pomp, duck and circumstance

wie ich in meinem filmkonsum alle szenen mit gewalt meistens sofort überspringe, als könnte ich sie so aus der welt schaffen, und damit zufrieden bin, weil ich sie so zumindest aus meiner welt schaffen kann. wenn die szenen eingebunden sind in den plot, ist das nicht so, dann kann ich mich da durchblinzeln, also ist zumindest in meiner wahrnehmung begründete gewalt erträglich, als kann also eine begründbare eskalation meine empfindungsfähigkeit für einen moment betäuben. nein, eine begründete eskalation meinte ich, gewalt und ihre darstellung sind ja immer eine entscheidung des regisseurs. wenn sie im film nicht nur um ihrer selbst willen stattfindet, kann ich sie hinnehmen.

(diga di verzasca)

ob es das böse gibt? als eine eigenschaft, eine disposition, als die fähigkeit, entscheidungen nur aus einem einzigen grund zu fällen: dass sie einem nutzen, egal, wer dafür bezahlen muss. ich halte sie für eine nurture-sache, vielleicht gepaart mit dem mangel an empathie, oder an gewissen. ich verstehe es nicht. pompeo sagt öffentlich mit einem gewissen stolz, dass ihm jedes mittel recht ist, um sein ziel zu erreichen, und spottet damit über den kodex seiner uni, west point, als sei dieser eine zu überwindende naivität, etwas, dem eben kadetten folgen, das absolventen aber nicht mehr nötig haben. lügen, betrügen und stehlen, um andere länder zu beeinflussen, mit allen verfügbaren mitteln, also finanziellen, politischen und militärischen. er hat sein über-ich einfach auf die nächste meta-ebene gehoben, in dem der zweck jedes mittel rechtfertigt, moral ist etwas für anfänger, und das vergnügen, dass ihm sein gefühl der macht über leben und tod bereitet, ist sicher nicht nur ein eindruck. solche leute sind interessant, weil ihre käuflichkeit so offensichtlich ist, die macht um der macht willen (und wenn man dann den argumentationen folgt, mit denen andere länder beurteilt werden, landet man vermutlich wieder nur beim geld bzw. dem nutzen für die usa) und sie selber die so offensichtlich nicht einmal wahrnehmen. und wie die masstäbe für sein handeln austauschbar werden, immer mehr grenzen überschritten werden, als wäre die macht eine droge, deren preis eben bezahlt werden muss, egal wie hoch, solange worte genügen, um alles zu rechtfertigen. reden ohne aussagen kann er. solche leute sind glaub ich gefährliche spielbälle für ideologen, ich glaube nicht, dass er sich selber so sieht. er begreift sich sicher mehr als ein im macchiavellischen sinne politisch handelnder, zu t. zeiten hat er die usa verteidigt, jetzt verteidigt er die usa, die nur mit einer figur wie t. an der spitze möglich ist, er verteidigt sie einen tag nach dem anderen, immer neu, wie so ein junkie. seine selbstverliebtheit macht ihn vielleicht angreifbar, er wird in einer biden-regierung keinen platz finden, oder? tja, ich wünschte, ich hätte mehr ahnung von diesen verflechtungen zwischen psyche und politik, oder gehört das zur politologie? es fasziniert und stößt mich ab, in einer guilty-pleasure-art. als alter navy-cis-fan hoffe ich, dass er mit dem agieren (die lügnerei jetzt mal als politische handlung verstanden) gegen die verfassung der usa zu weit gegangen ist, dass irgend ein aufrechter ihn zu fall bringen wird, bevor der auf die idee kommt, das militär einzusetzen. aber wer weiß schon, was noch kommt.

prokrastinationsposting. sehr unausgegoren, wenn ihr literatur oder ideen habt zur politischen moral, gerne, aber meine angst vor der lage in den usa habe ich etwas bändigen können, immerhin, immerhin scheint es noch mehr plan als wahn.

