12-24gr pro tag

todestag jährt sich bald, zum 13. mal. er war auf einer party und ist bei der rückkehr auf sein boot vom steg gekippt, fast ertrunken, lag noch 5 wochen im koma nach ca. 10min unter wasser. bis dahin war es über viele jahre immer gutgegangen, die autofahrten nach der weinflasche, die geschichten, die erst dann so langsam ins bewusstsein kommen, wenn man sie mehr als einmal hört, oder wenn der unfall dann passiert ist.

ich hab einige freunde, die an einem abend 3 bis 5 bier wegkippen (hier kippen 3 bears), ihre augen glitzern danach ein bisschen mehr, der gang wird einen tick schwerer, die ersten meter auf dem fahrrad haben kleine kurven, aber es scheint mir völlig normal, es sind männer, wir gehen ja aus, und sie vertragen mehr als ich, ich bin ja frau und diabetikerin, alkohol ist sehr gefährlich fûr mich. ich kenne trockene alkoholiker, die offen darüber reden, aber niemanden, der noch mitten drin steckt.

really?

bei ihm haben wir auch nichts gemerkt, nicht das ausmaß des problems. wir haben uns gerne täuschen lassen, glaube ich, und wir werfen es uns immer noch vor. hätten wir intervenieren können, oder müssen? ich weiß nicht, ob es für ihn ein problem war, oder einfach normal, der alkohol ein getränk und durstlöscher wie andere auch? die selbstwahrnehmung ändert ja noch gar nichts. sie lächeln dann ein bisschen, freuen sich vielleicht insgeheim über die mengen, die sie aushalten können, und haben ganz unbemerkt immer was im haus, und sowieso einen haufen anderer sorgen, die das trinken so einladend machen. die sind wichtig, nicht das bisschen alkohol. klar, zum mittagessen einen wein, dient der verdauung, nachmittags vielleicht ein bierchen zischen, weil es so warm ist? ein prosecco mit den freundinnen, zum aperitiv? ein whisky vor dem ausgehen, weil man sich den verdient hat, den guten talisker? es könnte sein, dass ihr alle schon auf dem weg seid, dass schon ein stück gewöhnung hinter euch liegt. die alkoholfreien tage werden immer seltener, ohne dass es euch auffällt. nur ein paar radler! das ist für die verdauung! und ihr müsst es nicht mal euch selber gestehen, wenn der alkohol in euren getränken mehr freude bringt als deren geschmack oder die gesellschaft, in der ihr trinkt.

12gr alkohol täglich (pdf, 100 seiten) gelten als unbedenklich bei frauen, bei männern das doppelte. das sind o,3l bier pro tag für uns, ein halber liter bei männern. für frauen ein kleines glas wein, nur 0,12l, bei männern geht ein viertelliter. wer das jeden tag tut, ist aber schon nicht mehr in der ganz grünen zone und sollte mal ein paar wochen aufhören. sobald man sich das vornehmen muss, und es sich nicht mehr von alleine ergibt, muss man auf dem fragebogen zur einschätzung der gefährdung ein kreuzchen machen. vielleicht nimmt man es sich gelegentlich vor und vergisst es dann wieder, weil gerade soviele geburtstage sind, und der juni so lockt, oder weil es wenig schöneres gibt als einen campari-o bei hellem licht auf dem balkon? bei den rosen, und soweiter? bingo. ihr zählt schon mit.

wobei ich nicht weiss, ob das schon ungesund ist, ob es eine klare grenze gibt, ab der alkohol wirklich gesundheitlichen und gesellschaftlichen schaden anrichtet. ich halte schon den moment für kritisch, wenn der verzicht einen etwas kostet, wenn sich der alkoholkonsum in klitzekleinen einzelnen schritten im leben einrichtet, wie ein parasit, den man eingeladen hat. es scheint, als ob es erst deutlich bergab geht, sobald die abhängigkeit die regie übernimmt, sobald also die dosen erhöht werden müssen und schon vormittags getrunken wird, oder sobald man trinkt, um betrunken zu werden, aber die grenzen scheinen auch da fließend, abhängig von geschlecht, konstitution, umfeld und vielleicht auch der qualität des stoffes (die in zwei jahren von ca. mitte zwanzig auf optische mitte vierzig zersoffene frau, die mit ihren billigschnäpsen vor dem supermarkt sitzt, leise schwankend). wobei ich dann ehrlicherweise auch meinen umgang mit dem internet als nicht mehr ganz suchtfrei erkennen muss.

passt bitte auf euch auf! shit happens, und es ist kein putsch, sondern eine langsame machtübernahme.

