julian lage in dresden

zum ersten mal im jahr richtiges novembergefühl bekommen, einen schal zu wenig dabeigehabt. durch den zwinger gelaufen, an der semperoper vorbei in die altstadt von dresden. wenig los, ein paar japanische reisegruppen waren aber unterwegs, lauter junge sehr geschminkte leute mit selfiestangen. zuletzt in dresden war ich 2005 mit meiner mutter, zur weihung der frauenkirche, mit einem te deum von matthus, auch damals eher musikzentriert und wenig tourismus, hab alles wiedererkannt, nur in die eigene topographie überführt. die barocke pracht in der altstadt wirkte befremdlich, als ich aus den neubauvierteln hineingelaufen bin, sie ist aber so massiv und stilistisch geschlossen, sie kann sich behaupten. nach dem albertinum, der kunstakademie, dem schloss wundert einen gar nichts mehr, dann der blick über die elbe auf die andere glitzernde flusseite. hab den jungs gesagt, sie sollen doch mal kunst in dresden studieren, dann könnte ich dauernd atelierbesuche machen. abends auf freund g. gewartet, g.-zwillings patenonkel, der am dienstag zufällig in dresden war und erfreulicherweise mitkommen wollte.

der jazzclub tonne ist ein schöner, großzügiger keller unter dem kurländer palais, saniert und bischen gediegen. gleich ins gespräch gekommen mit anderen besuchern, wie bisher bei jedem dieser konzerte, stimmung gespannt. er fängt sehr zenmäßig an, mit ganz langsamen richtungslosen läufen in der untersten möglichen oktave, man hört die collings tief und warm summen dabei, es gibt ewig keine auflösung, nur gelegentlich ein paar kleine harmonische kleckse, es ist eher hermetisch. da weiß einer, was er tut, und ich kann es begreifen, ohne es verstehen zu wollen, auf eine warme weise. nice sounding room you have here, fand lage nach dem ersten stück, das gewölbe macht den ton voller und gibt dabei wenig hall. er spielt solo, aber er hat natürlich seine ganze musik dabei, feine, schnelle, läufe „er erfindet die“, sagt meine nachbarin, selber musikerin, ich glaube im sinne von „noch nie irgendwo gehört“, das macht sie wiedererkennbar, sie sind unterscheidbar.

er spielt einiges von seiner solo-cd world’s fair, 4 jahre alt, er hat es noch nie öffentlich gespielt, sagt er nach dem ersten stück und wirkt dabei fast neugierig auf das, was herauskommen wird. er spielt nach dem ersten stück mehr fürs publikum, ich erkenne nocturne, eingebunden in ein anderes stück, day and age. das letzte hab ich nicht erkannt, er sagt fast alle titel und nennt die songschreiber, versteh sie nur nicht alle. ist ja auch egal, day and age geht mir aber als titel nicht mehr aus dem kopf, das kann man sich auf den spiegel schreiben und jeden morgen davor seufzen. er spielt die motive ganz frei und schiebt sie durch die lustigsten tonlagen, ein paar noten lang, dann verschwinden sie, bis sie sich zum ende hin wieder glücklich fügen. viel blues dabei – wie nennt man das, wenn jemand eine form mühelos beherrscht, damit spielt, sie nicht zu ernst nimmt (es gab lacher im publikum), und dabei trotzdem so etwas wie hingabe zeigen kann? im spielen immer wieder so kleine inseln, die sich anhören wie bach.

die stücke waren lang, er hat sie in jede varianz ausgespielt, hat dazu manchmal gesungen oder gebrummt, hat ein paar sätze gesagt zu den songs, war als person hinter seinem instrument sichtbar, anders als bei den konzerten mit band. dabei immer so, als wären wir zufällig bei ihm vorbeigekommen, während er grade spielt, und hätten uns ein  bisschen dazugesetzt, please, take a seat, I’m with you in a minute, und dann sagt er ein paar sachen, damit wir uns als publikum nicht vernachlässigt fühlen, während er tut, was er immer tut. na, vielleicht übertreibe ich das jetzt nach ein paar tagen etwas, aber er klingt so, als wäre das spielen seine sprache, als würde er dauernd so spielen, egal, ob mit oder ohne publikum. faszinierend.

als zugabe gab es ryland, dass auch auf world’s fair schon als solo-version zu hören ist, lage hat sich damit zeit gelassen und uns nochmal 10 minuten mit ihm geschenkt. viel intensiveres erlebnis als die anderen konzerte, weil lage so frei durch seine musik flottieren konnte, keine anderen instrumente oder konzepte im raum waren. nach 2 stunden konzert und noch einem bier sind wir durch die leere stadt zu unseren hotels gelaufen. lage ist leider nicht mehr in den saal gekommen, musste meine love hurts – cd unsigniert wieder mitnehmen. next time!

