ein euro zehn

ich habe eine freundin von früher, die seit jahren in einen mann aus dem fernen wien verliebt ist. er besucht sie regelmässig, aber nur wenn er will, sein leben ist ihr noch immer ein riesiges geheimnis, jeder besuch von ihm ist überraschung und macht sie sehr dankbar. sie soll ihn nicht anrufen und weiß nach 4 jahren nicht, ob der mann in einer ehe lebt, kinder hat oder nicht. sie fragt nicht, weil er dann nicht mehr kommt. manchmal antwortet er auf ihre sms, manchmal nicht, jede nachricht kommt über sie wie ein lottogewinn, sie liest ihr leben aus ihnen ab wie aus einem satz tarotkarten. „ich lerne an ihm“, sagt sie immer, wenn meine fassunglosigkeit mal wieder zu deutlich wird, „er bringt mir geduld bei“. aber du wolltest doch kinder? frage ich dann manchmal, sie ist 43 oder so, „er wird noch dahin kommen“, sagt sie. eigentlich sei er gar nicht ihr typ, auch nicht besonders schön oder so, aber es ist eben der mann ihres lebens. inzwischen frage ich nach ihm wie nach einer normalen beziehung, und wie gehts mit m.? frage ich, dann kommt eine kleine sms-exegese, dabei wird ihr tonfall tapfer, dann reden wir wieder über andere dinge.

verblüffung über die maßstäbe andrer leute. dann immer mal wieder zweifelnde suche nach den eigenen blinden stellen, die es doch geben muss, wo also die selbsteinschätzung vollkommen unabhängig von der außenansicht abläuft, dann fällt mir ein, wie unzuverlässig die meisten außenansichten sind, und das ja die eigenwahrnehmung immer selbst gemacht ist. das zu einem gesunden selbstbild einiges an disziplin gehört, beim gelegentlichen neuabgleich von innen und außen, um sich weiterzuentwickeln.

bei geld und ruhm (bei glatze und alter) vielleicht ein toller hauptnebeneffekt, dass man dann stillstehen darf, weil alles geklärt ist, für alle?

das eigentlich traurige an dieser beziehung oben ist der komplette weltverzicht der frau, wie sie sich in ein ganz eigenes bezugssystem verabschiedet hat.

gleichzeitig: wie großartig albern so eine beziehung ist.

wo mich das hingebracht hat, diese freundin, was ich nicht erzählen wollte: einer der jungs hat geklaut, ein snickers. er wurde erwischt vom ladeninhaber, der eine tochter in seiner klasse hat. ich war sehr viel entsetzter als ich es gern gewesen wäre, weil mein eigenes eher bürgerliches bezugssystem so etwas nicht vorsieht. die jungs sollen glücklich sein, das ist die hauptsache, aber sie sollen auch kultiviert sein und auf jeden baum kommen, sie sollen klavier spielen und das abitur machen, sie sollen sportlich, fair und aufrichtig sein, undundund. sie sollen nicht klauen.

also kürzer gesagt: treffer, versenkt.

es ist im alltag vielleicht zuviel kampf, für die ruhe, gegen die zeit, gegen die armut, gegen die erschöpfung, aber eben auch und darunter liegend für einen lebensentwurf, der bisher mehr als wille und vorstellung existiert, durch ein paar gewohnheiten im alltag der kinder verankert, klar, aber das große ganze ist abstrakt und vermutlich viel ideologischer, als ich es gerne hätte.

was, wenn ich alleine bin mit diesem entwurf? wenn er die jungs stresst, wenn sie nicht soviel außerschulisches ertragen können, wenn ich sie verstrickt habe in ein meer aus ansprüchen, die nicht ihre sind? was, wenn das kind sich mit dem diebstahl aus diesen ansprüchen rausklauen wollte? wenn ihm die allabendliche thomas-mann-lektüre an die substanz geht? wenn die jungs nicht mehr jeden abend in stahlgewittern mit playmobil nachspielen wollen? sie die ganzen opern nicht mehr auswendig lernen wollen? (mann. kaffee alle.)

und wenn er wirklich nicht selbstsicher ist, wie kriege ich das wieder hin? es wäre mir inzwischen viel lieber, wenn das kein hilferuf gewesen wäre, sondern einfach eine gedankenlosigkeit, aber die zweifel bleiben. und wenn der inhaber ihn nicht erwischt hätte? hätte er dann weiter gemacht?

auch deswegen schreibe ich so wenig zur zeit. ich muss gucken, ob ich noch richtig bin in meinem system, oder ob ich ein paar wichtige glocken nicht gehört habe, wie meine freundin mit ihrem wiener liebhaber.

eine halbe stunde lang die totale ruhe, mit dem leisen brummkrächzen aus dem nachbarraum, in dem der fernseher läuft, animationshektik, mehr geahnt als gehört, nur weil das überhaupt eine relevanz haben muss, dringt das zu mir durch, weil es meine kinder sind, die das nicht dürfen. ich kann mir nicht vorstellen, dass die jungs bei der lautstärke etwas verstehen können, und sobald ich aufstehe und an der offenen tür vorbeilaufe, werde ich sie sowieso sehen müssen, wie sie da nebeneinander auf dem alten sofa kauern, ins rezeptive glück gekuschelt, jedes auf seinem platz, ganz still. es ist nur wichtig, jetzt nicht gesehen zu werden, jede planung, jedes verstecken macht aus dem geklauten moment eine tat, die wieder ins ursache/wirkung -gefüge zurückmuss. so sitzen die jungs vorm fernseher und sind frei, ich bleibe nebenan am rechner und bin kinderlos.

