kw 7/8

im dhm mit freundinnen andere möglichkeiten erkundet, mit rad hin, leider keine zeit für den kaffee davor gehabt. roads not taken heißt die ausstellung, sie findet die angelpunkte der deutschen geschichte, an denen ein historisches ereignis ganz anders hätte laufen können, von heute aus nach hinten ausgerollt, also rückwärts durch die geschichte. vom mauerfall 1989 bis zur revolution von 1848, über den zweiten weltkrieg, hitlers machtergreifung, den ersten weltkrieg. im 2. wk gibt es die berühmte brücke in remagen, die von den nazis gesprengt werden sollte, was nicht gelang, so dass die amerikanischen truppen tagelang ungestört den rhein überqueren konnten. wäre die brücke wie geplant zerstört worden, wäre das vorrücken und die versorgung der alliierten soldaten nicht mehr möglich gewesen, dann hätten die amerikaner eventuell eine atombombe auf ludwigshafen werfen können, um den krieg zu beenden. im pei-bau. (sehr voll, ich ohne maske da vergessen, nicht ganz frei gefühlt.) diese kleinen momente machen weltgeschichte, das ist angesichts der jetzigen lage beunruhigend, ich hoffe, dass wir in 10 jahren entspannt auf die vielen unwägbarkeiten der jetztzeit zurückblicken können, weil es gut gegangen ist, wie es seit jahren immer irgendwie gutgegangen ist. die macher schreiben, sie hätten nur mögliche, und von den damals beteiligten schon erdachte oder befürchtete andere ergebnisse dargestellt, es ist also kein wildes storyboard, sondern es sind einzelne texttafeln mit erklärungen, das kommt leider ein bisschen zu karg und abstrakt rüber, nur die mögliche atombombe ist sehr nachvollziehbar bebildert. die stattgefundene geschichte wird in einfacher sprache und klaren, kurzen abfolgen erzählt, mit großen bildern nahegebracht, die mögliche geschichte bleibt ein bisschen trocken und theoretisch, da hat der titel der ausstellung zu viel versprochen. wie die freundin sagte: eigentlich eine ausstellung für historiker*innen. sehr faszinierend war die konzentration auf diese momente, mal offen, wo viele menschen an einer entscheidung beteiligt sind, es prozesse, wahlen, demonstrationen, parlamente gibt, es also einen raum für den richtungswechsel gibt, mal wie bei den diktatoren als geschlossenen raum, da braucht es den blanken zufall, wie eine nicht gesprengte brücke und eine unter einen tisch geschobene aktentasche (20. juli).

der rundgang ist recht leseintensiv, da ist dann jeder für sich im eigenen tempo durchgelaufen, in manchen museen kann man sich gut über die kunst unterhalten, wenn man mit freunden durchläuft, in anderen ist man sich selbst überlassen, ob diese wirkung teil der überlegung beim gestalten sind? es war aber auch einfach zu voll und zu eng, um eine weile herumstehen und nachdenken zu können. nachher haben wir uns noch auf einer bank am ausgang unterhalten, wurden aber rausgeworfen, da 18 uhr.

zur wahrnehmung von geschichte via mikrobi einen text gefunden, über den gefühlten frieden in der ddr.

plane ein wochenende in leipzig, solang der g.-zwilling da praktikum hat, er will mir die stadt zeigen, bin sehr gespannt auf seine auswahl. ich war noch nie in leipzig, unfassbar. werde dafür mein date verschieben müssen, aber kinder gehen natürlich vor. vielleicht sage ich es auch ganz ab, verspüre gewissen unwillen. vielleicht lieber auf den frühling warten?

überlege auch, die haaransatz nicht mehr nachzufärben. bei mir wird es an den schläfen grau, weiß bisher noch nicht, vermutlich, ich lasse es ja nicht so weit kommen. bisher entgraue ich eher fürs wahrgenommene alter im spiegel, und aus alter italienischer frauendisziplin. meine mutter ist immer noch blond, mit 88.

gestern besuch von einer alten freundin bekommen, die nach wien gezogen ist. wir haben geplaudert und gekocht, wein getrunken, sehr nett, das hat noch mehr spass gemacht als bloggen, eigentlich wollte ich noch ein bisschen über die ausstellung nachdenken, die ist nun auch schon wieder zwei tage her (es ist jetzt dienstag kurz vor 6 uhr), trotzdem habe ich sie noch im kopf, das ist schon ein erfolg des konzepts mit der konzeptkunst.

heute werde ich fasching feiern in einem kostüm, das vermutlich keiner der anwesenden erkennen wird, ich habe sogar extra neue batteriechen in meinen communicator gebaut. um einem sichtbaren verkleidungsgrad näherzukommen, werde ich dazu eine leuchtend blaue perücke tragen. es wird eine gaudi.

kunst, 3d, fluchten

in einer ausstellung in mailand (was rede ich da, ich war dieses jahr überhaupt nur auf 2 ausstellungen) das erste mal so eine vr-brille getragen, in einem durch eine stellwand abgegrenzten, vielleicht 2m im durchmesser großen bereich. gezeigt wurde die geschichte des gebäudes, der biennale. es war aufregend intensiv, durch bewegen so eines kleinen irgendwasses, vielleicht einer art 3d-maus, konnte man wölkchen jagen. tolles gefühl, aber eingeschränkt durch mein wissen, dass nichts davon real ist. ein paar wochen später in einem film im planetarium gesessen, wo der sich bewegende himmel viel größer ist, weil wir uns unter einer 35m-kuppel befunden haben, das erlebnis war unmittelbarer und wirklicher, obwohl die filmkulissen nicht so realistisch aussahen (gebäude, objekte, sowas), als ob der optisch wahrgenommene raum einen größeren effekt hat als die bewegung des körpers im raum, den ja diese brillen imitieren. vielleicht können die kids, wenn sie spielen, das bewusstsein besser ausschalten?

