valentine

und dann unterbrechen sie mich, grade als ich auf den hinweis „mama, morgen ist valentin“ mit einer kurzen, eher spöttischen ansprache antworten wollte. „ich war auch im blumenladen“, sagt der große, „aber da waren zwei, die ich kannte, die haben rosen gekauft, dann war es mir peinlich, aber vielleicht gehe ich morgen noch“, die zwillis diskutieren die tatsache, dass man „in der, wie heißt sie noch, oberschule“ solche sachen einfach so machen kann, und wie gut der große es da hat. „wenn du in der fünften einem mädchen sagst, dass du es liebst, dann weiß das sofort die ganze schule.“ die jungs kichern sich fröhlich und aufgeregt durchs abendessen. „in wen bist du? komm, sags mir!“ davidzwilling bleibt ungerührt und sagt: „ich bin noch nicht soweit“, spielt aber beim essen einige szenarien durch, bei denen seine identität als briefeschreiber geheim bleiben könnte. später bittet gregorzwilling mich um den alten füller meines vaters, füllt ihn mit tinte, und schreibt mehrfach einen valentinsbrief, bis er ihm gefällt. er klebt eine seidenpapierblume mit tesafilm drauf und schmuggelt die gabe in seine schultasche. beim vorlesen sehe ich, dass er nasse haare hat, sorgfältig gekämmt. „nein, mama, das ist son haarspray! nicht anfassen!“

jetzt bin ich für eine weile vom spott geheilt.

it was only ever love, sagt er, und in einem andern post: das herz sei ein muskel, der dem willen nicht gehorcht. ich sage dann wie immer nein, bitte nicht, die tage sind so voll von anderem, wie kann es nur die liebe sein? niemand redet von der liebe, also niemand auf fb oder g+ oder in den blogs, sie scheint privat wie verdauung, nach stunden in kultur oder politik fallen manchmal ein paar nebenbeisätze, am liebsten anekdoten, abgeschlossene geschichten, und nur von denen erzählt, die auch keine haben, der rest ist schweigen. ich übe mich dann in lobliedern auf freundschaft, kultur und kinder, aber ich habe eine gewisse restneugierde: wie ist es, geliebt zu werden, sich womöglich daran zu gewöhnen? wird das normal wie ein dach überm kopf, kann man tatsächlich monate – oder sogar jahrelang nach hause kommen, und da ist jemand, der dich liebt?

nach den webern bereit sein für die revolution, den ganzen abend wird man auf schlesisch angebrüllt, man solle es jetzt endlich den fabrikanten heimzahlen, das fast rührende bei hauptmann: der fabrikant fürchtet sich kurz, bevor er flieht. die wut und verzweiflung auf der bühne ist so ohrenbetäubend wie herzerfrischend, man hat das schweigen der total machtlosen in der welt im kopf, die von mike daisey mit seiner wow-stimme beschriebene stille in diesen apple-fabriken, dass es an so vielen orten der welt immer noch 1844 ist. mein begleiter, gestandener altachtundsechziger, redete danach eine weile von marx, von bildung und organisation.

