Der Tod ist nicht.

Es ist nicht alles da, vor allem kein Zusammenhang zwischen Körper und Raumzeit. Das, was da ist, könnte überall sein, ich weiß nicht, wo ich bin, das Denken geht an und aus wie ein Warnblinklicht, der Körper ist träge und schutzlos, weil ich kaum Gewalt darüber habe, wie wenig, weiß ich aber nicht, weil ich den Weg zwischen Gedanken und Bewegung nicht mehr finden kann, mein Gehirn schafft grade, ich zu denken, es gibt mich in einem Raum, es dauert ewig, bis ich diesen Raum als von mir unterschiedenes wahrnehmen kann. Mein Arm fühlt sich unförmig an, das merke ich, als ich ihn zu heben versuche, die Hand fällt sofort gefühllos auf meine Seite, fällt sie weit? Sie fällt durch den Weltraum. Es ist dunkel. Das Denken ist mühsam und funktioniert nur in kleinen einzelnen Sekunden, ich erinnere später nur den Unterschied zwischen der Zeit mit Gedanken und der ohne, reine Abwesenheit, schwarz auf eine lichtlose Weise. Ich wollte mich nach einer Weile gegen das Nichts orientieren, ganz simpel, hier bin ich, ich ist etwas, und das ist mir lieber als nichts, obwohl das Nichts einfacher war, keine Energie aufbringen, es überall hinlassen. Die Erfahrungen waren beide elementar, der Wechsel von einer in die andere fing direkt in den Bewegungsnerven an, ich konnte spüren, wie der Plan aus dem Kleinhirn ins Bein rumpelt, Bein hoch, ins Reale, seitwärts, aus dem Bett runter, aua, da knallt der Fuß aufs Parkett.

So funktioniert das Hirn eben, es braucht zum Überleben Luft, Zucker und Wasser, es hat keine Energiespeicher zur Verfügung, ohne Luft überlebt es nur ein paar Minuten, ohne Zucker bleibt noch Zeit für diesen Schwanentanz, bei dem nacheinander die Funktionen des ZNS abgeschaltet werden, damit die Restenergie noch für das vegetative Nervensystem genügt. Das Erlebnis ist ein paar Jahre her, aber ich hab noch immer eine Art von Ehrfurcht vor der klaren Hierarchie zwischen nötig und nicht nötig, wie dann als erster Gedanke, also Gedanke als etwas, das man nicht gleichzeitig tun muss, die Bilder für „Hypoglykämie“ und „Honigtopf, kleiner Schrank, Küche“ aufkommen und die Magie der Grenzerfahrung vorbei ist, während ich meinen Körper in die Küche wuchte, wie beim Sackhüpfen, nur ohne Hüpfen, weil das Hirn nur noch Energie hat für die Hälfte des Körpers.

An dieser Grenze fällt einem vor allem der Unterschied auf: Es gibt nichts zu sagen über das Nichts, während man übers Leben bis runter zu den Nerven andauernd Romane schreiben möchte. Neurotransmitter: Toll! Glutamat, Serotonin, Rezeptoren, Zellwände, ein Kosmos, egal, wo man hinschaut, es ist komplex, es ist kompliziert, es ist ein Wunder. Das Nichts ist einfach nur Nichts. Ich seh das so: Leben ist das, was die Zellen miteinander machen, wenn man sie läßt, Leben ist Stoffwechsel, Tod lohnt die Mühe nicht, er ist das Nichts, es liegen genug Rätsel im Leben, mit dem Tod will ich mich nicht aufhalten, auch die Seele ist nicht mehr als der Wärmeabdruck im Bett, wenn der Liebste schon gegangen ist, etwas hiesiges.

geschrieben für dieses beeindruckende projekt.

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winterreise

marco ponce kärgel und manfred maurenbrecher haben die winterreise aufgebrochen und neu hingestellt, mit reduzierter und sehr klarer gitarre, wenn der gitarrenauszug von kärgel, der wohl die hauptenergie in diese cd gesteckt hat, ein windhund wäre*, würd ich sagen: trocken gebaut, man sieht die sehnen und muskelstränge und die ganze schönheit viel besser jetzt, es läuft wie von selber, und maurenbrecher singt bei einigen stücken so, dass man sein herz genau schlagen hören kann, ich hab meins gehört jedenfalls, es hat mich traurig gemacht, wie es sein soll bei dieser musik. ist aber auch mein lieblingsliederzyklus, lieder für dazwischen, wenn die blätter schon unten sind, vorm neuanfang, vor dem nächsten jahr. die beiden haben die winterreise wirklich gemacht. ihre version von „mut“ ist besonders schräg und endlich so laut, wie sie sein sollte, könnte zum hit werden, wenn man morgens um drei doch noch nach hause muss. ein bisschen mitbrüllen. sehr schön.