(nehme mir immer mal wieder vor, zu spielen, aber verliere bei versuchen immer nach ein paar minuten den fokus, weil mir die ganze gewalt so auf den keks geht. gewalt interessiert mich nicht, es sei denn, sie richtet sich gegen mich oder meine lieben.)

mit freundinnen gesprochen, eine war auf der fridays-for-future-demo, die in berlin wohl wiederaufgenommen werden sollen. die marxistisch-leninistische gruppe war da mit ihrem ewigen megaphon, viele andere kleine gruppierungen, die auf jeder demo in berlin mitlaufen. im gespräch gemerkt, dass ich die hoffnung auf ein stoppen des klimawandels aufgegeben habe. es kümmert keinen, politiker und wirtschaftsbosse gehen keine risiken ein, jeder ist sich selbst der nächste. niemand übernimmt verantwortung. gedacht, alles stehen und liegen zu lassen und in neuseeland fuss zu fassen, damit meine kinder dahin können, wenn es soweit ist, ca. ende des jahrhunderts, also eher meine kindeskinder. es wird auch dort verteilungskriege geben, wer weiß, wie lang man da überhaupt noch hinziehen kann, es ist ja jetzt schon schwieriger und teurer. skandinavien wäre nicht so weit weg, aber da ist es kalt und dunkel. früher ist nicht jedes gespräch über den klimawandel in so einer ecke gelandet, ob es am altwerden liegt? nichtmal die lächerliche 120km/h-regel schafft das land. meiner mutter neulich zu meiner großen überraschung einen sehr dramatischen kurzvortrag des inhalts geladen, sie sollten die bilder ruhig verbrennen, wenn das was hülfe, was es nicht tun wird, nichts hilft, weder demos noch wissenschaft noch internationale abkommen, und gewalt natürlich schon gar nicht. das ist genauso unfassbar wie der diktator, der mit atombomben droht. was ist mit den leuten?

(vergessen, das zu posten, es ist von anfang september, aber es ist nicht zeitsensitiv. ich wollte das mit neuseeland noch rausnehmen, weil zu albern. who cares? die zeiten sind verrückt.)

12. juni 2022

ich würde so als wirklich rundum funktionierenden eskapismus gerne eine serie gucken, in der die usa vom waffenwahn geheilt werden. die nra wird dort entmachtet, die leute geben ihre waffen ab, es werden keine kinder mehr erschossen. gerne als politshow, gerne west wing- oder borgen-qualität. als prequel oder prolog die umstrukturierung der wahlfinanzierung nach europäischem modell, mit einem neben- oder hauptplot, in dem es um den umgang mit den sozialen medien geht, mit der radikalen rechten. die schulbildung wird besser, der frauenverachtende religiöse wahn wird wieder marginalisiert, bah, es müssten an sovielen stellen veränderungen stattfinden, das gibt 20 staffeln mindestens. da wäre eine zeitreise zur unabhängigkeitserklärung einfacher. eine version der usa, in der james madison seiner regierung vertraut und den bürgern kein recht auf waffen in die verfassung schreibt.

durch die stadt geradelt, nach moabit, zu den uferhallen. wie es im wedding keine radwege gibt, sofort flashbacks an die berliner sommer der achtziger, als ich durch leere strassen in kreuzberg geradelt bin, die bunte vielfalt und das helle licht aufgesogen habe, mal hierhin, mal dorthin, mal ein kaffee irgendwo. wie sich diese touren ewig angefühlt haben, zeitlos. die strassen waren natürlich sehr voll diesmal, also wie früher hindurchschlängeln, als gäbs kein morgen. der verkehr war so laut, ich hab mein sirrendes vorderrad nicht mehr gehört, irgendwas schleift da. ich weiß im ernst nicht mehr, wie man eine fahrradkette auswechselt, dabei ist auch das dringend nötig.

offene ateliers in den uferhallen. viele viele künstler*innen arbeiten dort, unter anderem auch mein freund hansjörg schneider, von dem ich eine schöne arbeit im wohnzimmer hängen habe, eine große qualle. er macht jetzt ganz wunderbare papierskulpturen, die eigentlich weggehen sollten wie warme semmeln, aber die leute kaufen in kriegszeiten vielleicht nur die wirklich berühmten künstler*innen. ein großes bild von peter böhnisch hat mich, hat uns beeindruckt. es geht über die ganze länge des ateliers. er weiß noch nicht, ob es fertig ist, sagt der künstler, ich mag gerade das lebendige, vibrierende daran, die offenen grenzen, das unfertige als teil des konzepts. und das blau natürlich.

peter böhnisch

ich mochte auch die arbeiten von rainer neumeier, denen man ihre tiefe erst auf den zweiten blick ansieht. mesmerizing, und schön altmodisch mit farben, klingen, sieben und anderen materialien erst aufgebaut und dann wieder ins zweidimensionale zurückgebracht, wie kleine welten. oder hat so ein analoger weg einen schwierigen stand im zeitalter digitaler bildbearbeitung? ich mag ja den handwerklichen aspekt bei bildern.

noch ein paar andere funktionierende arbeiten, aber auch viel wilde persönlichkeitskunst gesehen, da müsste man den/die künstler*in dann gleich mit ins haus holen.

die uferhallen sind bedroht durch ein bebauungsprojekt, sie wollen ein elf stockwerke hohes haus reinstellen, mit platz für 800 menschen, die künstler sollen in der mitte des grundstücks in so einer alten fabrikhalle ateliers bekommen, wie bienen im stock, das weitläufige, freie und wilde des orts wird verloren gehen. man kann noch protestieren dagegen, hier ist der link. denkt an ford prefect! irgendwann ist alles schöne weg.

