ihre haut ist fein und weiß, sie liegt in kleinen falten über dem schmalen körper. sie hat keine zähne mehr und kein gebiss, ihre lippen sind eingefallen, sie liegt halb auf der decke, halb schiebt sie die decke weg mit bewegungen, die gleichzeitig zart und fahrig sind. ihre arme und hände rudern herum, ihr krankenhaushemd rutscht dabei erst hoch, dann gleitet ihr arm heraus und sie liegt nackt vor mir. sie scheint zu reden, ohne dass ich worte erkennen könnte, die ganze zeit kommen ein-oder zweisilbige laute aus ihr heraus, mit einer leisen dringlichkeit. sie hat kaum mimik, kein lachen oder weinen, nur ihre augenbrauen sind noch im spiel. sie hebt ihren kopf oder versucht es, eine große unruhe ist in ihr, aber sie hat zuwenig kraft, um den körper in irgend einen zusammenhang zu bekommen. ich versuche, sie zuzudecken und frage sie, ob ich das darf, lege die decke über sie, aber sie bewegt sich weiter und liegt schnell wieder nackt, ihre brüste fast mädchenhaft klein. vielleicht muss sie mal, denke ich, und sage einer schwester bescheid, die meint, sie würde gleich kommen, aber es dauert noch eine weile. hilflos versuche ich, mit ihr in kontakt zu treten, sie sieht mich nicht richtig an, ihr blick ist unfokussiert und wandert hin und her, wie ihre arme. sie hat ihr hemd mit einer hand umwickelt und hebt die immer wieder, endlich komme ich auf die idee, dass sie angezogen sein möchte, vielleicht nicht einmal nicht nackig, als ob die scham komplexer ist und schneller verloren geht als die reine gewohnheit, kleidung zu tragen, aber ich weiss das natürlich nicht. es fühlt sich nicht übergriffig an, sie anzufassen, ich schiebe ihre kleine hand durch den weiten ärmel, lege ihren kopf aufs kissen, decke sie zu, wie ein kleinkind, und sie wird ganz ruhig. dann kommt die schwester mit einer bettpfanne ins zimmer, „musste pullern?“ fragt sie laut, klappt die decke hoch und die frau zur seite, legt die bettpfanne hin und die frau oben drauf, freundlich und resolut. „alles gut, mutti“ sagt sie noch und geht wieder raus. ich rede weiter mit dem menschen, den ich da besuche, die frau ist die ganze zeit sehr unruhig und windet sich hin und her in ihrem bett. nach einer viertelstunde oder so kommt die schwester wieder, die frau hat eingenäßt, sie bekommt eine windel, das bettzeug wird gewechselt, danach wird sie ruhiger. nach dem essen wird mein patient in ein zimmer mit jungen leuten verlegt, die schwester entschuldigt sich, sie hätten soviele pflegebedürftige grade da. großen respekt vor dem pflegepersonal und auch den nahen verwandten, die da einen umgang mit finden müssen, und hoffentlich einen pyjama für die alte dame, vielleicht in einem schlafsack, wie bei einem kleinen kind.
Autor: Casino
entlieben, mäandernd
frau fragmente hat einen sehr schönen text übers entlieben geschrieben, und da fühle ich mich irgendwie auch als profi, hab ich mich doch genauso oft ent- wie verliebt, ungefähr alle zwei bis drei jahre.
erlebe mich nach dem entlieben nicht wie ein neues selbst, eher wie in einer vorübergehenden verhärtung des jetzigen, weil ich die gefühle ein paar monate lang intensiv verdrängen und nicht zulassen darf, ich muss sie richtig austreten wie einen funken, es sind ja immer großartige und strahlend sichere gefühle, ein mächtiges ist so. nach der trauer kann ich dann wieder aufmachen und bin mir wieder näher.
fragmente schreibt: „Die Hoffnung ist die zerstörerischte Kraft überhaupt“, das ist ein bitterer satz, aber der moment der klarheit kommt leichter und schneller mit den jahren, man erkennt das alte im neuen und kann schneller darauf reagieren, obwohl, manchmal wünsche ich mir einen modus, der das kämpfen ermöglicht, gegen die erfahrung und das offensichtliche, alles setzen, nicht nur leise für sich, sondern offen und für den anderen, tun, was man kann, weil jede liebe schutz verdient? wäre das freiheit oder masochismus? da bin ich mir auch noch nicht so sicher, praktiziere aber den kontaktabbruch, als sichersten weg. wir waren ja auch beim entlieben, das beginnt erst am ende der strategien.