mit hund im saturn am alex, etwas kaufen wollen, was ich überhaupt nicht brauche. ich trage emma auf den vielen, vielen rolltreppen, man muss zwischen den etagen immer einmal quer durch ein vollkommen gerechtfertigt wirkendes universum voller kaffeemaschinen, ein mann steht auf der ersten etage und lächelt mich an, wegen emma, denke ich, und lächle zurück. er folgt mir auf den rolltreppen, bis ich oben in der apple-ecke stehe, dort ist so ein noppenboden, anders als drumrum, emma will nicht gleich drauf, ich benutze den „und weiter“- befehl, sie tappt vorsichtig mit langer nase aufs applegrundstück. als ich aufsehe, steht der mann direkt vor mir, er hat gar nichts käuferhaftes, er ist zum zeitvertreib hier, denke ich, im oh-no-modus, aber gucke ihn mir natürlich an, er hat ein armes gesicht und einen edlen mantel, mit einem auffälligen rotweißgestreiftem schal, der mantel neu, der schal nicht. er zögert und kommt näher. ich will eigentlich nur geld ausgeben und nicht reden und sage eher ungelenk is was? er winkt ab, nein nein, gar nichts. ich stehe da wie festgeklebt und bin wehrlos, weil ich traurig bin, er ist das auch und redet stockend weiter. „ich bin nicht von hier, ich bin aus villingen-schwenningen“, sagt er, schwäbisch mit unklarem akzent, ich denke: wow. „von da bin ich aber auch nicht, ich komme aus italien, süditalien“. ich gebe auf und atme aus, der hund kriegt das irgendwie sofort mit und legt sich vor mir auf den boden, wir sind im weg, die hipster stehen an den ganzen macs und ipads, alles große, gutaussehende männer in ollen jacken und mit bärten. ich antworte in seiner sprache. er erzählt mir nach wenigen sätzen sein ganzes leben, wie er einmal abends nach hause kam, und seine frau war mit den beiden kindern ausgezogen, nach 6 jahren, er hat sie nicht geheiratet, obwohl er katholik ist, hätte er das, und wären sie in italien geblieben, dann wäre sie nicht gegangen, und gleich wird er seine kinder wieder treffen auf dem alex, zum ersten mal ohne das jugendamt, nach 5 monaten. er war beim jugendgericht heute, und es war eine meraviglia, er darf die kinder sehen, einmal im monat, sie war die liebe seines lebens, sagt er immer wieder, „sie ist die liebe meines lebens, und sie hat mir alles genommen“. ich will immer dazwischen und ein bisschen über die liebe reden, aber er hat keinen sinn für sowas, er sieht mich mit einem ganz offenen gesicht an und sagt am ende: „heute ist ein guter tag, ich habe sie getroffen und sie können italienisch, und gleich sehe ich meine kinder.“ ich fühle mich wie ein sahnebonbon und gebe ihm nicht meine nummer, er fragt auch nur halbherzig danach, als geste der höflichkeit. wir geben uns die hand zum abschied. danach will ich mein geld ausgeben, schon mit weniger schwung, und suche einen saturn-menschen. einer steht vor einem sony-laptop und putzt es mit einem sony-tuch. „ich bin gleich bei ihnen, wenn ich mit diesem rechner fertig bin“, was? frage ich, und denke, dass das ein tag voller wunder ist. nach minuten putzt er immer noch. ein anderer steht vor einem toshiba-laptop und redet mit einem kunden. stelle mich daneben und warte, nach ein paar minuten merke ich, das sind freunde, die unterhalten sich über ihr lebensthema, toshiba. es dauert ewig, danach frage ich nach meinem artikel, nein, gerade das haben wir nicht vorrätig, sagt er. ich trage emma wieder raus aus saturn, gar nichts mitgenommen, was gut ist, weil ich brauche dieses ding nicht wirklich, und denke, dass mein karma heute nett zu mir war. wir laufen nach hause, den ganzen prenzlauer berg rauf, meine ohren werden so kalt, dass ich joggen muss mit meinen winterwanderstiefeln und dabei die hände auf die ohren halte.

facebook

letzte woche war ich auf einer finissage, vor allem weil sie zwischen 11 und 16 uhr stattfand,

[hier ein kurzer zwischenruf an galeristen: ihr könntet die riesige horde an kunst- und kaufwilligen müttern mit einer kleinen zeitplanänderung in eure vernissagen locken: beginnt nachmittags. wir trinken auch dann schon einen kleinen wein, aber lange nicht so viel wie abends, wir sind meistens ausgehungert nach anspruchsvollem smalltalk und werden uns selbstverständlich um angemessene kleidung bemühen. in den meisten fällen treffen die frauen die kunstentscheidungen in wohnungen, jetzt mal abgesehen von den hardcore-sammlern.]