 

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weiter mit musik

ein zwilling hat seine gitarre neu entdeckt, 4, 5 mal am tag schliesst er seine zimmertür und spielt. er möchte neue literatur, „mit songs, die man richtig singen kann“, er übt läufe, nutzt youtube, ich soll nicht zuhören, aber er spielt richtig gut inzwischen. die gitarre soll unbedingt mit in die sommerferien. er ist über den berg, das spielen ist bei ihm angekommen. bei den klavierkindern ist es ähnlich, nur der grosse ist noch ein bisschen im limbo, er saust fehlerreich über die tasten, will aber keinen unterricht mehr und macht eher wettläufe als musik, der klavierzwilling spielt am liebsten filmmusik und vergisst darüber die zeit, flucht über die auszüge, die es gibt und will bessere, und erfindet manchmal so vor sich hin. schöner moment, mit den instrumenten, obwohl es ja ein entwicklungsschritt des kindes ist, aber ich hab sie auf dem weg gehalten, freu mich mit. die zwillis haben allerdings auch wunderbare lehrer, ohne wär nix davon möglich gewesen, cormelia maaz und tobias schmidt.

habe die instrumente anfangs einfach gesetzt, so normal und selbstverständlich wie sport oder gemüse, hab ihnen gesagt, sie müssten noch ein paar jahre weitermachen, wenn sie zwischendrin mal keine lust mehr hatten, und sie ans üben erinnert, mich bemüht, keine große sache daraus zu machen. sie haben allerdings auch nie ernsthaft protestiert. sie sind normal begabt, nicht drüber und nicht drunter, sie sind inzwischen viel besser geworden, aber nicht so gut wie kinder, die jeden tag eine stunde üben. ich habe im vorteeniealter so eine 15 minuten- regel als praktikabel erlebt, das geht ohne stress, sie spielen oft länger, ohne es zu merken. nicht immer. bei einer stunde müsste man bei gymnasiasten schon vor dem aufstehen anfangen. (es ist wie das fahrrad- oder autofahren: können sollte man es, tun muß man es nicht.)

 

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tom adams im roten salon

andrea belfi 17.05.16 im roten salon, foto: gaga nielsen
foto: gaga nielsen
andrea belfi 17.05.16 roter salon, foto: gaga nielsen
foto: gaga nielsen

abend im roten salon in der volksbühne. als support sitzt erst ein junger mann mit einem schlagzeug und diversem elektrokram auf der bühne, andrea belfi, feines gesicht, strohfarbenes glattes haar, er wirkt wie der inbegriff von burberry, bevor die marke unbedingt cool werden wollte. wir sitzen in der ersten reihe, nur ein paar meter vom musiker entfernt. er sieht kein mal ins publikum, guckt ausschließlich auf seine instrumente, mir hilft das beim reinfallenlassen, wenn jemand so frei vom bedürfnis nach kontakt ist, fühle mich dann wie ein heimlicher voyeur. es rührt mich etwas, als könnte er dem publikum noch entkommen, obwohl er es eingeladen hat. er spielt ungefähr eine halbe stunde, hypnothische, lange tracks mit geräuschen und ein bisschen rhythmus. mir ist das abstraktionsniveau zu hoch, so ohne melodie oder andere erkennbare zusammenhänge, aber es erzeugt wirkung auf eine vorrationale, vorbewußte weise, direkt ins limbische system. nach dem konzert schnorren gaga und ich blättchen von ihm, er kommt aus verona, ist schlagzeuger und ist wegen seiner musik nach berlin gekommen, er hat so ein leises, elegantes charisma, wie ein mann, der sich für botanik oder insekten interessiert, weil er es kann. er verwendet die ultradünnen und ist ein freundlicher mensch.

