[aus dem alten blog, 2011. anreiz, um nach monaten mal wieder mit den jungs in ein museum gehen.]
um drei setze ich die zwillis aufs rad und fahre mit ihnen zum hamburger bahnhof. „mama, mama, was gibt s denn da?“ als wir davorstehen, sagen sie, das sei das langweiligste museum der welt, da waren doch diese rentiere, das war to-tal langweilig. welches mögt ihr denn am liebsten? „das technische!“ kommt sehr schnell. und überhaupt, am schrecklichsten sei diese große leere halle mit nur luft drin. aber sie kommen fröhlich schimpfend mit hinein und stehen nach 5 sekunden barfuss in der warteschlange, um die plastikballons besteigen zu können. die andere, größere kugel mit den beiden etagen drin muss auch sein, obwohl man da noch länger stehen muss, es stört sie nicht, sie genießen wie ich die höhe und das tauchgefühl in der luft. es ist immerhin etwas weniger langweilig als die rentiere, die waren furchtbar langweilig. als ich noch die steile stiege herunterklettere, stehen die beiden schon im durchgang zur flick-sammlung, wusch, sind sie weg, mit schnellem schritt durch jeden raum, einmal um jede arbeit herum, die skulpturen von dieter roth mögen sie natürlich, den raum von bruce naumann ohne seele finden sie kurz spannend, „mama, erklär mal“, rufen sie und sind schon wieder eine arbeit weiter.
gehe grade die erstausgaben durch, einige sollen auf den markt zurück, der sie meinem vater oder mir an land gespült hat in den letzten 50 jahren. die trennung zwischen pragmatismus und liebe verläuft dabei messerscharf in meinem kopf, die beiden bereiche haben wenig gemein, der pragmatismus neigt dazu, den rest lächerlich zu machen und den ganzen platz für sich zu beanspruchen.
macht der besitz von diesen dingen nicht nur sinn, wenn man auf ihn verzichten kann, wenn er luxus ist? in diesen büchern wohnt ja nur mein herz, ein paar erinnerungen sind gelagert, nicht mal alle schön, sind sie nicht auch reine und damit hohle repräsentanz? ich habe so selten gäste, bei denen so etwas wichtig ist, eigentlich: nie, immer nur freunde und familie, und ein liebhaber, dem meine bücher etwas bedeutet hätten, ist mir noch nicht untergekommen. es gibt aber, da vertraue ich meiner wahrnehmung, immer einen aspekt der behauptung in solchen schränken, zumindest eine kleine notwendigkeit für so einen affirmativen gestus. besonders beim geerbten teil der sammlung, also bei den mittelalten (mann, jünger, hesse und so), die ganz alten haben eine andere, zeitlose wertigkeit, die sind auch nicht mit meiner komplexen vaterbindung verwoben, da sind die autoren frei in ihrer wirkung, sie stehen für sich, da freut sich mein sammlerherz ganz unbekümmert.
bei bildern ist das anders, da habe ich tatsächlich einen unmittelbaren spark of joy, jedesmal, wenn ich sie ansehe.
ich habe nur eine ahnung, ob meine söhne mal interesse an alten büchern aufbringen werden. einer ist sehr in der gegenwart und im funktionalen glücklich (nur nicht bei seiner kleidung, da zählen schein und sein gleichermaßen), einer hat respekt und sinn für das besondere, der dritte ist in seiner linken phase und sowieso gegen das privateigentum. bei keinem ist es genug, um die bücher zu vermissen, wenn sie weg sind, vielleicht reicht es zu einer anekdote (meine mutter hatte mal …). das wäre auch eher eine ausrede.