*bin grad im hundethema, sorry.

 

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libre

mein kindle ist verschwunden, seine tasche auch, mein gefühl, dass die unordnung in meiner wohnung langsam flügge wird und auch größere dinge verschwinden läßt, die im alltag wichtiger sind, als die ewigen kleinigkeiten wie ringe, lieblingsstifte, lippenstifte. die dvds waren alle unter [kind]s bett, da fehlen nur noch die hüllen.

ein neues meßgerät kommt auf den markt, eines, bei dem man sich nicht mehr stechen muss und andauernd seinen wert checken kann, wenn man möchte, durch dranhalten eines lesegerätes an einen am obararm festgeklebten sensor, groß wie eine 2€-münze. meine freude darüber ist ziemlich groß, obwohl ich mich an die verhornten kuppen gewöhnt habe und den schmerz gar nicht mehr wahrnehme, ich habe einfach mit keiner so deutlichen verbesserung der therapie mehr gerechnet, ich bin ja krank seit den grauen tagen, an denen blutzuckermessen nur gelegentlich beim arzt machbar war, habe die entwicklung der technologie also am eigenen leib mitgemacht, aber all diese neuerungen, kleinere geräte, batterien länger als einen tag haltbar, vom analogen (mit zeiger), zum digitalen ergebnis, vom fetten 0,5cm-tropfen zu den heutigen systemen, die nur 0,5 mikroliter benötigen, alles erscheint eher kosmetisch im vergleich zu diesem neuen ansatz. also so gefühlsmäßig. zählen gefühle? bei chronischen krankheiten: sehr.

ich hab noch keines, die kassen zahlen die dinger vorerst nicht, aber das wird kommen, bestimmt, das verhindert nur die große konkurrenz der vielen weiteren anbieter, die mit immer neuen eher ähnlichen designs auf den markt kommen, aber eben alle frisches blut benötigen, oder nicht? (um dann doch nur eine meßgenauigkeit von 70% hinzukriegen, letztens selber einen blutzucker von 150 gemessen, beim arzt waren es dann 180, da hätte ich schon korrigieren gewollt, der gesetzgeber gestattet halt eine schwankungsbreite von 30%.) es kann ja gar nicht um den patienten gehen, wenn eine so revolutionäre verbesserung der lebensqualität nicht von den kassen übernommen wird! werden würde! so sind die nicht, die brauchen bestimmt nur noch eine weile –  andrerseits war das auch bei den bisherigen cgm-systemen* so, keine unterstützung von den krankenkassen, nur bei schwangerschaft oder so, bei meinen schwangerschaften gab es die aber eh noch nicht. ich habe in einer kritischen phase mal 1200 euro für so ein ding bezahlt, es liegt jetzt rum, weil die sensoren zu teuer und zu empfindlich sind, sie halten nur ein paar monate und man muss immer 5 auf einmal kaufen, aber jetzt? ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand freiwillig weiter sticht.

*continous glucose monitoring

abott bietet praktisch ein cgm-system für hundertzwanzig euro im monat an, die konkurrenz beginnt bei 240, für die sensoren, also die kleinen dinger, die sich der patient unter die haut stechen muss, damit die gewebsflüssigkeit gelesen werden kann, das sind die verbrauchsartikel dieser messsysteme. bisher musste  der patient dazu noch etliche hundert für die hardware bezahlen, also obendrauf, für die lesegeräte der sensoren. abbott ist auch da revolutionär: das lesegerät bei abbott kostet 70€.

menno, keine mit preisen bestückte übersicht über cgm-systeme gefunen, hier schnell eine liste, es gibt wohl 3 verschiedene, die beiden marktführer sind an eine insulinpumpe gebunden, auf der die werte dann ablesbar sind, sie haben keine eigenständigen lesegeräte und sie sind  natürlich gebunden an eine marke und ein oder zwei modelle der hersteller. im medizinischen ist alles proprietär.

für die animaspumpe (von johnson&johnson, glaube ich) braucht man: ein  sendegerät (das die daten vom sensor in der haut auf die pumpe in der hosentasche schickt) für 400€, sowie die  dexcom-sensoren, halten 7 tage, kosten 80€ pro stück.

für 2 verschiedene pumpen der firma medtronic gibt es ein system, das sendegerät kostet um die 920€, die sensoren gibt es entweder im 10er oder im 5er-pack für 55-61€ das stück, sie halten bis zu 6 tagen. die sehr hilfreiche einführhilfe kostet nochmal 90 euro.

dann gibt es noch ein eigenständiges system, dass ohne insulinpumpe auskommt und auch für die ICTler* infrage kommt, den freestyle navigator, aber das ist der vorläufer des neuen systems und ist nun überflüssig, auch von abbott, auch viel zu teuer.

