KW 8

müde wie am ersten tag. februar, zeit für lyrik, christoph meckel ist mein dichter für den winter:

Nachtzüge schwarz und verschlossen,
die Vorhänge dicht.
Liebende auf den Strecken, der Nachtschaffner kennt sie
in die Gänge tretend am Morgen, Gesichter
den Tag verneinend, Wind, Küste, Gebirge und Flußland
sprachlos in ihrer Geschichte,
die Erde meidend als sei sie
ein verrufener Park am Eingang des Paradieses.

aus souterrain, s. 109.
gelegentlich dieses kindliche beleidigtsein darüber, dass die welt nichts zu verschenken hat.

kinder.

helfe gelegentlich im kindergarten aus, in dem meine söhne waren, und mit deren erzieherinnen ich seitdem befreundet bin. gleich wieder dieser kleinkindflash, die totale offenheit von ganz kleinen kindern in körpereinheit mit ihrem nichtkönnen von alltagsdingen, essen! es ist sooo lustig, wenn sie tomatenpasta essen, sie packen die nudeln aufs besteck, machen aber den mund nicht weit genug auf oder treffen ihn nicht richtig, alles mit höchster konzentration, dann machen sies nochmal, und nochmal, ungerührt. sie freuen sich über alles, so leicht wie sie weinen, das lachen, kichern, gackern, der ungeheuere lärmpegel von all den 1-4  jährigen, wie sie sich ins zuhören fallen lassen können mit großen augen, obwohl sie die bücher schon dutzendfach gehört haben, die leseratten, die immer ein buch bringen, sobald man sich setzt, wie sie mit 3 klötzchen und einer decke ein spiel spielen, bei dem man schreiten, stampfen und die steine herumtragen muss („könig“), wie sie mir die kita-regeln erklären können, ihre stimmchen beim mitsingen, das draufgängerische rumgepurzel, wenn man sie draussen toben lässt. ihre totale verschiedenheit, schon im vorschulalter lauter persönlichkeiten, noch gar nicht festgeschrieben, die lauten sind mal still, die wilden gebannt, mit einigen kindern sind sie so, mit anderen anders, die kleinen fliessenden sozialgefüge, und sie sind schon kompetent in beziehungen, sie testen mich aus, finden die grenze und sinds zufrieden. die verträumtheit einer ganz kleinen, eine zufriedene verträumtheit, glaube ich, sie lächelt, wenn ich sie anspreche, ist aber noch in einem eigenen reich, aus dem sie nicht herausmuss. oder wenn sie sich hinlegen beim mittagsschlaf, popo in die luft, und nach einer minute eingeschlafen sind, oder nach zwei minuten rückenkraulen, und dabei lächeln, ganz kleine häufchen unter ihren decken. wieviel mehr sie machen, wenn man sie lässt, sie haben holzbretter- und stücke auf ihrem hof, mit denen lauter waghalsige konstruktionen entstehen, kinder drauf, manchmal hälts, manchmal nicht, dann liegen sie im sand, stehen auf und machen es anders, es sind energiebündel mit wenig raumzeit zwischen idee und handlung und einem glücklicherweise niedrigen schwerpunkt. der eine, der immer anfängt zu hopsen und die arme herumzuwerfen, weil er sich so freut, einfach so, beim herumrennen. die eine meldet sich immer, der andere gar nicht, redet dann aber, wenn die erzieherin ihn anspricht, mit ganz leisem stimmchen entspannt vor sich hin, in eigener zeit, niemand drängelt, das drängeln kommt erst mit der schule.

ich bin eigentlich rausgewachsen aus dem impuls und kriege nur noch bei neugeborenen diese schöpfungsehrfurcht, aber trotzdem … unter anderen umständen hätte ich gern noch ein oder zwei mehr gemacht. nie ganz verstanden, warum jemand keine kinder wollen könnte. soviel liebe.

(alles dankbarkeit, wisst ihr ja.)

 

(das kleine ja hat sich verlaufen)

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das eigentümlich naive am (offofflimits-) crush, ohne basis, ohne irgendwas außer dem kleinen triumphierenden jetzt, das unter der haut sitzt und rauswill und nicht darf, weil hey, aber wie schön das ist, so frei und 17jährig, ohne geschichte,  warm und schräg steht das licht, und ich guck dich lieber nicht an, weil dann. es ist diese besondere art von ja,  es wäre groß genug, es kennt den weg und braucht sonst nix, nicht mal ein morgen.

lieber die sonnenbrille auflassen.