die bibliotek ist verfügbar, darf herumliegen, benutzt und durcheinandergebracht werden, die sammlung macht aus den büchern etwas totes, zumindest schweigendes, lauter kleine sarkophage, weil ihr inhalt weniger wichtig ist als ihre einzigartigkeit, nur in diesem schrank, sie stehen als objekte für eine epoche, einen erfolg, eine biographie, nicht mehr als text, roman oder prosa oder gedicht, was immer da jetzt drin verborgen ist. die differenzierung im wert ist vermutlich zu ein oder zwei vierteln quatsch, denn gibt es etwas schöneres als diese einzigartigkeit? man liebt doch den einzigen, nicht die masse, den besonderen, nicht den, der wie alle anderen ist. ein bisschen nehme ich diese besonderen bücher damit aus dem kreislauf, lege sie still, gebe ihnen das zurück, was sie als unbekannte frisch gedruckte dinger hatten: einen anfang. wie in einer metonymie, steht doch ihre einzigartigkeit für die einzigartikeit des textes, den sie als erste unters volk gebracht haben. not?
ein buch, dass am anfang seines weges ist, noch nicht ins netzwerk der literatur eingegangen ist, ungelesen und mit nichts als hoffnung. (gut, die kategorie prätentiös kriegt jetzt auch einen haken.)
mehr eine hommage ans buch als an den markt, vielleicht macht das den sammler aus. der markt ist ein ärgernis, er macht die jagd nach wirklichen schätzen unaffordable statt einfach schwierig. wegen dem markt trenne ich mich jetzt von einigen und hoffe bei ein oder zweien sehr, dass der erlös den verlust wert ist, die anderen gehören eh zu jemandem, der sie lieber haben möchte.
heut abend ein bisschen unterzuckert gelesen, dass ein mann sich einer schwangeren bei der festnahme auf den bauch gekniet hat, dass sie ihr kind verloren hat und dabei allein war, ohne ärztliche oder psychologische betreuung. sehe die beiden menschen wie in einem still, wie durch einen tragische fügung ausgerechnet ein grausamer mann an diese so verletzbare frau geraten musste, wie ein leben dadurch beendet worden ist. wer weiß, was das für ein mensch geworden wäre, ein einzigartiger, ein flüchtling sicherlich. natürlich ist es das system, das zu solchen situationen der wilkühr und brutalität führt, aber es braucht den einen mann, der es tut, der den akt ausführt, den letzten in der kette, von dem außer der kette nichts eigenes geblieben ist, das hoffe ich ja immer fast bei diesen brutalos, dass sie nur staat sind, weil ich den gedanken an grausamkeit und gewissenslosigkeit fast noch beunruhigender finde, aber wahrscheinlich kommen in so einer demokratie bloss beide zufällig zusammen, nur in diktaturen werden sie gewollt zusammengeführt, und so erzogen von klein auf, wie ich heut gelesen hab. wer weiß was den dahin gebracht hat, so zu werden, alles zu verlieren, was das hätte verhindern können, jede wahrnehmung seiner selbst. wie brutal das ist, wenn so ein akt keinerlei vorgeschichte haben muss, um geschehen zu können, vor allem hätte es jederzeit nicht geschehen können, das macht es so unfassbar, dass ein ausgebildeter polizist nicht damit aufhören kann, einer schwangeren den bauch zu verletzen, dass er es nicht verhindert hat, nicht etwas anderes getan hat.
im monitor-film zu der geschichte heißt es nicht „auf den bauch knien“, da zeigt die frau auf ihren unterleib, als sie von ihrer festnahme berichtet, ich denke, sie kann nichts beweisen, das gesetz hinter der abschieberei schützt bestimmt auch den einen täter davor, die tat überhaupt zur kenntnis zu nehmen. sie kannten sich nicht, opfer und täter, sie werden sich wahrscheinlich auch nicht wieder sehen. ich könnte nur schwer damit leben, einen fötus getötet zu haben, die beamten leugnen alles und sind kalkweiße wand geworden, ohne zeichen, ohne gewissen und verantwortung.