ich erinnere es als wirkliche arbeit, erleichtert durch das bei fragmente erwähnte abflauen des oxytocins (wenn es nur oxytocin ist, war es keine liebe), die entmutigung, wenn mal wieder klar ist, dass es nix wird, weil man ja eine body&soul-sicherheit („ja. alles.“) wegdenken muss, die so real ist wie der tag, besonders in der endorphinösen phase, über die ich leider nie hinausgekommen bin in den letzten 12 jahren. immer als kalten entzug erlebt, mit der liebe geht ja auch die intensität der wahrnehmung, dieser unverschließbare zugang zur welt. den abschied von vornerein als unvermeidbaren und ebenso vergänglichen teil des abenteuers begriffen.
es gibt schönere bilder für die liebe, sie drängen selbst in einen versuch übers entlieben. love is.
es gehört dazu, wenn es mich mal wieder erwischt, plane ich das entlieben im kräftehaushalt von anfang an mit ein, wird es gehen, hast du genug ressourcen, geht das noch einmal? lohnt die liebe das erwachen, ist es das wert? hast du zeit dafür grade? es ist ein zu erwartender preis, den man für ein paar tolle wochen oder monate zahlen wird, ich möchte heute keine meiner lieben missen (gut: fast keine), ich erinnere die magie und nicht den kummer danach. die praxis verhilft einem zu einem zustand, der erst nach dem dritten oder vierten korb möglich wird: entspannte freiheit im und von dem mangel, er wird zum blinden fleck, mit dem ein gutes leben möglich ist. darauf kann man sich verlassen auch im entlieben, es gibt andere dinge, kinder, freunde, bücher, arbeit. musik.
und die so bezaubernde wie nagende erkenntnis, dass jede liebe bleibt, einen fußabdruck hinterlässt, den man auch nach jahren noch wiedererkennt. mein pathostroll dazu: dein zertrampeltes herz!
wäre neugierig darauf, wie es sich das selbstfahrende entlieben anfühlt, ohne ein nein als auslöser, in einer langjährigen beziehung, als normalen prozess ohne trennung. ich stelle es mir wie ein verebben auf normalnull vor. ändert sich so eine liebe nicht sowieso alle paar jahre (oder jahrzehnte, how should i know), und man muss seine neue form im alltag erkennen, würdigen und feiern, als bewussten erkenntnisprozeß? bei dem dann die gefühle magischerweise auch ohne rausch überleben, in anderer form.
also yeah, wie immer: still not saved. won’t happen.
alte platten
ø
hba1c ist 5,7! es war wohl mehr ab als auf in den letzten wochen, trotzdem ein sehr, sehr gutes gefühl. (könnte man, wenn es nicht so sehr tmi wäre, einen tagesbericht diabetes in den wechseljahren machen: angefangen heut früh mit einem blutzucker von 327, nach abendlichem superwert, also keinem frühstück wg wert, korrekturbolus wirkt um 13:00, als ich noch beim arzt sitze, bei dem ich um 11:30 einen termin hatte, hypo, vorsichtig korrigiert mit 2,5 BE traubenzucker, konzentrationsschwierigkeiten bis ca. 14:30, dann frühstück, normaler postprandialer wert von 168 um 16:00, dann nach hunderunde eben um 19:00 wieder weit über 200, deswegen kein yoga und frust über einen dieser tage, hunger, werde irgendwas gemüsiges essen müssen, kohlehydrate gehen erst wieder ab ca. 22:00, wenn der blutzucker wieder im normbereich ist, und dann ist es wegen unübersehbaren nachtwerten zu spät. trinke ich einen whisky drauf.)