und habe mich dort im vorgestellten buch festgelesen. nicolaus schmidt hat die profilbilder seiner facebookfreunde durchgesehen und einige davon als buntes und überraschendes kaleidoskop veröffentlicht, es sind bilder der unterschiedlichsten personen. er hat einige dieser freunde auch über deren fb-nutzung ausgefragt, in den texten werden die möglichen umgangsarten mit dem medienkraken nochmal gespiegelt, es geht von „weil alle es machen“ bis zu „facebook ist mein leben“.
ich hab in der auswahl von nicolaus einen hauptunterschied zwischen älteren und jüngeren nutzern gesehen: das leben der jüngeren findet direkt auf facebook statt, es passiert dort, jetzt grade, es wird nicht mehr erzählt wie von uns, den eher traditionelleren vernetzten. wir leben außerhalb von facebook, dort landen zeugnisse von veranstaltungen, reisen, filmen oder büchern/texten, an denen wir teilgenommen haben, ganz klar mit einem chronologischen aspekt, postkarten von der reise durchs soziale leben, höchstens noch marketinghilfe für events jeder art, mit diesen einladungen und dem ewigen kommst du? kommst du?– gefrage wie bei kindergeburtstagen.

die anderen, die fb-natives sind auch mit leichter hand ausgewählt, die bilder total anders, es sind behauptungen, kostümierungen, fließende bunte einzelteile, die wenig von der welt zeigen, sie sind alle teil eines selbstentwurfs, denn man muss/darf, whatever, sich ja inzwischen selber entwerfen, designen. ob es diese person im realen leben wirklich gibt, ist nicht mehr interessant, die einzelteile tragen alles wesentliche in sich, es ist ein lautes ich bin. die inszenierung ist nicht mehr nur maske, sie scheint weit unter die haut gerutscht und soll mit dem kern identisch werden, mit dem armen kleinen ego, das bei uns allen irgendwo unter der schale sitzt. wie christoph meckel es einmal beschrieben hat: „Ich seh dich /schön verwandelt in den Traum von dir –/ aber du, in der Zeit, verletzlich, verführbar/ zitternd vor Verlangen, angstvoll, sprachlos“.

die erste zeile des zitierten gedichts, aus „Souterrain“ passt genauso, sie lautet: Immer mehr Verlangen nach facilité, da kann man ja nur jaja brüllen, laut. im ernst, ich liebe facilité sehr, als geisteshaltung, sie ist ein ideal von mir.

zurück zum buch: wenn ich mir diese ausgewählten fotos der natives anschaue, dann brauche ich keine fragen mehr stellen, es ist alles gesagt, die wirklichen personen dahinter sind nicht relevant, es sind alles wysiwyg-figuren. sie haben eine ganz eigene konsistenz, bisschen dorian gray, bisschen kunstwerk, oder ist das jetzt zu psycho? well, maybe. ich finde den gedanken total faszinierend, ich bin einfach noch nicht drauf gekommen: was, wenn es tatsächlich genügt, sich ein anderes leben einfach zu entwerfen? wenn man es gar nicht wirklich leben muss? das ist doch schon verlockend.

facebook : friends zeigt jedenfalls viel mehr, als ich dachte, als ich zuerst davon gelesen habe – natürlich in einer facebook-einladung.

ich wollte ein buch kaufen für eine geburtstagsparty und habe im wunderbaren buchreigen gleich noch ein paar andere mitgenommen. neugierig roches schoßgebete angefangen, hauptsächlich wegen dem sex am anfang des buches ehrlichgesagt, sie schreibt wirklich gut, es ist schlicht und nur ein bisschen erschreckend in seiner ausführlichkeit, ich denke dann, okay, man denkt so vor sich hin bei diesen und anderen sozialen interaktionen, aber so denke ich nicht, das kenne ich nicht, also jetzt nicht inhaltlich, sondern stilistisch, der duktus, das herzlose, und lese dann so angenehm interessiert vor mich hin, bis ich dann nachts nach der party an die stelle mit dem unfall komme, der über seiten und seiten nicht mehr aufhört. ich war vollkommen wehrlos und ich hatte keine kritiken gelesen, schon die über feuchtgebiete nicht, weil ich das thema einfach nicht so interessant fand, hätte ich mal, und dann lag es da im laden für nur 8,50 – nimmt man mit, klar.

im nachhinein lese ich diese detailversessenheit, ihren blick auf jede falte, jedes haar, diesen ganzen stream als versuch, den tod vollzutexten, bis er verschwindet, zumindest aus der gegenwart.