13. märz 22

der kurzurlaub vom letzten wochenende wirkt noch nach. der große hat mir sein trier gezeigt, wir sind durch die stadt geradelt und gelaufen, er hat dabei überall leute getroffen, seine freunde wollten mich kennenlernen, was mich gerührt hat, wir haben einen abend in seiner wg gekocht und zusammen gegessen. wir sind auf eine vernissage mitgenommen worden, die junge künstlerin sarah kammer hat malerei gezeigt, sie ist richtig gut, die bilder zeigen menschen in einem moment der erkenntnis, des übergangs zwischen bewußtseinszuständen, als vorlage dienten zb fotos von menschen, die nach kriegsende zum ersten mal mit den taten der nazis konfrontiert wurden, aber auch bilder von kz-überlebenden unmittelbar nach der befreiung. daneben bilder, in denen sie die instagrammer auf die schippe nimmt, die in ihrer schön hergerichteten spießigen umgebung ignorieren, wie die welt um sie herum aussieht, obwohl sie, wie auf einem bild, schon eine gasmaske tragen müssen. die arbeiten kosten noch nicht viel, wenn ich könnte, würde ich da zugreifen. die freunde vom großen greifen bei den getränken und snacks zu, wie es sich gehört, und reden dabei mit der künstlerin über ihre bilder. sie sind alle anfang zwanzig.

endlich mal wieder einen twittermenschen kennengelernt, sehr schön bei waffeln und kaffee an der porta nigra, bei bestem eisigen sonnenwetter. sie hat mir auf einem langen spaziergang ihr trier gezeigt, es fühlte sich sofort vertraut an. zwei ganz persönliche führungen, mit frau kellerkind bin ich durch die kaiserthermen gelaufen, es ist ja alles in spaziergangnähe in solchen städten, so ein schatzkammerfeeling, weil alles schöne nah beieinander ist.

corona im haus, der g.-zwilling hat einen positiven pcr-test, er ist geboostert, heute ist der dritte tag mit leichten symptomen, ich hoffe, dabei bleibt es. ich stelle ihm essen vor die tür, er trägt maske, wenn er das zimmer verlässt, fieberthermometer und pulsoxy habe ich ihm auch vor die tür gelegt. ich desinfiziere klinken und das bad und bin eher gespannt darauf als verängstigt darüber, ob ich mich infiziere, leichte erkältungssymptome habe ich seit wochen, bei konstant negativen schnelltests. trage zuhause keine maske, das sollte ich vielleicht. ärger über die regierung, die die clubs wieder eröffnet hat, da hat er sich wohl angesteckt. meine warnapp ist rot wie seit anfang januar, zeigt den sohn aber noch nicht als risikobegegnung. ich werde arbeiten gehen müssen, weil geboosterte kontaktpersonen nicht als riskant gelten, ein ziemlicher schwachsinn, ist doch auch der g. geboostert. ich habe gestern sicherheitshalber einen großeinkauf gemacht, weiß aber noch nicht genau, was ich mit emma machen soll, falls ich auch krank werde. darf man als positive kurz mit dem hund? ich frag lieber mal rum.

dieses jahr dauert der winter besonders lange, meine kälteempfindlichkeit scheint mir übertrieben. vielleicht spürt die haut durchs älterwerden den kältebiss deutlicher, ich heize auch viel weniger als sonst, es ist eigentlich immer mehrere ticks zu kalt. ich ziehe mich jedenfalls die ganze zeit an wie ein eisfischer und kann den formlosen kram und die dicken botten an den füßen schon nicht mehr sehen.

bei all dieser normalität immer das bewusstsein vom krieg im kopf, die bilder und geschichten kommen andauernd dazu, anders als die anderen kriege auf der welt ist dieser nicht verdrängbar, weil er angst macht. ich habe von langen aufenthalten in der kaisertherme geträumt, die geschichten von menschen in luftschutzkellern lassen mich nicht los.

das wort „menschen“ kommt in diesem text besonders oft vor, scheint mir, ich sollte jedesmal ein ausrufezeichen dahinter setzen.

28. mai 2021

gestern hat der freund vom großen das bett vorbeigebracht und mir sogar beim hochtragen geholfen. es ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe, aus nussholz, und es hat noch zwei lattenroste dabei, die zusammen schon deutlich mehr gekostet haben, als ich für das bett bezahlt habe. nach >10 jahren auf einem schlafsofa werde ich aufrüsten auf ein richtiges bett, bin sehr gespannt, ob es sich anders anfühlt, ich bin eher devise hauptsache horizontal. es ist ein italienisches bett, ohne schrauben, mit nur vier steckverbindungen, sieht nach gutem möbelhandwerk aus. da hatte ich glück. <3 ebay.

das zimmer wird nächste woche endlich tapeziert, zur zeit schlafe ich noch im would be arbeitszimmer, das allerdings im sommer eine schöne aussicht auf lauter grüne bäume hat, im schlafzimmer ist nur der innenhof vorm fenster. ich werde dann vermutlich wieder mehr vom schreibtisch aus arbeiten.

für den spätnachmittag hat eine freundin slots bei neo rauch bekommen, im gutshaus steglitz, sehr kräftige bilder und einen bronzenen kentaur im glaskasten, auf 3 räume verteilt. ich sehe zum ersten mal bilder von ihm in einer ausstellung, das gefühl ist: vorher noch nie gesehen, so intensiv wirken farben und figuren, großformatige malerei, bedeutungsstark, mit vielen ebenen, die alle nicht nur angedeutet sind. erste ausstellung seit november, sehr intensives erlebnis. danach noch ein bierchen mit den freunden, mein zweites mal in einem lokal seit 14 monaten, für die freunde das erste. beides wirkte euphorisierend. dann im auto durch die ganze stadt zurück und die stadt dabei gefeiert, steglitz! schöneberg! tiergarten, mitte, und mein gott, der alex, mit seinen quadratisch-praktischen hochhäusern.

für die ausstellung vielleicht den letzten test gemacht, am mittwoch ist die zweite impfung zwei wochen her. die impfpässe sind ca. einen mm größer als reisepässe und passen nicht in die für pässe gefertigten taschen, hoffe, ich finde noch was, das ding wird meine handtasche so nicht lange überleben. die mitarbeiterin hat sehr gründlich getestet, vielleicht nach den berichten über unzuverlässige arbeit in den diversen privaten teststellen in der stadt? – nach dem artikel per google gesucht, nichts gefunden, heißt das, es gab keine berichte, oder sie waren nicht wahr? hmm. erinnert mich an meinen versuch, berichte über mäuse in hotels zu finden, das ging mit google auch nicht gut.