*intensivierte konventionelle therapie, man spritzt lang- und kurzwirkendes insulin je nach bedarf und benutzt keine insulinpumpe.

was meine freude merklich trübt: diabeteshunde werden, nun ja, sie sind nicht mehr wirklich nötig, sobald abbott einen alarm in sein system einbaut. ich hab das so an mir, dass mein projekte zu spät kommen.

ops. der lustige text über verloren gegangenes ist selber irgendwie verloren gegangen.

 

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8/9.11.2014

8.11.14. spaziergang mit einem kind und seinem patenonkel, 8 km entlang der ehemaligen mauer, ich habe ihren feinverlauf inzwischen nicht mehr parat, gerade durch die gebiete, bei denen bis auf die spree alles neu bebaut worden ist. was war da vor dem regierungskram, brache? ich habs vergessen. dem besuch fällt der gegensatz zwischen regierungsgebäuden auf der einen seite und dem neubau des bnd auf der anderen seite auf, die behauptung von transparenz vs der behauptung von kontrolle.

P1070665

huch, ist das ein langes bild geworden, gregorzwilling versteht die architektur auch als einladung.

„8/9.11.2014“ weiterlesen

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Unbenannt

es ist gut, was du tust, es zahlt sich aus, worauf du verzichtest, deine haut ist nicht zu weich und dein weg ist in ordnung, du brauchst keine erfolge und zählst keine niederlagen, du bist unsichtbar, weil du das willst, deine müdigkeit ist vorübergehend und dein trotz ist nicht lächerlich, du stehst nicht auf verlorenem posten, du bist dir selbst genug, deine kraft ist stetig, du hast alles, was du brauchst.

well.

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von rudow an den kudamm

radiointerview zur nacht des mauerfalls, unser netter nachbar hat auch die jungs befragt, über ihr wissen, ihre eindrücke und wahrnehmungen zum thema berliner mauer und ddr. die schulen haben das thema anscheinend nicht aufgegriffen, ein jammer eigentlich, hat man doch diesen teil der geschichte in berlin so klar vor augen wie sonst an wenigen orten. andererseits sind mauerfall und ddr für die jungs fast so weit weg wie für mich in dem alter der 2.wk, über den freilich damals nur innerhalb der schule gesprochen wurde, in mailand gab es in den siebziger und achtzigerjahren keinen historischen faschismus, die waren ja alle im widerstand, sondern nur einen aktuellen, der sich in strassenschlachten austobte, in den jahren ’77 und folgende habe ich auf dem balkon gestanden und dem chaos unten zugeschaut, bis geschossen wurde. ab dann mussten wir drinnenbleiben. mein vater als vertreter des kapitalismus tauchte, wie viele andere in diesen jahren, auf einer „liste“ auf (er war aber weder politiker noch journalist), wir bekamen eine panzertür und durften den schlüsssel nicht mehr verlieren – das interessiert die kinder noch ein bisschen, aber wenn ich auf die zusammenhänge dahinter kommen will, wollen sie gleich hausaufgaben machen.

ich wollte eigentlich meine erinnerungsreste vom mauerfall mal aufschreiben, obwohl die ganz unspektakulär waren. ich weiß ja inzwischen, was das für ein geschenk ist, diese normalität, kein blut, keine toten, anders als  in china, ich bin im sommer ’89 in china und auch in peking gewesen, der tian’anmen war da noch gesperrt, die einheimischen hielten einen halben meter sicherheitsabstand zwischen sich und uns, es war sehr lähmend und bedrückend. im herbst ’89 war noch nichts entschieden, niemand wußte, wie das weitergeht mit der ddr und ihren bürgern, es waren sehr offene zeiten. wenn man heute schabowski zuhört in seinem reden am abend des 9.11., als hätten sie einfach nichts mehr zu verlieren gehabt, nur noch bürokratie, nichtmal wut oder angst, die abgeschnittenen marionetten.

