veränderung

sie haben einen großen modernen kinosaal in der anlage, einen 12m-pool, eine offene bibliothek mit tischen, lampen und einem relativ aktuellen katalog. die wohnungen („appartments“ sagen sie dort, das große ganze immer mitintendiert) sind zwischen anderthalb und drei zimmern groß, der speisesaal ist schön eingerichtet, die richtigen lampen, sehr freundliches personal, geradezu fröhliches personal. die älteste bewohnerin ist 106, sagt uns die frau, die meiner mutter alles zeigt, die jüngste mitte sechzig, der schnitt liegt beim alter meiner mutter, bei 85 jahren, das ist nicht ohne, nicht ohne, wo ich selber doch nur einen menschen in dem alter kenne. wir bleiben zum mittagessen. die bewohner auffallend elegant, mit gold und silber geschmückt, feine wolle, die männer in sakko und hemd, einer im lodenjanker, weißes haar, niemand färbt es sich noch ab alter x. meine mutter ist noch eher blond, vielleicht ist das ein einzugsritual, der abschied von der vergangenheit? ist nicht mehr und wird nicht mehr werden. paar rollatoren, „aber die sind dann auch schon 20 jahre hier, sind hier alt geworden“, paar rollstühle. mich würde glaube ich die ganze eleganz stören, das gediegene, ich empfinde das als zur schau gestellten wohlstand, ein auffälliges gleiche-unter-gleichen, vielleicht nur, weil ich nicht dazugehöre mit meinem einen kaschmir im regal, diese menschen haben halt einfach kein h&m im schrank, die können sich das ja nicht aussuchen, nicht mehr aussuchen, ihr leben hat die feine kleidung hinter ihnen angehäuft. sie kennen es nicht anders. die frauen sehen interessant aus, ihre verschiedenheit fällt mir auf, sehen sich doch alte leute oft ähnlicher als jüngere, weil ihr alter das erste wahrgenommene ist, von meinen zarten 50plus jahren aus betrachtet. ich bilde mir ein, ihnen ihre guten leben ansehen zu können, weiß aber nix natürlich. vielleicht waren sie einfach besonders schön, und nicht besonders interessant, im alter fällt das ein bisschen ineinander. sie bringen bestimmt einen großen teil ihres lebens mit, wenn sie in so einen alterssitz umziehen, und müssen viel zurücklassen, wie das eben so ist.

ein bisschen kreuzfahrt war das heute, wo die leute aus ihren kleinen kabinen immer in abendgarderobe erscheinen.

meine mutter passt da hinein und wieder nicht. „diese ganzen alten tanten“, sagt sie, es fällt ihr aber dann noch auf, dass sie selber dazugehört. männer gibt es deutlich weniger. ihre berufe kann ich frauen und männern nicht ansehen, kann ich aber bei gleichaltrigen auch nicht gut. ein mann sieht noch ein bisschen nach baumogul aus, auch wenn der körper hinter dem dominanten kinn schon zu verschwinden beginnt, bei damen würde ich nie nach baumogulinösem suchen, da sehe ich eher akademische berufe. die paare unterhalten sich miteinander, nicht alle, einige reden nur einen satz zum menue. die menschen sind ja zuhause dort, ich weiß nicht, ob der repräsentative anteil der eigenen existenz in den hintergrund tritt, wenn man jeden tag im restaurant isst. finde ich interessant, welchen preis so eine normalität hat, sicher hält es die leute auch beieinander, wie jedes ritual.

eine bekannte, die dort schon lebt seit ein paar jahren, rät meiner mutter zum hinwarten, vermisst ihre wohnung und vielleicht auch die realität, oder sie ist ihre einsamkeit dort nicht losgeworden, und dann ist das endgültige noch dazugekommen. es hängt vielleicht davon ab, wie wichtig das zuhause für die identität ist, wie sehr man die sehr pragmatischen grundrisse und die neubauödnis wahrnimmt im lebensalltag. wie es einem geht vorm umzug. aber schöne holzböden auf den balkonen.

ich will dauernd „im alter“ schreiben: so ist das eben im alter, weil darauf alles hinausläuft, so einen lakonismus, die akzeptanz des todes. die zimmer werden frei, wenn jemand gestorben ist, das wissen ja alle, da zieht keiner mehr aus, da sind sich alle bewohner gleich, vielleicht werden sie deshalb alle mit namen angesprochen, bei jeder begegnung, weil angesichts des großen gleichmachers der namen ans leben als einzelner und einziger erinnert, das die menschen ja hier auch noch leben, zu ende leben, päng, da ist er wieder, der tod. dieser aspekt macht mir auch noch schwierigkeiten, glaube ich, dass die mutter als ewige präsenz an einen ort umziehen will, an dem nix mehr ewig währt. ihr sicher auch, bei aller norddeutschen resolution. das verfliegt aber auch wieder beim dort herumlaufen, sobald man sich daran gewöhnt hat, im alltag ist eh mehr gegenwart, das ende fern wie immer. bei abwesenheit von schmerz und not, natürlich. oder nicht? bin ich gespannt drauf.