abends noch den d.-zwilling verabschiedet, der wieder nach halle zurückgefahren ist. er trägt die haare nach kurzer weißblonder phase jetzt wieder dunkel und hat einen vollbart, mein kleiner 6-pfünder von 2001. abschiedsschmerz gefühlt, das leere nest wird zu etwas, das ich gestalten muss, aktiv angehen.

welle

nach einem tweet einen neuen bildschirmhintergrund geladen, unhinged romantik, ein werk von ivan konstaninovich aivazovsky, einem armenischen maler des 19. jahrhunderts.

ich habe unhinged verwendet, weil ich dachte, es hieße hemmungslos, hätte aber noch ein paar elemente aus dem maschinenbau, der mir gerade aufgrund des g-zwillings nahesteht.

aivazovsky ist berühmt geworden, weil er wellen als eine verbindung von wasser, bewegung und licht malen konnte, dramatische stürme mit schwankenden schiffen, wobei die meisten bilder eine gewisse vorliebe für sonnenuntergänge zeigen. meine lieblingsfarbe, dieses helle blaugrün auf dem verlinkten bild, findet sich in vielen seiner x-tausend werke, zu meinem glück in denen ohne sonnenuntergang, weil dieses durchlässige blau tageslicht braucht. wenn ich aivazovsky minus sonnenuntergang googeln könnte, hätte ich zugriff auf viele kleine farbräusche.

außerhalb von museen und theatern mag ich kunst, die diesen unmittelbaren zugang gestattet. wenn ich vor einem bild stehe, jetzt egal ob in der gemäldegalerie oder in galerien wie eigen+art etc., bin ich neugieriger auf kunstgeschichtlichen oder -theoretischen hintergrund, habe spass am anspruch und verspüre den ehrgeiz, dahinterzukommen, mitzuspielen, mich einzulassen. zu verstehen. zuhause vorm rechner fehlt mir dafür der anreiz.

vielleicht liegt das aber auch am alter, die nächste generation zeigt überhaupt keine reaktion auf das meerwasserbild. wie verändert sich der geschmack über einen lebenszeitraum? hatte immer schon einen neigung für die schönheit der elemente und ihrer darreichungsform, vertiefe mich mühelos in seitenlange naturbeschreibungen und mag sie in text und bild.

diese art malerei ist sicher deshalb so erfolgreich gewesen, weil sie ein künstlerisch recht hohes niveau hatte, für kitsch, man konnte sie sich ins wohnzimmer hängen.

die bilder in meiner wohnung haben alle etwas, dass ich wiedererkannt habe auf irgendeiner ebene, einige waren crushes auf den ersten blick, andere sind geeerbt, die erinnern mich auch, und wenn die erinnerung nicht gut ist, dann trösten die bilder darüber hinweg.

the parameters of our cage

da ist ein junger mann in einem gefängnis in den usa. er sucht nach einem weg, seine zeit zu verbringen und beginnt, sich für kunst zu interessieren, beginnt zu malen und zu schreiben, leitet die kurse später selber. er schreibt im januar 2020 einem fotografen einen brief, in dem er um kontakt und gespräch bittet. der fotograf antwortet, in den folgenden monaten entsteht ein langer briefwechsel über die fotografie und das leben.

der fotograf ist alec soth, er hat er ein buch aus dem gespräch gemacht, mack hat es für wenig geld veröffentlicht, der gesamte erlös geht an die schreibgruppe im gefängnis, bei der der mann mit der kunst angefangen hat. das buch ist großartig geworden, und ich hab es nur durch zufall beim herumlungern im netz gefunden, weil ich die newsletter der verlage immer nicht lese.

der gefangene, chris fausto cabrera, erzählt im lauf der briefe sein leben („I had plenty of opportunities to follow some good paths, and I almost did“, S.38), soth erzählt von seiner kindheit, seinem weg zur fotografie, über seine arbeitsabläufe. sie lernen sich über die briefe langsam besser kennen, zuerst wie in einer klassischen brieffreundschaft in den fünfzigern, dann wird der kontakt irgendwie dringlicher, corona und trump beschäftigen und belasten soth, black lives matter passiert, die briefe werden für beide schreiber immer wichtiger, man merkt das in den texten, am anfang ist es noch eher so ein spannendes projekt, dann begeben sie sich hinein, als ganze person. die beiden finden dabei so eine ebene entspannter neugierde, ein interesse füreinander, bei dem beide seiten ganz bei sich sein können, sich öffnen, von der eigenen welt erzählen, der andere reagiert auf seine eigene art darauf, mit anderen geschichten und aus anderer perspektive. aus diesen so grundverschiedenen leben, in komplett allem verschieden, entsteht etwas neues, über die fotografie und die auseinandersetzung damit, über die arten, bilder zu machen, bilder zu sehen (soth), über das leben und die wahrnehmung des lebens als künstler (cabrera). soth schickt mit den briefen fotos in den knast, und bittet cabrera, darüber zu schreiben, der wundert sich erst über die auswahl, findet dann einen zugang, der einen platz für ihn selber bietet: „It’s interesting to enter the past through the backdoor of other peoples fotos“ (S. 46). der eine macht die bilder, der andere lebt darin.

soth berichtet aus der corona-zeit, die ihn sehr mitnimmt, (betont dabei, dass die umstände total verschiedene sind), cabrera war eine zeitlang in isolationshaft und erzählt davon, wie es ihn verändert hat, er sagt, nach der corona-zeit würden eventuell alle merken, dass der blick und der umgang mit menschen aus größerer distanz erfolgt, das mehr ich in der wahrnehmung liegt.