 

wildwuchs

der sturm neulich hat die beiden akazien, die mitten in die aussicht gewachsen sind in den letzten 15 jahren, deutlich gelichtet. umgefallen sind leider andere.

der weg ins dorf geht ein stück durch einen steilhang mit sehr ungepflegtem wald, an den straßenrändern mit brombeeren auf der einen und holunder auf der anderen seite, drumrum dichtes unterholz und von kletterpflanzen umrankte bäume. kastanien und akazien sehen gesund und munter aus, viele andere sind unter dem gestrüpp längst morsch und faulig, bei jedem sturm fällt irgendwas um, meistens jüngere bäume mit stämmen zwischen 10 und 15cm, diesmal ist allerdings auch eine richtig große esche (glaube ich) umgeknickt, die hängt da jetzt auf halbmast im dickicht, die krone liegt grade neben der straße und welkt ganz langsam vor sich hin, kein schöner anblick.

habe neulich auf twitter eine eher brutale praxis der entrindung gesehen, um in einem wald für totholz zu sorgen, damit platz für insekten und kleintiere ist, davon gibt es hier genug. vielleicht wurde der wald früher besser gehalten, ein paar prachtvolle alte bäume mit anderthalb meter dicken stämmen stehen dort auch, die müssen vor dem schlingzeug hochgekommen sein. beim größten, einer eßkastanie, sieht es aus, als habe sie selber mit unzähligen austrieben ihren stamm geschützt, efeu ist da nur als ein paar einzelne zweige zu erkennen. sie ist nach ihrem umfang über 400 jahre alt, das erzähle ich grad allen, denn damals ging hier die renaissance grad zu ende, so sehr damals ist es, in mailand regierten die sforza, die lombardei ging zwischen den spaniern und den schweizern hin- und her, nach der blütezeir folgte ein langer, ökonomischer abstieg, vielleicht wurden ihre kastanien damals noch gesammelt und verwendet. die beiden kleinen mädchen, die immer bei den hunderunden mitkommen, weil sie in emma verguckt sind, hören stets interessiert zu und sagen höflich toll!, oder ja?

eine andere kastanie sieht bis zwei meter über der erde aus wie mehrere bäume, der stammteil unten ist ein paar meter breit, lässt auf ein alter von einigen hundert jahren schließen. jetzt ist der stamm im gestrüpp kaum zu erkennen, lebendige und tote bäume stehen dort dicht an dicht, alles bleibt im ständigen halbschatten. der hang ist seit dem tiefsten mittelalter sich selber überlassen. der dicke baum verdient eine geschichte, dacht ich, und wollte ihn mal aus der nähe erkunden.

von einem pfad unterhalb des wäldchens wollte ich mich hineinwagen, hab dazu sogar sneaker angezogen, aber die dornen stehen dort bis auf den boden, darunter schlamm, dazu um die 45° steigung:  ich müsste mir alles freischneiden, im grunde mit einer säge, also nee. dafür reicht der erkenntnisgewinn nicht. ein wunder, dass sich die bäume da halten können, wenn es nicht umgekehrt ist, und die bäume das gelände halten, bei den andauernden sturzregengüssen.

also weiter ins dorf gelaufen, bei der nächsten freistehenden kastanie angehalten, sie trägt eine lange stola, und sieht auch sonst sehr elegant aus. die könnte ich ja messen, wenn ich ein maßband hätte. so stand ich da kurz herum, allein im wald, und dachte mir so, du kannst den umfang auch mit deinen armen messen, zweimal ganz rum bin ich gekommen, die stola ist überraschend weich. dann habe ich die jungen ausflügler gesehen, die grad vorbeiliefen, natürlich, als ich meine arme noch um den baum hatte.

ich werde aber auch ideell zum treehugger auf meine alten tage, erhöhte baumsensitivität seit den sequoias 2012. kastanien können ja genauso alt werden wie sequoias, der älteste baum europas ist eine kastanie, geschätztes alter liegt zwischen 2000 und 4000 jahren, sie steht auf sizilien und trägt immer noch früchte, sie tragen erst ab 30 jahren, sagt wikipedia, und am ertragreichsten sind sie ab 100. kastanien sind so nährreich wie kartoffeln, wißt ihr, oder? seit den alten römern werden kastanienwälder angelegt, sie haben die bevökerung norditaliens durch einige hungersnöte gebracht, aus ihrem mehl kann man backen, wenn man es mischt, es ist glutenfrei, süß, vielseitig verwendbar. ein ehrwürdiger baum, hier überall zu finden, im oktober liegen hier die esskastanien zentnerweise herum. er wird auch noch angebaut, mehr in süditalien und in der toscana, im piemont gibt es auch noch ein paar.

ich könnte ja mal, dachte ich beim herumlaufen, nach alten schönen bäumen suchen, gemerkt, das geht auch über google, hier hat ein guter geist in ganz italien nach besonderen bäumen gesucht, nach provinzen sortiert, sehr toll. sollte mal wieder in die villa taranto und auf die isola madre fahren.

habe den jungs auch von den bäumen erzählt und ihnen fotos geschickt. sie meinen, dass ich wohl langsam genug entspannung hatte und teilen mit, ich sollte jetzt lieber wieder nach hause kommen.

julian lage trio bei empoli jazz 2018

ich komme mit meiner schwester in paar stunden vorher an, es ist ein tag mit 38°c, die stadt ist total verlassen, lauter einstöckige alte häuser, empoli, bekannt hauptsächlich, weil es heißt „e come empoli“ (a wie anna).