und von ihr kann ich nichts schreiben, ich weiß nur „aus dem iran“, es hat die beamten bestimmt gar nicht interessiert. sie hatte den mut, die kraft und die verzweiflung, ihr zuhause zu verlassen und auf die flucht zu gehen, sie hat den weg überlebt, sie ist in deutschland angekommen. der mann hat wahrscheinlich eine ausbildung gemacht und ansonsten nicht viel erlebt. wie unfassbar viel schlimmer die folgen von gewalt sind, was für eine wucht dieser mann dadurch bekommt, sein verhalten hatte auf ihr leben und das ihres kindes mehr einfluss als die flucht, und sie verschwindet beim erzählen schon wieder aus dieser geschichte, und ihr kind ist schon verschwunden. ich wünsche ihr, dass sie wärme und schutz gefunden hat. dass jemand zuhört. bah.
shtisel auf netflix entdeckt, sehr neugierig die ersten paar folgen geguckt. eine rom-com über eine charedische familie in jerusalem. der sohn, akive, soll heiraten und verliebt sich in die falsche, heiratet sie dann aber nur fast, das herzeleid (von mann und frau) wird in blicken, gesten, halbsätzen gezeigt, in gesprächen, in denen es um anderes geht. er gibt seine liebe dann natürlich zu unserem glück nicht ganz auf.
habe es zunächst mehr als eine dokumentation geguckt, aber wie in jeder guten serie passiert die identifikation mit den figuren fast von alleine, die religion ist so selbstverständlich, dass ich als zuschauerin ihre regeln als gegeben nehme, wie eine grammatik, die man ganz nebenbei lernt, sie bietet in shtisel den rahmen, in dem das leben stattfindet, sie gibt den menschen halt und dem alltag struktur. die handlungsfäden umschließen wie bei anderen familienserien alles mögliche, liebe, erziehung, familie, arbeit, alltägliche dramen und oft tragikomische episoden. keine gewalt, nur eine kleine maus erleidet in ep. 4 ein bedauernswertes schicksal. ein epochenfilm, wie es eine der produzentinnen der geplanten usa-adaptation beschreibt („the show will be a period piece set in contemporary times“), für nichtkenner jüdischen lebens wie mich ist die elegante kleidung der orthodoxen männer tatsächlich aus der zeit gefallen wie ein kostüm. weiße hemden sind einfach gut für männer. die starken figuren sind eh alles frauen, ohne die alles auseinanderfallen würde.
die regeln des miteinanders im orthodoxen judentum werden teilweise gezeigt, teils vorausgesetzt, ich habe mich in der halachipedia kundig gemacht und lese auf einer seite für sehr gläubige jüdische frauen kommentare über die authentizität des religiösen alltags in der serie, beim gucken ist das aber nicht relevant, nach ein paar folgen gehört es zum setting und fällt nicht mehr auf. jedes zimmer wird begrüßt beim eintritt, mit einem kleinen handkuss, das fand ich sehr charmant, die vielen danksagungen haben mir gefallen, fürs essen, den tag, das leben.
ein freund der hauptperson heißt farshlufen, ist das nicht hinreißend? hab es erst für einen spitznamen gehalten, oder für yiddisch, das ich ja auch zu verstehen glaube, wie rumänisch. werde fortan einen der zwillis so rufen.
über den jahreswechsel zu einer freundin ins polnische gefahren, eigentlich wegen der netten gesellschaft, aber die einladung kam besonders gelegen, weil ich so emma aus dem lärm holen konnte. wir haben gut gegessen, haben viel über uns, die hunde, die kinder, die arbeit, die männer geredet und um null uhr eher pflichtschuldig kurz angestossen. am ersten januar kleinen spaziergang an die oder gemacht, die freundin lebt in einem paradies, völlig naturbelassene landschaft. zuhause noch mit kuchen den großen gefeiert, der am 1.1. seinen 20. geburtstag hatte.