cabrera beschreibt die fotografien, die er gern hätte, er darf nur sehr wenige bilder in seinem schrank aufbewahren. ein paar von seiner familie, ein paar pornographische, eins von einer schauspielerin, die mit einem t-shirt bekleidet in ihrem zimmer sitzt, ein che guevara poster an der wand, ein skelett in der ecke (daran kann er zeichnen üben), gegenstände im raum, mit denen er sich ihr leben vorstellen kann, reiseandenken, sowas. soth gibt die idee auf instagram weiter, und bittet seine follower, dieses foto mit photoshop zu bauen, dem besten verspricht er ein signiertes foto von sich. die endauswahl hat er im buch abgebildet, und er hat cabrera gebeten, seine entscheidung für eins davon zu begründen. das tut er, in nur ein paar sätzen, aber er schreibt auch über die anderen bilder, und dann weiter über das reisen im kopf, und mäandert dann durch ein paar geschichten seines lebens, erzählt auch über das, was ihn ins gefängnis gebracht hat, was ich natürlich wirklich wissen wollte, es aber auch ein bisschen bewundert habe, dass soth nicht direkt danach fragt, ganz im duktus des respects vor seinem gesprächspartner.

solltet ihr aber selber lesen, es ist wirklich eins der schönsten bücher des jahres geworden, und man merkt, dass die beiden das so gar nicht vorhatten, oder nur sehr understated, anders als z.bsp. der mann, der einen 5kg-prachtband über die renaissance zusammengestellt hat, um mal einen total unpassenden vergleich zu bringen, und der renaissance-band ist sicherlich ein wunderschönes buch geworden, aber nicht so schön wie dieses.

soth und cabrera gehen beide mit dieser besonderen aufrichtigkeit miteinander um, oder nein, sie nehmen es beide ernst, sie geben alles, weil diese ernsthaftigkeit der beste weg ist, mit der fremdheit, dem unterschied zwischen ihren leben umzugehen und ihn dabei zu überwinden, durch kommunikation, kontakt, nähe. es ist auch ein typischer tonfall, glaube ich, für diese art des kontakts, dass er ihnen beiden fremd ist, macht einen teil der faszination aus. es liest sich irgendwie sehr gut weg.

es ist ein ganz besonderer bildungsroman, bei dem beide seiten gleich viel voneinander erfahren, ein buch für die fotografie und für die kunst, selbst wenn sie nur in der vorstellung stattfinden darf.

2. november 20

ein schönes volles wochenende. noch eins mit großeinkauf, der g.-zwilling war wieder zu besuch, marktrunde mit dem d.-zwilling, um äpfel, eier und pasten zu kaufen. markt war voll, ein paar nasenmänner, sonst alle mit maske. lange hunderunde mit freundin, romanze gelesen, weil ich bei all den texten zu den usa, dem klimawandel und allgemein dem untergang des abendlandes etwas nur emotional packendes lesen musste, nichtmal serien gehen zur zeit, ich habe die neue folge discovery nicht zu ende gucken können, bin immer wieder raus zu den nachrichtenportalen. nicht gut, so bin ich gar nicht eigentlich. abends stew gekocht, den tisch im wohnzimmer gedeckt, dem ausgezogenen das familiengefühl mitgeben, als wäre es eine postkarte, es hat aber funktioniert, das system familie trägt. er sagt, es würde sich hier bei jedem besuch etwas anders anfühlen.

sonntags großes frühstück, lange schlange vorm bäcker um 10uhr. mein blutzucker ist die ganze zeit zu hoch, insulinbedarf um ein drittel oder mehr höher, das liegt auch bisschen an einer art fortbildung mit prüfungen, die ich grad absolviere, aber hauptsächlich an der weltlage. glaube ich, ich weiß es ja nicht, merke bloss die symptome, wer weiß, welche hormone da auch noch den üblichen ärger machen, vielleicht sind es ja auch noch die wechseljahre. ich bin aber bei tag 360, nach einem jahr ohne ist frau durch, heißt es, dann beginnen die heiteren jahre der postmenopause, bei der noch ein haufen schöner dinge verloren gehen können, u.a. die haare, die kreativität, die geschicklichkeit, die gelenke und die figur. bekomme jedenfalls fast keine guten postprandialen werte mehr hin, trotz allem, was ich weiß und kann. das erdet und lehrt demut. trotzdem gute laune.

nachmittags ist mir aufgefallen, dass die museen ab heut geschlossen sein werden und bin mit dem g.-zwilling noch mal in die gemäldegalerie. es war sehr voll, eigentlich ein gutes zeichen, dass die berliner nochmal kunst tanken, das mit dem abstand und den masken hat gut funktioniert. in der wandelhalle in der mitte der galerie findet eine eher finstere ausstellung statt, the last judgement scultpure von anthony caro, mit massiven strukturen aus holz, stein und metall, etwas bosch-artig, ohne das spielerische, humorvolle, lebensbejahende von bosch. sehr deprimierend, wirkte wie diese eingänge zur hölle in den indiana jones-filmen, wo pfeile, fallen und allerlei machenschaften den durchgang verhindern sollen.

ich wollte dem g. ein paar bilder zeigen, aber es war leider zu voll für einen ruhigen zugang. wollte mir ein meeruferbild von einem holländer ansehen, als trost für den dieses jahr ausgebliebenen blick aufs meer, habe es aber trotz mehrfachem herumsausen nicht finden können. jetzt hab ich es als bildschirmhintergrund, das funktioniert vielleicht auch. hatte freude an den bildern von üppigen gelagen und feierlichkeiten, überhaupt ansammlungen von menschen, daran dann doch gemerkt, dass mir was gefehlt hat in diesem jahr. das bild oben ist von einem joachim pantenier, „die ruhe auf der flucht nach ägypten“, von ca. 1520, mit seiner idyllischen landschaft hat es fast wehgetan, gibt es doch für die flüchtlinge von heute keinerlei hafen und keine ruhe mehr (es scheint verschiedene schreibweisen zu geben, im netz heißt es patinir, im museum patenier).

lustig die sprichwörter von brueghel, das bild ist mir vorher nie aufgefallen, habe fast keines erkannt. auf meinem kühlschrank hängt eine magnettafel mit einem verschwommenem foto und der aufschrift „leg dich lieber wieder hin“, den brueghel gab es als große postkarte im museumsshop, der wäre als fokussierhilfe und muntermacher vielleicht sinnvoll in den dunkeln morgenstunden, schade, zu spät.