es ist ein freiluftkonzert, in einer art hof oder park, auf dem gras hinter einer sehr alten mauer steht eine bühne, daneben so ein partyzelt als künstlerraum, mit ein paar balken abgetrennt. vielleicht 200 stühle, ein stand mit lokalem bier und einem riesigen braten, von einem der sponsoren der veranstaltung. wir sitzen zweite reihe, ich komme mit ein paar anderen ins gespräch, ein junger mann mittdreißiger freut sich: „ich wäre ins ausland gefahren für sie, und jetzt kommen sie nach empoli, ausgerechnet!“, musste ich lachen und bin erleichtert, dass ich nicht die einzige irre hier bin. er hat ihn auch schon ein paar mal gesehen, wir freuen uns beide, dass lage die ochsentour macht und die verschiedenen jazzfestivals absurft. ich bin immer noch bisschen fassunglsos darüber, dass ich meinen fernen zufallsfund im netz heut zum dritten mal live anhören darf, ein großes geschenk. wir reden über bluegrass, chris eldridge, nels cline, den jazz und den sommer, die leute kennen sich aus und sind mitaufgeregt. langsam wird es dunkel und ein bisschen kühler, als die drei um 21:30 auf die bühne kommen aus ihrem zelt. lage hat seinem schlagzeuger vorher mit fist bump glück gewünscht, für mich eine erinerung daran, was so ein konzert für die musiker bedeutet und bisschen neugierde, ob es etwas sehr anderes ist für uns zuhörer. das hier war das letzte konzert der tour, am nächsten tag würden sie zurück in die usa fliegen, hat der veranstalter bei der kurzen einführung gesagt. 5 tage später ist das nächste konzert, da hätten sie auch ferien an einem der wunderschönen strände der feniglia machen können.

mit diesen beiden reist er schon eine weile herum, jorge roeder am bass und eric doob am schlagzeug, die tournee ging dichtgesetzt durch spanien und frankreich. sie fangen an mit packenden und gutgelaunten sachen von der letzten cd (modern lore, 2018 bei mack avenue records), splendor riot ist eventuell dabei, was noch? hatte paar tage kein netz und kriege es nicht mehr zusammen. ich hätte eventuell eine setlist oder sowas besorgen sollen. nach den songs von der cd  kündigt lage ein paar lieblingstücke an, „songs that we like“. das erste ist eine sehr tolle version von „the best thing for you (would be me)“, von irving berlin, und das stimmt ja für diesen abend. es ist fein und elegant und schön auf eine unbekannt freie art. das sehr schöne nocturne war dabei, wie immer bewegt lage sich völlig frei im lied herum, spielt damit, bewegt sich eine weile mit schnodderig entspannten impros voran, findet aber immer wieder nach hause zum ende hin, stellt im letzten moment auf theme um und erschafft dort kleine harmonische enklaven, noch im letzten atemzug der songs. grad nocturne hat schon gefährlich viel schönheit in der melodie, und lage baut noch ein paar runden ein, zieht takte zusammen, überspringt etwas, wiederholt eine auflösung – es ist, wie wenn man jemanden wiedersieht nach einer weile, und er ist ganz anders schön als in der erinnerung – erst hab ich „ist viel schöner“ geschrieben, aber schönheit in musik ist was anderes als im menschen, anders meßbar – so etwas gelingt lage mit seinen melodien, und er scheint dabei andauernd aus dem vollen zu schöpfen. jedes konzert, jede interpretation gerät dabei vollkommen anders, aber das gehört ja so im jazz. ich will diese passagen noch einmal hören, sobald sie vorbei sind, sie wiedererleben, und danach fehlen sie mir. ein grund, immer wieder hinzugehen. noch ein lieblingslied war dabei, hab die melodie noch im kopf, kanns aber grad nicht zuordnen.

beim suchen gefunden, auch schönheit, hat aber mit nix was zu tun: up from the north)

der drummer (eric doob) ist strange, er spielt versunken in hoher konzentration, wie ein junge, scheint perfekte, endlose kompositionen im kopf zu haben, und wenn er sein solo hat, gibt er nur fragmente dieser dinge frei, es klingt wie eine abkürzung, wie steno, karg und zusammengenommen. lage guckt ihn an mit einem lächeln, als könnte er die nicht gespielten passagen hören. vielleicht vermisse ich auch nur tom rainey – wenn man ganz viel sagen möchte und nur ein paar worte herausbekommt, in denen sich dann alles gewicht sammeln muss, so etwa. der bassist hat einen fanclub in der stadt, nach dem konzert wird er von einer gruppe begrüßt, die ihm komplimente machen und über das spielen befragen. er war natürlich saugut, aber mit einem aber; das schnelle navigieren duch die skalen verstehe ich vielleicht einfach nicht so gut, das ist mir zu sehr aerobic, ich brauche erkennbare zäsuren, rhythmen, melodische closure, etwas, um das lineare hören zu durchbrechen, sonst bewundere ich eben die geschwindigkeit, aber das leben ist ja schon schnell genug, bin ich nicht angefasst davon.

lages virtuosität hatte ein sommerliches angedeutetsein, eine leichtigkeit, als würden die finger nicht ganz auf die saiten müssen, sondern könnten ein mü vorher unbekümmert weiter zum nächsten ton. hat sonst niemand bemerkt, wie ich aus den gesprächen mit den fans nach dem konzert weiß, wahrscheinlich sind es also einfach also meine nicht mehr so guten ohren, plus tinnitus, der einen ausgegrauten bereich im gehör erzeugt („die graufläche, die mein tinnitus füllt“ hab ich zuerst geschrieben, aber es sind zwei getrennte bereiche, das sirren und die fehlenden höhen). dann diese ganz nebenbei in ein paar takten angespielten melodien, jede mit raum für einen ganzen song, perfekte sekunden glück (hei, es war eine nacht in einem hof aus dem 15. jh., unter den sternen des julimondes, auf dem gras, in nur ein paar metern abstand zu den musikern)(und ich saß neben meiner schwester), also wo lage die stücke auflöst in mich total überraschenden harmonischen einfällen, die wiedererkennbar sind, wie der strich von horst janssen wiedererkennbar ist, auf eine nicht vorhersehbare weise eigen und schön.