20. mai 20

ping! wunderbarer frühlingstag.

und dann der klimawandel. die freundin, die in kladow durch den wald läuft und lauter tote eichen findet, vertrocknet im letzten sommer, die aussterbenden insekten und kranken singvögel, man kann zur zeit in jede beliebige richtung in die katastrophe weiterdenken, die pandemie jetzt und die seuchen, die noch kommen, im großen wie im kleinen. es verändert und durchsetzt die wahrnehmung, die gewohnheiten des alltags sind prekär geworden, mein erstes eis auf einer hunderunde ist davon nicht unbedingt besser geworden, aber es verweist auch auf die eis, die ich noch nicht gegessen habe, weil die eisläden zu hatten, und die, die ich nicht mehr essen werde, weil sie wieder geschlossen sein werden.

jetzt könnte das posting sich weiterbewegen mit einer empfehlung, das wesentliche wieder vom unwesentlichen unterscheiden zu lernen, man sieht sich noch, auch wenn die umarmungen fehlen, die eltern leben noch, auch wenn ich sie nicht besuchen darf, grün sind die wälder trotzdem noch. reframing gehört dazu, aber es hat sich ja auch grundsätzlich und für immer was verändert durch die erfahrung, mal von etwas direkt betroffen zu sein.

ich kenne diese sorge, das risiko von spätschäden oder hypos begleitet mich, seit ich denken kann, ich werde, so nehme ich an, nicht besonders alt werden, etc. pp – beim durchlesen merke ich, es ist eine domestizierte angst, nur ein kleiner anteil gefühl im gesamtsystem chronische erkrankung, gerechtfertigt und begründet, ein angsthäschen, verdrängt, aber gut versorgt. compartmentalized heißt es auf englisch, das ist mir lieber als abgespalten, weil es im begriff als teil eines ganzen erkennbar bleibt, nicht wie im deutschen völlig (und gewaltsam) getrennt vom ganzen menschen. das geht nämlich schief, vermute ich. verdrängen, aber nicht ganz, den richtigen pegel finden, mit gestaltungspielraum.

die pandemie als zusätzliche gefahr, die es in die wahrnehmung zu integrieren gilt, ohne das sie den ablauf stört, sie wird ja bleiben, bis nächstes jahr, habe ich gelesen, oder bis es eine impfung gibt, und danach kommt die nächste pandemie, so sind die zeiten eben. gewöhnung tut not. mich beschwert das gelegentlich, wenn ich mir folgen ausmale, ich kann die sorge ans licht bringen, manchmal mag ich das gruseln dabei, dann pack ich sie wieder weg und mache eins der vielen dinge, die nicht mehr lebenswichtig sind, wenn viel auf dem spiel steht, aber die trotzdem spass machen.

ich integriere die unsicherheit als einen akkord, eine zweite leise linie, die in der selbstwahrnehmung immer so mitläuft, deren energie ich fühlen kann wie eine art basso continuo, eher philpp glass als bach, auch mal coltrane, so eine mehrstimmigkeit. mich freut das meistens, es ist eine jetztverankerung, ein leises genieße den tag, denn es ist alles dabei.

bibliothek vs sammlung

gehe grade die erstausgaben durch, einige sollen auf den markt zurück, der sie meinem vater oder mir an land gespült hat in den letzten 50 jahren. die trennung zwischen pragmatismus und liebe verläuft dabei messerscharf in meinem kopf, die beiden bereiche haben wenig gemein, der pragmatismus neigt dazu, den rest lächerlich zu machen und den ganzen platz für sich zu beanspruchen.

(lieblingssignatur. ich hab den autor gefragt, warum die unendliche geschichte ein ende hat, er hat es korrigiert.)

macht der besitz von diesen dingen nicht nur sinn, wenn man auf ihn verzichten kann, wenn er luxus ist? in diesen büchern wohnt ja nur mein herz, ein paar erinnerungen sind gelagert, nicht mal alle schön,  sind sie nicht auch reine und damit hohle repräsentanz? ich habe so selten gäste, bei denen so etwas wichtig ist, eigentlich: nie, immer nur freunde und familie, und ein liebhaber, dem meine bücher etwas bedeutet hätten, ist mir noch nicht untergekommen. es gibt aber, da vertraue ich meiner wahrnehmung, immer einen aspekt der behauptung in solchen schränken, zumindest eine kleine notwendigkeit für so einen affirmativen gestus. besonders beim geerbten teil der sammlung, also bei den mittelalten (mann, jünger, hesse und so), die ganz alten haben eine andere, zeitlose wertigkeit, die sind auch nicht mit meiner komplexen vaterbindung verwoben, da sind die autoren frei in ihrer wirkung, sie stehen für sich, da freut sich mein sammlerherz ganz unbekümmert.