ein unerwartetes geschenk war die ausstellung zum 300. geburtstag von piranesi, dessen römische veduten ich sehr liebe. habe nix davon mitbekommen, weil ich so fern der kunst war, was für ein glück, das noch erwischt zu haben, gemäldegalerie oder kupferstichkabinett zeigen ja alle paar jahre etwas von piranesi, diesmal ging es um wege und umwege seiner kreativität. auch hier wieder eine finstere folter-phantasie, mit einigen anderen kerker-bildern ein zentrales moment der austellung, zumindest haben sie eine ganze wand eingenommen. kann aber auch sein, dass mir das nur so auffällt mit meiner zzt. deutlich erhöhten grundunruhe.

heiliger bimbam! schon wieder soviel text. das liest doch keiner, aber zum kürzen hab ich jetzt natürlich wieder keine zeit. ich sehne mich auch nach meiner poetischen dichte und hoffe, ich finde sie wieder.

das noch: da hat doch 2014 ein begabter junger mensch aus kunstinteressierter familie einen ganzen haufen piranesi-zeichnungen identifizieren können? was für eine schöne geschichte.

23. juli 20

otobong nkanga, marting gropius bau

mit einer freundin bei otobong nkanga im martin gropius bau, eine großartige und auf altmodische art gute kunst (taz-kritik), treffend, poetisch, dicht, jeder raum einmalig und funktionierend. habe sowas lang nicht mehr gesehen, sie hat etwas zu sagen über afrika und sie sagt es auf eine weise, die unmittelbar, klar und traurig ist. die alternative war katharina grosse im hamburger bahnhof, sie schien vor allem bunt und beeindruckend, aber auf eine kunstimmanente weise, und nach sovielen monaten ohne kunst wollte ich lieber etwas mit weltbezug anschauen. ich habe einen slot gebucht, trotzdem mussten wir eine weile anstehen, alle mit maske. es war schön, geht hin! ich bin sogar mit meinen kindern noch ein zweites mal drin gewesen. wir haben den namen der künstlerin einfach mal in einem gespräch dauernd erwähnt, seitdem wissen wir ihn.

*

ich weiß nicht genau, wie ich die kinder benennen soll. meine kinder stimmt natürlich weiterhin, aber es sind keine kinder mehr. meine söhne stimmt auch, klingt aber bisschen prätentiös, als hätte ich eine firma und das wären meine nachfolger. wenn ich jetzt noch mit k 1-3 anfange, versteht das keiner. im italienischen ist das viel einfacher, da sagt man: i miei figli, das bezeichnet die verwandtschaftsbeziehung wie onkel, cousine, mutter, und nicht gleichzeitig noch das alter. in der einzahl gibt es figlia, für tochter, und figlio für sohn, die wörter lassen es vielleicht eher zu, dass die kinder noch zuhause wohnen, obwohl es keine kinder mehr sind. es gibt einfach genug wörter im italienischen.

*

danach bin ich mit der freundin durch kreuzberg 61 geradelt, durch den bergmannkiez, auf einen kaffee und eine runde durch die markthalle, die nach der modernisierung etwas ungemütlicher wirkt, anders als die bergmannstrasse, wo zu den alten cafes neue dazugekommen sind und es den alten secondhandladen immer noch gibt, wo ich in den achtzigern meine pyjamas kaufte in diesem einen winter, wo man pyjamajacken trug, mit der zahnbürste in der brusttasche. angenehm mittelaltes publikum, toll und herausfordernd gekleidete frauen unseres alters, wo die schicken frauen hier im kiez eher so einen mimesis-impuls austrahlen, ich gehör dazu, entspreche dem stil, ich seh dich nicht, gab es in kreuzberg blicke und lächeln und kobaltblaue kleider. verblüffend, wie schnell ich bei diesen typologien an vollkommen und unvergleichbar andere lebensläufe glaube, aber vielleicht sind die 20 jahre lebenserfahrung dazwischen genug, um einem das herz zu öffnen. sonst landet man wahrscheinlich eh in zehlendorf. mir ist mein eigener kiez ja etwas zu jung inzwischen, ich habe die moden knapp verpasst, war zu früh, habe im tiefsten neukölln gelebt, jahrzehnte, bevor das hip wurde und war lange wieder weg, als die jugend nachgekommen ist und der kiez eine instanz wurde, statt zufällige umgebung. wedding, sag ich nur, und mitte! jedenfalls immer noch viel spass mit meinem neuen fahrrad.

*

(hatt ich vergessen zu posten. gestern in der stadt eine frau gesehen, die pyjama trug, da ist es mir wieder eingefallen.)

museo villa panza

zu einem ausflug nach varese mitgenommen worden, in die villa und sammlung panza, ein museum, von dem ich noch nichts gehört hatte. mit einer landkarte und stilgerecht im offenen käfer über verwinkelte und kurvenreiche strassen, ein stück weit auf den berg,  parken in einer engen strasse direkt vorm museum. von außen sieht es nach einem gepflegten landhaus aus, 2 etagen, alte fenster, ich erwartete ein paar räume voller bilder. dann eine glastür, und sofort ist alles gegenwart und neu, der empfangsraum, die museumsarbeiter, die preise (15€ für normalsterbliche), ein museumsshop (ich liebe museumshops). dann läuft man um die ecke und steht auf einem großzügigen hof, mit einer großen wasserskulpur von meg webster, unter einem romantischen kleinen brücke sehen wir in einen riesigen park, ein klassischer blick, mit raumflucht, einem brunnen, wegen und wiesen, und einem sehr romantischen heckengang, direkt gegenüber der orangerie mit alten, verwitterten glasfenstern. hier hat ein genießer gebaut. uns ist wirklich kurz der mund offen geblieben. wir haben uns umgedreht und standen vor einem wandhohen spiegel, der den blick in hof und park noch einmal neu zeigt, diesmal mit uns kleinen gestalten darin. selfiemotiv, aber die installation ist älter als smartphones, überall im haus schaffen spiegelwände trügerische weiten und verändern die perspektiven.

seit 20 jahren sind die arbeiten dort öffentlich zugänglich, seit der letzte besitzer, giuseppe panza di biumo und seine frau giovanna ihren palast 1996 dem fai* übergeben haben. die beiden haben dort seit den fünfzigern gelebt, 5 kinder großgezogen und sind bzw. waren (giuseppe panza ist 2010 gestorben) liebhaber und aktive sammler zeitgenössischer, vor allem nordamerikanischer kunst.

panza hat als einer der ersten rauschenberg nach italien gebracht (1959 von john cage vermittelt), im park steht ein kleines häuschen mit einer arbeit von robert wilson, dan flavin hat ihm einen ganzen flügel mit lichtskulpturen eingerichtet, die liste seiner künstler ist sehr beeindruckend.

bis januar 2020 werden arbeiten von sean scully gezeigt, die auf ganz merkwürdige art in die räume passen, auf dem prachtvollen sternparkett sehen die streifen fast zurückhaltend aus, wie hinweise auf die geordnete struktur der dinge.