das trio scheint andauernd auf tournee, schon im oktober und november wieder in europa, diesmal schweiz und frankreich, sie rocken die finnischen clubs, zb im oktober dieses jahres in singen, aber das ist mir zu weit für einen spontantrip, einmal durch die republik. andrerseits ist es vielleicht eine der letzten möglichkeiten für diese besondere qualität der kleinen clubs, im märz 2019 spielt das trio in einem saal der elbphilarmonie, für dreimal soviel eintritt wie bisher. sie haben ihn wahrgenommen, die großen.

mein (musikalisch ungebildetes) gefühl: er braucht eine herausforderung, also nicht im sinn von elbphilarmonie, sondern von anderen genialen gitarristen, wie nels cline einer ist, mit eigenem stil, eigenen kanten, musikalische reibung und herausforderung, einen dialog, vielleicht mit sich selbst im umweg über einen anderen.

nach dem konzert ist die stadt plötzlich rappelvoll, um mitternacht gibt es kaum freie plätze, familien, kinder, jung und alt sitzen herum und trinken in der nacht. auf der piazza dei leoni findet eine weinprobe statt, mit meiner schwester gönnen wir uns zwei hervoragende rotweine, gucken den kindern zu und gehen dann zurück ins klimatisierte hotel.

Nels Cline 4 im Zig Zag Jazz Club

Sobald die Musiker auf der Bühne waren, gingen im Publikum diverse Handies an. Gitarren wurden gegoogelt. Ich mag die Vorstellung, dass Menschen sich ein Instrument kaufen, oder ihr Wissen darüber horten, weil jemand anderes gut drauf spielt. Stehe ja auch anderen Mechanismen der virtuellen und symbolischen Aneignung sehr aufgeschlossen gegenüber.

Cline (der übrigens einen Schlagzeug spielenden Zwillingsbruder hat) hatte das Mikro, hat aber nix gesagt, sondern gleich angefangen, nach einem kurzen Blick in den sehr, sehr vollen Saal. Mir sind dann die Gitarristen nach ein paar Sekunden wieder aus dem Fokus geraten, weil der Schlagzeuger so gut war, viel mehr Raum als nur Rhythmuslinie, ein reicher und durchdachter Raum. Ihr kennt vielleicht dieses kurze Gefühl der Richtigkeit und des Echtwerdens, wenn man auf Google Earth von 2D ins Dreidimensionale wechselt, aus Vierecken werden Häuser, aus Flecken Bäume, oder Berge, jedenfalls Welt. Als wäre es ein Abend mit Tom Rainey und Band. So gehört das also, so hört sich das wirklich an, wenn jemand Schlagzeug spielt.

Ich weiß nicht, ob das heutzutage einfach eh so gemacht wird, aber nach diesem Einstieg war ich wieder wach und aufmerksam.

(Das erste Konzert an dem Abend, waren zwei sehr sehr freie Jazzer, das Kropinski-Heupel-Duo. Einer auf Querflöte und sogar Bassquerflöte, hat aber meist so etwas wie gescrambelte Läufe gespielt, atemlos, ohne Anfang oder Ende oder sonst eine Hommage ans Ohr des Hörers. Ich hör mir das dann an und denke „ah, interessant“ und finde keinen Zugang, weiß aber auch nicht, was mir das bringen würde, wenn ich einen hätte, weiß nicht mal obs da überhaupt um Zugang geht, nicht viel mehr um reine art pour l’art. Andrerseits: Ein Zuhörer hat mir vorm Konzert von seiner Zeit beim Militär in der DDR erzählt, und wie ihm der freie Jazz seine Seele gerettet habe, das ist natürlich ein excellenter Grund. )

Die Musik und die Stücke (als Inhalt und Form) waren meistens von Cline, und da war alles drin, es sind hochkomplexe Systeme, sie haben alle ein Ende (ich mag weder ausklimpern noch das fadeout), sind abgeschlossene Miniwelten.  Swing Ghost ’59  ist wirklich großartig, auch wenn ich nicht begreife, was ich da höre, nur: es stimmt alles darin. Und es ist wunderschön und lustig. Das aufregende Gefühl, wenn sich lauter bisher unbekannte, aber vage vertraut klingende Einzelteile zu einem Kunstwerk zusammenfügen, oder eher ineinander verschränken, wie Magie, als hätte Cline bei irgendwas göttlichem angefangen, hätte es retro-engineert, und das ist dabei rausgekommen. (Tick unterzuckert bin ich)

Julian Lage war diesmal für meinen Geschmack zuwenig zentral, der hat rumgekaspert und viel gespielt, aber es ging um einen Bandabend, einen Konzertabend, bei dem die Songs mehr im Vordergrund stehen als die Helden. Kein Dialog wie damals in Mailand, diese vier herausragenden Musiker waren heute gleichberechtigt zu hören. Der Bassist war Jorge Roeder, ein anderer als der auf der CD. Vielleicht ist diese Tour ja die zweite Seite der Medaille Cline/Lage, erst eine Tournee mit mehr Lage, dann eine Tournee mit mehr Band. Es gab auch ein paar free- oder Avantgarde-Jazz-Soli, sogar vom Schlagzeuger!, aber eben mit Herzblut und dem ganzen Mann dahinter, und mit einer gewissen sexiness. Das Hingerissene beim Solo hat bestimmt, wie das Solo selber, ein bisschen Show dabei, aber die Hauptenergie war das Glück, Musik machen zu können, dauernd, jeden Tag, mit Leuten, die besser sind als du selber, das wirkt jedenfalls sehr anziehend. Mit diesem Drive der Musiker vor Augen kann ich das hören, also nur live im Konzert, sonst ist es für mein Gehör zu verschlossen,  wenn man erkennbare Harmonien oder Melodien als Öffnung begreift.

