zu hören. stattdessen kam gestern ein buch mit 2 dvds*, direkt aus der druckerei garage, veröffentlicht im november 2013, taufrisch finanziert mit einer indiegogo-kampagne, in der dvdbox ein a4 blatt mit einer liste der drehorte, innen ein handgezeichneter stadtplan der stadt, wo die serie gedreht wurde, aussen als abgetippte googlemapslinks (oder hier), auf einem lesezeichen ein rezept für burritos von burrows frau, einer köchin, mit „2 dz“ eiern. er hat sie über diese burritos am set kennengelent, sie hat das catering besorgt – klar mag ich solche wahren geschichten. das rührende dieses ganzen fantums nimmt der schönheit der serie einiges, weil es unweigerlich die unschuld übertüncht, das sonnenuntergangsfoto, aber besser so als garnichts.

was man nicht oft genug anmosern kann: den in der TV- ausstrahlung gesendeten wunderbaren soundtrack kann man nirgendwo mehr hören. auf den dvds gibt es nur äußerst desinteressiert ausgewählte belanglose fahrstuhlmusik. burrows dazu:

„What is jarring, on the DVD, is that the music is horrible. […] they did not clear home video rights and had to put in a poor substitute. I think they simply didn’t care. If they had, having goofed once [bei den ersten staffeln] and lost the rights I think a reasonable amount of effort would have yielded a far more suitable substitute track. With whomever the fault lies, this person is not sitting at home tonight thinking: ‚We’ve really goofed on that one.‘ They’re sitting at home thinking ‚Well … whatever …'“

(grad bei frau groener gefunden: eine andere serie lebt auch weiter)

*bei den interviews mit den schauspielern: wie groß der anteil der actor-persönlichkeit an der filmfigur ist. unbelievable. nur cynthia geary ist in reallife eine so entspannte wie kluge frau und hat wenig von der naiven cheerleader-sexiness ihrer figur

 

grela/federico

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gestern auf facebook kurz mit jemandem gechattet, die dann loswollte, zum tango! tango hab ich im ernst noch auf platte, aber ich weiß nicht, wo sie stehen, hier oder woanders, hab mal einen meter LPs nach italien mitgenommen, und da stehen sie nun. die eine kassette gesucht und gefunden, die ich noch habe, einsam unter lauter dvds und cds. ohne hülle. federico und grela sind drauf, kennen sie diese vage erinnerung a einen ohrwurm und wie das hirn versucht, sich mit haut und haar in diese vergessene form zu legen, als wärs erst gestern gewesen? aber sie ist weg, denn ich bin nicht davidzwilling, dem jede melodie wieder einfällt, egal was los ist.

grela finde ich überraschend auf itunes, aber das ist ein anderes stück, lange nicht so perfekt wie das alte, ich hab ja die kassette seit 18 jahren nicht mehr gehört. stellen sie sich eine nacht im meistersaal vor, morgends um 3 oder vier, die meisten sind schon gegangen, sie sind müde und der alkohol hat sich gelegt, sodass sie besser durch die kurven kommen, es ist zu spät für alles und immer noch zu früh, um allein nachhaus zu gehen, da kommt aus einer dunklen ecke charles bronson, und geht durch den fast leeren saal zur bar, das nächste stück beginnt, es ist der grela, sie stehen auf und fragen ihn einfach, sie müssen das tun, ganz schnell, weil jeder ungetanzte takt dieser milonga nie wieder kommen wird, und sie will nur mit genau so einem mann getanzt werden, am besten auf einem staubigen boden unter alten glühbirnen, aber hier ist jetzt halt parkett, eine riesenfläche, draußen ist es still und dunkel, denn der potsdamer platz ist noch gar nicht gebaut. die milonga ist lässig und sehr aromatisch, mit feiner klasse, wie der tänzer, der sie sonst nie auffordern würde, aber es ist nacht, und niemand sieht zu, und der mann sagt „ja, warum denn nicht“, und sie werden leicht und genau, er reißt ein paar witze, er tanzt besser als sie, und er ist so gut, dass sie das nicht merken, er macht nur ein paar schnelle andeutungen, was möglich wäre, und lehnt dabei kurz seine stirn an ihre.