gemerkt, dass ich mir nix längerfristiges vornehme, nur so ein- bis drei- monatsziele. ich möchte die ersten 20 seiten von „fundamental algorithms“ verstehen, weil mich mein verstehen der ersten paar seiten so verblüfft hat, ich hab es es nicht für möglich gehalten. mal schaun, ob ich diese faszination auf die mathematik übertragen kann.
werde meinen 50. diaversary irgendwie feiern, am 1. februar, weiß noch nicht genau, wie. mit freunden natürlich.
mir ist erst jetzt aufgefallen, dass nicht mein gewicht dauernd um mehrere kilo herumwackelt, sondern meine waage. ich hab sie von meinem diabetesbedarfsladen geschenkt bekommen, als ich noch in neukölln wohnte, in den achtzigern.
seitdem ich vg-wort-zählmarken nutze, vermute ich bei vielen blogtexten eine extrinsische motivation für die länge („Genügend: nein, 400 fehlen“).
neulich wollte eine bekannte ganz unerwartet von mir wissen, ob ich meine erfolglosigkeit vielleicht einer art adhs zuschreiben würde, sie hätte da drüber nachgedacht, vielleicht wäre das auch ein problem bei meinen kindern? ich war zu höflich und zu fassungslos, sie einfach stehen zu lassen, aber ich habe noch eine weile darüber nachgedacht, über diese wertungsbeflissenheit bei andern leuten, die vermutlich auch über sich selber so urteilen, in marktwirtschaftlichen kriterien. über ihr urteil („erfolglos“) habe ich nicht nachgedacht, es tangiert mich nicht so, mein schwerpunkt liegt einfach woanders. ein freund hat mich beim ausgehen auch mal darauf angesprochen, er war mir freundlich gesonnen und meinte, wir (er und ich) würden ja auch eher später im leben unseren weg finden, oder so ähnlich. das konnte ich bestätigen, es ergab sich ein interessantes gespräch.
warum tangiert es mich nicht?* es liegt am diabetes, denke ich, und dem daraus resultierenden training in der wahrnehmung des ist-zustands, aller ist-zustände. mein unmittelbares überleben passiert nicht von alleine wie bei gesunden leuten, ich habe dafür bis vor ein paar monaten dauernd entscheidungen fällen müssen, insulin, essen, bewegung, alkohol, erst seit der verwendung von aaps wird das deutlich weniger, die entspannung darüber ist grundlegend, und kommt nur langsam ans licht. die gegenwart ist nicht mehr zuerst stoffwechsel.
ich kann mich jetzt in ruhe den anderen existentiellen ängsten widmen, wie der suche nach einem zuverlässigen brotjob. das klappt ja seit jahren nicht, liegt an mir, aber auch an den verschiedenen arbeitgebern, es beschäftigt mich, ob ich wirklich so schlecht bin, dass sie mich nicht mehr wollen, oder ob es der markt ist, der eine bindung an einzelne arbeitsnehmer überflüssig macht. es ist weniger ein vorhaben als eine notwendigkeit, etwas zu finden, weil das leben als alleinverdiener mit drei kindern und hund einfach mehr kostet, als ich verdiene. das genügt ja eigentlich als streßfaktor.
nachdenken über arbeit. hatte nie einen traumjob, vielleicht als mädchen kurz mal die schriftstellerei, aber dazu fehlt mir die disziplin, und auch der ehrgeiz ist für mich eher eine rätselhafte kampfsportart, die mich nicht so interessiert. ein job soll mich nicht ganz fressen, ich brauche viel kraft für mein leben außerhalb, es war mir zeitlebens nicht so wichtig, womit ich geld verdiene, und irgendwo bin ich immer untergekommen. schreiben war schon ein schwerpunkt, aber das journalistische schreiben macht für so mittelbegabte wie mich viel arbeit bei (heutzutage) sehr wenig lohn, und es gibt genug leute, die das wirklich wollen und können. junge leute, die bei instagram zuhause sind.