 

sommerfest

grosse, rauschende feste brauchen das unbekannte, fremde männer und frauen, schöne kleider, von allen seiten soll erkennbar sein: das ist eine feier heute, wir geben unser bestes, nochmal eng und kurz, solang der herbst noch nicht da ist. wir staksen notfalls auf zu hohen schuhen durchs gras und bleiben dann eben auf der tanzfläche, wir nehmen den dunklen lippenstift und freuen uns, wenn nur fackeln und feuer und ein paar laternen das sommerfest erleuchten. ich treffe jemanden aus mailänder schulzeiten, eine andere, mit der ich studiert habe vor ähem jahren, die beste freundin ist auch geladen, von den anderen hundert kenne ich nur ein paar, bei den frauen (viel mehr einzelne frauen als männer, wie immer) gedacht: die konkurrenz schläft nicht, wenn ich mich in meiner altersklasse so umsehe, oh my, da tanzen wille und vorstellung und werfen ihr haar, und es kann, es wird ewig so weitergehen. ausgetobt.

ein paar schöne männer angelächelt, einer strahlte jedesmal zurück – ein schauspieler, wie sich herausstellt, aber he, ich habs versucht.

 

musik jwd in spandau

heute spielt glen hansard am anderen ende der stadt. ich weiss noch, wie überrascht ich über den film im kino war,  er hat mich damals auf eine sehr schöne weise geerdet, und ich habe erst beim zweiten sehen verstanden, was mich daran melancholisch macht: ich vermisse dieses, jawaseigentlich, dieses sich näherkommen in den zwischenräumen, geschichten, die nicht immer auf beziehungen oder dramen hinauslaufen, nichtmal auf sex, wo zwei leute einfach gern zeit miteinander verbringen und in diesem atemzug vor der entscheidung stehenbleiben, vor dem ja, der umarmung, dem chaos, dem möglichen alles oder nichts. es soll wohl genauso ein musik-  wie ein liebesfilm sein, die songs haben einen tick mehr gefühl und hingabe als alles, was man sehen kann im bild, mehr körper. es hat mich an früher erinnert, als das häufig so war, das nicht weitermüssen und mal eine nacht zu fuss durchlaufen, in geschichten, die einfach wieder aufhören, weil es nicht hat sollen sein oder weil der tag anfängt, und trotzdem fehlt nichts, denn es ist immer noch zeit.

falling slowly hiess das stück von den beiden, das sofort diese paar tiefen saiten anschlägt,  ist schon eher dick aufgetragen, aber manchmal … ich kann das lied gar nicht hören manchmal. mit der frau aus dem film, marketa irglova, hat der sänger jahre zusammengearbeitet, der soundtrack stammt auch von ihnen beiden. ich gehe nicht mehr selbstverständlich auf solche konzerte, weil ich mich schlecht wehren kann gegen musik, aber der mann soll gut sein, heisst es.

jetzt hätte ich heute doch zeit und es gibt vielleicht noch karten, aber es soll regnen – ich könnte auch zuhaus bleiben und das F üben, dann kann ich den heulersong irgendwann mal selber spielen – wieder eine frage, die sich früher nie gestellt hätte, weil freiluftkonzert immer besser war als fast alles andere.

… und dann bekomme ich über facebook eine karte für herrn hansard und wunderbare gesellschaft fürs konzert geschenkt. lucky me & summertime & berlin. falls er den song oben singt, werde ich trotzdem heulen.

way away

war neulich im nature theater of oklahoma, romeo and juliet im HAU. in einem teil des stückes haben die beiden schauspieler einen dialog geführt zwischen sex und gefühl, mann und frau, nicht über gesellschaft und projektion, sie haben als stimmen der unterschiedlichen wünsche gesprochen, und irgendwann sagte die frau, sie wolle mal der neediness den stab halten. oder brechen? brechen. beifall im publikum.