Der Abend war mir eigentlich zu kurz, 80-90 Minuten, es gab als Zugabe ein ganz ruhiges Stück, Cline hat danke gesagt, sich verbeugt, und „schön dass ihr gekommen seid“.

Der Club ist ein Raum für vielleicht 200 Leute, der Weg zum Bad führt direkt an der Bühne vorbei, ich habe dabei den Blickkontakt gesucht und bekommen, ein Hoch auf kleine Locations. Die Leute mit den Handys sind zur Bühne gegangen, sobald die Musiker runter waren, um Verstärker und Pedale zu fotografieren. Am Ende des Abends war der Saal schon fast wieder leer, Cline und Lage haben auf der Bühne ihren Kabelkram zusammengeräumt, habe ihnen meine CD zum Signieren gebracht. das machen wenige leute, ist das Signieren nur bei Büchern üblich? Ich lasse ja alles signieren, was nicht bei drei auf dem Baum ist, es ändert mein Gefühl und die Nähe zu Kunst und Künstlern, und man bekommt noch ein Lächeln zum Erlebnis. Es ist ein zusätzlicher Anker.

Hatte jedenfalls mein  letztes Bargeld für die CD ausgegeben und wollte nicht allein darauf warten, ob die Musiker sich nochmal blicken lassen. Was mich wirklich interessiert, werden sie eh nicht beantworten können, woher nämlich der Zauber kommt, ob sie etwas opfern mussten dafür, ob alles in ihnen Musik ist, und wie man das Ende eines Stückes findet, eher mit dem Herz oder dem Kopf? Das ist natürlich Quatsch, weil sie ja deswegen so genial sind, nicht nur das Talent ist außergewöhnlich bei dieser Klasse, auch die Intelligenz, die Wahrnehmung, die Offenheit der Seele. Wozu das aufdröseln

Und wann sie wiederkommen. Bitte bald.

galerie am amalienpark, konzertabend


And if you needed me, I would come to you*

die galerie amalienpark ist mir vor ein paar jahren ins visier geraten, als eine freundin dort ihre skulpturen ausstellte. es ist eine galerie der guten art, die mit kunst nicht aufhört, sie sind anders als die mitte- und westberliner galerien, sie haben und bieten raum für lesungen und alles mögliche andere, auf eine selbstverständliche weise. sie sind eben da. ich stelle mir immer vor, dass die szene des majakowskirings dort untergekommen ist, es gibt so eine kultivierte beständigkeit. bin fasziniert von den ganzen klugen, schönen, mittelalten frauen dort, mit gut geschnittenen grauen haaren, auf eine ost-art gleichzeitig zugewandt und zurückhaltend im gespräch.

die galeristin hat ihre freunde eingeladen, dort musik zu machen, vier leute, die vorher nie zusammen gespielt haben. „wir haben uns eine weile überlegt, was wir heute machen wollen“ sagt der musiker, wegen dem ich heute da war. gisbert zu knyphausen, spielt einfach so in einer altbaugalerie, man kann hingehen für fünf euro, sich ein bier holen und zuhören. geht noch als geburtstagsgeschenk durch. seine kumpels sind naëma faika (eine weile herumsuchen, bis die identität zwischen person und webseite halbwegs sicher ist, weil sie ihre kunst zeigt, nicht ihr gesicht.), songs und gitarre, marlène colle, songs, gitarre und piano, und marcus schneider, gitarre und voc. sie stehen in einem raum, ein paar reihen stühle davor, ich komme fast zu spät, finde einen klappstuhl und setze mich in die erste reihe, die galerie ist voll, aber nicht zu voll, die gäste sitzten auch in den beiden nebenräumen, nicht alle können sehen. ich saß in meinem lieblingsabstand, drei meter entfernt von der musik. dann passiert eins der schönsten konzerte dieses jahres, aus dem handgelenk geschüttelt von diesen vieren, jeder spielt so, als sei er oder sie zuhause in den liedern der anderen, geben noch etwas dazu, ein paar läufe und riffs und spielereien und verdichtungen, sie machen mehr musik aus der musik, aber die songs bleiben im vordergrund, sie sind halt wirklich gut. marléne colle singt laut und frei liebeslieder, zum weiterhören, vielleicht passiert die liebe ja doch noch mal, dachte ich, wenn sie noch so darüber singen kann. sitzt man da und freut sich, dabei zu sein. kinder und teenies auf dem boden, in die türrahmen gelehnt, das publikum gemischt, ein paar damen sehen aus, als wären sie die schwestern von christa wolf. alles eher elegant. nachher schnorre ich mit dem gitarristen eine zigarette und überschütte ihn aus einer unterzuckerung heraus ein bisschen mit komplimenten, bis er seine freundin erwähnt, hab ich mich gefreut, die herren sind schließlich alle erst anfang der achtziger geboren.

*zum abschluss einen mittelengland-song, wenn es einen geben soll, filmmusik, ein lied, mit dem man über die schwelle kommt, hereingelassen wird, bei tag und bei nacht, am ende a capella gesungen, eine schönheit, für die man schon mut braucht heutzutage. ich kann darin jederzeit aufgehen.

knyphausen bringt ende des jahres eine neue platte heraus, sagt er, als ich ihm meine komplimente mache, ein bisschen herzblut vom hamburger liedermacher nils koppruch wird auch dabei sein.