in der nacht zum 10. november lag ich in meiner neuköllner wg mit meinem damaligen freund, dem drucker, im tiefschlaf, wir hatten an dem abend keine nachrichten gehört. nach mitternacht weckte uns rolf, ein mitbewohner, damals schon sehr multimedial und rund um die uhr mit der welt verbunden, und forderte uns auf, mit ihm mitzukommen, die mauer würde nämlich grade aufgehen. jetzt, mitten in der nacht? in neukölln war nichts zu hören, da herrschten stille und dunkelheit. ja, jetzt grade! wir stolperten in die klamotten, halb mißtrauisch, halb aufgeregt, war das nicht albern, jetzt da raus zu gehen, und wohin sollten wir, wo war denn der nächste übergang? es stand ja noch eine mauer um die stadt herum, es gab nur ein paar stellen, wo man durchkonnte (reden für die nachgeborenen). in rudow gab es einen durchlass für den flughafen schönefeld, im süden, von uns aus der nächste, mal schauen, ob da auch die mauer aufgeht, dachten wir so, es gab ja damals in berlin keinen langweiligeren ort als einen grenzübergang zur ddr, als berlinerin hatte ich sie glaube ich mit einem wahrnehmungsloch umgeben, es waren nichtorte wie die gespenstischen u-bahnstationen, durch die die u8 durchrauschte, nur der übergang friedrichstrasse hatte ein gewisses drama, aber der war ja auch für uns westberliner offen. ich hatte keine ahnung, wo noch alles grenzübergänge waren, wozu auch, das war kein notwendiges wissen. rudow gab es aber, es war mit flugticket (malev, über budapest und venedig nach mailand) und transitvisum passierbar, eine lästige schwelle in die ferien, der ort, an dem die zeitplanung durcheinander geraten konnte.

ich hatte damals einen schwarzen käfer cabrio, in dem sind wir dann die sonnenallee runter, zu dritt, eine weitere mitbewohnerin wollte nicht mit*, rosi! die bietet jetzt kuschelparties an, glaube ich. in die vorstadt, bis es nicht mehr weiterging, nicht das man was sehen konnte, der grenzübergang bestand ja nur aus ein paar einstöckigen zementbaracken*, man konnte nicht durchgucken, die ddr lag im dunkeln. es war voll, hunderte von menschen, zu fuß und im trabi, es war unglaublich, die leute bei uns zu sehen, viele waren da wohl schon ein paar stunden unterwegs, um nach westberlin zu kommen, es war vielleicht ein oder zwei uhr morgens*, die mauer war da schon ewig offen, ein paar stunden mindestens, es war mehr ein gefühl, als ob etwas aufhörte, die ddr, der große anfang, die nachwendezeit mit allem anderen begann erst in den tagen danach. große freude, eine gewisse scheu vor den ddr-bürgern, das gefühl, dass wir nur beobachter sind, weil wir immer reisen konnten und keine ahnung hatten, woher diese leute kommen, aus welchen geschichten und aus welcher realität. euphorie, unglauben und tränen. mehr ossis als wessis waren dort, viele autos.

ein mann fragte uns nach dem weg zum kudamm, oh, der ist weit! sagte ich, nein! schrie der mann, ist er nicht! wir haben das dann so gemacht, dass wir ihm vorausgefahren sind zum kudamm, ich glaube, ich bin im trabbi mitgefahren und einer von seinen leuten mit im käfer*, und er hat seinen trabbi vor aufregung erstmal abgewürgt und den gang nicht reinbekommen und witze darüber gemacht, aber das weiß ich schon nicht mehr genau. oder haben wir auto getauscht für die fahrt? nee, unwahrscheinlich. wir haben ihn jedenfalls dahingebracht, er hat sein auto direkt an der wilhelmskirche auf den bürgersteig gestellt, ob das wohl gutgeht, meinte er? ob wir wohl strafzettel kriegen? wir sind im westen! hat er immer wieder gerufen, endlich am kudamm! uns kam der kudamm plötzlich ganz weltläufig vor, obwohl natürlich keiner von uns außer unseren müttern dort freiwillig hinfuhr. dann sind wir noch eine weile am zoo herumgelaufen, das publikum das übliche nächtliche bahnhofsvolk, es waren noch keine massen unterwegs, aber viele kneipen hatten offen, es war hell, ich erinnere mich an viele lichter. um 3 oder vier sind wir schon wieder nach hause gefahren, der freund und ich, der mitbewohner wollte noch party machen, glaub ich.*

