weit, weit weg mit dem flieger. all die leute, die nie über geld reden oder nur jammern und dann viermal im jahr mit kindern verreisen. sardininen, griechenland, süditalien: das erlebnisbad und die indoor-spielplätze locken die jungs nicht mehr, ich muss mir was einfallen lassen, der große ist dieses jahr zum ersten mal neidisch, er zählt die reiseziele seiner klassenkameraden auf wie einen vorwurf. ich bleibe entspannt und erkläre, aber das kind will richtige ferien, ich gerate ein bisschen in eine schräge rolle dabei, mein stolz über die irgendwie- lebensmeisterung wird gekontert mit dem „aber die anderen verreisen alle„. ich denke pffff.

bücher

ein amerikanischer antiquar und antiquitätenhändler hat ein buch aus dem 19.jh zu einem preis online, der gefühlt mindestens 10mal höher sein müsste. ich suche seit vielen jahren immer mal wieder danach, eher ein ritual inzwischen, ich kaufe sofort und vermute einen kommafehler oder so etwas, drücken sie mir die daumen bitte. (der händler wirbt mit der zahl seiner bücher, und nicht mit ihrer qualität. immer die hoffnung, dass einzigartige seltene bücher vom clerk einfach so aus dem regal gezogen und verpackt werden, wenn sie bezahlt worden sind, aus einem regal in einer großen lagerhalle unter californischer sonne, am stadtrand, die regale durchnumeriert und nach kategorien geordnet, ich finde „bullfighting“ und „bugs“ genauso wie „stereoscopes“ und die klassischen militaria- und geschichtsthemen, die ecke mit den belletristischen raritäten hoffentlich eher am rand, nicht so umsatzstark. das absurde an eigenen wertmasstäben, wie traurig ein kleiner weltfreier teil von mir immer ist, wenn andere diese bücher auch haben wollen, wie ich mich freue, wenn andere mich belächeln wegen meiner erstausgaben.)

auf der suche

auf der suche nach ein paar dylan-zeilen für einen freund, der krebs hat und sich fürchtet, vollkommen gebannt mit der volltextsuche auf der seite gespielt. wie sich die lp dreht, wenn der song anläuft. gedacht, ich sollte ihn anrufen, statt sms zu schicken. ihn angerufen. danach doch noch die sms, weil das gespräch so hin- und herhopste, von seinem rückenmark zu den freunden über die chemio über die mütter und zum wetter und wieder zurück, kein atmen möglich, ich kann ihn nicht fragen, ob er angst hat, aber wozu auch? natürlich hat er angst. ich will ihm sagen, „es ist alles gut, soll ich kommen?“, aber ich krieg das nicht durch das telefon. so ein heiteres lächeln, kokon aus hoffnung und sicherheit, er hat sich sein kostüm gewählt, und hey, who am I. ich sollte unbedingt hinfahren. aber es ist so weit.

18:00, der moment, zu dem ich nachher wieder ausgehen will, rückt gefährlich nahe. heut früh um kurz vor fünf aus dem taxi gestiegen, nach einer notte inebriante im bauch von kreuzberg, es war plötzlich vier, ohne dass ich aus dem fluss gefallen bin, ich, wir, eine schöne nacht.

einen film von claire denis gesehen, sehr elegantes und durchkomponiertes kino, durch- nicht im sinne von zu dichter oder strapazierender komposition, sondern mit einer entspannten führung, die nichts außer acht lässt und musik, text und figur sprechen lässt, nicht immer gleichzeitig, so wie manche erinnerungen sich zusamensetzen aus melodien, gerüchen und einzelnen blicken, nichts davon selbsterklärend, jedes eine notwendige dimension. wie in einem traum, alles mit einer selbstverständlichen logik, und als zuschauerin suche ich nach dem rahmen und den gesetzen, in denen diese logik bestand haben könnte, man sammelt informationen die ganze zeit, und tut das mit gleichbleibender aufmerksamkeit, weil man die situation nur als verallgemeinerung (bürgerkrieg in afrika) kennt und nicht als konkrete biegung hinter einer kurve, als mimik, als antwort auf die frage: „wohin gehören sie?“. boh. bin noch nicht ganz wach. aber sie vertraut ihren entscheidungen, es ist ein merkwürdig leiser film, als hätte sie ihn alleine gemacht, in einem gestus des vor-sich-hinerzählens, auch die sehr indiskrimierte gewalt im film, was meine ich? – gleichgültige gewalt, (kindersoldaten werden erstochen, eine biblische szene eigentlich) wurde durch einen blick vermittelt, so wie man beim reden abgleiten kann in nebensätze, die kein verb und kein subjekt mehr brauchen. well, toller film.

sechs uhr vierzig! wie kann ich mich schnell auffitten?