(arbeit von ettore spalletti)

panza mochte klare linien und formen, die kunst wirkt schlicht in den räumen, oder vielleicht wirken die räume eleganter, weil die arbeiten so klar sind?

(arbeit von ettore spalletti)

fast keine möbel, nur im großen salon, der nur für privatveranstaltungen geöffnet wird, mit tiefroten samtsofas, einem billiardtisch, kaminen und großen, monochromen arbeiten von ich glaube phil sims oder ruth ann fredenthal an den wänden. es passt alles so gut, dass man zur ruhe kommt beim ansehen. ich wollte gar nicht mehr raus.

sehr sehenswert, wenn man es findet.

*der fai schützt, fördert und pflegt als gemeinnütziger verein italienische kulturgüter, ein dringend notwendiges unterfangen, so viel geht kaputt, wird vergessen oder verkauft. ich wollte gleich mitmachen. der fai hat das haus zum museum umgestaltet und unterhält das museum, so wie ich es verstanden habe. die stiftung leistet dabei erstklassige arbeit, es ist alles top of the pops.

 

 

„der markt ist“ –

sehr angenehme sofortige relativierung des verlustes, wenn man bücher zu bassenge bringt. der stapel erscheint klein auf der riesigen arbeitsplatte im erdgeschoss der villa, es sind nur ein paar bücher, die unter vielen hunderten anderer bücher zur versteigerung kommen werden, eventuell sogar am 18. geburtstag der zwillinge. möge das datum ein gutes omen sein.

auf dem rückweg noch versucht, die beiden lams in der zweiten niederlassung loszuwerden, in der hoffnung, die ausstellung in london hätte das interesse etwas nach oben bewegt, aber schnecks ansicht wurde bestätigt. immerhin habe ich einen keks bekommen.

die beziehung zwischen dem persönlichen- und dem marktwert ist bei nicht professionellen sammlern wie mir eher projektiv als proportional, was ja keinen stört, solang man dem markt fernbleibt. bisschen wie social media.

solche arbeitsplätze erwecken jedenfalls ein gewisses bedauern, was den eigenen werdegang betrifft. sehr schöne orte, so auf den ersten blick.

franziska uhl

franziska uhl ist eine ungeheuer vielseitige künstlerin. sie nutzt malerei, radierung und skulptur, sie kann sich in jedem material zustande bringen, die technik fügt sich ihrem stil und ihren formen, gibt was dazu, nimmt etwas weg, sie gehören zusammen, bereichern sich. kenne sie aus ihren anfangszeiten, wir sind befreundet seitdem, sie ist eine von ganz wenigen unbeirrbar und nicht „nur“ nebenbei kunstschaffenden im freundeskreis.

ich habe eine sammlung sehr schöner radierungen von ihr, alle im selben format, die ich je nach laune in wechselrahmen unterbringe, wild, stark, ein bisschen gegenständlich, aber so, dass man formen oder etwas kreatürliches  zu sehen meint, sich aber nicht sicher sein kann, die arbeiten ziehen den blick ins detail, auf die feinen linien, bleiben aber als ganzes immer in bewegung

im letzten jahr hat sie sich auf malerei konzentriert, eine serie dieser bilder wird bis zum 26. januar in berlin gezeigt, in der galerie ei in der göhrenerstraße. zusammen mit ein paar ihrer skulpturen.

lauter farbräusche, 40x40cm tiefes rot oder blau oder grün, mit feinen verläufen, dicke, gesättigte strukturen, sehr bestimmend im raum. hab mich in einige verguckt, aber sie sollten für sich hängen, weil sie den blick auf sich ziehen, so anders sind, sie brauchen eine wand für sich, oder man hängt viele gemeinsam auf, wie in der galerie. die arbeiten verstärken sich gegenseitig.

auf der seite der galerie kann man schön in die bilder tauchen. ich mag sie, obwohl sie nur farbe zeigen, beim schauen hab ich gemerkt, wie sich der schwerpunkt in der bildwahrnehmung verschiebt, die farbigkeit hat einen starken sinnlichen reiz, und die farben fordern entscheidungen: blau ja, orange und rot sowieso, grün lässt mich eher kalt. diese bilder machen jeden zum synästheten.

trapezkünstlerinnen

[von 2009 wieder hochgeholt] neulich, auf einem konzert im pianosalon christofori in moabit, zufällig einen edlen flyer für eine ausstellung von barbara klemm in rheinsberg gefunden. das war nicht leicht, weil der raum dort ein großes, sehr kunstvolles lager von schätzen ist, von allem, was mit flügeln zusammenhängt, es ist dort all things piano, darum ist schon das bemerken des flyers eine nette begebenheit, bzw. ich brauche gleich eine geschichte drumherum, denn ja, von allen bildern dort kann man sich abzüge machen lassen, für 1500€.

ihre fotos kosten im schnitt um die 1000€, nur ein paar aufnahmen von historisch zentralen momenten haben mehr erzielt, dieses hier ist bei artnet nicht verzeichnet. halte die preise für übertrieben, es sind keine marktpreise, eher wunschpreise. was tun? na, muss ich noch drüber nachdenken. das bild finde ich nach wie vor wunderbar, wenn ich die euros locker über hätte, wäre die entscheidung einfach.