* meine ich zu erinnern

 

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paar dinge

transit

(wie die mauer für immer stand im westberlin der achtziger. die mauerspaziergänge über den toten potsdamer platz, zum flohmarkt. das lennè-dreieck mit den hütten, wie mein freund m damals mit den anderen in den osten geflüchtet ist, vor den westbullen, und dort höflich zum frühstücken begleitet wurde. wie ich fast jemanden rausgeheiratet hätte, roger hieß er, wenn die mauer nicht vorher gefallen wäre. in westberlin gab es eine kanzlei, die darauf spezialisiert war, es lief unter „fluchthilfe“, die scheidung hätte die brd gesponsert. wie ich mit einer freundin, frau z., mit höschengeld ins bodemuseum gefahren bin, weil sie dort drucke kaufen wollte. wie ich in der galerie weißer elefant a.r. penck kennengelernt habe und wie heiner müller dort aus der wolomkolamsker chaussee vorlas, mein herz ist ein ziegelstein, und dabei ultraleise sprach, fast flüsterte. wie ich auf ein paar parties im ostteil der stadt war, und um 24 uhr zurück musste, als einzige, wie merkwürdig die strassen mit den gelben laternen waren, wie null ahnung ich hatte von der topographie von ostberlin. wie die ostberliner stadtpläne hinter der mauer nur eine graue fläche zeigten. wie ich einmal mit dem käfer nach klein-venedig gefahren bin, zu freunden, und das verboten war, weil man die stadt nicht verlassen durfte. wie mir das umland nicht gefehlt hat in den mauerjahren. wie ich mich verguckt hatte in eine frau, die ich dort kennengelernt hatte, wie ich ihr ananas und zeitschriften mitbrachte und mir doof vorkam dabei. die autozeitungen für die grenzer. der zwangsumtausch.)

 

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holland & rhys, grüner salon

mal wieder auf konzerte gehen, ohne die acts vorher zu kennen. von einer freundin zu jolie holland mitgenommen worden, einer frau mit sehr starker und unglaublicher stimme, sie singt so, als wäre diese stimme leider zu groß für den abend und die band oder für die art musik, die sie schreiben möchte, sie summt und vibriert, sie maunzt und säuselt, wie auf einem eigenen und totally angemessenen level von impro, sie und ihre band tigern dabei so um die wirbelsäule ihrer songs herum, sehr spannungsgeladen, wie eine heiße nacht im tiefen süden, die nicht abkühlt, bei der die hitze einen um fünf uhr früh noch eher umklammert als umarmt hält, und nicht losläßt, also im ernst wartet man beim zuhören darauf, dass sie endlich kommt, das die stimme endlich losgelassen wird. auch der gitarrist war schon ganz nervös. smoking hot, ich wünsche ihr, dass sie sich noch öffnen kann.

danach ein mann mit einer wolfskopfmütze, der zuerst einen film mit sonnenuntergängen gezeigt hat, in dem glaube ich erklärt wurde, dass die usa durch die waliser entdeckt wurden, und wie eine figur namens john evans im 18. jh die spuren dieser waliser gesucht hat. es ging rhys dabei nicht so um beweise, aber schaut euch die zeichnung hinter dem link an, den typen muss es gegeben haben, oder woher kenne ich ihn sonst?

[edit: hups. es gab ihn wirklich.]

diese sache mit den usa war bestimmt das thema, mit dem ich am wenigsten gerechnet hätte an dem abend, ich hab mich darüber gefreut, weil überraschungen etwas wirklich kostbares sind. dann hat gruff rhys eine weile lang lieder darüber gesungen, in denen er das publikum mit dem klang walisischer namen vertraut machen wollte, so hab ich es zumindest verstanden, ein sicher ehrenwertes unterfangen. er hat die wirklich schwierigen ausgelassen, also die, bei denen man mehrere konsonanten hintereinander aussprechen muss, sind die waliser eine art ostfriesen englands? gruff rhys ist jemand, mit dem ein paar biere sicher ein vergnügen wären, schon weil er auf wirklich souveräne art eigene wege findet:

Although he is right-handed, he learned to play left-handed on his brother's left-handed guitar. Once his brother left home, Rhys only had access to a right-handed guitar. As he had already learned to play left-handed, and rather than invert the nut and re-string it, he taught himself to play the right-handed guitar upside down so the bass strings are on the bottom.*

schöne stimme, schöner mann, + vollbart, ich mag auch den weg durch die brust ins auge sehr gern, aber anders als das begeisterte restpublikum war ich nicht offen genug für diese art erkenntnisse und bin vorm ende gegangen.