 

donnerlüttchen. (prüfungstag)

Cancer Horoscope for week of May 11, 2017

Verticle Oracle card Cancer (June 21-July 22)You are free to reveal yourself in your full glory. For once in your life, you have cosmic clearance to ask for everything you want without apology. This is the LATER you have been saving yourself for. Here comes the reward for the hard work you’ve been doing that no one has completely appreciated. If the universe has any prohibitions or inhibitions to impose, I don’t know what they are. If old karma has been preventing the influx of special dispensations and helpful X-factors, I suspect that old karma has at least temporarily been neutralized.

zum glück hab ich das vor meiner prüfung gelesen, und ja, soviel enthusiasm hat meine stimmung doch einen tick angelupft. die erleichterung ist jetzt sehr groß, nachdem alles geschafft ist, plötzlich ist die welt wieder da, und es ist herrlicher warmer grüner mai draußen. ergebnisse erfahren sohn und ich erst in ein paar wochen, aber das gefühl ist friedlich und gut. am abend mit dem hund noch eine runde um den helmi gemacht, erst den besten freund des sohnes getroffen (mein hund hat ihn zuerst erkannt), dann steht aus dem nichts plötzlich c. vor mir, alter guter freund, der in süddeutschland wohnt, und nicht im prenzlauer berg, sekunde später kommt noch der sohn dazu. dann geht jeder seiner wege, ich liege um 22 uhr sehr müde im bett und denke: das war ein schöner tag.

kt 1

die polizei kam nicht, getanzt wurde sehr, das schwarzlicht hats gebracht. um sechs uhr früh gingen die letzten gäste. der große ist am ersten januar volljährig geworden und hat reingefeiert, rauschend und sehr sehr laut, mit geliehenen monsterboxen, und mit allen seinen freunden. und freundinnen! ich war dafür bei meiner mutter am stadtrand und hab mich mit ihr unterhalten, vor den stones auf 3sat, das hatte auch irgendetwas. diese achtzehn jahre sind so so schnell vergangen und waren eine freude, das kind ist wunderbar und kein kind mehr! echt, merk dir das, muttern.

haufenweise sylvestervorhaben, ich brauche anlässe. jeden tag gitarre, jeden tag lesen, mehr yoga. beruflich muss ich vieles schaffen, habe aber gar keinen glauben mehr an gute ausgänge, es ist ein sehr zenmässiges naja, mal gucken geworden nach all den überraschenden wendungen ins leere und ins abseits in den letzten jahren. der plötzliche spannungsabfall von ideen als leitmotiv, die ideen sind nicht synchron mit der welt, kommen zu spät oder zu früh. dazu die wechseljahre.

in der liebe ist es genauso, da muss aber auch nichts passieren, anders als beim geld geht es auch ohne, wobei: aus der hebammenserie auf bbc die schöne erkenntnis mitgenommen, dass sich die liebe in jedem leben anders zeigt, und meines ist durch die großartigen söhne, die freunde, den hund randvoll damit. gelegentliche abenteuer füllen die paar bedürfnisse, und küsse ohne geschichte sind in ordnung, ehrlich gesagt gar keine lust auf noch mehr socken in der wäsche, einen festen mann verbinde ich hauptsächlich mit deutlich mehr arbeit.

sachen ausmisten werde ich in den nächsten wochen, platz für neues schaffen, für leere bin ich nicht so der typ. die freude an dingen, auswahl, wanderwege für den blick, wie die vielen objekte lauter geschichten haben, die ich erzählen kann oder auch nicht.

tippen geht schlechter seit einigen monaten, i/o/p geraten immer durcheinander unter den fingern, mit der linken hand hab ich das problem nicht, bin linkshänderin. alter oder was nervliches? durch den diabetes immer einen merkwürdig nicht hypochondrischen blick auf das schlimmstmögliche.

 

 

 

KW 51

der angriff auf den weihnachtsmarkt bringt mehr wut als trauer. die blinde aggression, die gleichgültigkeit gegenüber dem wertvollsten, das rohe daran. es sind kinder auf solchen märkten unterwegs, familien, menschen, die mit äußerster gewalt zu opfern gemacht werden sollen, eines konflikts, der nur in den köpfen der mörder existiert. natürlich kriegt niemand berlin klein. die sorge, dass diese form der gewalt nur in ganz großem massstab zu verhindern ist, über bildung, chancengleichheit, dass dieser wechsel eine aufgabe für generationen ist, weil gewalt und angst da auf wirklich schlimme weise mittel wie zweck sind. gewalt als agenda, die macht und der endsieg irgendeiner auf angst gebauten herrschaft stehen weit hinten in der zweiten reihe. weiß es aber auch nicht genau, natürlich, es ist ja unvorstellbar. vielleicht ist es ja bei kriegen immer so und es ist bloss seit den großen kriegen immer weiter gegangen mit dem tabubruch gewalt. nicht mehr nur offizielle gegner, jeder kann zum gegner werden. meine hoffnung, dass dieses wegschleifen der hemmschwelle gegen das morden doch noch aufwand bedeutet, also verhinderbar ist.

schwer abzuschütteln so eine bluttat kurz vor weihnachten. bin anderthalb stunden vor der tat mit frau ziebarth da entlanggefahren, um die q-damm-lichter anzugucken. sie kommt mir zuliebe mit, ich mache das nur ihr zuliebe, ein perfektes höfliches gleichgewicht also, darüber hätte ich lieber geschrieben. jeder hätte da sein können, so banal es ist. tröste mich mit der hebammen-show auf netflix. sie bringt die ewige heutige leier der totalen selbstverantwortung wieder auf den boden der tatsachen (gut, bissken zuviel tünche, aber das muss mich nicht stören): es geht nicht alleine, erstens, zweitens: die liebe.