„sie denken darüber nach, sich zu verändern?“ fragte die mitarbeiterin und rät zur baldigen entscheidung. wenn man schon pflegestufen hat, wird man wohl nicht mehr genommen, lieber sind ihnen aktive senioren, die die arbeit des kulturrates zu würdigen wissen, ende des monats kommt walter momper und erzählt von der wende, ein film mit burt lancaster wird gezeigt, es gibt lesungen und konzerte. eine wasserreise und eine landreise pro jahr, „sehr begehrt“.

 

will ich nicht lassen

wollte mit dem einen inhäusigen sohn was unternehmen, wir haben aber beide nur vormittags zeit, also mal wieder kirche, schlägt er vor. wir kommen fast zu spät, die türen stehen offen, wir setzen uns in die letzte reihe. eher leer, aber in jeder reihe sitzen ein paar leute, gut verteilt mit großem abstand. eindruck: jeder geht für sich in die kirche. paare und einzelne gleich oft, auch die paare mit einem meter dazwischen. der ablauf ist bekannt, wir kommen bei einem psalm, gelesen von entweder einem gemeindemitglied oder einem pfarrer, er liest ein bisschen zu schnell und unbetont, verstehe nicht alles. die akustik ist in gethsemane sehr hallig, auch bei der eher schnell spielenden orgel kann ich den melodieverlauf nicht klar erkennen, die gemeinde brummt halt so mit, immer ein bisschen hinterher. junge pfarrerin mit duschfrisur, liest die jakobspassage, der predigtanteil ist für mich nicht so interessant, sie wiederholt die zeilen mit eigenen worten, in „einfacher sprache“, und setzt rhethorische ausrufezeichen dahinter, bleibt aber ganz im gleichnis, sucht keine metaebene oder eine anbindung an welt oder geist. zu sehr ist das nicht toll? das ist doch toll!, mir fehlen spiel und intellekt. die passage wird auf einen aspekt runtergebrochen, der dann suggestiv wiederholt wird, also verzeihen und gnade. oder güldet das als eine dem gottesdienst angemessene demütige haltung? nichts eigenes, ganz nah am bibeltext? kenn ich mich nicht aus damit. so ein kleiner anteil erbauung darf aber ruhig dabeisein, wenn man sich schon direkt nach dem frühstück in die kirche begibt. ein schönes lied war dabei, eg 365, und über den segen freue ich mich auch jedesmal. vorgenommen: wieder mehr predigthopping.

(sie können hier über paypal etwas in die trinkgeldbüchse werfen, wenn sie möchten. das hotel mama hat auch einen wunschzettel. vielen dank dafür!)

dialog, interview und verhör

heut früh lese ich in der kurzbio von carofiglio, dass er als staatsanwalt  im dienst gegen die mafia einen text über das richtige verhören geschrieben hat, jetzt sehe ich die netflixshow criminal, in der man genau solche techniken beobachten kann und würde den text gern mal anlesen, und siehe da, es geht – nee, natürlich nicht, aber wär nett gewesen.

die show ist klar und spannend, die habe ich durch, bis il paradosso del poliziotto hier ankommen würde.

(der titel vom posting ist sehr preposterous, aber da würde ich gern drüber lesen. in criminal kann man die übergänge beobachten, das rituelle daran, bekannt aus funk und fernsehen, vom smalltalk mit dem verdächtigen, in dem man stimmung und tonfall der polizisten kennenlernt, über das interview, in dem die polizei lebensdaten abfragt, der verdächtige kommt ins reden, fasst vertrauen, und wird so dem publikum vorgestellt. dann der übergang zum verhör, das machtverhältnis kommt dazu, es gibt jäger und beute, fallen werden gestellt, die spannung verschiebt sich. schönes kammerspiel.)

tempi passati

lese grade „la versione di fenoglio“ von gianrico carofiglio, wie alles von ihm sehr angenehm zu lesen, ein gespräch mit lauter unerwarteten wendungen und assoziationen, so eine spielerische intelligenz, dinge, die ein paar seiten lang wirken wie eine art surplus für den handlungsverlauf (ich hielt das buch für einen krimi), wie ein schriftstellerischer luxus, den der erfolgreiche autor sich leisten kann, bis ich merke, es ist gar kein krimi, sondern ein nachdenken über wahrheit und lüge, erfahrung und alltag bei der polizeiarbeit und, natürlich im leben überhaupt.