kw 38
mit der schwester ein paar tage verbringen, sie begleitet ihre tochter, die nach berlin gezogen ist. wunderbar, wir verstehen uns wortlos und sehen uns viel zu selten. wir spazieren herum, mitte und prenzlauer berg, ich wundere mich über die touridichte und die menschenströme auf den strassen. die kunstwerke lassen uns und andere vorzeitig in ihre neue ausstellung, etwas über die sehnsucht nach dschungel, gelungen ist sie, eine empfehlung, ein paar sehr sehenswerte arbeiten über phantasie, natursehnsucht und modernes leben. einen laden für hundezubehör entdecken wir, mit eleganten leinen und schönem anderen kram, kaufe nix, weil ich alles schon habe und in einem soliden pragmatismus lebe.
ein abend mit freunden, einer mit docbuelle und s., in alter tradition im due forni, sehr schön und warm. freut mich immer, wenn ich meine römische schwester mit in meine zusammenhänge bringen kann.
gestern dann ein paar museen, die ausstellung im dhm zu homosexualität_en, sehr lehrreicher überblick über den umgang mit schwulen, lesben und transmenschen in den letzten 200 jahren, mit vielen sehr persönlichen videozeugnissen (wie heissen selfies als video?) übers coming out, jeder menge teils so skurriler wie finsterer objekte aus der langen geschichte der gesellschaftlichen ächtung. leider war der katalog sehr chaotisch aufgebaut, bild nach bild nach bild, ohne eine erkennbare struktur, ansonsten hätte ich den für die jungs mitgebracht, die sind ja noch ein bisschen in limbo und bestimmt neugierig. großartiger neubau von i.m. pei ums zeughaus herum, war da irgendwie noch nie mit vollem bewusstsein drin, sehr repräsentativ und großzügig, elegante toiletten, mit glastüren und marmorbecken, alles sehr edel da, klar hab ich als mutter sofort die schulen und ihre miserable ausstattung im kopf, aber das dhm ist ja eine stiftung des bundes und steht ausschliesslich in der öffentlichkeit, anders als die schultoiletten, in die ja nicht mal die schüler gehen.
über die linden ging eine größere gruppe menschen mit weissen kreuzen, abtreibungsgegner, of all things, dass die immer noch so laut werden wollen! es waren sogar frauen dabei, und sehr viele polizisten. bei der abschlusskundgebung, die wir hören, als wir uns vor dem dhm noch vor dem regen unterstellen, spielen sie eins der schöneren kirchenlieder, „von guten mächten wunderbar geborgen“, weil bonhoeffer sich wohl in seiner ethik gegen schwangerschaftsabbrüche geäußert hat, was mich überrascht. aneignung von schönen liedern übers aufgehobensein, um eine praxis der entrechtung und lebensverändernder übergriffigkeit zu propagieren, sehr unangenehm manipulatives vorgehen.
hab mir für den tag mein rennrad vom großen ausgeliehen, fand es schwer bremsbar (bremsen viel zu weit vorne am lenker) und war wahnsinnig schnell damit, auch beim bergauf fahren alle überholt, wie von selber ging das, meine langsamkeit liegt wohl doch am ollen tourenrad und nicht nur am alter. es hat geregnet, doof ohne schutzbleche, habe aber mein guccitäschchen über dem hintern platziert und so stilvoll mich und die anderen geschützt, rennradfahren ist schon etwas für eher zierliche gesäße.
and if you listen very hard
wir sassen zu viert oder fünft im dunkeln, natürlich um ein feuer, es war zwischen zehn und elf uhr abends, es gab damals in den achtzigern keinen hinweis darauf, wie schwer es einmal sein würde, die einzigartigkeit solcher abende über die nächsten dreissig jahre zu retten. mit der liebe geht das leichter, bei den guten geschichten bleibt das besondere im zentrum der erinnerung, der moment dieses einen kusses, die sekunden davor und danach, nicht die dutzend clichees und tausend filme und die milliarden anderen küsse auf der welt (es gibt natürlich keine milliarden lagerfeuer mit teenies drumrum, sollte es aber.) guido hatte damals wie immer die gitarre, musik flog ihm zu, er spielte auch noch klavier und querflöte (jethro tull), schrieb lieder und war vollkommen zuhause, wenn er spielte. wir hatten kastanien im feuer, es war also schon herbst, redeten, rauchten, sangen oder schwiegen und machten witze. das alter, wo man noch aufgehoben im moment ist, in den minuten vor und nach dem jetzt, mit allen sinnen die blicke spürt, die nacht, die fragen, die hoffnung, ob da nicht etwas möglich sein könnte bei dem einen ihm, der dabei war, ausnahmsweise, weil er sonst mit einer anderen clique unterwegs war, und wie zum teufel ich es schaffen könnte, näher an ihm dran zu sitzen, während das feuer langsam runterbrannte, und guido immer weiter spielte. dann kam eins der stücke, von denen ich jede strophe kannte, ich hab lauter gesungen, weil er auf der anderen seite sass, die anderen wurden still, und plötzlich singt man alleine, sicher und ohne jeden sicherheitsabstand zu den eigenen gefühlen stairway to heaven, alles gelingt dabei, der song wurde dafür geschrieben. (er hat mich an dem abend nach hause gefahren und ist mitgekommen. magic night.)
