freies thema

ich kann die kinder nicht mehr richtig beeinflussen. die zwillinge halten ihre freien vorträge in dieser letzten schulwoche des jahres, sie haben sie in der schule vorbereitet, alles, ich musste nur die bilder ausdrucken, nein, sogar das können sie schon selber, ich durfte eigentlich nur die texte korrekturlesen und darauf achten, dass die nicht komplett aus wikipedia abkopiert waren. sie halten über themen aus der grossen sommerreise, gregor über sequoias, david über die freiheitsstatue, bei beiden sind die noten wichtig für die zeugnisse. und ich durfte fast nichts machen! gregor wollte keine meiner tollen ideen, mit denen er alter und grösse der mammuts hätte zeigen können, hat aber immerhin unseren kleinen sämling im blumentopf mitgenommen. david hat immer nur gesagt „nein mama, ich mach das selber“. jetzt paar sorgen darüber, dass die anderen eltern da massiver eingreifen durften und die kids mit grossen powerpoint-präsis ankommen, mit gut durchformulierten vorträgen.

meine erziehung zur selbständigkeit läuft dem schulsystem zuwider. wie es die lehrerin vom grossen damals bei einem elternabend zur notengebung schön geschildert hat: „naja, wenn die vorträge schöner gemacht sind, dann honoriere ich das natürlich, weil das ergebnis benotet wird“. die frage davor war, ob eine offensichtliche elternbeteiligung zu abzügen bei der benotung führt. drücken sie den jungs die daumen bitte.

pedo mellon a minno

wir mussten durch schnee stapfen, um dorthin zu kommen. es war außerdem die allergrößte leinwand, vor der ich je gesessen habe, von links nach rechts füllt sie das gesamte gesichtsfeld. der film lief nicht mit den gewohnten 24 bildern pro sekunde, sondern mit doppelt so vielen, das ganze auch noch in drei dimensionen, eine ordentliche dröhnung also. an einigen stellen ist mir schwindelig geworden, ein par mal hatte ich unwillkührlich die hand vor augen, wenn etwas geflogen kam, und aus den nachbarsitzen mit den jungs kam „ah“ und „oh“, außerdem mehrere hinweise, das jetzt gezeigte komme aber im buch gar nicht vor, so dass ich in der pause erklären musste, was „annalen“ bedeutet. es lohnt, für den hobbit ein kino zu suchen, das bei der technik mithalten kann, wir waren im ehemaligen imax am potsdamer platz. auf ledersesseln. mir hat der film gefallen, wenn auch die leichtfüßigkeit  der handlung etwas leidet, weil all diese megaeffekte so bombastisch sind, es ist ja eigentlich eine kleine geschichte von kleinen leuten, auch das nachvollziehbare in der figurenzeichnung (der unfreiwillige abenteurer) verschwindet etwas unter dem größenwahn des regisseurs. jackson beherrscht sein handwerk souverän, er will das in jeder minute neu zeigen und leidet bissken an horror vacui, aber die seele einer geschichte braucht ruhe und brüllt nicht donner und doria die ganze zeit, sie ensteht im kopf des zuschauers, wenn man sie lässt. die lotr-filme machen glücklich*, der hobbit überwältigt sein publikum eher, und das hat das buch nicht nötig. gefallen mit abstrichen.

ich mochte die längen am anfang, wenn man sich ein bisschen in landschaft und persönlichkeit suhlen soll, bin ja sehr für gemächliches leben, ich hab gelacht, den atem angehalten und fand einige der zwerge sogar recht attraktiv, das mag aber an meiner momentanen situation liegen.

und neuseeland ist traumhaft schön.

*dochdoch. vor den filmen habe ich meine zerfledderte italienische ausgabe alle paar jahre neu gelesen. der film wurde dem gerecht.

penisg’schichterln

im alten blog 400 offline-texte. weiss auch nicht, wie das passiert ist. löschen ginge nur einzeln, aber stört ja keinen, die paar mb auf einem server in A. bisschen egogewurschtel, den text unten hab ich klar einfach vergessen online zu setzen, jetzt ist es wohl zu spät bzw. das buch vergriffen? tja. welches buch? das weiss ich eben nimmer. es hört sich nach einem prima weihnachtsgeschenk für schwester und cousinen an, ich habs irgendwo, finde es nur leider nicht mehr, ist ja immer dunkel, wenn ich zeit zum suchen habe, weiß jemand den titel?

