letzte woche war ich auf einer finissage, vor allem weil sie zwischen 11 und 16 uhr stattfand,
[hier ein kurzer zwischenruf an galeristen: ihr könntet die riesige horde an kunst- und kaufwilligen müttern mit einer kleinen zeitplanänderung in eure vernissagen locken: beginnt nachmittags. wir trinken auch dann schon einen kleinen wein, aber lange nicht so viel wie abends, wir sind meistens ausgehungert nach anspruchsvollem smalltalk und werden uns selbstverständlich um angemessene kleidung bemühen. in den meisten fällen treffen die frauen die kunstentscheidungen in wohnungen, jetzt mal abgesehen von den hardcore-sammlern.]
und habe mich dort im vorgestellten buch festgelesen. nicolaus schmidt hat die profilbilder seiner facebookfreunde durchgesehen und einige davon als buntes und überraschendes kaleidoskop veröffentlicht, es sind bilder der unterschiedlichsten personen. er hat einige dieser freunde auch über deren fb-nutzung ausgefragt, in den texten werden die möglichen umgangsarten mit dem medienkraken nochmal gespiegelt, es geht von „weil alle es machen“ bis zu „facebook ist mein leben“.
ich hab in der auswahl von nicolaus einen hauptunterschied zwischen älteren und jüngeren nutzern gesehen: das leben der jüngeren findet direkt auf facebook statt, es passiert dort, jetzt grade, es wird nicht mehr erzählt wie von uns, den eher traditionelleren vernetzten. wir leben außerhalb von facebook, dort landen zeugnisse von veranstaltungen, reisen, filmen oder büchern/texten, an denen wir teilgenommen haben, ganz klar mit einem chronologischen aspekt, postkarten von der reise durchs soziale leben, höchstens noch marketinghilfe für events jeder art, mit diesen einladungen und dem ewigen kommst du? kommst du?– gefrage wie bei kindergeburtstagen.
die anderen, die fb-natives sind auch mit leichter hand ausgewählt, die bilder total anders, es sind behauptungen, kostümierungen, fließende bunte einzelteile, die wenig von der welt zeigen, sie sind alle teil eines selbstentwurfs, denn man muss/darf, whatever, sich ja inzwischen selber entwerfen, designen. ob es diese person im realen leben wirklich gibt, ist nicht mehr interessant, die einzelteile tragen alles wesentliche in sich, es ist ein lautes ich bin. die inszenierung ist nicht mehr nur maske, sie scheint weit unter die haut gerutscht und soll mit dem kern identisch werden, mit dem armen kleinen ego, das bei uns allen irgendwo unter der schale sitzt. wie christoph meckel es einmal beschrieben hat: „Ich seh dich /schön verwandelt in den Traum von dir –/ aber du, in der Zeit, verletzlich, verführbar/ zitternd vor Verlangen, angstvoll, sprachlos“.
die erste zeile des zitierten gedichts, aus „Souterrain“ passt genauso, sie lautet: Immer mehr Verlangen nach facilité, da kann man ja nur jaja brüllen, laut. im ernst, ich liebe facilité sehr, als geisteshaltung, sie ist ein ideal von mir.
zurück zum buch: wenn ich mir diese ausgewählten fotos der natives anschaue, dann brauche ich keine fragen mehr stellen, es ist alles gesagt, die wirklichen personen dahinter sind nicht relevant, es sind alles wysiwyg-figuren. sie haben eine ganz eigene konsistenz, bisschen dorian gray, bisschen kunstwerk, oder ist das jetzt zu psycho? well, maybe. ich finde den gedanken total faszinierend, ich bin einfach noch nicht drauf gekommen: was, wenn es tatsächlich genügt, sich ein anderes leben einfach zu entwerfen? wenn man es gar nicht wirklich leben muss? das ist doch schon verlockend.
facebook : friends zeigt jedenfalls viel mehr, als ich dachte, als ich zuerst davon gelesen habe – natürlich in einer facebook-einladung.