will es gleich dem großen schicken, aber es ist noch nicht übersetzt. oft wirken texte schön, klar und durchdacht, wenn ich sie in originalsprache lese, und werden wohlfeil und bisschen küchenpsychologisch, wenn ich sie auf deutsch vor mir habe, das könnte hier auch passieren, mal schaun, mal sehn.

eine stelle, in der ein vom smog braun gewordenes haus beschrieben wird („Il tizio abitava in una palazzina anni Cinquanta annerita da un velo di smog che dava un senso di grande malinconia.“, S. 41) – sofort bilder von mailänder smogtagen im kopf, von genau solchen häusern, dieses dunkle braungrau.

meine vergangenheit unterscheidet sich in allem von meinem jetzigen leben, sogar die sprache war eine andere. das ist gut, weil es den abschluss erkennbar macht, und befremdlich, weil das alte so unüberschrieben weiterexistiert, nicht vom leben neu besetzt wird. in solchen bildern erlebe ich mich als ganz jungen menschen, fast unverfälscht von sentimentalitäten, als wiedererkennen: so war es. alles äußere ist anders,  nur ich bin natürlich ganz unzeremoniös (da ist jetzt doch etwas sentimentales in dieser wortwahl) immer dieselbe.

ich habe bilder von angelina jolie immer gern angesehen, diese art von schönheit, die auch im dunkeln erkennbar ist, weil alles im gesicht so groß und ausdrucksstark ist. eine schöne frau, halbwegs engagiert, irgendwie in ordnung. grade über irgendeine doofe facebook-werbung ein interview gelesen, indem sie eine massive esstörung beschreibt („obsessed with weight loss“), ohne dass sie oder sonst jemand das so benennt, endend in werbung für eine von ihr vertriebene diätpille of all things, die den stoffwechsel in ketose versetzen soll, einen zustand, der in notlagen wie hunger und krankheit auftritt, und bei diabetikern zur ketoazidose führen kann, einer ernsthaften und lebensbedrohlichen stoffwechselentgleisung. sie verdient damit geld. unfassbar, ein paralleluniversum. bin doch ein bisschen enttäuscht, ich hielt sie für halbwegs intelligent, also nur soweit ich sie überhaupt für etwas gehalten habe. da hat ihr marketingexperte nicht aufgepasst. hoffentlich enthalten die pillen nur placebos und keine pharmakologisch wirksamen bestandteile, die wären unter umständen ordentlich gesundheitsschädlich. schon verschiebt sich die wahrnehmung von ’schön‘ zu ‚ausgemergelt‘, von außergewöhnlich zu einer von vielen, die von ihrem aussehen leben. vielleicht ist das für sie ja auch ganz erleichternd, endlich sein zu können, wer sie ist. schaudernd ab

gigi pedroli in laveno

von der strasse aus sieht man nichts, glatte fassade, l-form, eingang über einen kleinen hof. gegenüber vom vanoli, hat mir b gesagt, dem bei den jungs sehr beliebten eisenwarenladen an der hauptstraße. ich sehe ein schild und finde meinen weg, oben im ersten stock sieht man schon menschen stehen. drinnen ein palazzo, wunderschöne holzböden, neben dem saal zwei kleinere zimmer, aus dem saal ausgang auf eine art veranda, die auf einen park führt, der fast direkt und 100m steil den berg hinaufführt, strukturiert durch eine große filmreife freitreppe.

immer diese versteckten schätze! ich komme rechtzeitig zu den reden, gezeigt wird ein mailänder künstler, jahrgang 1932, mit vielen radierungen, stichen und zeichnungen und ein paar skulpturen. mich erreichen die sachen sofort, figurativ, kleine geschichten erzählend, ein bisschen wie incipits eines sehr schönen buches, zwischen 100 und 500€ kosten sie.

sie ähneln den arbeiten von enrico baj, den wir in mailand damals viel an der wand hatten, von einem kupferstecher aus dem bekanntenkreis vermittelt, und richtig hat auch pedroli eine druckwerkstatt mit schulungen und kursen an den navigli, im palazzo galloni, einem der ältesten häuser der stadt, es stand praktisch schon vor der stadt da, war herberge inmitten von wiesen, direkt am naviglio gelegen. er hat es ende der sechziger erstanden.