6. april 2011

neulich über ein buch von max goldt gelesen, dass ich weder kannte noch besass, voller goldt-gedichte, die wiederum voller hummeln und barsche sind und sogar mindestens einen penis enthalten, es gibt zu meiner freude sogar „Penisg’schichterln aus dem Hotel Mama“, obwohl ich mich zu meinem bedauern an die geschichte nicht erinnern kann, zumindest nicht in dieser form, und auch – nein.

jeder text hat außer der lyrik auch noch mindestens eine überraschende wendung, oder auch ein überraschendes fehlen einer wendung, was mehr ist, als man gemeinhin von einem gedicht erwarten darf, aber deswegen wollte ich das buch gar nicht unbedingt sofort. ich habe es natürlich schon, obwohl gedichte ja warten können und ich für den notfall immer welche zur hand habe, aber mit dem hinweis auf eine begrenzte und numerierte ausgabe kriegt man mich sofort.

die texte sind außergewöhnlich gesetzt, vom drucker martin z. schröder, alle unterschiedlich mit der hand, in alten und wohl auch fast ausgestorbenen schriftypen (die wurden „abgelegt“ nach dem buch, heißt das für immer?), jede seite anders, sie illustrieren die texte so, dass man das alberne manchmal erst nach einer weile bemerkt. das buch glitzert. echt, man rutscht unweigerlich ins adjektivische beim beschreiben. konkrete poesie, für erwachsene, ein bisschen zu dünn ist es leider, 8 blatt, 32 seiten, plus deckblatt und umschlag. das blog des druckers hab ich dann auch entdeckt, es gibt das büch direkt beim drucker noch zu kaufen für 28 euro, man muss nicht bei amazon 99 dafür ausgeben, kann man aber natürlich.

edit: „nackt in einem märchenschloß voll wirklich schlechter menschen“ heisst das schmale buch, ich habs im zimmer wiedergefunden und auch im netz, bei isa. es ist vergriffen, aber der nächste band ist noch zu haben. er heisst: „Sind wir denn nur in Cordbettwäsche etwas wert?

 

kekse, fieber, bbc

gestern statt keksen und wienerschnitzel beim hochfiebernden davidzwilling geblieben, während es draussen immer weiter schneite. mein profihasentum daran bemerkt, dass ich den kleinen heissen kopf auch allein mit den brüdern gelassen hätte (paracetamol), wenn die schon um vier mit dem vater und nicht erst um 20 uhr mit der s-bahn dazugekommen wären.

das kleine  appletv-ding ist total großartig, ich kann meine lieblingsserie von bbc statt auf dem kleinen ipad auf der großen glotze gucken, ruckelfrei und in annehmbarer qualität, ich kann von allen rechnern und handys musik dorthinstreamen, mit hdmi in den fernseher, mit optischem kabel in den verstärker, es hört sich besser an als über kopfhörer. nichts anzumachen, nichts einrichten. so einfach.

new tricks heisst die serie, in der ältere polizisten unaufgelöste mordfälle bearbeiten, ein durchgängies vergnügen. vier staffeln sind über die bbc-app online.

den hund mit winterlichem leuchthalsband ausgeführt, bei schnee nicht nötig, wie ich gemerkt habe. er hüpft und tobt und freudenspringt wie ein kleiner schwarzer plüschball durch den weissen background, jedesmal, das hündisch lückenhafte kurzzeitgedächtnis ist da sehr glückssteigernd.

10-15 cent?

wenn die 10 monatlichen freien nyt-artikel mal wieder durch sind und der monat noch nicht rum ist. genervt, wenn ich den vorteil von zeitungen im netz nicht geniessen darf, das selektive und internationale lesen einzelner artikel.

warum, also ich verstehe das wirklich nicht, das ist doch das naheliegendste, warum gibt es keine möglichkeit, die sahneartikel zu kaufen? die seite 3, oder die theaterkritiken? für angemessene cent-beträge, entweder über flattr oder über kreditkarte oder über weeßdennicke, gerne auch mit daten wie bei itunes. statt dem weiter lesen– link gibt es dann nach dem teaser ein bezahlkästchen, nach 2 sekunden kann ich lesen, wo ich zeit sparen kann. ich mag dafür keine 3 euro ausgeben.