 

tom adams im roten salon, 17.05.16, gaga nielsen
foto: gaga nielsen

der hauptakt tom adams ist etwas sehr besonderes, auch ein einmannzirkus, auch wieder jemand, der lange allein in seinem raum gesessen hat, das fehlt mir ein bisschen, die öffnung zur restmusik, zu uns. seine songs sind wiedererkennbar in aufbau, alle mit einem refrain, in dem er mit grosser leichtigkeit in einen klaren sicheren mezzospran kippt und mit kopfstimme weitersingt, als wär der rest des lieder eine startbahn, um zu dieser stimmlage zu dürfen, in der er zu hause ist offensichtlich. auf dem flügel dabei lauter perlende (erst stand da: „einfache“, weil es mir beim zuhören manchmal zu vorhersehbar war, aber ich sehs lieber wie eine elegante reduktion, hab ich mir überlegt. schönheit muss man schützen.) skalen spielend, vier terzen übereinander, wieder und wieder, auch hier bekommt es etwas hypnotisierendes. dazu dreht er mit der anden hand an einem oben auf dem flügel abgestellten synthi (oder what ever das war. bildungslücke. muss mich informieren.), mit dem er die klänge aus ein paar mikros weiterverfremdet, die über dem offenen flügel stehen, dem wunderbar abgeschrammelten steinway im roten salon.

tom adams, roter salon 17.05.16, gaga nielsen
foto: gaga nielsen

sein gesang ist betörend schön, die schönheit steht irgendwie allein im raum, weil es keine richtigen lieder sind, die er geschrieben hat, es sind systeme für seine gesangseinlagen, alles um die stimme herumorganisiert, so kommt es mir heute vor, aber beim hören konnte ich mich gut reinfallen und auf seinen trip mitnehmen lassen. jeder song endet plötzlich und immer irgendwie erschreckend, weil nichts auf das ende hingedeutet hat. es hat alles eine große leichtigkeit, als würden ihm melodien und texte so zufliegen, er sitzt nur da, unter seinen schwarzen locken, und lässt die musik einfach passieren.

„my very first encore“ sagt er, als wir ihn auf die bühne zurückklatschen, und weiß nicht, was er spielen soll. sweet. zum abschluss gibts vinyl mit einem downloadcode, sehr postmodern, aber ich konnte wiederstehen. gaga hat gefilmt, vielleicht also ist die magie ein mal gefangen worden.

(ist noch nicht fertig, aber ich muss jetzt los und die zeit saust so … )

 

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finanzen

erfahrungen der dritten art: weniger vedient, als das finanzamt sich so gedacht hat. dem bescheid fristgerecht widersprochen, amt wollte details, die habe ich geschickt, verspätet, als nächstes pfändet das amt mein konto, kommentarlos, ohne extra bescheid zu geben, wegen einer differenz von ein paar hundert euro. amt schickt ausserdem einen neuen bescheid, der stimmt, ich schulde also nichts mehr, die pfändung bleibt aber bestehen. ich merk von all dem theater gar nichts, ich mache briefe vom finanzamt ja nicht gleich auf, bekomme bloss mahnmails von amazon und kann im supermarkt plötzlich nicht mehr mit karte zahlen, denn eine kontopfändung bedeutet, dass sie nichts mehr machen können mit ihrem geld, visa, tagesgeld, depots, alles ist blockiert, ohne das es einen gerichtsbeschluss oder auch nur ein vergehen gäbe. eine angenommene steuerschuld genügt. ein einziger anruf klärt dann alles, das amt schickt ein fax zur entpfändung, aber es bleibt eine riesige verunsicherung über die macht, die da blind waltet. und es bleibt ein wochenende, weil die pfändungsabteilung der sparkasse freitags früh schluss macht, das fax wird also frühestens am montag verarbeitet. ohne bargeld wäre ich aufgeschmissen gewesen, wenn es nicht so schnell zu klären gewesen wäre. eine entschuldigung gab es auch nicht. die peinlichen momente in der bank! das gespräch mit der verständnisvollen mitarbeiterin der bank, die ja nicht wissen kann, dass ich tatsächlich kein steuerhallodri bin. sie richtet mir ein pfändungsschutzkonto ein, dass mir um die 1000€ zur freien verfügung läßt, gilt aber erst ab der nächsten einzahlung, das jetzige guthaben bleibt gesperrt. pro kind kämen nochmal 300 dazu, aber man muss die kinder beim jobcenter beweisen gehen, mit stempel und siegel, da reicht keine geburtsurkunde. sehr unangenehmer tag. ganz zu schweigen davon, dass ich fast keine karte für frau ziebarth für die auf sonntag verlegte handke-premiere am BE bekommen hätte, weil ja meine visakarte ebenfalls gesperrt ist.