 

 

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laut, leise, kaschmir

this song will help you when you’re old
this song will heat you when you’re cold
believe you when I don’t
this song will heal you from your soul

dieser eine song, der immer mal wieder aufhört oder leiser wird, oder es singt ihn jemand anders eine zeitlang, aber eigentlich ist er eingeschrieben und undeletable in all dem kram, der uns zum lachen bringt, obwohl wir nicht wollen, zum hinsehen und tiefer atmen und nicht mehr wissen, wie spät es ist, und dann sackt er wieder weg, tiefer in die nervenbahn, ins große netzwerk, baby, nie werd ich das im griff haben.

wie der hund sich enger an die wollpullis kuschelt, obwohl nicht mal schnee und kälte durch ihr fell kommen, oder ist es eine haltungsfrage? meine ruhe, dieser kleine extratick angekommensein, die kaschmirs sind warm und so weich, dass die finger kaum durchwollen zur substanz, sie wickeln dich nochmal ein, auch wenn das sonst keiner tut, denn der sommer ist durch, and you’re still not saved.

(oben: badly drawn boy, this song)

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fäden

der feedreader, in dem ich den spanischen comiczeichner entdecke, der in berlin lebt, einer italienischen zeitschrift ein interview gibt, illustriert mit einem bild aus dem neuen roman des zeichners, auf dem die kreuzung danziger/pappel/schönhauser zu erkennen ist, da lauf ich fast täglich vorbei.

eine woche lang überhaupt keine freizeit gehabt, um 7:15 aus dem haus, um 18 wieder da, um 18:30 wieder los, um 21 uhr wieder da, dann noch einkaufen und haushalt, ich mache eine fortbildung, in potsdam. der sehr gute dozent sagt im nebensatz, dass bei selbstständigkeit 16h am tag normal seien, er beschreibt seinen tag mit den vielen projekten, „abends noch ins büro“, ich höre den ins selbstverständnis einmimetisierten stolz heraus. eine frau aus dem kurs, wir sind fast nur frauen, erzählt daraufhin die geschichte vom fischer am strand, eine andere sagt, sie wolle eigentlich eine berufliche neuorientierung, um keine 80-stunden-wochen mehr zu haben, die anderen frauen nicken und lächeln ein bisschen in sich hinein. guter kurs. es hilft wahrscheinlich, wenn man dabei geld verdient, statt welches auszugeben, aber mir ist so ein leben ebenfalls unvorstellbar. man gewöhnt sich bestimmt daran, um halb sieben morgens mit dem hund rauszugehen, mir ist auch jedesmal jemand begegnet dabei, der das auch tut, aber man, das ist doch kein leben, wenn jede minute immer nur nach vorne gelebt werden muss, mit dem ganzen körper, wenn alles immer nur umsatz ist, das geht doch nur, wenn außer dem finanziellen auch der psychische gewinn dabei immens und notwendig ist. und wenn man jemanden hat, der einem den alltag abnimmt, ich jedenfalls bin nach so einer woche ganz unverhältnismäßig erledigt und freue mich sehr, dass meine liebsten beschäftigungen weit ab vom geldverdienen situiert sind, bisschen zuweit ab, gut, sage ich mit freundlichem schulterzucken noch hinterher.

am ende der woche hab ich dann gemerkt, dass eine sbahn später auch noch reicht. eine halbe stunde mehr morgens ändert schon sehr, sehr viel.

meine schwester kennt den hundemenschen cesar millan und ist als voluntaire bei seiner show dabei, was mich sehr freut, weil sie nach berlin kommt dafür. die behörden haben im umgang mit dem mann, den nicht jeder mag oder mögen muss, ihren mangel an gastfreundschaft sehr deutlich bewiesen, wie man lesen kann. sehr kleinkariert, sehr bürokratisch, eher peinlich. ich hatte meiner schwester ein paar hunde vermittelt, die dabei auf die bühne sollten, daher.