(ende des 15.jh wurde leonardo da vinci damit beauftragt, in mailand ein schleusensystem zu entwickeln, um die navigli als transportweg nutzbar zu machen. der marmor und das kastanienholz für den bau des mailänder doms wurden über das kanalsystem aus dem tessin auf großen flößen in die stadt geschifft, jeder kam dort vorbei, leonardo war dort eine weile zu gast, so sagt die legende, und hat im ersten stock des palazzo galloni die dame mit dem hermelin gemalt. das erfahre ich nachher vom bekannten, in den reden gab es nur elegante andeutungen, wie es sich ziemt im umgang mit diesen geschichten. pedroli hat die dame ebenfalls in einigene kleinen bildern angedeutet, man erkennt den halsschmuck und den ausdruck.)

getränke und imbiss gibt es im garten und auf der terasse, nachher erzählt mir der bekannte die geschichte des hauses, in dem eine alte dame bis zu ihrem ende gelebt hat, sie hat das haus der stadt vermacht, ein familienangehöriger hat das testament angefochten, der streit dauerte zwanzig jahre, in denen die villa leerstand. die stadt hat 2016 endlich gewonnen, mit der auflage, die villa für kulturelle belange zu nutzen. der freund hat sie bisschen modernisiert, mit einer kleinen gruppe von kulturleuten organisieren sie seitdem austellungen, lesungen, konzerte. ich kenne ein paar besucher, andere lerne ich kennen, vergucke mich in eine kleine arbeit (ich-hab-keinen-platz, keinen platz, keinen platz einself, und außerdem gibt es ihn auf ebay), schnorre eine zigarette und werde nachher mitgenommen in ein restaurant, wo wir alle noch ein paar stunden essen und weiterplaudern können.

android wear 1.5.

[das wird eher langweilig]

ein anderes projekt fordert vor allem meine geduld. ich habe eine sony smartwatch 3, die auf ein vorheriges os zurückgesetzt wurde, um auf ihr wieder nfc betreiben zu können, habe damit meinen libre sensor ausgelesen. das ist nicht mehr notwendig, ich könnte die uhr aber dazu verwenden, meinen pancreas-algo übers handy zu betreiben, dazu muss ich sie allerdings erst wieder von android wear 1.3. auf 1.5. bringen, was sich bei gerooteten uhren als eher komplex erweist.

jemand hatte vorgeschlagen, einfach den google play store auf der uhr zu ersetzen, aber das hat nicht funktioniert, immerhin hab ich beim versuch den respekt vorm umgang mit den nötigen anwendungen verloren und einfach drauflosgepusht. die uhr teilte mit, das update wäre nicht passend, erst dann ist mir eingefallen , dass eventuell auch all die leute, die solche tips geben, nicht immer genau wissen, was sie tun. die sony-companion-software weiß ebenfalls nicht weiter.

bisher habe ich hier ein ota-update (over the air-update) auf mein gewünschtes betriebssystem gefunden, und es übers terminal und mit adb auf die uhr bekommen, aber installieren kann ich das update leider nicht. irgendwelche sony debug build nummern sind falsch, weil die uhr ja gerooted worden ist, denk ich. vorher habe ich schon ein paar andere versionen versucht, die wollten aber auch alle nicht. rücksichtslos flashen, hab ich irgendwo gelesen, ich bin bisher immer rücksichtslos dabei gewesen, natürlich eher, weil ich keine ahnung habe, wo das eine aufhört und das andere beginnt.

was würde flash gordon machen?

kurz davor, über ebay irgendeine andere smartwatch zu kaufen, dann fällt mir aber ein, dass ich das ding eigentlich gar nicht wirklich brauche, weil alles übers handy genauso gut geht, ich das handy eh immer am leibe tragen muss etc. pp. aber im winter? denkt es dann, mit handschuhen und dicker jacke? es wäre nett, das zu haben, das genügt ja eigentlich.

natürlich mache ich das hauptsächlich, weil es mir spass macht, aber mein anspruch im umgang mit diesen dingen ist inzwischen ein hauch mehr als dabei-sein-ist-alles. ich könnte jetzt weitere stunden nach etwas unklarem suchen, aber muss ja nicht. habe mir sowieso vorgenommen, erfolg bei der lebensplanung mehr in den vordergrund zu rücken.

kurzfilm

blick auf den see vom eingang des museums aus

in einem kleinen ort am seeufer ist im vorletzten jahr ein kurzfilm gedreht worden, der in los angeles einen preis bekommen hat. das dorf eignet sich als drehort gut, weil alles wichtige an einen einzigen platz liegt, kirche, läden, der see, die beiden gassen und die straße, die auf den platz führen. bilder vom drehtag hier.