so im lauf eines monats habe ich einen haufen zeitungen im browser, eigentlich alles was geht, keine ganzen kompletten zeitungskörper, ich picke mir mal hier und mal da einen artikel heraus, warum? weil ich es kann. meine netzlektüre folgt mal einem themenbaum, mal dem zufall, einer laune oder den links von anderen. ich möchte in meinem lesestil nicht mehr allzuweit hinter all diese wunderbaren möglichkeiten zurück, ich will nicht den ganzen spiegel kaufen im netz, er ist nicht gut zu lesen, ich kann nicht blättern, wenn alles, dann lieber das echte heft, eine zeitung ist kein album, das im ganzen mehr als die summe der einzelnen songs ist, wo es eine kurve, einen aufbau, einen zusammenhang gibt, eine zeitung ist kein kunstwerk, es ist handwerk, der zusammenhalt ist der veröffentlichungstag, und die ordnung der inhalte. wahrscheinlich gehen genau da die meinungen auseinander und es gibt so einen gedanken wie den aus der bücherwelt, wo die gut verkäuflichen das experimentelle und/oder literarische buch am leben erhalten? aber auch da muss nicht jeder käufer von verloren ein exemplar von liao yiwu mitkaufen. das dürfen zwei verschieden leute machen, und die müssen sich auch nicht kennen, im selben haus leben oder dieselbe kreditkarte benutzen.

ich hab wenig lust dazu, meine bedürfnisse den marktstrategen anzupassen, wenn ich damit auf die ganzen vorteile im netz verzichten muss. umgekehrt wird doch ein schuh draus. und all diese möglichkeiten gehen doch nicht mehr weg, man kann natürlich eine mauer davor setzen, dann bleiben halt die leser weg.

der corriere della sera hat eine originelle mauer, der hält bloss die facebook-leser draussen, ich hoffe, das ist stil und keine baustelle.

überhaupt hätte ich ja früher gerne so ein gemischtes abo gehabt, montags die sz wegen der nyt, dienstag öhm vergessen, wer da was hatte, mittwochs die faz wegen der wissenschaftsbeilage, donnerstags den tagesspiegel, weil der ist eh immer gleich langweilig, und so weiter. das haben doch taz und faz mit ihren wochenendausgaben mal gemacht, lief das nicht auch ganz gut? jetzt ist das selektive lesen möglich, aber ich darf nicht. auf dem rechner würde ich vielleicht einzelne autoren oder themen abonnieren – aber nicht drei komplette zeitungen, nichtmal, wenn es die nyt ist. das traurige gefühl, wenn ich ungelesene zeitungen wegwerfe, lauter artikelwaisen, immerhin das habe ich bei ungelesenen elektrojournalen nicht. kleine unaufgerufene dateien vereint euch! neenee.

hatte aus neugierde mal die faz als pdf, man kriegt dann aber reduktion und muss auf alles verzichen, was das lesen im netz erträglich macht, es ist schwer zu lesen mit maus oder touchpad, es scheinen auch dieselben texte zu sein wie auf faz.net, warum soll man dann in eine pdf kriechen? bestimmt eine übergangslösung, aber der abturnende affekt wird eine weile halten bei mir. die app der berliner zeitung ist angenehm, aber ich kaufe mir keine komplette zeitung im netz, wenn ich es nicht muss (reine rethorik, weil da hab ich ja ein echtes abo, dass ich leider mit dem ipad nicht ins ipad kriege, muss man anrufen mit dem telefon, ja, ich bin faul). die faz plant ein bezahlmodell, hab ich gelesen, mal sehn, bei allen alles oder nichts- modellen bin ich draussen natürlich, aber es geht ja nicht um mich, es geht ja um die zeitung, also der zeitung geht es um die zeitung und nicht um mich als leserin, ich wünsch ihnen da alles alles gute, aber mein budget ist begrenzt. ich liebe die nyt, aber ich kann auch sehr gut auf sie verzichten, bis der monat um ist und ich wieder lesen darf, bis dahin lese ich die washingtonpost und salon, und nochmal, ich würde wirklich gerne für die artikel bezahlen, ich liebe zeitungen sehr.

warum nutzen die verlage nicht alles, was das netz bietet? wahrscheinlich sind mir die wichtigsten juristischen und journalistischen argumente dagegen bloss nicht eingefallen. es muss ja gute gründe geben.