o2: can’t do
verstehe eigentlich nicht, warum o2 sich auf so eine großveranstaltung wie das lollapalooza nicht irgendwie vorbereiten kann. gibt es keine mobilen sendemasten oder so etwas? die netzabdeckung war nicht nur schlecht, sie war einfach gar nicht vorhanden. kein anruf möglich, 11 stunden lang, wie in einem betonbunker unter der erde, kein netz sowieso, gerade wenn man mit kindern unterwegs ist vollkommen inakzeptabel. auch sms waren kaum zu versenden, man musste wie früher mit der antenne in der hand über das gelände laufen, das glück hat dann für vielleicht eine sms genügt, gleichzeitig kommen die von den kindern vor stunden geschickten nachrichten geballt an, eine minute später heisst es wieder: zustellung nicht möglich. wirklich eine zumutung, dann sieht man neben sich im grössten gedränge vor der seeed-bühne die menschen stehen, die (wohl mit einer telekom-anbindung) munter und lebhaft nachrichten verschicken und selfies hochladen.
(mit den netzanbietern ist es halt klar eine zwei-oder dreiklassengesellschaft, ich kann mir vier telekomverträge für mich und die jungs schlicht nicht leisten, das ärgert mich schon lange – wobei vielleicht die preisdifferenz geringer ist als die der qualität.)
lollapalooza
erstes festival seit sagen wir mal über 20 jahren, und so toll, man kommt mit der s-bahn hin! die kinder sind sehr aufgeregt und freuen sich, es sind unglaublich viele leute gekommen, 45000 verkaufte tickets, hören wir dann. viele wunderhübsche sehr junge menschen, lauter mädchen mit blumenkränzen im haar und glitzer im gesicht, um die zwanzig jahre alt, schätze ich, ein drittel dreissiger, viele mit auch kleinen kindern, und auch ein paar wenige fuffziger wie mich, oft mit teenagerkindern.
ich kannte ja nur wenige der bands, erkenne aber dauernd stücke beim zuhören. lauter echte fans im publikum, der großteil kann mitsingen bei den headlinern abends, dazwischen als beifall unglaublich hemmungsloses kreischen, ich benutze dann mein oropax wegen der fans, nicht wegen der bands.
am samstag hab ich einfach das privileg genossen und mir fast jede band angehört. bin dazu bestimmt über 10km gelaufen am samstag, hin und her über das grosse gelände, das trotzdem nur einen schmalen streifen des riesigen flugfeldes umfasst, die fläche innerhalb des gebogenen flughafenblockes zum columbiadamm hin. „lollapalooza“ weiterlesen
16
dinge, die nach 16 jahren nicht besser werden:
außer einem edding kein stift mehr auf dem schreibtisch.
paketklebeband ist niemals da, wo man es erwartet. ich weiß nicht, wozu man klebeband alles verwenden kann. es ist mir ein rätsel.
hinter den betten befindet sich genau das, was man bei teenagerjungs erwartet
haribos halten erst ab 3kg-packungen länger als 3 tage, und nur, wenn sie gut versteckt sind.
wenn ihre kraft gelegentlich mal nachlässt (wäscheberg, stullen-statt-abendessen oder so) dann sind die kinder genau im richtigen alter, sich für alle zeiten daran zu erinnern.
die konsumierten eier pro tag gehen ins dutzend, nahrung mit vielen kohlenhydraten und/oder vielen kalorien sind wie nie gekauft.
aufgeschriebene passwörter sind nicht sicher. niemals.
die kinder verfeinern ihre diskursiven fähigkeiten und passen sie den mütterlichen schwachstellen an. du weißt nachher selber nicht mehr genau, warum du es erlaubt hast.
komisch, ich hatte doch noch bier im kühlschrank?
der teure concealer ist alle (ja, auch bei jungs).