gestern war die uraufführung vor publikum, alle aus dem dorf sind gekommen, ein sehr eleganter älterer herr  im smoking, wohl aus der verwaltung, die wunderschöne schauspielerin (hui. zuwenig an hat sie auf den meisten bildern) im glitzernden abendkleid auf halsbrecherischen schuhen, der regisseur leger, die dorfbewohner in abendkleidung oder jeans. kulturleute der nächstgrößeren stadt, zwei frauen von eos, einer organisation, die sich mit dem thema des films beschäftigt und wohl als sponsor mitfirmiert, es geht um gewalt gegen frauen. die beiden sehr ähnlich gekleidet und aussehend wie mutter und tochter. vorher ein sehr leckeres büffet mit prosecco und feiner foccaccia, alles bei entrata libera.

der kurzfilm spielt in den vierzigern, 1. szene in der kirche, junge frau von hinten, weinend, mit einem messer in der hand. an der wand gentileschis judith und holofernes. schnitt, dorf, menschen im alltag der 1940er, mit spinnrad, ziegen, schuster, sehr süßen schmutzigen kindern, hunde, viel dorfleben. die junge frau aus dem ersten bild verkauft sizilianische canelli vom fahrad aus, ein älterer mann sieht sie, verfolgt sie nach feierabend, vergewaltigt sie, man hört lange ihre schreie. zum schluss wird die anfangsszzene in der kirche wiederholt, junge frau alleine, weinend, mit messer, eine alte frau kommt dazu, sie sehen sich an. laut wikipedia bringt die alte dame in der kirche die junge frau dazu, statt mit einem mord lieber mit einer anzeige zu reagieren, hab ich aber nicht erkennen können.

hmm, dachten wir. angekommen ist die verzweiflung und das alleinsein danach, wie unvermittelt es zu gewalt kommen kann, und die solidarietät unter frauen als einzig mögliche hilfe unter gewissen umständen. alle hielten reden, der regisseur stammt aus dem nachbarort und erzählt, wie sie innerhalb von zwei wochen film und dreh auf die beine gestellt haben, zeigt seiten aus dem storyboard, erklärt arbeitsschritte und bedankt sich bei den beteiligten, das war unterhaltsam und ganz spannend. am ende sprechen noch die beiden frauen aus der hilfegruppe, erzählen viel zu lang und ausführlich aus dem nähkästchen, wie die gewaltbereitschaft unter umständen schon im kleindkindalter gesäht wird, wie es dann in grundschule, oberschule, erwachsenenalter weitergeht, vor einem publikum, das offensichtlich nicht wegen ihnen da war. ausführlich. kann man machen, man könnte aber auch die chance nutzen, das publikum irgendwie anzusprechen, die eigene orga vorstellen, interesse wecken.

(eine alte dame neben mir wetterte die ganze zeit, dass sie sowas schon seit 20 jahren am fatebenefratelli (klinik in mailand) anbieten, und überhaupt, wer sei das hier überhaupt, nie gesehen hätte sie diese beiden. sie war bestimmt der einzige gast, der aufgrund des filmthemas gekommen ist.)

ambiente sehr schön, innenhof von einem altem museum, direkt an dem platz, wo der film gedreht wurde, unter freiem himmel, angenehme 25° unten, nachher mit den freunden noch ein bierchen direkt am see.

wildwuchs

der sturm neulich hat die beiden akazien, die mitten in die aussicht gewachsen sind in den letzten 15 jahren, deutlich gelichtet. umgefallen sind leider andere.

der weg ins dorf geht ein stück durch einen steilhang mit sehr ungepflegtem wald, an den straßenrändern mit brombeeren auf der einen und holunder auf der anderen seite, drumrum dichtes unterholz und von kletterpflanzen umrankte bäume. kastanien und akazien sehen gesund und munter aus, viele andere sind unter dem gestrüpp längst morsch und faulig, bei jedem sturm fällt irgendwas um, meistens jüngere bäume mit stämmen zwischen 10 und 15cm, diesmal ist allerdings auch eine richtig große esche (glaube ich) umgeknickt, die hängt da jetzt auf halbmast im dickicht, die krone liegt grade neben der straße und welkt ganz langsam vor sich hin, kein schöner anblick.