 

imago

gestern abend auf der bbc-app eine doku über die mappa mundi von hereford gesehen, die karte aus dem 13. jh, eine mittelalterliche kombination aus abbild, weltentwurf und mythisch-religiöser inszenierung von geschichte. kannte ich die karte schon? nein. ein passendes hä?-geschenk für die jungs gefunden, sie bekommen ein plakat und dürfen rätseln. gleich bereut, dass ich den großen doch nicht auf ein humanistisches gym geschickt habe, latein ist ja wirklich einfacher als französisch.

ich habe eine grosse schwäche für karten. für wertvolle habe ich keinen platz, aber alle reisen stehen hier noch im regal, und natürlich der falkplan „mit allen grenzübergängen“. mein vater hat unsere familie einmal bis zu mercator zurückverfolgt, 16 jh., aber ich habe die aufzeichnungen nie gefunden und halte die geschichte inzwischen für einen familiären mythos, es gibt auch nur einen geografen in der familie.

aber die alten, zerfledderten, mit bleistiftzeichen, bei denen ich noch die kühlerhaube darunter sehen kann, wo wir sie raufgelegt hatten beim x-ten verfahren in frankreich, die  spanienkarten zerrissen, weil ich sie im offenen käfercabrio liegen hatte, und mein gott, was habe ich mich gern verfahren in meinem leben. wenn jetzt das navi ausfällt, fluche ich laut und drücke drauf herum und bin auf unangenehme weise verloren, aber mit einer karte weiss man ja noch ungefähr, wo man grade langfährt, dann anhalten, karte auseinanderfalten, konzentrieren, suchen, mit durchatmen verbunden, während einen das navi-neu-laden erstmal wieder wegholt vom reisen.

 

advent

ich habe tatsächlich den adventskalender vollkommen vergessen. wir nehmen seit ewigkeiten denselben, sackleinen mit filzdeko, ich musste ihn also nur schnell aufhängen, während die kinder in ungewohnter freiwilligkeit mit hund nach draussen stürmen (schnee), notfallgummibärchen rein, zack: freude in kinderaugen. das war leicht. ich bin stolz darauf, dass ich den kalender so schnell gefunden habe, weil er normalerweise im laufe eines jahres von der obersten in die unterste kammerschicht transfundiert.

ich selber freue mich seit minuten darüber, dass ein junger mann auf der couch sitzt und mit nichtmalmehr annähernd treffender brummstimme die weihnachtslieder auf der cd mitsingt, die er selber hören wollte (letztes jahr war noch sopran möglich). der hund hat sich danebengesetzt und kann sich den ganzen oh tannenbaum lang nicht entscheiden, ob er das kind trösten oder ablenken soll, das kann ich an seinen ohren lesen, es sieht nur so aus, als würde er die rhythmisch hoch- und runterklappen.

 

schulwechsel

die zwillinge sind in der 6. grundschulklasse, beim diesmaligen lehrergespräch geht es hauptsächlich um die abläufe und bedingungen bei der wahl der weiterführenden schulen. bei den gesprächen mit den lehrerinnen der zwillinge gelernt, wie sich der schnitt errechnet, hauptfächer mal zwei, die anderen noten nur einfach, bis 2,2 unbedingte gymnasialempfehlung, bis 2,7 ermessensspielraum, „aber es ist schon eine grössere entscheidung, so einem schüler eine empfehlung zu geben“. beide lehrerinnen schreiben alle ausserschulischen aktivitäten mit auf die förderprognose, instrumente, sport („verein ist besser“), kirche und theater und what not, falls noch jemand grundschulkinder mit freizeit hat – füllt sie, denn man kann das nicht ganz aus dem blauen erfinden, die lehrer kennen ja die kids. es sind 3 zeilen dafür vorgesehen auf dem formular.*

gefreut über den davidzwillling, über den seine lehrerin lauter wunderbare dinge gesagt hat, er entwickelt sich, ist gut integriert, lernt eigenständig, lässt sich nicht ablenken, ist sozial und arbeitet mit, nur einser und zweier, als ich es ihm zuhause erzähle, fragt er erst ungläubig nach und strahlt dann sehr, und traut sich seitdem gelegentlich, seinen bruder zu verkloppen.