(kleine vergängliche mahnung, tmi)
ich sage euch, liebe kinder, bevor ihr ernst macht mit euren partnern, schaut darauf, wie sie mit krisen umgehen, mit euch oder anderen. vermeidet unbedingt jähzornige. wenn ein erwachsener seinen jähzorn immer noch nicht im griff hat, hat er den schuß nicht gehört. achtet auf den tonfall in streitereien, schaut nach, ob sie generalisieren („du bist immer“) und ob sie so sind, wie sie sich selber sehen, ob selbstdarstellung und sein sich zumindest ein bisschen entsprechen, bei erwachsenen, ob sie ihre projektionen erkennen und einen entspannt-liebevollen umgang mit ihnen pflegen können, ob sie über sich lachen können. ob sie fragen stellen oder mehr selber reden.
(die ganz kontrollierten sind mir eigentlich genauso unheimlich, aber in die verlieb ich mich eh nicht, die machen mir bisschen angst.)
ach, genau weiß ich gar nicht, wie ich die misere hätte früher erkennen können. gab es zeichen? wo sind meine fehler gewesen, in den situationen, die dann zu handgreiflichkeiten geführt haben, nun, es gab natürlich keine, weil der fehler dann beginnt, wenn einer zuschlägt, alles vorher ist vielleicht schlecht gestritten, aber nicht übergriffig. klare grenze. hat der mann nie verstanden, dass ich da so reagiere, fand er immer übertrieben.
ist es vielleicht auch übertrieben, kommt sowas einfach vor in einer liebesbeziehung? nehme ich das und solche mails zu ernst? schlagt ihr euch manchmal, also jetzt nicht du, s., ich meine die anderen? ich mag die wehrlosigkeit nicht, in der ich dann stecke, die verteidigungshaltung, die mich stumm macht, weil ich autoritär aufgezogen wurde. wenn so eine situation der angst nicht sofort einrastet in einer sich ab dann munter weiter selbstbestätigenden unterlegenheit, ein mechanismus, den ich in anderen situationen ausheilen konnte, vielleicht kann man dann als liebender einfacher darüber hinweggehen, und sieht den anderen eben als choleriker, ohne das persönlich zu nehmen. wenn es nicht eine vorhandene kerbe trifft, sowas. oder ist das blödsinn? lohnt da die differenzierung, wie bei erdbeben, mit einer richterskala? kommt bestimmt darauf an, wie tief man drinsteckt. wenn ein mann (oder eine frau) ensthaft prügelt hilft natürlich nur anzeige und polizei, aber das meine ich hier nicht so. einfach zurückhauen hätte vielleicht genügt, dann ist die energie vielleicht aus der welt, wie in der kneipe, da darf man sich ja rituell prügeln, aber es bleibt ein bescheuertes doppelvielleicht, weil jemand, der grade die kontrolle verliert, bei gegenwehr womöglich noch weiter austickt, das will man ja nu auch nicht unbedingt herausfinden müssen.
ich konnte jedenfalls damit nicht leben, wollte ich nicht, hab ich dann ja auch nicht mehr. habe auch mit dem einen typen, der mal meine kinder geschlagen hat, nie wieder reden wollen, auch das können viele nicht nachvollziehen, aber bei dem ist es ja wurscht, ich muss ja nicht mit ihm reden, anders als mit dem ex.
hey, ich bin das letzte blümchem auf dem acker, licht und wärme, bitte danke. nein, ich bin die frau, die ihre drei kinder fast allein großzieht, 11einhalb jahre lang, und außerdem bin ich ein blümchen auf dem acker! das soll mir mal einer nachmachen.
mit ernst machen meine ich: kinder kriegen. es ist eine mindestens 18jährige zwangsbeziehung, wenn man kinder hat mit dem falschen mann, und die männer sind immer in der besseren position, also wenn man gemeinsam sorgeberechtigt ist und die beziehung der kinder zum vater nicht untergraben will. bah. mehr schreib ich jetzt nicht.