bei bildern ist das anders, da habe ich tatsächlich einen unmittelbaren spark of joy, jedesmal, wenn ich sie ansehe.

ich habe nur eine ahnung, ob meine söhne mal interesse an alten büchern aufbringen werden. einer ist sehr in der gegenwart und im funktionalen glücklich (nur nicht bei seiner kleidung, da zählen schein und sein gleichermaßen), einer hat respekt und sinn für das besondere, der dritte ist in seiner linken phase und sowieso gegen das privateigentum. bei keinem ist es genug, um die bücher zu vermissen, wenn sie weg sind, vielleicht reicht es zu einer anekdote (meine mutter hatte mal …). das wäre auch eher eine ausrede.

die bibliotek ist verfügbar, darf herumliegen, benutzt und durcheinandergebracht werden, die sammlung macht aus den büchern etwas totes, zumindest schweigendes, lauter kleine sarkophage, weil ihr inhalt weniger wichtig ist als ihre einzigartigkeit, nur in diesem schrank, sie stehen als objekte für eine epoche, einen erfolg, eine biographie, nicht mehr als text, roman oder prosa oder gedicht, was immer da jetzt drin verborgen ist. die differenzierung im wert ist vermutlich zu ein oder zwei vierteln quatsch, denn gibt es etwas schöneres als diese einzigartigkeit? man liebt doch den einzigen, nicht die masse, den besonderen, nicht den, der wie alle anderen ist. ein bisschen nehme ich diese besonderen bücher damit aus dem kreislauf, lege sie still, gebe ihnen das zurück, was sie als unbekannte frisch gedruckte dinger hatten: einen anfang. wie in einer metonymie, steht doch ihre einzigartigkeit für die einzigartikeit des textes, den sie als erste unters volk gebracht haben. not?

ein buch, dass am anfang seines weges ist, noch nicht ins netzwerk der literatur eingegangen ist, ungelesen und mit nichts als hoffnung. (gut, die kategorie prätentiös kriegt jetzt auch einen haken.)

mehr eine hommage ans buch als an den markt, vielleicht macht das den sammler aus. der markt ist ein ärgernis, er macht die jagd nach wirklichen schätzen unaffordable statt einfach schwierig. wegen dem markt trenne ich mich jetzt von einigen und hoffe bei ein oder zweien sehr, dass der erlös den verlust wert ist, die anderen gehören eh zu jemandem, der sie lieber haben möchte.

eins null

twoday

10 jahre hotelmama, wer hätte das gedacht. vielen dank fürs lesen und kommentieren und verlinken, für die freundschaft und für die drinks!

ein paar gute texte sind dabei, vielleicht kommen auch noch ein paar, ich bleib dran und mache einfach immer weiter. bloggen ist die perfekte form der öffentlicheit für solche wie mich.

Der Tod ist nicht.

Es ist nicht alles da, vor allem kein Zusammenhang zwischen Körper und Raumzeit. Das, was da ist, könnte überall sein, ich weiß nicht, wo ich bin, das Denken geht an und aus wie ein Warnblinklicht, der Körper ist träge und schutzlos, weil ich kaum Gewalt darüber habe, wie wenig, weiß ich aber nicht, weil ich den Weg zwischen Gedanken und Bewegung nicht mehr finden kann, mein Gehirn schafft grade, ich zu denken, es gibt mich in einem Raum, es dauert ewig, bis ich diesen Raum als von mir unterschiedenes wahrnehmen kann. Mein Arm fühlt sich unförmig an, das merke ich, als ich ihn zu heben versuche, die Hand fällt sofort gefühllos auf meine Seite, fällt sie weit? Sie fällt durch den Weltraum. Es ist dunkel. Das Denken ist mühsam und funktioniert nur in kleinen einzelnen Sekunden, ich erinnere später nur den Unterschied zwischen der Zeit mit Gedanken und der ohne, reine Abwesenheit, schwarz auf eine lichtlose Weise. Ich wollte mich nach einer Weile gegen das Nichts orientieren, ganz simpel, hier bin ich, ich ist etwas, und das ist mir lieber als nichts, obwohl das Nichts einfacher war, keine Energie aufbringen, es überall hinlassen. Die Erfahrungen waren beide elementar, der Wechsel von einer in die andere fing direkt in den Bewegungsnerven an, ich konnte spüren, wie der Plan aus dem Kleinhirn ins Bein rumpelt, Bein hoch, ins Reale, seitwärts, aus dem Bett runter, aua, da knallt der Fuß aufs Parkett.