habe neulich auf twitter eine eher brutale praxis der entrindung gesehen, um in einem wald für totholz zu sorgen, damit platz für insekten und kleintiere ist, davon gibt es hier genug. vielleicht wurde der wald früher besser gehalten, ein paar prachtvolle alte bäume mit anderthalb meter dicken stämmen stehen dort auch, die müssen vor dem schlingzeug hochgekommen sein. beim größten, einer eßkastanie, sieht es aus, als habe sie selber mit unzähligen austrieben ihren stamm geschützt, efeu ist da nur als ein paar einzelne zweige zu erkennen. sie ist nach ihrem umfang über 400 jahre alt, das erzähle ich grad allen, denn damals ging hier die renaissance grad zu ende, so sehr damals ist es, in mailand regierten die sforza, die lombardei ging zwischen den spaniern und den schweizern hin- und her, nach der blütezeir folgte ein langer, ökonomischer abstieg, vielleicht wurden ihre kastanien damals noch gesammelt und verwendet. die beiden kleinen mädchen, die immer bei den hunderunden mitkommen, weil sie in emma verguckt sind, hören stets interessiert zu und sagen höflich toll!, oder ja?

eine andere kastanie sieht bis zwei meter über der erde aus wie mehrere bäume, der stammteil unten ist ein paar meter breit, lässt auf ein alter von einigen hundert jahren schließen. jetzt ist der stamm im gestrüpp kaum zu erkennen, lebendige und tote bäume stehen dort dicht an dicht, alles bleibt im ständigen halbschatten. der hang ist seit dem tiefsten mittelalter sich selber überlassen. der dicke baum verdient eine geschichte, dacht ich, und wollte ihn mal aus der nähe erkunden.

von einem pfad unterhalb des wäldchens wollte ich mich hineinwagen, hab dazu sogar sneaker angezogen, aber die dornen stehen dort bis auf den boden, darunter schlamm, dazu um die 45° steigung:  ich müsste mir alles freischneiden, im grunde mit einer säge, also nee. dafür reicht der erkenntnisgewinn nicht. ein wunder, dass sich die bäume da halten können, wenn es nicht umgekehrt ist, und die bäume das gelände halten, bei den andauernden sturzregengüssen.

also weiter ins dorf gelaufen, bei der nächsten freistehenden kastanie angehalten, sie trägt eine lange stola, und sieht auch sonst sehr elegant aus. die könnte ich ja messen, wenn ich ein maßband hätte. so stand ich da kurz herum, allein im wald, und dachte mir so, du kannst den umfang auch mit deinen armen messen, zweimal ganz rum bin ich gekommen, die stola ist überraschend weich. dann habe ich die jungen ausflügler gesehen, die grad vorbeiliefen, natürlich, als ich meine arme noch um den baum hatte.

ich werde aber auch ideell zum treehugger auf meine alten tage, erhöhte baumsensitivität seit den sequoias 2012. kastanien können ja genauso alt werden wie sequoias, der älteste baum europas ist eine kastanie, geschätztes alter liegt zwischen 2000 und 4000 jahren, sie steht auf sizilien und trägt immer noch früchte, sie tragen erst ab 30 jahren, sagt wikipedia, und am ertragreichsten sind sie ab 100. kastanien sind so nährreich wie kartoffeln, wißt ihr, oder? seit den alten römern werden kastanienwälder angelegt, sie haben die bevökerung norditaliens durch einige hungersnöte gebracht, aus ihrem mehl kann man backen, wenn man es mischt, es ist glutenfrei, süß, vielseitig verwendbar. ein ehrwürdiger baum, hier überall zu finden, im oktober liegen hier die esskastanien zentnerweise herum. er wird auch noch angebaut, mehr in süditalien und in der toscana, im piemont gibt es auch noch ein paar.

ich könnte ja mal, dachte ich beim herumlaufen, nach alten schönen bäumen suchen, gemerkt, das geht auch über google, hier hat ein guter geist in ganz italien nach besonderen bäumen gesucht, nach provinzen sortiert, sehr toll. sollte mal wieder in die villa taranto und auf die isola madre fahren.

habe den jungs auch von den bäumen erzählt und ihnen fotos geschickt. sie meinen, dass ich wohl langsam genug entspannung hatte und teilen mit, ich sollte jetzt lieber wieder nach hause kommen.

ferragosto

das feuerwerk ist hinterm berg, aber es ist nur ein kleiner berg, und die schläge dröhnen tief und laut. ich hab schon fast alles probiert, bis zufällig in einer playlist norwegian wood kam, und dann hat emma ihren kopf auf die pfoten gelegt und kann ausatmen. es sind die sachen für ruhige momente, die auch bei ihr funktionieren.

dann spielt das verf… itunes statt nur einer arie auch die nächste des albums, ausgerechnet  „avert these omens“ mit dem pauken-donner von semele, und der hund zittert wieder. so ein schreckliches programm. grad (einen tag später) nochmal gespielt, um den namen zu suchen, emma reagiert nur im kontext mit panik.