lichtjahre von james salter
in den ferien lichtjahre gelesen, ziemlich begeistert gelesen, eine familie in einem vorort von new york, ehepaar mit zwei töchtern, in den fünfzigern und sechzigerjahren des letzten jahrhunderts. salter schreibt beschwörend, als wäre diese art leben noch in gefahr und nicht schon längst vorbei, als wäre sogar die erinnerung daran in gefahr, das unbekümmerte leben, die dinnerparties, new york vor dem grossen geld.
es gibt ja manchmal gelegenheiten, einen freund, den man sehr lange kennt, in ein oder zwei perfekt treffenden sätzen zu beschreiben, sowas gelingt salter die ganze zeit, in oft überraschenden bildern, auf die man sich einlassen, an die man sich erst gewöhnen muss. fünfziger, sechzigerjahre, ein leben ohne jeden schatten, jede bewegung, jeder tag frei von zweifeln, vollkommen mühelos, in wohlstand und kultur, mit gutem essen, interessanten gesprächen, als ob sich all das dunkle, zweifelnde des lebens einfach nicht rübergerettet hat ins erinnern.
wie die erinnerung an die tollen sätze nachlässt nach ein paar tagen und ein kleiner ärger über eins der tieferliegenden motive des romans hochkommt, die schwäche des autors für die jugend und junge frauen. beim lesen hab ich sie nachvollziehen und sogar teilen können, als in ihrer klarheit eher unproblematische hommage an die schönheit, fast wertfrei, als würde es nicht um glatte oder welke haut gehen, sondern einfach um vanille- oder erdbeereis, bis ich wieder auf meiner eigenen seite war, aber beim lesen war ich einverstanden damit. ich war neugierig darauf, wie der autor das altern seiner protagonistin beschreibt, aber was macht er? er lässt sie einfach sterben. mit 47! salter ist damit schon auf linie geblieben, weil jugend vergänglich ist und die jugend einen großen teil der figur ausmacht, und es passt, dass nichts von ihr bleibt ausser der erinnerung, hat mich aber als identifikatorische, nicht analytische leserin trotzdem geärgert, du alterst und verschwindest aus dem leben. der mann aber lebt weiter, mit einer neuen, viel jüngeren frau, nein, im buch ist es kein clichee, da hat es eine schwebende und fein beobachtete richtigkeit, das leben wie der tod. aber das ist im rl ja auch so, es ist immer dieser besondere mensch, nie seine jugend. der protagonist hat sein lebensglück auch verloren, hat es zurückgelassen, als seine erste ehe vorbeiging, wie das leben eben vorbeigeht, egal, ob man darauf achtet oder nicht. lesenswerter roman.
seewasser
das erste mal in der sonne liegen, nach dem schwimmen, der see dieses jahr sehr niedrig und kalt, die anderen stehen ewig im kniehohen wasser und plaudern, mit verschränkten armen, wer vorbeiläuft, macht kurz konversation. das wasser ist glasklar, man sieht jeden stein und jeden fisch. nach dem bad lege ich mich der länge nach auf mein dichtes badetuch, erfrischt auf die art, die man noch eine weile im rückenmark spüren kann, mit einem bisschen gänsehaut auf den armen, mittagssonne, hell und blendend. langsam so ein kleines wohliges brennen auf dem körper, aber die sonne trifft zuerst auf das wasser, nicht auf die haut, die moleküle verdampfen ein paar minuten lang. dann liege ich eine weile da, die wärme geht unter die haut in körper, muskeln und knochen, der sich mit jeder fühlbaren zelle darüber freut, bevor das ganze seewasser weggetrocknet ist, nur das im haar noch nicht.
der blick auf die mückenstiche bei den anderen am strand, es gibt leute, die haben gar keine, und magneten wie mich.