dabei möchte ich gar nicht unbedingt etwas tun, mir genügt die vorstellung davon. die meisten dinge sind nicht interessant genug, um sie mit aller kraft tun zu wollen. die idee der dinge ist ein kosmos, ich sehe da paläste und habe ein gefühlspanoptikum zur verfügung, um die vorstellung einzurichten, also gelegentlich, kurz vorm einschlafen. der weg ist viel mehr mein zuhause, also nicht toll gitarrespielen, sondern beim üben besser werden. ist natürlich auch bisschen quatsch, weil ich ja auch bei gleichbleibender tätigkeit in jedem neuen job alles wesentlich neu lernen darf, abläufe, menschen, beziehungen, pflicht und kür.
*bei meinen kindern habe ich auch keine sorgen. ich will nichts zu privates über sie schreiben, obwohl es sie nicht sonderlich stört, sie lesen es ja nicht, aber sie könnten selber schreiben, wenn sie es wollten, und sie tun es nicht, also lass ich es auch.
nach all der weihnachtsorga und dem gerenne ein kleines behaustsein im alles-immer-allein gefühl, eine genugtuung, als könnte ich so ganz nebenbei büßen für die fast vaterlos aufgewachsenen kinder. möge es wirken.
franziska uhl ist eine ungeheuer vielseitige künstlerin. sie nutzt malerei, radierung und skulptur, sie kann sich in jedem material zustande bringen, die technik fügt sich ihrem stil und ihren formen, gibt was dazu, nimmt etwas weg, sie gehören zusammen, bereichern sich. kenne sie aus ihren anfangszeiten, wir sind befreundet seitdem, sie ist eine von ganz wenigen unbeirrbar und nicht „nur“ nebenbei kunstschaffenden im freundeskreis.
ich habe eine sammlung sehr schöner radierungen von ihr, alle im selben format, die ich je nach laune in wechselrahmen unterbringe, wild, stark, ein bisschen gegenständlich, aber so, dass man formen oder etwas kreatürliches zu sehen meint, sich aber nicht sicher sein kann, die arbeiten ziehen den blick ins detail, auf die feinen linien, bleiben aber als ganzes immer in bewegung
im letzten jahr hat sie sich auf malerei konzentriert, eine serie dieser bilder wird bis zum 26. januar in berlin gezeigt, in der galerie ei in der göhrenerstraße. zusammen mit ein paar ihrer skulpturen.
lauter farbräusche, 40x40cm tiefes rot oder blau oder grün, mit feinen verläufen, dicke, gesättigte strukturen, sehr bestimmend im raum. hab mich in einige verguckt, aber sie sollten für sich hängen, weil sie den blick auf sich ziehen, so anders sind, sie brauchen eine wand für sich, oder man hängt viele gemeinsam auf, wie in der galerie. die arbeiten verstärken sich gegenseitig.
auf der seite der galerie kann man schön in die bilder tauchen. ich mag sie, obwohl sie nur farbe zeigen, beim schauen hab ich gemerkt, wie sich der schwerpunkt in der bildwahrnehmung verschiebt, die farbigkeit hat einen starken sinnlichen reiz, und die farben fordern entscheidungen: blau ja, orange und rot sowieso, grün lässt mich eher kalt. diese bilder machen jeden zum synästheten.