bin zur ruhe gekommen und wieder bei mir, es fühlt sich an wie geschlossene kreise, nicht nur die alte musik, auch das wegkönnen und dableiben, nicht mehr fassade, sondern die mischung aus freiem und unfreiem, lautem und leisem, den zartheiten und der ungeduld, kein halber meter abstand zu sich selber, selbst wenn man zu zweit ist. sehr angenehmer zustand. keine ahnung, ob es erholung oder abstand ist. plan für den winter: sich im griff haben als umarmung.

angenehme um die 30°, abends frischt es auf, vom see hört man die motorboote, ein kleines lüftchen weht und bringt die wolken von der westseite herüber. heute kein monte rosa zu sehen. keine lust auf strand.

jetzt sehr sehr rote nägel, aber flipflops dazu.

instakram

instagram – account der nachbarn entdeckt, kurzer anflug von einer art fernweh für ein anderes leben. schöne bilder, tolle kunden, lago, meer, italien und london. ich mag sie, kenne schon seinen vater, der früher hier lebte, sie haben kinder und enkelkinder und fahren unter anderem einen wunderbaren alten fiat 500, beide arbeiten, machen irgendwas mit marketing (sie) und motoren (er). instagram funktioniert. denke darüber nach, auch solche fotos zu machen, dann hätte ich auch so ein leben, als selbstversuch, es scheint leicht genug, es wirkt verlockend einfach, ohne die arbeit und den aufwand, den ein erfolgreiches unternehmen bedeutet. vom typus her würde ich wohl eher symbolbilder für die arbeit verwenden, wobei ich da vielleicht work und pleasure durcheinanderbringe, so ein i-account gehört ja zum beruf.

welche bilder könnten mich repräsentieren? für mich sind diese schönen aufnahmen auf instagram immer bilder vor dem wort, eine arbeitsgrundlage, ich sehe sofort die absicht, die intendierten projektionsflächen, meine geschichte, die renaissance, den goldenen schnitt, die bilder springen also sofort zu geschichten auf, wie eins dieser wunderbaren popup-bücher. auch weil sich so ein ansatz angenehmer anfühlt als die sehnsucht nach dem dargestellten. ich bin mir ja viel näher beim geschriebenen, habe aber jetzt endlich wieder eine kamera! ich glaube, es gibt da sogar einen account, mit einem einzelnen bild. ich könnte also. wollte schon mal meine jungs zum täglichen knipsen für die familien-whatsapp animieren, mit einem preis, aber sie haben es total ignoriert. sie machen fotos, aber wollen die für sich behalten, keiner nutzt social media, was ich mir nicht hoch, aber doch irgendwie anrechne.

merkwürdigerweie fühlen sich fotos aus meinem alltag viel mehr als verletzte privatsphäre an, obwohl ich soviel öffentlich aufschreibe. hängt einen tick mit meinem selbstbild als sagen wirs mal so nicht durch schönheit auffallender frau zusammen, in italien vor allem, wo unter jedem kleinen bild immer zuerst die bella bellissima!- kommentare kommen, und nie einer fragt „was liest du denn grade?“, besser gesagt, ich finde mich schön, ohne das mein aussehen dabei eine relevante rolle spielt. das fällt mir nur beim drübernachdenken auf, es spielt keine rolle im alltag oder vorm spiegel, nur manchmal nach körben. sachen wie instagram sind da ein anderer ansatz, ich guck mir die schönen sachen gern eine weile an, wie die zeitschriften beim friseur, aber ich möchte sie nicht mit nach hause nehmen. diese schönen pics stellen das andere dar, nee, sie sind etwas grundlegend anderes als ich. ich nehme sie wohl auch bisschen zu ernst. text-vs-bildmenschen.

(das oben als unerwarteter kurztrip hin-und zurück zu instagram, jetzt geh ich zufrieden an den strand.)