wie der panik- und nervfaktor jährlich wiederkehrender themen wie läuse, hausaufgaben oder schwimmunterricht direkt abhängig ist von der netzaffinität des elternkreises, jedes jahr pro klasse im schnitt 38 elternpaare, davon immer die hälfte neu am jahresanfang. die engagierten, die hysterischen, die entspannten, die politischen, die stummen, die mit einer „schnuppelpieps“- mailanschrift, die ausführlichen, die mit der mailanschrift des mannes, nie ein mann mit anschrift der frau!, die paar, die es schaffen, in einem offenen gruppenmailwechsel eine führungsrolle zu übernehmen.

body & soul: blutzucker springt um 100 nach oben, während ich der zahnärztin beim zähneziehen und brücken bauen bei den zwillingen zusehe – das cgm– system, dass ich gelegentlich benutze, sagt einem genau, wie die stimmung ist. (adrenalin erhöht als insulinantagonist den blutzuckerspiegel)

brennstoff

whiskywahl dieses jahr relativ schnell, mal gucken, wann er ankommt*. den jungen achtjährigen caol ila wiedergekauft, der war am schnellsten alle, er ist frisch und ein bisschen limonig und grün, auf eine abgerundete weise unprätentiös, am ehesten mal ohne inner trara zu trinken. dann einen edradour, weil ich in einer kindergeschichte einen alten schottischen namen verwenden wollte (don’t ask), und bei wikipedia unter eadred den hinweis auf eine distillerie gefunden habe, und ein name mit eigener brennerei natürlich nicht zu toppen ist – wenn der brand trinkbar ist. und wegen der schottischen fahne auf der flasche. dazu einen 25 jahre alten highland park, im hyatt probiert, sehr gemocht. bei den alten etwas teureren immer die anlageoption als ausrede, aber ich muss sie dann natürlich doch trinken über den winter.

apropos anlage: der 21jährige lagavulin für damals ca. 220 €, den ich letztes jahr ganz knapp nicht mehr gekriegt habe, der kostet heute über 500. bei mir hätte er das jahr aber eh nicht überlebt.

*kam superschnell über nacht! jetzt schreckt der winter nicht mehr.

ich hatte den filmtitel vergessen, als ich mit dem freund ins kino gegangen bin, ich wusste nur noch depardieu. dann diese kamera, die augen des toten schweins am anfang, ich hab ein bisschen einen überambitionierten film gefürchtet, aber es war eigentlich egal heute, bei dem dauerregen, den geschichten vom freund und der angenehmen leichten trunkenheit und ich frei, mit den jungs allein zuhause. und dann zieht depardieu die plane von seinem moped, und es ist eine münch! eine echte alte mammut münch, ein mythisches motorrad aus den sechzigern, und als er es anwirft, hört man den sound so kristallklar und vibrierend, als hätte man sie unter dem hintern. da ist mir dann auch der flmtitel wieder eingefallen. ich habe einen anderthalbstündigen film mit und über diese beiden mammuts sehr gerne gesehen, über einen mann, der seit 40 jahren im jetzt lebt, seitdem die zeit durch einen tragischen unfall für ihn stehen geblieben ist, ohne das ihn jemals etwas richtig einholt, und der auf der suche nach alten arbeitgebern lauter andere unveränderte trifft und wieder verlässt, bis er nach hause findet. der film ist sehr einfach und schön, straight und mit sehr komischen momenten, sich ergebende altersweisheit, der melancholiker, (allerdings bringt eine nebenfigur den film aus dem gleichgewicht, weil sie etwas aufdringlich behindertes an sich hatte, eine überbunte skurillität, die den blick bindet und einem die neugierde nimmt auf die hauptfigur, sie ist glaube ich in toto überflüssig für den film, sehr merkwürdig, als hätten sie der leichtigkeit von depardieu, leicht mit diesem bauch! nicht getraut) – aber ich muss eh gestehen, mir hätte das moped schon genügt, um den film sehr zu mögen.

wobei ich schon mal mit einem nsu prinz herumgefahren bin, der gehörte einem freund in italien, und die münchs hatten ihren motor aus diesen autos, alle vier zylinder nebeneinander, ein wagen mit diesem eckigen und unrunden 70ziger-charme.

danach wiener würstchen im schusterjungen, von dieser hinreissenden kellnerin bedient, die gleichzeitig erfahren und schön, offen und verträumt aussehen kann.

versuch, sich noch bei tageslicht zu betrinken, dabei vergessen, dass man abends ja noch verabredet ist, diffuse sehnsucht nach einem rausch. bisschen verweigerng von allem, verantwortung und pflege der inneren ordnung. der allgemeine mangel an begegnungen, gern mal wieder mit einem mann, der mich beeindrucken kann und will, durch taten und sätze und durch sein leben. je älter ich werde, desto lieber sind mir männer mit einem weg.

wie ich einer freundin im sommer das vom marbacher literaturarchiv erzählt habe, dass die mein weblog speichern, und sie als antwort erzählte, von ihr seien auch mal zwei emails aus einem belanglosen briefwechsel in einem archiv gelandet, mails mit einem autor, über den sie geforscht habe.