bin ab jetzt gegen die abschaffung des bargelds, vor allem, weil ich womöglich weiterhin die briefe des finanzamts nicht sofort öffnen werde.

früher hatte ich mal eine einziehungserlaubnis für die steuern, bis eines tages 4000€ abgebucht wurden, woraufhin ich einen steuerberater engagierte, nach dessen arbeit ich 8000€ zurückbekam. vielleicht mögen die mich also einfach nicht. ohne freibrief pfänden sie eben. also obacht, ihr lieben, habt bargeld im haus.

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sie hören nichts

nach dem tod von prince las ich über pink cashmere, das ich noch nie gehört hatte, und wollte das lied auf dem langen weg zum praktikum hören. itunes store hatte ihn nicht, aber amazon! gekauft, auf die festplatte, von dort in die itunes-bibliothek, dann 20min daran gescheitert, einen einzelnen song von itunes aufs (olle, na gut, aber ob es daran liegt?) iphone zu laden, immer nur komplette sychronisationen möglich, die ich beendet habe, als da stand „kopiere app 8 von 156“, und die kostbare morgendliche zeit bis zum frühen start um 7:30 ganz schnell vorbei ging. ungeduscht ins auto, dann die gesamten ersten 30min im stau bis zur gneisenaustrasse mit dem versuch verbracht, den song direkt von amazon aufs handy zu kriegen, chancenlos. vollkommen unverständlich. vermute bei apple ingenieure mit tollem kompliziertem idealnutzer vor augen, oder es geht nur noch um etwas wie copyrights und nutzungsrechte und abo, und gar nicht mehr um eine sinnvoll nutzbare oberfläche, oder gar um die musik. abends handy an den rechner gehängt, am nächsten morgen war die synchro durch, im auto will ich endlich den song hören – und er ist ausgegraut. nix möglich. itunes fühlt sich an wie eine mischung aus einer steuererklärung und kafka. (wollte den songtitel noch nachsehen, dann vergessen zu posten. rätselhaft, das apple das nicht hinkriegt.)

 

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known as prince

unfassbar. der mann, der in sekunden zehntausende in seinen bann holen konnte, mit links hinten und drei riffs. „auf einer skala von eins bis zehn, wie traurig bist du?“ fragt der große. bei bowie hat er das nicht gefragt, aber er war halt schon mal auf einem konzert von prince. „15“ sage ich. weiss gar nicht genau wieso, prince war der helle teil von gestern, das starke, schnelle, perfekt inszenierte, kraft und irgendwie nur musik, das herz davon. das glitzern der achtziger, die gute seite davon. trauer ist es natürlich auch, aber es ist wut dabei, und so eine taube benommenheit. so verdammt jung und schön und stark. er wird sehr fehlen und war einzigartig. ach, ach.