Barbara Klemm, Artistinnen 1974
ⓒ B. Klemm, „Trapezkünstlerinnen, Rostock 1974“

barbara klemm wird heute 70 jahre alt. sie hat eins meiner liebsten fotos geschossen, vor jahrzehnten mal als postkarte in einem laden in kreuzberg gefunden und dann durch die ganzen berliner wohnungen mitgenommen. ich bin über das bild auf sie aufmerksam geworden, in der faz ist sie mir nie so aufgefallen, und die autorennamen in zeitungen merke ich mir ja auch nie, überhaupt sind mir die journalisten als personen, also als autoren mit einem ouevre, erst durch das netz aufgefallen, vorher waren es artikel in einem eher synchronen zusammenhang. bei frau klemm habe ich mich dann bemüht, mir ihren namen zu merken und nach ihren bildern zu suchen, aber die fotografin ist sehr diskret in den bildern. ihre straßenbilder haben eine ziemliche wucht.

als ich mit dem bloggen anfing, wollte ich das trapez- foto in den header einbauen, ich hatte frau klemm sogar angerufen und um erlaubnis gefragt, ich hab ihr auf den ab gesprochen und sie rief zurück, als ich gerade auf dem weg zu oktoberdruck ins treppenhaus ging, bei denen ich einen job hatte – oder nein, halt, das kann nicht sein. vor 5 jahren war oktober schon an die warschauer strasse umgezogen, ins erdgeschoss, und dieses telefongespräch auf einem arbeitsweg, da ging es um eine richtige geburt, die meines sohnes, und es war mein arzt, der mir riet, sofort einleiten zu lassen, am 30.12.1998, 2 wochen vor termin, obwohl ich früher an dem tag noch bei ihm in der klinik gewesen war, er hatte es sich anders überlegt, und ich brauchte vielleicht 6 stufen, um mich überzeugen zu lassen, weil ich dem arzt so sehr vertraute. es war kalt, ich ging schnell. erinnerungen ploppen beim auftauchen, eine in die andere. hab ich den job noch beendet damals? das weiß ich nicht mehr.

telefonate an bestimmten orten, woraus bestehen diese erinnerungen? muss es beim gespräch einen gedanken über den ort gegeben haben, ein kommentar, ein zusätzliches und verankerndes metazeichen, oder gehört das zu den flüssigen dingen, die der kopf umdisponieren kann, wenn die erinnerten ereignisse in kontakt miteinander kommen, also hier die beiden geburtstage? der ort als surplus, als kriterium, dessen erkenntnisgewinn während dem ereignis auch vom zufall abhängt, danach aber von der psyche, das gefällt mir. so muss astrologie entstanden sein.

frau klemm war damals überrascht und sagte, hmm, ist mir nicht so recht, aber machen sie nur, hmm, doch, ja, ist okay. dann habe ich es nicht gemacht. das bild rockt mich aber immernoch, leider auf dem markt nie einen abzug gefunden.

blixa bargeld und teho teardo in der volksbühne

Blixa Bargeld, Volksbühne, 6.6.16
foto: gaga nielsen

blixa bargeld und teho teardo in der volksbühne gesehen, die songs fast alle auf italienisch! sehr schön. ein mann, eine stimme. und seine kleine tochter vor mir in der ersten reihe, schaukelt hin und her, und wartet auf ihr lied.

im publikum die ganzen westberliner expunks, viele alte tattoos, viele italiener, wenig bekannte gesichter, neben eins hätte ich mich fast gesetzt, aber der platz war nicht frei. die stimmung vorher ein bisschen aufgeregt.

Teho Teardo, Volksbühne, 6.6.16
foto: gaga nielsen

die texte lakonisch und klar, so an der welt entlang, die begleitung durch teardo passt dazu, nimmt sich zurück, ist repetitiv bis monoton in der linienführung, es klingt aber nach einer entscheidung, als wäre alles andere schon gesagt oder gespielt. da stehen sie jetzt und können (da stehen sie jetzt und können anders, hätt ich fast) tun und lassen, was sie wollen.

Blixa Bargeld, VOlksbühne, 6.6.16
foto: gaga nielsen

musste an frühe blogs denken, natürlich, das ist ja mein liebster referenzrahmen für dies art text, denke, so könnte man auch ein paar der alten blogger vertonen (kann man das eigentlich noch nachlesen irgendwo? es ist alles weg.). klare sätze, wenig adjektive, unprätentiös, dabei trotzdem bischen elegisch, durch bargelds stimme und die vielen ausrufezeichen in teardos begleitung, der text ist nur ein element im konzept, ton, stimme und diese berliner juninacht tun genauso viel dazu. der mit zurückhaltendem drama  gesungene einfache satz – der mit nachdruck gesagte einfache satz – na, mir fehlt noch das richige bild. bei mir funktioniert das sofort, weil ich die ganzen szenen und momente wiedererkenne, die pioppi vor einem italienischen haus, von denen bargeld singt, die gegend hinter dem bahnhof in rom, die er beschreibt in seinem glitzeranzug. wie gut er italienisch spricht, auf der bühne mit weniger akzent als in den videos. er bleibt warm und bisschen ironisch-verspielt, mit seiner großen stimme, die jederzeit auch ganz anders könnte, wütend werden kann, ein raubtierorgan, mit dem er krieg oder frieden herbeibrüllen kann. drei zugaben, die mittlere für seine tochter, gesungen wie ein kinderlied, unbekümmert romantisch, over and over. und wie er zu ihr hinsieht beim singen, mit einem wirklich schönen lächeln.

Blixa Bargeld, Volksbühne, 6.6.16
foto: gaga nielsen

im hintergrund vier streicher live dabei, die waren beim spielen auch publikum, anfangs bisschen fremd, wie eine bestellte hochzeitsband, dann haben sie sich gewundert und gefreut beim spielen. die beiden hatten außerdem ein schwarzes cello mit einer cellistin (namen vergessen), ihr ganzer fankreis im publikum, und eine veritable baßklarinette auf der bühne. mehr jazz gucken muss ich.

gaga, krieg ich dafür wieder ein bild? (gaga verdanke ich den abend und einen platz in der zweiten reihe. sie kann sowas.)