 

freundschaftsbuch

ein dickes großes buch mit leeren seiten, dichtung und wahrheit steht drauf, es ist elegant, silbergrau mit schnitt. ob wir, seine alten freunde, da erinnerungen reinschreiben könnten, dinge, die wir noch wissen, für sein kind, jetzt ein vorschulkind. er ist im letzten jahr gestorben, unter unklaren umständen, drogen und polizei waren mit ihm spiel, es ging ihm nicht gut in den letzten jahren, das haben wir alle mitbekommen. er war in meiner klasse, etwa so alt wie ich. ich werde eine seite schreiben, ein paar erlebnisse und bilder, würde aber gern allgemein etwas dazu sagen, wie er war früher, oder: wie es war mit ihm früher, in der zeit, als wir noch jungen und mädchen waren und nicht teenager oder junge erwachsene. dass er in den achtzigern ein liebevoller und freundlicher und lebenslustiger mann gewesen ist. es gibt einen großen unterschied zwischen diesen erinnerungen und dem jetzt, er ist nicht gut umgegangen mit sich und auch nicht mit dem kind, ich war natürlich nicht oft dabei, aber ich habe ihn mit kind oft unbeherrscht und laut und grob erlebt. wird er dann im umgang mit seiner familie nicht noch öfter so gewesen sein? mit seinen freunden war er anders, mehr wie früher. das weiß ich natürlich alles nicht und schreib auch nichts drüber, das ist nicht meine aufgabe. ich weiß nicht, was das kind später erinnern wird von seinen ersten lebensjahren. mein satz dazu: ich weiß, dass es später nicht immer leicht mit ihm war, aber früher (…). und das es sich melden kann, wenn es mag.

museo villa panza

zu einem ausflug nach varese mitgenommen worden, in die villa und sammlung panza, ein museum, von dem ich noch nichts gehört hatte. mit einer landkarte und stilgerecht im offenen käfer über verwinkelte und kurvenreiche strassen, ein stück weit auf den berg,  parken in einer engen strasse direkt vorm museum. von außen sieht es nach einem gepflegten landhaus aus, 2 etagen, alte fenster, ich erwartete ein paar räume voller bilder. dann eine glastür, und sofort ist alles gegenwart und neu, der empfangsraum, die museumsarbeiter, die preise (15€ für normalsterbliche), ein museumsshop (ich liebe museumshops). dann läuft man um die ecke und steht auf einem großzügigen hof, mit einer großen wasserskulpur von meg webster, unter einem romantischen kleinen brücke sehen wir in einen riesigen park, ein klassischer blick, mit raumflucht, einem brunnen, wegen und wiesen, und einem sehr romantischen heckengang, direkt gegenüber der orangerie mit alten, verwitterten glasfenstern. hier hat ein genießer gebaut. uns ist wirklich kurz der mund offen geblieben. wir haben uns umgedreht und standen vor einem wandhohen spiegel, der den blick in hof und park noch einmal neu zeigt, diesmal mit uns kleinen gestalten darin. selfiemotiv, aber die installation ist älter als smartphones, überall im haus schaffen spiegelwände trügerische weiten und verändern die perspektiven.

seit 20 jahren sind die arbeiten dort öffentlich zugänglich, seit der letzte besitzer, giuseppe panza di biumo und seine frau giovanna ihren palast 1996 dem fai* übergeben haben. die beiden haben dort seit den fünfzigern gelebt, 5 kinder großgezogen und sind bzw. waren (giuseppe panza ist 2010 gestorben) liebhaber und aktive sammler zeitgenössischer, vor allem nordamerikanischer kunst.

panza hat als einer der ersten rauschenberg nach italien gebracht (1959 von john cage vermittelt), im park steht ein kleines häuschen mit einer arbeit von robert wilson, dan flavin hat ihm einen ganzen flügel mit lichtskulpturen eingerichtet, die liste seiner künstler ist sehr beeindruckend.

bis januar 2020 werden arbeiten von sean scully gezeigt, die auf ganz merkwürdige art in die räume passen, auf dem prachtvollen sternparkett sehen die streifen fast zurückhaltend aus, wie hinweise auf die geordnete struktur der dinge.

(arbeit von ettore spalletti)

panza mochte klare linien und formen, die kunst wirkt schlicht in den räumen, oder vielleicht wirken die räume eleganter, weil die arbeiten so klar sind?

(arbeit von ettore spalletti)

fast keine möbel, nur im großen salon, der nur für privatveranstaltungen geöffnet wird, mit tiefroten samtsofas, einem billiardtisch, kaminen und großen, monochromen arbeiten von ich glaube phil sims oder ruth ann fredenthal an den wänden. es passt alles so gut, dass man zur ruhe kommt beim ansehen. ich wollte gar nicht mehr raus.

sehr sehenswert, wenn man es findet.

*der fai schützt, fördert und pflegt als gemeinnütziger verein italienische kulturgüter, ein dringend notwendiges unterfangen, so viel geht kaputt, wird vergessen oder verkauft. ich wollte gleich mitmachen. der fai hat das haus zum museum umgestaltet und unterhält das museum, so wie ich es verstanden habe. die stiftung leistet dabei erstklassige arbeit, es ist alles top of the pops.