der new yorker sammelt stimmen. gleich die erste, von amanda petrusich, ist sehr wunderbar: “The song’s opening lyric is preceded by an ecstatic “Oooh!” that contains, as far as I can tell, everything there is to know about the deeply hysterical moment in which a person suddenly recognizes that—oh, God—he or she is really done for.“

die letzten platten waren für mich, but who am i, schwierig zu hören, fand sie eher privat, selbstgespräche eines genies. immer gedacht, das er seinen master noch nicht gefunden hat, sein thema, außer dem strahlenden love&sex natürlich, und der musik als reine nackte lebensenergie. immer die genuine neugierde, weil ich nie wusste, was da kommt. so traurig, dass er aufgehört hat – keinen punkt setzen wollen, nicht hinter prince

konzert 2010

und prince mit tante ursel.

the day prince's guitar wept the loudest

podcast: making guitars for prince

 

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mi. kleines gejammer.

müde und in lebensgeschichtliche verwirrung verstrickt. muss mir schon wieder einen neuen job erfinden, bin noch auf dem weg mit der hundesache, aber der job, für den ich mich ausbilden lasse, ist überflüssig geworden. 5000€ stecken schon drin, knapp über 1000€ werden es noch sein, danach bin ich nicht wie geplant und erhofft die einzige ausbilderin von diabeteshunden in berlin, sondern eine von dutzenden hundetrainerinnen. diese tierjobs sind was für leute mit partnern, für ehefrauen, sind ja fast nur frauen im kurs. eine supertolle trainerin hat in einem jahr nur drei kunden binden können, und sie ist gut, jung und energetisch. hätte gern etwas sicheres in reserve, auf das ich zurückgreifen kann. hätte, hätte, fahrradkette.

nutzt alles nix. ich weiß ja, wie ich gerne arbeite, im team, nicht alleine, und werd mir jemanden suchen, mit dem ich ein konzept entwickeln kann. die antriebslosigkeit überwinden, in die mich müdigkeit und frust und wechseljahre und diverse mängel hineinbringen wie in einen hafen. der merkwürdige trost am grossen anteil eigenverantwortung an meiner situation, als ob ich dann auch alleine wieder rauskäme, sobald ich nur einen startschuss setzen kann. egal was, es ist immer allein. jetzt warten, dass der frühling den schalter wieder umlegt.

 

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lost and found/ …

wie ich im april morgens um halb 8 vor der freien volksbühne west anstand, um karten fürs theatertreffen zu ergattern, mit zeitung und thermoskanne. einmal war eine frau mit dabei, typ dame, drei grosse junge männer bei ihr, kurz phantasiert, wie ich das auch stehen werde in ein paar jahrzehnten, mit meinen söhnen. war ich 2001 schon wieder dabei, die zwillis grade ein paar wochen alt? ich hätte das gern, aber es ist unwahrscheinlich. die karten werden immer im april verkauft, ich hätte also entweder höchstschwanger oder als frisches kaiserschnittchen da stehen müssen. war aber jahrelang jedes jahr dabei. ein paar jahre lang gab es immer einen marthaler zu sehen, 2001 war es was ihr wollt, hab ich vielleicht später im jahr gesehen, marthaler/viebrock war mein liebstes theatergespann damals. der nächste shakespeare bei einem theatertreffen war ein titus andronicus, in der bearbeitung von heiner müller, das war glaube ich 2004, den habe ich sicher gesehen, da war ich schon wieder alleinerziehend. regie johan simons, münchner kammerspiele. dazwischen war ich bei noch einem, von der liebsten annette kuss inszeniert, ein sommernachtstraum in oberhausen, im herbst 2001 muss das gewesen sein, ich hab noch gestillt und musste auf dem trip zweieinhalb liter milch täglich abpumpen, das weiß ich noch, und an die merkwürdige monstermall in oberhausen erinnere ich mich auch noch gut. meine zeit als ubiquitäre premierentusse war aber schon mit den geburten abgeschlossen, gar nicht zwangsweise, es war einfach nicht mehr wichtig genug, um dafür stunden anzustehen und mich um karten zu kümmern. auf die theatertreffen bin ich aber gegangen, wann immer ich es einrichten konnte. nie bemüht, fürs theatertreffen zu bloggen, obwohl ich dafür eigentlich prädestiniert war, inzwischen traue ich mir so eine art kulturell relevantes schreiben gar nicht mehr zu. heut also wieder ein shakespeare, ich gehe mit dem großen ins berliner ensemble, um endlich den hamlet von haußmann zu sehen, mit christopher nell in der hauptrolle, den der grosse schon neulich als mephisto gesehen hat, im faust von wilson. er kommt mit, wäre aber wohl nicht fürchterlich traurig, wenn etwas dazwischenkäme. ich lege ihm den dicken und staubigen vierten band einer ddr-gesamtausgabe auf den bauch, 1989 erschienen, damit er sich, wenn er es will, ein bisschen einlesen kann, obwohl es nicht die schlegel-übersetzung ist, die haußmann verwendet. vielleicht hilft es für einen textflow heut abend schon, das buch auf dem bauch liegen zu haben, weil eine emotionale weiche auf grün gestellt wird? who knows.