ich werde ihm erstmal nicht erzählen, dass er gegen hunde und katzen allergisch ist, wie heute erfahren, „häufig nicht gegen den eigenen hund“, sagt die arzthelferin am telefon, aber er soll den kontakt möglichst gering halten. well. nun gut, ich werde die weckprozedur morgens ändern (emma springt zu david ins bett und legt ihren kopf direkt neben seinen kopf) und sowieso, öfter mal neue herausforderungen! habe null lust auf google-exegesen, lieber eine schön bebilderte broschüre vom arzt mit do this und don’t do that.

zurück zum thema schule und berlin: mit dem englischen ist es an ihrer grundschule so, dass die englischlehrerin der zwillinge erst drei wochen und dann nochmal 4 wochen krank war, und es berlintypisch mit der krankheitsvertretung gar nicht geklappt hat. es gab keine. der unterricht ist einfach ausgefallen, weil sich dummerweise auch keine eltern fanden, die zeit und staatsexamen zur verfügung hatten. nach den ersten wochen kam die lehrerin eine woche wieder, lang genug, um eine arbeit schreiben zu lassen, bei der die noten sehr lala waren, dann verschwand sie aufs neue, um einen monat später wieder aufzutauchen, rechtzeitig für die klausuren. die noten in englisch werden auch zweifach gezählt, „unter vorbehalt“ wollen sie nicht dazuschreiben, ich hab gefragt, „schreiben sie doch dem senat, wir können da nichts machen“, heisst es.

das ist berlintypisch, glaube ich, menefreghismo auf jeder amtsebene. aber die verantwortung für den bildungsstand der kinder ist in D höher als in anderen ländern**, und man verliert jahre, bis man das bemerkt. sollte mit auf die infoblätter vom senat: vertrauen sie der schule ihrer kinder nicht. es liegt nicht an den lehrern, die bis auf zwei ausnahmen alle in ordnung waren, es liegt an der erschreckenden unsicherheit des systems über sich selber, glaube ich, und dass höchstes engagement für die bildung keine selbstverständlichkeit ist. vielleicht geht es in den köpfen der entscheider auch um standesdünkel? ein undurchlässiges system schützt ja auch diejenigen, die aufgrund des sozialstatus ihrer eltern eine gute bildung genossen haben, und macht scheint sehr schnell ins wertsystem der machthabenden hineinzusublimieren. ich habe inzwischen gelernt, dass die vielen pädagogischen gründe für schulreformen nur fassade sind und es meistens nur um eine anpassung an löcher in der haushaltskasse geht, dass also der pädagogische nutzen nur sekundär, der finanzielle dagegen hauptausschlaggebend für neue ideen ist, das sagt einem natürlich keiner, kein lehrer, kein schuldirektor, kein senator. mein großer, 8. klasse, hat in seinen schuljahren mehrere große reformen über sich ergehen lassen müssen, das jahrgangsübergreifende lernen fing in seiner ersten klasse an (soll jetzt wieder abgeschafft werden), oder die reduktion auf zwei schularten (haupt+ realschulen abgeschafft, ex-haupt- mit den ex-realschülern in sog. sekundarschulen) ohne änderung der abschlüsse (die wurden nur unbenannt, realschulabschluss heisst jetzt msa, beim hauptschulabschluss ist ihnen die lust ausgegangen, der heisst jetzt berufsbildungsreife) und natürlich ohne änderung der kinder, die genauso unterschiedlich gestrickt sind wie zuvor. es ist bestimmt nur ein zufall, das jedes modell weniger kostet als das vorherige, die klassen größer, der lernstoff mehr und die schulzeit immer kürzer wird. laut bildungsbericht tabelle b1 sind die berliner ausgaben von 2000 bis 2009 von 5,2 auf 5,0% des bip gesunken, da muss man schon sagen: viel schaden für son bisschen ersparnis. europaweit ist deutschland sowieso eine peinliche niete.

und wer musses ausbaden? ich! in berlin außer den schülern immerhin auch die eltern.

 

* und dass die versorgung der kids mit all diesen extras den familien leichterfällt, die die finanziellen und logistischen mittel (zeit! üben, bringen, kuchenbacken) dafür haben – na wie praktisch, noch ein easy zu habendes distinktionsmerkmal.