 

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KW 37

ist das dein öl, fragt der nachbar, dem ich olivenöl fürs blumengiessen mitgebracht habe. das ist das alter, wo die leute eigenes öl, eigenes bier und eigene brände verschenken, nach den eigenen marmeladen und pestos.

in dir zerbricht immer was, wenn ich nach kaffee frage, oder? fragt der große morgens, während er marmor, stein und eisen bricht singt. meine seit jahren eingependelte dosis ist eine 6-tassen-caffettiera über die frühen paar vormittagstunden. ich sage ihm, ich werd mich wohl dran gewöhnen können. es freut mich, dass er den übergang würdigt, obwohl es für ihn so nebenbei passieren soll.

 

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auf der suche nach einer wirklich müßigen übung die schreibmaschine aus dem schrank geholt, sie stand dort neben dem siemens-mobiltelefon, das viel jünger ist und auf eine endgültige art alt aussieht. mechanische dinge behalten ja ihre würde, auch wenn ihre zeit vorbei ist. verhältnis zeilen mit zu zeilen ohne typos fällt schnell von anfangs 0 zu vier auf eins zu eins, aber das geräusch ist sehr inspirierend, es wirkt wie eine zeitkapsel, bilder und geschichten. ich bewundere menschen, die mit zehn fingern schreiben können, ohne hinzusehen, auf diesem ding hier kann man nur schnell schreiben, wenn man das nacheinander der tasten im griff hat, sonst verkeilen sie sich auf den letzten zentimetern vor dem farbband ineinander. der lange weg der finger, bis der buchstabe auf das farbband drückt, die elegante mechanik dabei, wie die buchstaben an ihren krakenarmen in einem bogen den weg ins wort finden. bisschen traurig darüber, keine agentin zu sein, dann wäre ich zuhause in dieser art von autochtoner privacy. ihre farbe lenkt leider ab, sie drängt sich in den vordergrund der wahrnehmung, valentine erinnert ein bisschen an guido crepax‘ valentina, so rot wäre ihr mund gewesen, wenn sie nicht in s/w, not? leuchtfeuerrot. beide aus den sechzigerjahren. klick, klack, sirrr.

ich habe die ersten hausarbeiten noch mit einer schreibmaschine geschrieben, an die ich null erinnerungen habe, es war nicht diese hier. hatte ich eine eigene? in der uni? die kinder tippen erstaunlich schnell und freuen sich an der mechanik genauso wie ich. ob es noch bänder dafür gibt, also neue?

intellektueller zustand: musste nach dem schreiben die genaue wortbedeutung nachlesen. das wort trotzdem stehengelassen, weil es irgendwo hin will, vielleicht fällt mir das noch ein.

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easy going

geträumt, ein baby bekommen zu haben. im traum darüber überrascht gewesen, habe den namen des babys immer wieder vergessen, was mir ein bisschen unangenehm war. dem baby sprechen beigebracht, ball, papa und mama, gefreut, dass es so einfach klappt. der papa war mein ex, er saß auf dem sofa und kümmerte sich gut um das baby. ein junge, es war schön, ihn zu halten. hoffe, es ist mein neues projekt, das ins leben will, und keine aufgabe ohne ende, wie in der eher materialistisch gestimmten internet-traumdeutung zu lesen.

männer auf meinem sofa. gemerkt, dass nur die serious men sich aufs sofa setzen, gesetzt haben, meine ich, die kurzen geschichten bleiben am tisch, ich habe aber auch seit 10 jahren keine unkurzen geschichten, und mein sofa ist wirklich eher sehr vintage. neulich ein foto von einer alten liebe wiedergefunden, wie er mit meinem grossen im arm auf dem sofa sitzt, vor 15 jahren, „so ist es“ gedacht, dazu tief drinnen laut und klingonisch die so-ist-es-arie geschmettert, in der hart erarbeiteten kurzversion, 5 sekunden und kein seufzer.

„es liegt nicht an dir“: grad bei reddit mehrere 1000 tatsächliche trennungsgründe durchsurft. immer das ernste in-die-augen-gucken, lieber mehr leichtigkeit in allen dingen. weil jungs, so toll seid ihr gar nicht.

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acqua passata

am see die möglichkeit gehabt, einen vergleich zwischen zwei lebensmitteln aus meiner kindheit zu ziehen. wir hatten in mailand eine große wohnung mit zwei ausgängen, einer ging aus der küche zum treppenhaus, der andere aus dem flur zum fahrstuhl. über den kücheneingang kam in abständen der getränkemann mit wasser und wein, ich erinnere nur jeweils eine kiste mit, eine ohne  und jeweils eine mit weiß- oder rotwein, den es jeden abend zum essen gab, nicht für uns kinder natürlich, darum kann ich mich an die weine nicht erinnern, aber das wasser war immer das gleiche: fiuggi und s. pellegrino (san pellegrino meint wohl heute den ort).