besuch in der villa liebermann zur ausstellung, über eine stunde wartezeit, kaffee mit schlechtem kuchen, großartiges ambiente mit blick auf den wannsee, großen räumen, kaminen. in der schlange zur kaffeetheke mache ich dauernd genervte kommentare, schon fast giftige, ein bisschen zu laut für ganz leise. davidzwilling gleicht aus, lenkt ab, versucht, meine laune zu heben, das alarmiert mich ziemlich, habe ich doch einen ganzen dunklen see an erinnerungen daran, wie ich die launen meines vaters und die stimmung meiner mutter versuche vorherzusehen und ihnen ausgleichend zuvorzukommen, von mir ist nichts übriggeblieben in diesen momenten, ich war nur noch reaktion. kann den fokus, den zündfunken meiner wut am sonntag nicht ausmachen, sie richtet sich scheinbar gegen das museum, gegen die ganze wohlerzogene gelassenheit im umgang mit der wartezeit, ich bin voller wut gegen den sichtbaren reichtum der anderen museumsbesucher, ihre zurückhaltung, ihr leises geplauder über kulturelle dinge. ich bin sogar wütend auf die großkalibrigen automobile, mit denen sie anreisen, die damen schmal und stilisiert – nein, einfach mit lebenslangem selbstverständnis gut gekleidet. ich bin wütend auf das eine paar, vater und sohn, freundlich im umgang miteinander, ohne die kleinste geste des missmuts über den lauf der dinge, ihrer zufriedenheit mit sich selber gar nicht mehr bewußt, sie nie hinterfragend. ich fühle mich auffällig anders, war seit einem halben jahr nicht mehr beim friseur und man sieht es, graue schläfen, rausgewachsener schnitt, fühle mich schon durch aufmachung nicht dazugehörig und nehme den wohlstand der anderen als filzwand war, die jede energie von außen beim einschlag vernichtet (das war jetzt eine merkwürdige formulierung), und von innen hört man nichts. meine mutter passt da hin, zumindest äußerlich, ich würde es gerne, und weiß weder warum, noch warum der verlust so akut ist. erst jetzt fällt das so starke bild von den beiden ab, sie sind eben eine familie, die am sonntag ins museum geht, keine repräsentanten einer utopie.
einen tag später fallen die puzzlestücke zueinander. schon in der villa hatte ich thomas mann im kopf, die liebe meines vaters für autor und texte, das großbürgerliche als bewußte lebensform und ambiente, es war die selbstverständliche bildung, die ihn anzog, glaube ich, bildung als garant für ein zivilisiertes miteinander, seine wahlfamilie, als abstand zu allen anderen bei gleichzeitiger wahrnehmung aller anderen durch den blick des künstlers, das wollte er zeitlebens sein, ein schon immer dazugehöriger, und war es nie, als von der mutter erst zugunsten eines ewigen nazis verlassener, später nach rom nachgeholter hochintelligenter junger mann. sein leben war wie der letzte satz grade, immer die eigenschaften vorneweg, die kann man sich aussuchen und anerziehen, das subjekt im schatten hinterhergezogen, es bleibt verborgen und gehört nie ganz dazu, wird nicht gesehen. er hat sich ein leben ausgesucht und es gelebt, kultur, karriere, literatur, wohlstand, mit voller wucht, und es hat nie gereicht. er ist nie ganz weggekommen von der frühen verlorenheit, vielleicht hat ihn das so wütend gemacht, in der wut war alles andere egal, seine kinder, seine erfolge, da war er ein junge, der trotz der prügelstrafen von vater und stiefvater wütend war und blieb. ich habe am sonntag diese wut gelebt, als einen gleißenden kern, der die öffentlichkeit nicht scheut, und konnte sie vollkommen verstehen. es fühlte sich richtig an.
ob ich meine wohnung airbnb-tauglich machen kann? werde vieles entpersonalisieren müssen, das organisch und meistens eher entropisch gewachsene neutralisieren, also viel kram aussortieren. denke, es ist nicht so leicht, sich in wohnungen von fremden wohlzufühlen, wenn die so biografisch geprägt sind, voller geschichten stecken, wirklich schöne und konsistente einrichtung geht ja nur mit engagement und/oder geld, mit einem gleichgewicht zwischen entscheidungen für möbel und für objekte. design als eine art firewall vor der individuellen realität, als entscheidung, die zum privaten klar in einer beziehung steckt, es überschreibt, unterwandert, betont oder ersetzt, wie kleidung den körper. bei den meisten leuten: dem privaten vorausgeht, alltag und familie füllen später sowieso alle lücken auf. die alternative wäre kargheit, reduktion, weiße wände, nehme ich auch meist als schiss vor der entblößung wahr, oder die pflege der wohnung als gestalteten raum, den es zu beschützen gilt vor dem chaos des alltags. wohnungen mit einem vollständig durchgeplanten aussehen fühlen sich falsch an, tot, die kontrolle als lebensmaxime.