der körper der frauen. auf italienisch, eine total betäubende dokumentation, ein zusamenschnitt von frauen, körperteile und gesichter, aus dem italienischen tv-programm. man kann dort gar kein fernsehen angucken, weil es so vulgär und sexualisiert ist alles, jede unterhaltungssendung vollgestopft mit grotesk ausgezogenen damen. der film zeigt diese fast rituelle erniedrigung von frauen, in schnellen schnitten, bis man beim gucken selber nur noch masse und fleisch sehen kann. auf der tonspur erkundungen darüber, wie sich die reduktion auf schönheit in die selbsteinschätzung von frauen einschleicht, ich selber merke beim gucken, wie der eigene blick vom sekundenschnellen urteil „sexy bein“ erst nach der überwältigung hinfloatet zur erkenntnis der entwertung, die dahintersteht, also nicht den kopf, den blick meine ich jetzt, wie nahtlos bild und wert ineinandergestülpt sind in meinem frauenkopf, vor dem verstand. was sehen wohl männer dabei? der text zum film ist schön, traurig und sehr dicht geschrieben, und wirkt seltsam verloren hinter der bilderflut, die gezeigt wird, sehr deutlich eine einzelne stimme in einem universum, das nur visuell funktioniert.

(gefunden beim surfen wegen der report sache, ich habe nämlich krankgeschriebene kinder, wie wunderbar nett das internetz für fraktionierte aufmerksamkeit ist, man findet so schnell was schnell erfassbares. jedenfalls unterirdisch große sentimentalität heut wegen italien)

report

die italienische reportagesendung report, von der rai produziert, verliert den rechtsschutz. die chefin gabanelli spricht von zur zeit ca. 30 offenen verfahren, in den letzten jahren wurden wohl alle gewonnen. in zukunft werden die reporter notfalls mit eigenen mitteln aufkommen, sagt sie recht heroisch, aber das sei „wie mit dem fahrrad auf die autobahn“.

man kann die sendungen komplett im netz anschauen, den volltext runderladen, sie zeigen auf ihrer seite jeweils ein update zu den sendungen oder einfach den ausgang der geschilderten geschichten, in zusätzlichen videos. es ist eine vorbildliche und extrem notwendige reihe in italien.

„filmst du schon? ach so, nein, also dann bin ich wohl mal lieber still, oder? was? oh toll, gregoooor! schau mal, wie er da runterkugelt….was? achso, entschuldigung!“ (kichert), „aber du wolltest doch eigentlich den hund, zeig mal, ist der nicht ganz klein auf dem bild? nein? oh, entschuldigung. kannst du das phone nicht andersrum, dann sieht man mehr von den seiten, oh pssst, ja, ich weiß“ (kichert) „daviiiiid, toll machst du das…. ja, aber ich kann doch nicht nur gregor, dann ist david doch traurig! nei, das ist nicht zu laut hier, das stört doch keinen – ach so, die kamera, na, das sieht man ja auch nicht, dass da eine kamera… elias, schau mal, mama filmt!“

mit muttern und drei jungs in der tollen sandgrube im grunewald, versuch, filmchen ohne off-kommentar zu machen, ist gescheitert. zwischen huldigung und verzweiflung eingekeilt, ganz fest.

beim kinderschuhkaufen gibt der große seiner begeisterung nach und ersteht ein paar schwarze chucks mit einem bunten love+rock aufdruck. die sind für mädchen, sagt ihm seine klasse (wer? „na alle!“), und er wird die nie wieder anziehen. ich ochnöe dagegen, eine weile, dann probiere ich die mal, die schuhe. passen wie angegossen. „aber du bist auch kein mädchen!“ ist jemand da draussen ein mädchen mit schuhgröße 39?

auf der wörther strasse mit gregor und hund unterwegs, kommt eine kleine ältere hundedame und knurrt. der halter und ich scherzen ein paar sätze über unsere hunde, dann gehen wir weiter. nach ein paar metern hält gregorzwilling an und kehrt um. er fragt den mann etwas, der lacht, hebt die hände und geht ein paar schritte zu seinem auto. er zieht sich sein t-shirt aus, holt aus dem auto ein hemd und streift das über, dann gibt er gregor sein tshirt. „er hat gesagt, ich soll es waschen und reinwachsen, hat der mann gesagt.“ und warum?, will ich wissen, bisschen erstaunt. „na, der hatte ein tim und struppi-tshirt an, und ich wollte wissen, wo man das kaufen kann. der mann hat gesagt, er hat es aus japan! und das gibt es hier nicht, weil das hat ihm ein freund gemacht, der ist aus korea.“ und dann hat er es dem gregorzwilling geschenkt, ohne eine sekunde zu zögern, als wäre das genau so gedacht. wir bedanken uns und gehen weiter, um ein hemd und eine geschichte reicher.