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ich mochte die blaue farbe des etiketts beim wasser mit, und fand in der jugend auch den roten stern darauf irgenwie yeah, und wenn es mal spannungen gab bei tisch, dann konnte man eine weile auf dem etikett herumlesen und musste nicht aufsehen. das wasser ohne sollte gesund sein, sagte mama, weil es nicht nur keine kohlensäure, sondern auch sonst kaum etwas enthielt und den körper durchspülen sollte, fast ein heilwasser. das stimmt auch heute noch, der festkörpergehalt bei s. pellegrino ist 8x höher als bei fiuggi, die wasser sind wohl noch gleich.

vorstellung, wie seit jahrzehnten wasser mit konstanter zusammensetzung aus einer quelle sprudelt, wie macht s. pellegrino das nur? die liefern doch heute ein vielfaches aus, oder kann man bei quellen einfach das loch größer machen? –  seit jahrhunderten: in fiuggi seit 63 v.c., erwähnt von michelangelo buonarotti vor über 500 jahren, in san pellegrino seit 1482, erwähnt bei leonardo da vinci, 1:o für die ungassierten, würde ich sagen.

acqua di fiuggi wird seit 1907 abgefüllt, von einer aktiengesellschaft, die firma s. pellegrino gibt es seit 1899, das wäre dann eher 0:1.

bei beiden hat sich das design nur wenig verändert, bei s. pellegrino gar nicht, bei fiuggi wurde es, wie man wohl sagt, vorsichtig modernisiert, bestimmt neuerdings, weil sie laut hp den verkaufsradius vergrößern wollen. die quelle von san pellegrino liegt bei bergamo, der ort hat eine bewegte geschichte, von den guelfen/ghibellinen über venetien, von napoleon bis zu den österreichern. fiuggi scheint ruhiger geblieben zu sein, es heißt erst seit 1911 so, davor hieß es anticoli, bekannt seit der römerzeit, es liegt im lazio, vielleicht hatten wir es deswegen, weil mein vater in rom aufgewachsen ist und es vielleicht aus seiner kindheit kannte? das würde mir gefallen, aber vermutlich waren das einfach die sorten, die der händler vertrat.

 

 

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früher haben wir nicht dauernd trinken müssen wie heute, niemand nahm getränke mit, weder zur schule noch zum park, es gab allerdings auch noch kaum plastikflaschen, meine ich zu erinnern. wir tranken nicht dauernd, sondern zum essen, wenn wir getränke mitnahmen, dann auch nahrung, und planten damit einen ernsthaften ausflug in die berge oder an den see oder so etwas. dann gab es meistens sowas wie diesen frischkäse da oben, der sich ohne kühlung hält und sehr nach kindheit schmeckt, dazu cracker. die lehrer an unserer schule, fällt mir da ein, die hatten eine vollausgestattete bar vor der aula, mit barista, fauteuils und allem, in der oberstufe trauten wir uns da manchmal rein.

jedenfalls. bis in die achtziger haben wir einen gleichstand in der geschichte und qualität dieser beiden marken, 1:1, sie schmecken auch heute beide noch gut, aber san pellegrino ist durch seinen erfolg miserabel zugerichtet worden, ordentlich abgelebt, würde man bei einem star sagen: in den flaschen ist ein viertel weniger drin, das macht in italien sonst niemand, es gibt im supermarkt glasflaschen mit einem oder plastik mit anderthalb litern inhalt, nur s. pellegrino benutzt diese albernen und würdelosen, sehr profitgiergeborenen 0,75l-flaschen aus plaste, und es muss sich das etikett mit einem anderen logo teilen, von einem motorradhersteller, keine ahnung wieso, aber ich muss es natürlich auch nicht wissen, solange das wasser nicht mit sachen versetzt wird, die auch in motoren vorkommen, also außer den stoffen, die sowieso schon drin sind. gut, es ist eine sehr feine motorradmarke, nichts gegen guzzi.

grund für den niedergang ist bestimmt der verkauf an nestle, die haben die marke für ein butterbrot ein paar brotkrumen ergattert (kann das sein? unter 50.000 euro im jahr für eine abfüllgenehmigung? bei einem millionenumsatz? ach italien.), und haben das produkt, naja, es ist die mangano in einer telenovela, so ungefähr. sie haben ein exempel statuiert.

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