So funktioniert das Hirn eben, es braucht zum Überleben Luft, Zucker und Wasser, es hat keine Energiespeicher zur Verfügung, ohne Luft überlebt es nur ein paar Minuten, ohne Zucker bleibt noch Zeit für diesen Schwanentanz, bei dem nacheinander die Funktionen des ZNS abgeschaltet werden, damit die Restenergie noch für das vegetative Nervensystem genügt. Das Erlebnis ist ein paar Jahre her, aber ich hab noch immer eine Art von Ehrfurcht vor der klaren Hierarchie zwischen nötig und nicht nötig, wie dann als erster Gedanke, also Gedanke als etwas, das man nicht gleichzeitig tun muss, die Bilder für „Hypoglykämie“ und „Honigtopf, kleiner Schrank, Küche“ aufkommen und die Magie der Grenzerfahrung vorbei ist, während ich meinen Körper in die Küche wuchte, wie beim Sackhüpfen, nur ohne Hüpfen, weil das Hirn nur noch Energie hat für die Hälfte des Körpers.

An dieser Grenze fällt einem vor allem der Unterschied auf: Es gibt nichts zu sagen über das Nichts, während man übers Leben bis runter zu den Nerven andauernd Romane schreiben möchte. Neurotransmitter: Toll! Glutamat, Serotonin, Rezeptoren, Zellwände, ein Kosmos, egal, wo man hinschaut, es ist komplex, es ist kompliziert, es ist ein Wunder. Das Nichts ist einfach nur Nichts. Ich seh das so: Leben ist das, was die Zellen miteinander machen, wenn man sie läßt, Leben ist Stoffwechsel, Tod lohnt die Mühe nicht, er ist das Nichts, es liegen genug Rätsel im Leben, mit dem Tod will ich mich nicht aufhalten, auch die Seele ist nicht mehr als der Wärmeabdruck im Bett, wenn der Liebste schon gegangen ist, etwas hiesiges.

geschrieben für dieses beeindruckende projekt.

a romance, vergessen

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„The rationalism of analytic logic has divided erotic emotion into fixed conventional types, popular opinion offering one set of categories, fashionable psychology offering another. As a matter of fact, each encounter of two amorists creates a unique universe. No existing generalisation, whether of the wise or of the unwise, covers or ever will cover a tenth part of its thrilling phenomena. In one respect this love-making by Dye’s Hole was the most childlike that the spot had ever witnessed; in another it was the most cerebral. The nervous exitement manifested by these two was so free from traditional sentimentality and normal passion, so dominated by a certain cold-blooded and elementary lechery, that something in the fibrous interstices of the old tree against which they leaned was aroused by it and responded to it.“

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so ist der text die ganze zeit, er hält die zeit auf, ein herumsummen in der abstraktion, die alles aufnehmen will, jede regung und jeden windhauch, der alles belegbar ist. wie ein hohes, schwankendes schiff, das über sand gezogen wird, weil das meer grad nicht da ist, und man sitzt die ganze zeit oben beim captain und sieht keinen grund. eine flucht ins konzeptionelle, dabei mitleidslos genau. die allmachtsphantasien solcher autoren, die der lebenserfahrung und der feinheit ihrer leser nichts überlassen wollen, sie müssen alles ding- und seefest machen, wollen es eigentlich gar nicht aus der hand geben und sind dabei auf eine hilflose weise unlustig. ich mag die behäbigkeit dieses romans eigentlich ganz gern, er ist etwas zu handlungsfern und personenreich, aber die umfassende beschreibbarkeit seiner welt hat auch etwas tröstliches. powys soll ein sehr talentierter redner gewesen sein, hat sich damit auch mal seinen lebensunterhalt vedient, hätt ich zu gern mal gehört*. vielleicht hatte er da eine größere leichtigkeit.

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das buch kommt daher wie eine vergessene diva, die noch nicht aufgeschnittenen seiten, oben mit goldschnitt, der dicke lederrücken, die wertigkeit, deren glanz irgendwie nie notwendig war, der roman hatte keinen erfolg, das leder-konzept für die beletage passt ganz gut, auch die vergeblichkeit dieses ruhmstrebens ist da mituntergebracht. anspruch, buchdruckerkunst, ein gewaltiger roman: ein schönes und bissken trauriges ding. ein papiermesser habe ich nicht, es darf weiter ungelesen bleiben.