narcos
endlich mal eine serie nicht als letzte gesehen, sondern am zweiten tag, an dem eigentlich auspacken und ankommen angesagt waren, aber drei wochen mit kaum internet haben zu entzugserscheinungen geführt. einmal angefangen, war aufhören keine option mehr, narcos ist gut geschrieben, lakonisch erzählt, mit sehr trockenem humor, ich mochte auch die stimme des erzählers sehr gern, ein schauspieler, der gestern noch nicht mal eine richtige wikipediaseite hatte. taufrisch allet! kolumbien und sein drogenkosmos waren für mich immer eins der themen, die zu grausam und hoffnungslos zum nachlesen waren, ich habe also eher aus generischem bildungsbedarf reingeschaut und hätte die serie bei den ersten gewaltexzessen sofort wieder verlasssen, aber dann kam eben der erzähler mit seiner stimme, und dem eher englischen erzählstil, souverän aus dem off, der weder nach sozialstudie noch nach geschichtsbuch klingt, sondern eher wie eine art big lebowski als bulle —, nee, mir fällt da hoffentlich noch was besseres ein. narcos zeigt ganz nebenbei auch die vorgeschichte des kokainhandels, die vielen beziehungen zwischen geld, macht und politik werden vollkommen mühelos und gut sortiert miterzählt. sehr gut gemacht, unbedingte empfehlung, und das sage ich, ein ausgesprochener antigewalthase.
ferragosto
gestern ferragosto total im regen ersoffen, dichter, gleichmäßig rauschender regen. die stille um das rauschen herum. heute dann ein gleissender sommertag, tiefblauer himmel, weiße sauber geknüllte wolken, glitzernder see, angenehme 28°. eine freundin zeigt uns ein altes industriegelände, hinter einem park versteckt, mit felsen und ruinen direkt am wasser, die kinder können hohe sprünge machen, darüber ein senkrechter felsen, unbefestigt, eine badestelle wie aus den fünfzigern, davor meine kinder, braungebrannt und beweglich, auf dem spazierweg dahinter die mädchen und ragazzi in kurzen hosen und polos, die damen in hohen schuhen und mit perlenketten am arm der eleganten alten männer, vorsichtig der menge nachlaufend, dazu ein eis.
wir sind früher an den felsen bei s. caterina del sasso schwimmen gegangen, durch den garten des klosters kam man über einen überwachsenen saumpfad runter an den see, vor dem kloster liegt die tiefste stelle des sees, das wasser war dort auch an heissen tagen kalt und klar. jetzt ist alles touristisch erschlossen und renoviert, es ist schöner und nicht mehr so leicht verwahrlost wie in den achtzigern, der weg zum felsstrand ist seit jahren mit neuen toren versperrt. daran muss ich denken, als die jungs allein auf den ruinen bei caldé herumturnen, der platz da hat bestimmt eine ähnliche zukunft.
wir sind im ferienhaus, ein dutzend oder so kilometer südlich der kleinen stadt, die mir genauso nahe ist wie die andere kleine stadt, von der man anderthalb kilometer steil den berg rauf zum haus gelangt. in caldé liegen auch zwei freunde von mir auf dem friedhof, ich wollte eigentlich noch die mutter von einem anrufen, jetzt wird es schon wieder knapp. dieses jahr habe ich lange gebraucht, um aus der erschöpfung aufzutauchen, um anderes als das gewohnte zu unternehmen.
zwei häuser weiter wohnen zwei junge berlinerinnen im teuren gentrimobil, airbnb, sagen sie. ich will eigentlich keine berliner mit touareg hier haben in meinem refugium, die beiden passen auch nicht zu ihrem auto, können es kaum manövrieren, aber es hat berliner kennzeichen. es ist ein so privater ort hier, vor berlin und der komplizierten gegenwart, oder einfach nur auf eine ältere art kompliziert, mit mir verwachsener, nicht mehr zu trennen von der, der ich bin, die wir geworden sind. die beiden sahen netter aus als ihr blöder luxusschlitten, sie trugen eher berliner klamotten, als irgendwas italienisch-überlegtes, die italiener hier neigen eher zum kleineren auto und dafür zu schönerer kleidung, schon weil man mehr zeit auf der piazza als auf den engen strassen verbringen möchte. oder will ich bloss das einzige berlin hier sein? weiss aber, wie uneinpassbar so ein gedanke ist in die realität. neue zeiten. airbnb werden wir hier bestimmt auch irgendwann machen, so what.
das feuerwerk findet dann am montag danach statt, aber da regnet es auch und wir verzichten, ich biete den jungs halbherzig an, sie hin- und wieder zurückzubringen, aber die couch, die handys und das fernsehen locken mehr. grmpfe ich sie kurz an, bin aber selbst dran schuld, weil sie das tollste mögliche feuerwerk schon gesehen haben, das in venedig.