diese kassette wurde mir geschenkt von einem, der es sich, als er dann arzt geworden war, noch einmal anders überlegt hat und doch lieber eine tangoband gegründet hat, diese hier.

nein, das geht nicht weg, der tango, der ist eingeschrieben und simmert tief drinnen so vor sich hin, fast vergessen, aber hey, nur fast, wie die anderen schönen dinge. ich erinnere auch nicht mehr genau, ob es so war oder anders, die nächte waren ja genauso dunkel wie heute, aber sie waren viel länger.

 

KW 2

der jetlag nach den ferien immer. abends schlagen andauernd türen, die kinder streiten und diskutieren und lachen miteinander, als wären sie grade aufgewacht, 23:22, ein besuchskind ist auch dabei. wieder ne tür, gute nacht mama, sagt der grosse, wieder ne tür, zwilling eins, mama, gute nacht, und morgen gehen wir in kino!, tür wieder zu, tür wieder auf, zwilling zwei, nacht, mama, tür wieder zu, wieder auf, besuchskind muss noch mal. einer pfeift ein lied. der grosse smst noch mit jemandem, der mich nichts angeht, und kichert und gluckst dabei. mein herz ist fast entspannt und nur teilgenervt und freut sich darüber, schon so alt zu sein, steinalt, schwerer, fester stein, der hört nix mehr, da können ewig türen auf und zugehen.

krieg

muss einiges anpacken dieses jahr, auch noch anpacken, die hoffnung, dass jede lebensträgheit einen ausgang findet und leerrinnt wie eine sanduhr, weil ihre zeit jetzt abgelaufen ist.

wie jeden januar würde ich das jahr am liebsten einem buch widmen, weiss noch nicht, welchem, notfalls halt wieder montale, ich wollte auch mal jeden nobelpreisträger seit 1901 lesen und bin gleich beim schauerlichen quo vadis steckengeblieben, wg. der vielzahl von hollywoodreifen szenen, der autor berichtet von einem disput mit seneca und nero darüber, ob frauen eine seele haben, wird leider nicht weiter erläutert, sofort danach wird der held von zwei hünenhaften badedienern auf einen tisch von cypressenholz getragen, „der ganz mit schneeweissem Byssus aus Aegypten bedeckt war. Nun tauchten sie die Hände in wohlriechendes Olivenöl und begannen den schöngeformten Leib zu reiben.“ – das ist doch was. die meisten dieser autoren sind nicht mehr allzu bekannt, ihre werke vergessen, es scheint verlockend, da nochmal reinzulesen. ausserdem mag ich die über zvab beziehbaren alten ausgaben, die ersten paar jahre liegen hier schon.

muschelseide. heute nur noch in sant'antioco auf sardinien hergestellt, von einer einzigen frau.

nebenbei lese ich seitenweise in der grosse krieg, als buch überraschend vorhabensvoll für so einen alten krieg, aber ob ich 900 einzelseiten schaffen will? die ganzen schlachtstrategien, so befremdlich zu lesen, männer und krieg, die im planungseifer verborgene euphorie, endlich mit echten menschen und schiffen krieg spielen zu dürfen, im text spürbar wie woanders beim reden über sex, als spannungfeld, das nicht ans licht muss. die gewaltlust gehört vielleicht als teil des menschen einfach besser ritualisiert, wenn abschaffen schon so ungeheuer unmöglich ist, das ist gar nicht schwer, wenn man bei kindern nicht allzu viel falsch macht, ein gleichgewicht zwischen ausleben und selbstbeherrschung vermitteln, gewalt als ein trieb unter anderen, die auch nicht zum untergang führen, sondern gestaltbar bleiben. heikles thema für ahnungslose wie mich, aah, mehr zur gewalt lesen. haben mich die erinnerungen an meinen urgrossvater draufgebracht, außerdem wird er hundert, der erste wk, da schadet ein grundlagenbuch nicht.