** heute irgendo was über eine studie darüber gelesen, aber wo? aber wo?

s***l

die winterstiefel, die ich haben wollte, habe ich über google bei einem holländischen onlineladen gefunden, als restpaar sehr herabgesetzt. es gab keinen hinweis darauf, dass sie auch ins ausland liefern, deshalb habe ich eine mail hingeschickt, die sofort, noch am sonntag, beantwortet wurde. keine automatische antwort, sondern eine persönliche und gutgelaunte, die schreiberin hat dann nachgesehen, ob es die schuhe noch gibt, hat sie mir reserviert und gestern kamen sie an, mit handschriftlichem adressaufkleber, wie für ein glas selbstgemachte marmelade. die eigentümerin ist auch kinderbuchillustratorin, wenn ich das holländische richtig errate (es wirkt immer so charmant, wo das deutsch eher hart und krächzig klingt). i’m intrigued,  und ich mag den ins netz gezogenen kleinen laden um die ecke, wo man noch ein bisschen mit der inhaberin plaudern kann. ich wünsche ihr erfolg, aber nicht zuviel erfolg  – möge ihr zeit bleiben für etiketten und anderes.

(der nachteil beim schuhkauf in  virtuellen läden: man wird nachher zugespamt mit werbebildchen der gesuchten schuhmarke, auf jeder besuchten öffentlichen seite. das aufwändige säubern der cookies ist ein ärgernis, das man bei der zeitersparnis durch den online-kauf mit einplanen muss, wie die schnaken bei dämmerung fallen sie über meinen browser her. die schuhfirma erscheint mir jetzt als weltherrscher, da ich sie über- und überall vorfinde. stalkertum ist eine belästigung, tatsächlich finde ich diese werbe-programmierer vor allem unerzogen, aber hey, ich weiss, ich weiss. und meine illusion, ich hätte einen zumindest eigenartigen geschmack, hat sich  auch restlos erledigt.)

herr x geht weiter

(bild gehandyknipst auf der abc 2012, künstler)

es gibt da wen, der mir aufgefallen ist, ist das nicht nett? er ist groß und vollbärtig und sein haar ist leicht zerzaust, auf eine nicht-hipster-art. ich begegne ihm immer beim joggen, und zwar auf dem heimweg, wenn es mit der coolness vorbei ist. er grüsst mich inzwischen, wahrscheinlich kennt er meine doppelgängerin hier im bezirk, die mir zum verwechseln ähnlich sieht, also für männeraugen: braune haare und brille. ich könnte ein taschentuch fallenlassen! habe aber kein sauberes mehr nach dem laufen. elegant stolpern? ihn nach dem weg fragen, oder ist charmantes fake-unwissen nicht mehr in? ach ach, wenn ich ihn mir aus der nähe ansehen kann, wird mir sein zartes alter und sein ehering auffallen höchstwahrscheinlich.

 

totensonntag

anfang oktober ein besuch beim vater auf dem friedhof am see. meine mutter und die kinder sind dabei, der grosse hat etwas mitgebracht, das er unter den kies legt, meine mutter hat heidekraut dabei, die zwillinge zupfen unkraut und pflanzen die kleinen töpfchen ein. ich sehe auf das jahr, 2003, weil ich immer wieder vergesse, wie lang genau er schon da liegt. der grosse holt die giesskanne und füllt sie mit wasser, die zwillis finden ein plätzchen für die zweite pflanze, direkt auf vaters brust, meine mutter freut sich über das engagement der jungs. die kinder mögen diese kleinen rituale, sie schaffen eine beziehung zu dem opa, an den sie sich kaum erinnern können, auch mir helfen sie, über meine fehlende trauer. ich halte mich trotzdem vornehm zurück und vermeide es, das grab anzufassen. den kindern tun die familienbande gut, sie mögen das sehr, die fäden, an denen sie hängen können in zeit und raum, es ist ihnen wurscht, dass dieses zuhause in italien liegt, es könnte ebensogut bayern oder rumänien oder der hamburger raum sein, andere orte mit familie und mit gräbern, italien ist noch nichts, was die coolness erhöhen kann. ich erinner heut noch den  typen auf einer party im mauerberlin, der mir auf irgendeine italienstory sehr entschieden entgegnete, das könne niemand so gut wissen wie er, er habe nämlich da gelebt. danach habe ich aufgehört, meine italienische jugend ständig zu erwähnen.