wohnungen voller bücher kann man sowieso nicht richtig einrichten, es stehen einfach überall regale herum. sobald die bücher zu stapeln werden, hat man ein bisschen die kontrolle verloren. im idealfall sollte platz genug sein für ein paar wände ohne bücher, diese großen altberliner oder stadtpalais-wohnungen, zeichen für erfolg, anders als bei leuten wie mir, wo auf jede horizontale fläche immer noch was draufgelegt werden kann.
bücherwände bis zur decke, mit leiter, gegenüber dann der blick ins grüne durch bodentiefe fenster. am leichtesten geht einrichtung, wenn die nächste wohnung größer wird als die jetzige, wenn es leere zu gestalten gilt statt fülle zu strukturieren.
oder der magnetismus von zeug. liegt ein teil herum, kommt das nächste hinterher, in so einem sicherheitsabstand, bis der staub sich darauf ablegt, dann ist es nicht mehr eins, sondern verschwindet als teil der unordnung.
die fahrt mit dem großen im übervollen auto quer durchs land habe ich sehr genossen. wir reden und schweigen und hören radio, kein schatten nirgends. er freut sich und ist neugierig, ist so präsent und da, bei sich und bei mir, ich glaub nicht, dass die entfernung da etwas dran ändern wird. wir laden nachmittags seine kisten in die noch leere wohnung (wg wird gegründet, er ist der erste), die vermieterin ist eine zarte, weißhaarige und schön gekleidete alte dame. „die jungen haben was zu erzählen, die jammern nicht immer, wie es alte mieter tun“, darum vermietet sie gern an studierende. ich denke, dass die studis sich auch weniger stören am klo auf halber treppe, den alten kleinen heizkörpern, dem ungestrichenden charme des hauses. sie umarmt mich zum abschied, „und wenn sie sich mal sorgen um ihn, können sie ruhig anrufen“. das fenster des großen geht auf den wintergarten hinaus, dahinter ist alles grün vom verwucherten garten. wir kaufen gemeinsam eine große matratze, die auf dem dachgepäckträger ins neue zuhause transportiert wird, besorgen bretter/glasbetonsteine für sein regal, suchen nach einem schreibtisch auf ebay-kleinanzeigen.
es ist noch zeit für eine große lange runde durch trier, der dom macht mich sprachlos, er ist elegant und würdig, kompliziert und schön, im vergleich dazu ist der petersdom nur bombast, zeichen für macht und herrschaft. rede mit einer nonne im kreuzgang, sie fragt, ob der große der neue ist, es zieht nämlich einer ein bei ihnen, der keine wohnung gefunden hat, „ein 18jähriger im kloster, hab ich der mutter gesagt, der ist bestimmt nicht glücklich darüber“ sagt sie und lacht. ob er theologie studiert, fragt sie den großen noch, das würden nämlich viele machen. sicherheitshalber sagt sie uns noch die termine für messen in den kirchen der stadt, „wer bei uns kei meß kriegt -“ sagt sie, der große: „… der will keine“. lachen. zu den weihnachtsmärkten soll ich spätestens wiederkommen, die seien besonders hier.
der große ist beeindruckt. wir plaudern und reden und spazieren durch die nicht riesengroße altstadt bis es dunkel wird, kehren in einer studikneipe ein und verzehren im freien riesige portionen mit fleisch, sahne und käse. es ist weingegend, also nimmt der große einen wein und mag ihn. alles voller sehr junger leute. schöner tag.