ich hab das buch in der nacht sehr angerührt sehr weit weggelegt, es ist vom bett gefallen dabei, jetzt grad bei einem hundespaziergang versucht, dieses gehtnicht quasi einzunorden – es gibt viele viele tausend mütter und geschwister, die in kriegen, nach attentaten oder eben unfällen mitten durchgeschnitten werden durch den tod der kinder, das solltest du als leserin aushalten können, das gehört in den bildungshorizont, das leiden, aber es fällt mir zu schwer. ich kriege diese berührung nicht richtig ab, wenn ich das buch zumache, weil es wirklich passiert ist, es geht nicht mehr weg in all seinen details. ein notwendiges buch für die autorin, aber ich habe nicht verstanden, warum ich mich da so hineinwerfen lassen soll. mal gucken, ob ich es noch weiterlese. was soll ich mitnehmen als leserin? (natürlich außer ihrem vollkommen gerechtfertigten hass auf diese arschlöcher der bildzeitung, klar, der ist notwendig.) der rest der welt soll auch leiden, kann ich verstehen, es ist alles unfassbar entsetzlich, was da passiert ist, sinnlos, zuviel für eine seele. man erfährt die muster der auseinandersetzung mit trauer, die kleinen heilungsvorgänge, die zwänge, die rückfälle, die ganze absurde unausweichbarkeit, aber das handwerklich tolle, das sehr gut geschriebene, dass ich erkenne und wahrnehme, das hilft mir nicht über den inhalt hinweg, den ich schlicht nicht aushalten mag. kann. nicht muss. wenn ich das buch richtig durchlese, wie es gemeint ist, also mit der ich-erzählerin identifiziert, dann benötige ich als leserin mit jeder menge weichteilen danach selber hilfe, eine art supervision, vermutlich ein nächstes buch der autorin, um aus diesem leben wieder herauszufinden. aber ich mag ihre hommage an den körper als das einzige, was wir sicher haben.

trotzdem: i prefer not to.

auf eine vernissage nicht gegangen, weil mir die webseite nichts gesagt hat über die arbeiten und gar nichts über die künstlerinnen. man sieht nur ein objekt, etwas unerkennbares, könnte etwas gesticktes sein, oder mit gips? konzeptkunst, nicht festlegbar, nicht stillhaltend, bisschen plastisch, bisschen dekorativ, es macht undefinierbare aussagen über sich und das sein in der welt, es ist beige, und sagt nicht mal leise: hier bin ich, ich muss, ich will. das webloghafte dieser kunst, ich sollte das mögen vielleicht. werde hingehen mit den jungs und ihrem monsteranspruch („der hamburger bahnhof, das ist das langweiligste museum der welt, mama, da geh ich NIE wieder hin“). es sind schon wieder ferien, zum donnergrummel.

der nächste beste film kommt bald, mit einiger wahrscheinlichkeit ein lieblingsfilm: moonrise kingdom. ich mag die filme von anderson auch deswegen vollkommen kritiklos, weil ich meinen kindern genau so eine kindheit machen will, es klappt natürlich eher im sprachlichen (mehr nebensätze, mehr überraschendes vokabular, mehr geschichten vor allem, unerklärtes.)

23.12., kein tag für anfänger im kinderhaben: morgens streiten sie nur wie eine frische brise, mit kleinen niedlichen brechern, vereinzelten schaumkrönchen, aber es dräut bereits mächtig am horizont. dazwischen, über die mittgspause und in der flaute danach gibt es eine kurze runde ruhiges spiel, aber seit einbruch der dunkelheit herrscht orkan, die schiffe alle gekentert, die seehunde geschlachtet und ausgestorben, die wale werden eben gerade harpuniert, noch im tode schreien sie mark-er-schütternd. grad ruft der eine: „hör auf! morgen ist immer noch weihnachten!“, aber für reue ist es jetzt zu spät. die schreie ziehen über den horizont und werden und werden nicht leiser, erst spät in der nacht wird es ruhiger, nach langem ergiebigem sturm und einem regen, der keine fläche trockenlässt.

danach liegen sie alle in ihren betten, lächeln, und sagen „mama, morgen, morgen ist endlich weihnachten!“