der höher werdende ablehnungsstapel bei bewerbungen, wie man den eigenen anspruch dann einfach abkapselt, wie einen kleinen abszess, wie der pragmatismus dröhnend und alles plattmachend einfach den kern vom ich nicht mehr berührt. ich kann morgends vollkommen frei und glücklich lesen, grade ein unveröffentlichtes buch einer freundin von mir, in einem dicken weißen aktenordner, saubere seiten, die niemand gelesen hat und die 80 jahre ihres lebens umfassen, frei und klug und vollkommen zeitlos schreibt sie über die männer ihres lebens, jeder satz direkt und gefüllt mit der welt und ihren feinen wahrnehmungen, keine ausrede, kein zweifel, kein gerede.

es ist nicht einfach, sich im mittelmass unwohl zu fühlen, so auf die dauer, von einem kompromiss zum nächsten schwankend, niemals herrin der materie, es wäre so leicht, einfach alles laufen zu lassen.

wie ich seit zwei wochen jeden morgen erholt wie nach einem kurzurlaub aufwache, viel geträumt habe, der kopf wach und gutgelaunt, da fällt mir das einzig neue in diesen beiden wochen ein: ein neues schnurloses siemens mit so einem eco-dect– system, die ladestation steht 2 meter neben meinem bett. das alte gigaset stand da auch und hat dauernd gesendet. kann das sein? ich dachte immer, das wäre alles eso.

außerdem hat dieses gigaset die möglichkeit, alle kontakte direkt aus dem mac zu laden, das ist auch ziemlich cool.

heut morgen am frühstückstisch, 2 von 3 kindern schniefen und husten, erzähle ich ihnen vom prinzip abhärtung und kalte dusche. und ehe ich einen zweiten satz anfangen kann, ist gregorzwilling aufgesprungen, reisst sich die kleider vom leib und steht innert 20 sekunden kreischend unter eiskaltem wasser, hüpft wieder raus, lässt sich abrubbeln und sagt: „aber nachher wird einem ganz warm!“, zieht sich wieder an und ist aus dem haus, insgesamt vielleicht 4 minuten dauert das. er wird einfach schneller werden als sein immunsystem.

in der schlange vor mir ein schmaler mittelalter punk mit großer neuer gucci-reisetasche. auf den vielen treppen im flughafen schönefeld rutscht ihm die hose jedesmal sauber in den knick und gibt eine komplette blaue unterhose mit weißer ziernaht frei. bin gerührt.

gelernt, im kleid und mit hohen absätzen auf eine vespa zu steigen und vor publikum wieder runter. mein schwager fährt mich zur trauung der freundin und gibt mir eine kleine extratour durch die römische altstadt, er fährt 60, seh ich, es fühlt sich schneller an, weil ich aus der übung bin, denke ich, aber es sind natürlich miles pro hour, und mein schwager hält eigentlich nie an, wenn er vespa fährt, gleichzeitig zeigt er mir alles wesentliche, und im nachhinein bin ich mir sicher, er hat dazu die hände benutzt.
bei all dieser speziellen zeitlosen schönheit wie immer reflexartig aus- und zurückwandern wollen, meinen vater vermisst, der die stadt kannte wie seine westentasche, und seine liebe nur in der faktendichte seines wissens gezeigt hat, es hörte nie auf, sondern ging immer von der oberfläche (häuser, papstsymbole) weiter und weiter durch die jahrhunderte zurück bis zur römischen frühgeschichte, ein langer fluss, der mich immer nach zwei sätzen langweilte, weil ich ein kind war damals. wir haben nichts behalten davon, ich kenne die namen der gebäude und weiß ein paar zeitmarken (die trajanischen kriege!), für meinen vater war die ganze stadt eine solide steinernde oberfläche für seine bildung, sie brauchte keine gegenwart, das war alles lang bevor man bemerkt, dass die eltern eine existenz wie jeder andere haben, mit vorgeschichte und anderen prioritäten.

im petersdom sitzt eine familie, vater mit zwei kindern, er liest aus einem touringführer vor, die frau neigt ihren kopf zu ihm, sieht aber den anderen touristen hinterher, die kinder gucken verträumt auf den marmorboden.

im campidoglio wird die braut vom vater durch den saal und durch die gäste nach vorne zum beamten geführt, wie in der kirche, der beamte trägt eine breite schärpe mit den nationalfarben über der brust.

ich knipse vorher die säule des trajans für die jungs, denen ich vor jahren mal piranesi-zeichnungen der reliefs in der gemäldegalerie gezeigt habe und hoffe, dass sie das bild wiedererkennen, ein sentimentaler versuch.

nachts bei der party am meer die füsse ins wasser gesteckt, sehr schräges huch!-gefühl dabei, weil der unterschied so groß ist zu meinem alltag, aber auch so eine kleine nichtidentität, weil ich das bewusst speichere. andrerseits beeindruckt mich jedes meer. also: warme brandung, danach sand in den schuhen, wir feiern an der luft in einem strandlokal, es weht ein kräftiger scirocco und die band hat eine zampogna dabei, eine tote ziege, die man blasen kann wie einen dudelsack.