auf der rückfahrt großartig bekocht worden von frau fragmente, endlich habe ich sie besuchen können, es ist so schön, wenn die freundschaften zwischen netz- und außenwelt hin- und herwechseln können. nach einem spaziergang zurück richtung berlin. spontan noch in weimar bei einer anderen freundin rast gemacht, dort kuchen und einen eimer walnüsse bekommen, erst um 2 zuhause gewesen, keine zeit gehabt fürs traurigsein.
hier wieder engpässe, eine hohe zahlung wird fällig, meine jobs bringen zu wenig, es geht nur, solange keine sonderausgaben anfallen. einen großen stapel erstausgaben bei bassenge angemeldet. letzte woche ist auch noch die gastherme ausgefallen, wie im jahr davor sind wir ohne heizung und warmwasser, bis der installateur zeit hat. meine sachbearbeiterin im finanzamt stellt mich zur rede, ich hätte doch gesagt, ich wolle im letzten jahr dies und das machen, was denn damit wäre, ich solle bitte ausführen. sie ist mein personifiziertes überich, andrerseits endlich jemand, der es genau wissen will.
die wohnung hat sich verändert, seit die zwillis jeder ein zimmer haben, sie scheint mir kleiner, seit einer ausgezogen ist. ich warte mit dem aufräumen, bis alle möbel sortiert sind und. wenn ein blätterhaufen hoch in die luft gewirbelt wird und erst wieder unten ankommen muss, sowas, macht keinen sinn, vorher aufzuräumen, und ich weiß noch nicht, wo die teile landen werden. es wird alles neu gelegt.
langsam wieder substanz in den alltag bekommen, in den gewohnten sicheren kleinen schritten. flache halbschuhe gekauft, ein paar paare, in denen die füße nicht weh tun. habe ja eine überhandnehmende schwäche für diesen college-style, chinos, polos und rl-pullover, gern auch mit karohemd und mokassins. das frausein erstmal für eine weile hinter den ofen packen und gut getarnt fest auftreten.
großer hält sein zimmer in einer konstanten unordnung, unter der man es nicht mehr sehen kann, der rest ist auseinandergenommen und verpackt. es soll keine sekunde länger mehr sein zimmer sein. merke, dass all die sprüche und filmszenen (USA, college, eltern, volles auto) nur sehr allgemeine chiffren sind für den auszug vom kind. es wird nicht wieder einziehen. keine trauer, aber ich werde ihn vermissen.
grad ohne cgm, weil ich den neuantrag verpeilt habe und jetzt warten muss, bis die kasse das nächste jahr bewilligt. sehr strange, keine linie mehr zu haben, nur noch punkte. habe meine alte pumpe repariert und getestet, sie läuft einwandfrei, und eine neue beantragt. neue firma, nach uraltem patent gebaut, in vielem steinzeit, dafür mit bluetooth, übers handy steuerbar und problemlos zum loopen verwendbar.
es wird eine stadt weit im westen werden, an der grenze zu luxemburg, gerade noch großstadt, um die 12.000 studenten. er will sofort ausziehen, am liebsten morgen, hat sein zimmer schon vollkommen in kisten verfrachtet oder verschenkt, und natürlich ist sein zimmer schon vergeben an einen der zwillis, die sich ohne krieg und duell einigen konnten. womöglich sind die auch schon erwachsen. leselisten, rezepte, ratschläge mimetisch im gespräch versenkt, glaube ich, er sagt: mama! und umarmt mich kurz.
vielleicht bleibt viel mehr so wie es war, nur der weg an die oberfläche wird länger, jeden tag ein stückchen. die sensorischen wege von der menge an bekannten und unbekannten leuten zu einem gesicht, dass ich sehen kann, sehen-nichtsehen, das war nett, aber es war hauptsächlich nichtsehen. wir alle drumrum ein paar jahrzehnte älter geworden, die brüche sind verarbeitet, die brüchigkeit haben wir im griff, eine müßige differenz. meine ist mir noch im weg. müde und nüchtern nach hause. (parties)