davidzwilling sollte eine kurzgeschichte schreiben, nach einem bild, dass ihnen die lehrerin gegeben hat. er hat sie auf meinem rechner geschrieben und die seite offengelassen, ich habs natürlich gelesen. es ist richtig gut. einer der jungs kann schreiben, der rhythmus stimmt, die bilder, er hat in einer einseitigen geschichte einen wirklich eleganten wendepunkt und eine auflösung untergebracht, gefühl, bilder, eine geschichte. große, warme freude und dankbarkeit. das ist mein hauptgeschenk, aber sagen sie ihm das nicht!

zuviel geschenke für die jungs gekauft. mach ich immer. wie jedes jahr tue ich so, als ob sie diesmal leider nur irgendwas praktisches kriegen und halte es wie immer solange durch, bis sie mir glauben, oder bis ich ihnen glaube, dass sie mir glauben. also ziemlich blank und hoffe, es kommt nichts dazwischen in den nächsten monaten. mit gregorzwilling den baum geholt, er trägt ihn locker über der schulter und hat die andere hand in der hosentasche dabei.

der große wird volljährig am ersten januar. unglaublich. er macht eine party bei uns, ich werde mit dem hund bei meiner mutter sein, und hoffe, er schafft es, nur seine geladenen gäste reinzulassen. dummerweise hat es sich schon herumgesprochen. für seine party bekommt er ein catering und natürlich mein vertrauen, aber vielleicht engagiere ich ihm noch einen türsteher.

 

 

 

holy grail guitar show 2016

es sind überwältigend viele gitarren zu sehen, und jede einzelne davon verdient wahrscheinlich eine eigene geschichte, die macher haben ja ihre meisterstücke mitgebracht. wie bei großen kunst-austellungen sortiere ich meinen überblick auf einer skala des habenwollens. in museen und gallerien such ich mir immer drei arbeiten heraus, die mich ansprechen, die ich näher heranlassen will, meistens, weil ich sie schon auf einer intuitiven grundlage begreife, bevor die auseinandersetzung mit dem kunstwerk-dingsda etwas fundiertes entstehen lässt. bin also offen für launen, hormone und subjektivität, wie sonst soll ein potentieller käufer bei 500 gitarren auch entscheidungen treffen? gitarren sind ja (fast immer) leichter zu verstehen. drei stück will ich mitnehmen wollen, nur drei sollen sich einprägen, und trotzdem hat sich auf platz drei eine ukulele eingeschlichen.

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San Lorenzo Guitars; OD Guitars; Negrini Guitars; Volt Eletrics

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san bernardino

IMG_2844bei der rückfahrt dem wunsch eines zwillings gefolgt und die passtrasse genommen.

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kind sagt oben, schon für diesen ausblick hätte sich die gesamte reise gelohnt, was mich ein bisschen erschüttert (er ist ein bergmensch, wie konnte das passieren?), aber es ist natürlich wirklich sehr beeindruckend, ohne umweg, nur über eine abfahrt ist man direkt auf den wunderbarsten bergstrassen, mit kurven so eng, da passt keine kuh dazwischen. das paralleluniversum der bergradler, für die der pass ein höhepunkt mit jahrelanger vorbereitung sein wird, musste mich zusammenreissen, nicht jeden  auf dem weg nach oben anzufeuern, meist männer in den besten jahren, nur zwei frauen. größte bewunderung. oben fast geschockt über die unvermittelte schönheit, so mühelos erreichbar, als wär das unverdient. dem auto liebevoll auf den hintern geklopft.

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die steinmännchen sind ein gutes zeichen, es gibt sie in allen größen, alle so gebaut, dass sie beim umfallen kein anderes mitreißen können. platz ist genug.

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wir nehmen emma an die leine, weil die strasse so schmal ist. das panorama noch einmal einatmen, dann ab ins niederrheinische tal und nach deutschland zurück. hat vielleicht anderthalb stunden länger gedauert als der tunnel.

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blixa bargeld und teho teardo in der volksbühne

Blixa Bargeld, Volksbühne, 6.6.16
foto: gaga nielsen

blixa bargeld und teho teardo in der volksbühne gesehen, die songs fast alle auf italienisch! sehr schön. ein mann, eine stimme. und seine kleine tochter vor mir in der ersten reihe, schaukelt hin und her, und wartet auf ihr lied.

im publikum die ganzen westberliner expunks, viele alte tattoos, viele italiener, wenig bekannte gesichter, neben eins hätte ich mich fast gesetzt, aber der platz war nicht frei. die stimmung vorher ein bisschen aufgeregt.

Teho Teardo, Volksbühne, 6.6.16
foto: gaga nielsen

die texte lakonisch und klar, so an der welt entlang, die begleitung durch teardo passt dazu, nimmt sich zurück, ist repetitiv bis monoton in der linienführung, es klingt aber nach einer entscheidung, als wäre alles andere schon gesagt oder gespielt. da stehen sie jetzt und können (da stehen sie jetzt und können anders, hätt ich fast) tun und lassen, was sie wollen.