a walk

wie ich heute auf dem balkon stehe, dösig von der sonne, und unten auf dem platz steht dieser mann in weißem hemd, der sich eine kippe anzündet, stehenbleibt, ein bisschen guckt, mit der hand auf dem rücken über den bürgersteig spaziert, eine demonstration des nur vorübergehenden müßiggangs, im unterschied zu allen anderen, die wochenende haben und im schlüpper auf dem balkon liegen. ich rufe den hund, ziehe schuhe an und gehe auch nach unten. eine ecke weiter spielt ein mann kiss von prince, mit mikro und e- gitarre, ich kenne ihn, ein vater, mager und gross und immer ein wenig düster, er strahlt zurück beim singen, aber ich lege keine münze auf den haufen, weil ich bin eigentlich innerlich noch zu hause und nicht im großstadtmodus. ein paar leute und ein teenie im rollstuhl sitzen dahinter, der mann mit der kippe steht auf der anderen strassenseite vorm liebling, hört zu und raucht, ich beneide ihn, ich liebe pausen, die sind so vollkommen richtig, so durch und durch in ordnung, ich laufe mit emma einmal um den platz herum und denke, dass der mann bestimmt weg ist inzwischen, aber nein, er steht da noch, auf einer anderen strassenseite, genau dort, wo ich vorbeigehen kann. er steht vorne am bürgersteig, er blickt nach vorne, ich spreche ihn an und bitte ihn um eine zigarette und bekomme sie. er gibt mir auch sein feuerzeug, „wenn es noch geht“ sagt er, aber es brennt hell und klar, ich kann das waschmittel von seinem hemd riechen, frisch und nach sommerwiese.

just music

manchmal bin ich ratlos vor unserer fähigkeit zur liebe, all diese nervenbahnen und sinne dafür, ein ganzes orchester, das immer nur proben und nie spielen darf, es wird gelegentlich gebucht, aber dann wieder ausgeladen, oder es kommt keiner, oder es gibt das konzerthaus gar nicht, nicht mal die stadt, und so wird es über die jahre ein bisschen sonderbar und taucht gelegentlich in vollem ornat in einer dorfdisco auf, wo eine olle jukebox genügt hätte, oder es wendet sich unbekannten finnischen komponisten zu, obwohl es jederzeit mahler spielen könnte. vieleicht konvertiert es auch in toto zum elektronischen minimalismus. der dirigent sitzt dann nach den heimfahrten noch eine weile in seiner bahnhofskneipe und hält reden.

der große liegt auf dem sofa und ruft: ich will lernen! (einschulung ins gymnasium erst um 11 uhr)

dem großen und einem zwilling zuhören, wie sie nebeneinander auf dem bett sitzen und sich alles über den ersten schultag erzählen, ganz ruhig und neugierig. heut morgen bei der einschulung in der aula des c.v.o. so einen sehr deutlichen übergang gespürt, hierhin hast du ihn gebracht, jetzt muss er allein weiter, sowas in der art. hatte ich eigentlich schon bei der ersten einschulung, da kannte ich natürlich das berliner schulsystem noch nicht, das so sehr auf die mitarbeit der eltern baut. ob es diesmal genauso wird?

auf dem heimweg gehen wir beim friseur vorbei, er lässt sich die haare ultrakurz schneiden, von sehr lang, ohne jedes federlesen.

two to go.

am sonntag

am sonntag dann überraschend noch ein zweiter whiskyabend, wieder mit jemandem der grade auf der reise ist, den eine sommergeschichte total aus dem hafen gerissen hat, und jetzt muss er den kurs neu bestimmen, die seile neu drehen, sich selber sehen. wir kennen uns seit über 20 jahren, ich sitze hier mit ihm und höre zu und denke mit, dabei immer wieder das es ist so laut im hirn, wie es die freundin am tag zuvor gesagt hat, klarsichtig und desillusioniert. mit diesem mann würde ich sofort auf die fahrt gehen, eine dieser ungelebten lieben, die man so unter der haut trägt, still tingling, aber nicht eins meiner worte war zweideutig, keine geste, ich wollte helfen, ich habe geholfen, aber ich bin dann nachts, als er weg war, nocheinmal um die häuser gelaufen und habe mir eine kippe gekauft beim späti, dann eine kippe lang auf der strasse gestanden, allein bis auf die knochen.

der mann, sechziger, der eine lange beziehung schrittweise beendet hat, weil sie zu keiner richtigen lebenspartnerschaft geworden ist, zu einer frau, die nicht mit ihm und nicht ohne ihn leben will, eine sich ziehende getrennt-aber-trennung, und der seit ein paar wochen mit klarheit und neugierde bei parship sucht, dieser mann erkennt bei seinem ersten parshipdate die frau, mit der er leben wird, ebenfalls sechzigerin. die beiden stehen um 22uhr knutschend auf dem s-bahnsteig, am tag ihres ersten dates, da steht plötzlich seine exfreundin vor ihnen, auf dem gleichen bahnsteig, zur gleichen uhrzeit, und sieht den kuss.

(it gets better)