in berlin hatte die familie meiner großmutter väterlicherseits eine apotheke und diese großmutter hat an der tu berlin ingenieurswissenschaften studiert, „immerhin“, wie alle sagen, aber sie hat dann in die ferne geheiratet, und die beziehungen zum berliner teil der familie haben wir nie intensivieren können, bis auf die freundlichen fraternisierungen auf den beerdigungen, „ach du bist…? melde dich doch mal“, schade eigentlich, ein pfarrer, ein apotheker, es hätte bestimmt jede menge geschichten gegeben.

meine mutter bedauert, dass mein vater die größer werdenden enkel nicht mehr erleben konnte, mir fällt da nur ein, wie er bei den wenigen besuchen sofort das zimmer verlassen hatte, wenn eins der kinder anfing zu weinen. er ist gestorben, bevor er die zwillinge auseinanderhalten konnte, er hat seine ganzen enkel immer mit freundlicher reservierung betrachtet, ich weiß nicht, ob sie wesentlicher bestandteil seines lebens waren, nicht seines sozialen handeln jedenfalls, soweit ich mich erinnern kann.

auf seinem friedhof liegt er nicht alleine, es sind viele deutsche dort, mein vater kannte sie teilweise seit seiner schulzeit in rom. ich kenne viele der namen, fäustle, leupold, konig, battisti, ich weiß sogar, ob ich die leute mochte oder nicht, und wie gut mein vater sie kannte. meine mutter erzählt den jungs, dass sie auch „einmal“ dort liegen wird, david guckt sie sehr missstrauisch an, als ob sie vorhätte, jetzt gleich zu sterben, dann sagt er „ich werde auch mal unter der erde liegen“. „jo“ sagt sein zwilling, „wir alle“ sage ich, ohne lust auf trost und gerede, „aber nicht hier“, das sage ich aber nicht. die jungs galoppern herum und laufen zurück zum auto, nach ein paar metern richtung parkplatz streiten sie schon wieder, wer jetzt ganz hinten beim hund sitzen darf. ich versuche, die schräge zugehörigkeit zu diesem ort abzuschütteln, den geruch nach nasser erde und die erinnerung an lange verregnete nachmittage dort am see, meine kinderzeit, die ziemlich fest verbuddelt liegt untern den vielen lauten und quirligen sommern am lago mit meinen kindern und mit freunden. das zuhausegefühl, wie ein alter muffiger pullover, in dem man sich nie zeigen wird. eine angebotene dicke edle ralph-lauren-strickjacke am see gelassen, weil der große meinte, ich sähe darin aus wie ein vollöko „im sack“. er hatte recht. nur weil ich die toten kenne, diese leben nicht weniger vorbei als meine kindheit (dieser eine superstarke traum bei der therapie, in dem ich meinem therapeuten sagen sollte, ich hätte jemanden umgebracht, definitiv umgebracht). abends zeigen mir die kinder auf dem handy einen riesigen stapel zombies, den sie bei „pflanzen vs zombies“ erledigt haben, lob ich sie natürlich. tote zombies, gute zombies.

auf dem friedhof und abends mit kindern, hund und grossmutter am tisch und später vorm tv: das fiese leise ätsch-gefühl, eher vom körper als vom kopf kommend: wir leben und machen nur so seltene besuche an deinem schiefergrabstein, aber du liegst da für immer und ewig, oder solange der vertrag eben geht. und jetzt einen grappa.

 

adams–zweig

kind hat im kino die vorschau für „schiffbruch mit tiger“ gesehen. ich brauche ewig, um das buch für ihn im regal zu finden, ich habe die bücher immerhin einmal geordnet, bei einzug, das sind 14 jahre entropie. sowas dauert doch wochen, mit festlesen, aussortieren, erinnertes nicht wiederfinden. klassisches herbstvorhaben, vorräte neuordnen, vs. dem ausmisten im frühjahr. ich brauche immer ein paar sekunden, um mich vom alphabetaren system zu lösen, dann suche ich ein weilchen still und unverdrossen nach den kindersystemen verlag-farbe-größe-bett?-wann gelesen, bis dann langsam andere, nicht gut steurer- oder formulierbare erinnerungen aufblinken, die zu einem gefühl führen, wo das buch stehen könnte. bis ich diesem gefühl vertraue und es ins bewusstsein lasse, das ist die suchzeit.