*januar 2019 einen filmschnipsel mit john cowper powys im netz gefunden, er probt da eine debatte für und wieder die heirat, sein gegenüber war bertrand russell.

 

monbijoupark sonntags

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der runde alte mann im cremefarbenen sommeranzug, schwärzeste haare, seidene weste, helle schuhe, der sich immer blutjunge anfängerinnen in sehr kurzen röcken sucht, und sie im wohlfühlmodus über die tanzfläche schiebt, in ganz kleinen schritten, mit vielen effektvollen pausen. die mädels kichern, er lächelt mit halbgeschlossenen lidern in sich hinein und sie lehnen ihre köpfe an seine wange. das ganz schmale paar mit superelastischen körpern, die sich wie zwei verzwirbelte korkenzieher die ganze zeit umeinander drehen, sie legt ihren dicken zopf dabei von einer schulter auf die andere, je nach ihrer blickrichtung, als sei das nötig. die frischlinge, die noch an der grammatik arbeiten und jeden schritt einzeln entscheiden müssen.

den ganzen abend getanzt, halb werde ich aufgefordert, halb frage ich, am liebsten natürlich die großen, soliden männer. der eine, der nach ein paar umdrehungen meine hand an seine warme brust legt, bis ich ihn besser spüre und die augen schließen kann bei der milonga, der andere, der mehr auf abstand bleibt, aber mit der musik auf eine sommersekunde genauso umgeht wie ich. die engsten tangos mit einer frau, einen kopf kleiner als ich, ganz innig mit ein paar unsicherheiten in der führung, bei mir oder bei ihr. sie tun mir alle auch ein bisschen leid, weil ihre füße manchmal unter meinen sind, ich weiß ja nicht mehr, wie tanzbar ich noch bin nach all den jahren, aber sie sagen nicht nein (das gefährliche alter der dankbarkeit). man tanzt auch ein stück mit sich selber, der tango ein gespräch zwischen vergangenheit und dem jetzt, zwischen wünschen und möglichkeiten, das kurze stoppen in der synkope, unter spannung gehalten werden, das loslassen in den nächsten takt.

ich weiß nie, was mein tänzer will vom tango. will er eine form? ist die interpretation eines stückes etwas, das auf ein ende hinausläuft, muss jeder neue tango richtig getanzt werden, oder ist die musik die chance, das fortlaufende innere gespräch mit dem anderen, mit der frau und dem mann mal anders auszuleben? es ist ja anders als beim text oder beim schreiben, wo wort und ding oder sinn und form zueinanderwollen und dann so bleiben dürfen, hier gibt es drei elemente, ich, du, der tango, und die gehen sehr schnell einfach weiter. dazu das freundliche blinzeln vom eros, wenn man dabei die hand auf einer starken schulter liegen hat und sein arm dich kurz näher heranholt – kann man nicht ersetzen. vergess ich immer. die musikbegabten, die etwas wollen von den stücken, dann der mojo, wenn nichts dazwischenpasst für dreieinhalb minuten. beim tanzen denkt dann so aus dem off: isses ein jurist, oder ein florist, ein lehrer? ein künstler, ein fliesenleger, ein lobbyist? und du fragst nicht nach, weil für das, was ihr da miteinander habt, nur diese eine offene stelle wichtig ist, die sie alle haben, offenheit für die 7/8 und die solos und das rauschen der nacht. meine hoffnung, dass es den männern auch so geht und mehr mitschwingt als nur die pragmatische entscheidung, sport, frauen und gefüllte abende unter einen hut zu bekommen. ich weiß es aber nicht, es ist ja auch totally wurscht, und die musik geht halt immer weiter, ich darf sogar den letzten tango noch mitnehmen, mit meinem lieblingstänzer an dem abend, sein hemd immer noch frisch und weiß.

so wenig, so viel, genug. heimradeln, wie die nacht dann frischer wird und ich abgekühlt zu haus ankomme – hmm, ich weiß grad auch nicht mehr genau, wie ich all das vergessen konnte. heut laufe ich die ersten stunden des tages wie ein betrunkener seemann, aber hey, vielleicht doch mal ein paar einzelstunden zum aufpolieren?