Blixa Bargeld, VOlksbühne, 6.6.16
foto: gaga nielsen

musste an frühe blogs denken, natürlich, das ist ja mein liebster referenzrahmen für dies art text, denke, so könnte man auch ein paar der alten blogger vertonen (kann man das eigentlich noch nachlesen irgendwo? es ist alles weg.). klare sätze, wenig adjektive, unprätentiös, dabei trotzdem bischen elegisch, durch bargelds stimme und die vielen ausrufezeichen in teardos begleitung, der text ist nur ein element im konzept, ton, stimme und diese berliner juninacht tun genauso viel dazu. der mit zurückhaltendem drama  gesungene einfache satz – der mit nachdruck gesagte einfache satz – na, mir fehlt noch das richige bild. bei mir funktioniert das sofort, weil ich die ganzen szenen und momente wiedererkenne, die pioppi vor einem italienischen haus, von denen bargeld singt, die gegend hinter dem bahnhof in rom, die er beschreibt in seinem glitzeranzug. wie gut er italienisch spricht, auf der bühne mit weniger akzent als in den videos. er bleibt warm und bisschen ironisch-verspielt, mit seiner großen stimme, die jederzeit auch ganz anders könnte, wütend werden kann, ein raubtierorgan, mit dem er krieg oder frieden herbeibrüllen kann. drei zugaben, die mittlere für seine tochter, gesungen wie ein kinderlied, unbekümmert romantisch, over and over. und wie er zu ihr hinsieht beim singen, mit einem wirklich schönen lächeln.

Blixa Bargeld, Volksbühne, 6.6.16
foto: gaga nielsen

im hintergrund vier streicher live dabei, die waren beim spielen auch publikum, anfangs bisschen fremd, wie eine bestellte hochzeitsband, dann haben sie sich gewundert und gefreut beim spielen. die beiden hatten außerdem ein schwarzes cello mit einer cellistin (namen vergessen), ihr ganzer fankreis im publikum, und eine veritable baßklarinette auf der bühne. mehr jazz gucken muss ich.

gaga, krieg ich dafür wieder ein bild? (gaga verdanke ich den abend und einen platz in der zweiten reihe. sie kann sowas.)

weiter mit musik

ein zwilling hat seine gitarre neu entdeckt, 4, 5 mal am tag schliesst er seine zimmertür und spielt. er möchte neue literatur, „mit songs, die man richtig singen kann“, er übt läufe, nutzt youtube, ich soll nicht zuhören, aber er spielt richtig gut inzwischen. die gitarre soll unbedingt mit in die sommerferien. er ist über den berg, das spielen ist bei ihm angekommen. bei den klavierkindern ist es ähnlich, nur der grosse ist noch ein bisschen im limbo, er saust fehlerreich über die tasten, will aber keinen unterricht mehr und macht eher wettläufe als musik, der klavierzwilling spielt am liebsten filmmusik und vergisst darüber die zeit, flucht über die auszüge, die es gibt und will bessere, und erfindet manchmal so vor sich hin. schöner moment, mit den instrumenten, obwohl es ja ein entwicklungsschritt des kindes ist, aber ich hab sie auf dem weg gehalten, freu mich mit. die zwillis haben allerdings auch wunderbare lehrer, ohne wär nix davon möglich gewesen, cormelia maaz und tobias schmidt.

habe die instrumente anfangs einfach gesetzt, so normal und selbstverständlich wie sport oder gemüse, hab ihnen gesagt, sie müssten noch ein paar jahre weitermachen, wenn sie zwischendrin mal keine lust mehr hatten, und sie ans üben erinnert, mich bemüht, keine große sache daraus zu machen. sie haben allerdings auch nie ernsthaft protestiert. sie sind normal begabt, nicht drüber und nicht drunter, sie sind inzwischen viel besser geworden, aber nicht so gut wie kinder, die jeden tag eine stunde üben. ich habe im vorteeniealter so eine 15 minuten- regel als praktikabel erlebt, das geht ohne stress, sie spielen oft länger, ohne es zu merken. nicht immer. bei einer stunde müsste man bei gymnasiasten schon vor dem aufstehen anfangen. (es ist wie das fahrrad- oder autofahren: können sollte man es, tun muß man es nicht.)

 

known as prince

unfassbar. der mann, der in sekunden zehntausende in seinen bann holen konnte, mit links hinten und drei riffs. „auf einer skala von eins bis zehn, wie traurig bist du?“ fragt der große. bei bowie hat er das nicht gefragt, aber er war halt schon mal auf einem konzert von prince. „15“ sage ich. weiss gar nicht genau wieso, prince war der helle teil von gestern, das starke, schnelle, perfekt inszenierte, kraft und irgendwie nur musik, das herz davon. das glitzern der achtziger, die gute seite davon. trauer ist es natürlich auch, aber es ist wut dabei, und so eine taube benommenheit. so verdammt jung und schön und stark. er wird sehr fehlen und war einzigartig. ach, ach.

der new yorker sammelt stimmen. gleich die erste, von amanda petrusich, ist sehr wunderbar: “The song’s opening lyric is preceded by an ecstatic “Oooh!” that contains, as far as I can tell, everything there is to know about the deeply hysterical moment in which a person suddenly recognizes that—oh, God—he or she is really done for.“

die letzten platten waren für mich, but who am i, schwierig zu hören, fand sie eher privat, selbstgespräche eines genies. immer gedacht, das er seinen master noch nicht gefunden hat, sein thema, außer dem strahlenden love&sex natürlich, und der musik als reine nackte lebensenergie. immer die genuine neugierde, weil ich nie wusste, was da kommt. so traurig, dass er aufgehört hat – keinen punkt setzen wollen, nicht hinter prince

konzert 2010

und prince mit tante ursel.

the day prince's guitar wept the loudest

podcast: making guitars for prince