*

„glaube liebe hoffnung“ in der volksbühne gesehen, zum ersten mal ungeduldig geworden, als der abend immer wieder in stille und einem mehrfach gebrochenen, also akustisch gebrochenen, musikkauderwelsch stehenbleibt. das stück wird mehrfach aufgeführt an einem abend, die szenen dabei direkt nacheinander wiederholt, mit zwei elisabeths gespielt. ich mag das stück sowieso nicht allzusehr, es ist zu statuarisch, bleibt pamphlet, es ist mir zu klar, die figuren brauchen gar keine entwicklung, sie rutschen exemplarisch die geröllhalde runter und landen im sumpf, außer der frau, die landet im wasser. die handlung ist wie in einem boulevard-schicksal aufs wesentlichste reduziert, es ist wie ein plakat von staeck, blablubb, aber natürlich ist es aktuell und präzise, und wenn ich so ein weilchen drüber nachdenke, dann hat marthaler die figuren vergößert und ihre niederlagen irgendwie absolut gesetzt, durch diese verlangsamung und die wiederholungen. man hätte natürlich auch einfach ein paar sätze hinschreiben können auf die bühne, das wäre dann der nächste schritt, der verzicht aufs schauspiel, weil die wahrheit woanders passiert, die ganze zeit passiert, das theater macht den blick frei auf die welt, und zwar sozusagen ganz frei. mäh, bin unterzuckert. schöne stelle: wo die beiden elisabeths ganz leise und wie aus der ferne kommend wer hat dich so geschlagen aus der MP singen.

(hier:)

aber ich hatte während der inszenierung zuviel zeit zum nachdenken über die inszenierung,  zuviel raum. ich bin ein kind meiner zeit, jede minute stille fülle ich mit dem inner stream, leere gibt es nur in ganz seltenen momenten totaler selbstidentität.  wenn man mit dem meditieren beginnt, hat freund a. von einem workshop in indien erzählt, und du eigentlich deinen kopf  befreien solltest, ihn ganz leer bekommen willst, dann kommen stundenlang gedankenketten nach oben. ich sollte noch ein paar mal reingehen, glaube ich, ich könnt mir vorstellen, der abend erlangt dann eine wucht.

im bücherstapel an der regalaußenseite im wohnzimmer: römische satiren. darin wollte ich zufällig eine stelle finden und habe bei persius begonnen, liest sich wie von google übersetzt:

Opfre dein Ich dem Gewinn, treib Handel, erstöbre mit Scharfblick
jegliche Seite der Welt, daß ja kein anderer geschickter
patsch auf hartem Gerüste den Speck kappadokischer Sklaven;
dopple das Gut! „Ich tat’s; schon dreifach kehrt es mir, vierfach,
zehnfach schon in den Beutel zurück; steck ab, wo ich ruhn soll!“

kappadokien.

ich wollte heute bei horaz, dem klaren, nach einem weniger drolligen vers suchen, aber das buch ist schon wieder auf die reise gegangen.

luft

rückfall in alte mutterhuhn-reflexe, wenn einer der mäuseriche im krankenhaus liegt. davidzwilling hatte einen schlimmen asthaanfall und hat keine luft mehr gekriegt, sie haben ihn gleich dabehalten, erst nur für eine nacht, jetzt für eine woche, seine sättigung war bei 88, geht inzwischen aber kontinuierlich nach oben, und das virchow hat eine referenzabteilung für kinderpneumologie, der vorteil einer großstadt. er sieht klein und dünn aus in seinem bett, legt mir aber inzwischen abends nahe, doch nach hause zu gehen, er tut das genau so, nicht laut, nicht fordernd, ein leises „mama, du kannst jetzt ruhig gehen, mir geht es gut“, und versucht sein grinsen zu verbergen, wenn ich frage, ob er lieber tv gucken möchte. am telefon mit dem gregorzwilling gewinnt er inzwischen, weil er länger da ist, länger am tropf hängt und eine sauerstoffmaske tragen muss. gregor sagt dann „aber ich hatte schmerzen!“ und david meint, zu recht, atmen sei wichtiger.