ganz undramatisch ist der rituelle moment verloren gegangen, hatte ihn glaube ich als ein liebgewordenes symbolbild für ein selbstverständliches bildungsbürgerfamiliending im kopf, zwischen haben und sein, inszenierung und notwendigkeit. seit jahren muss man für die tt- karten nur noch einen zettel ausdrucken, ausfüllen und beim pförtner auf den stapel legen, das ist alles, gemeinsames frühmorgendliches stundenlanges anstehen ist nicht mehr notwendig. die macht der initiation kann jetzt nur noch das stück selber liefern, ohne aufwand. vielleicht genügt das ja auch, es wird der erste hamlet für den sohn, stress hatte er dafür keinen, er wird sogar hingefahren, weil ich frau ziebarth chauffieren möchte. so wird ihm nur das schlegelsche deutsch einige hürden liefern, aber die wird die inszenierung ebnen, sie wird mit tarrantino verglichen. den kennt und mag er sehr.

 

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matthäuspassion

mehr dimensionen hat er hineingebracht, die tempi sind bisschen aufgebohrt und werden verfügungsmasse, die mp hat mehr drama und leidenschaft, eine ganz zusätzliche ausdrucksebene hat guttenberg damit erfunden, im sinn von: gesetzt. als ob man in der metrik eines bekannten gedichts durch kontrapunktisches atmen oder änderungen im tonfall neue schwerpunkt setzen will. er hält aber die balance, so jedenfalls deute ich mein hingerissensein, wird nicht zu laut oder eigen oder walzerisch damit, but still: es ist ein mitlaufender kommentar darüber, wie ernst oder dramatisch bach das jetzt gemeint hat, eine gefühlzugabe.

die arien teils schlicht und sehr lyrisch, berührend bis betörend, obwohl ich das dauernde tremolieren (oder wie das heisst) des alts nicht so mag, aber es macht sinn, zusammen mit der hinreissenden gambistin hille perl ist es im „erbarme dich“ nur ein kleiner schmuck über dem schnellen klaren lauf der gambe. die matthäuspassion ist mir allerdings generell eines der allerliebsten musikstücke überhaupt, ich komme da immer mit voll blossgelegter breitseite an und lass alles zu. kann mich nicht verschliessen davor. hille perl nachher noch an der bushaltestelle gesehen, mit ihrem gambenkoffer, hätte sie um ein haar angesprochen. so helle haut und langes, glattes dunkles haar, bestimmt war sie im winter drinnen und hat die ganze zeit gespielt. mein jahrgang, so weit gekommen in ihrer kunst, und da stand sie neben mir, also ich bin langsamer geworden, um aufs handy zu gucken und zeit für eine kontaktaufnahme zu haben, aber es war schon öffentlicher raum da auf der potsdamer.

der evangelist stemmt die drei stunden vollkommen mühelos, seine stimme klar und fein, ohne die geringste schwäche, wobei ich mit tinnitus et. al. natürlich nicht mehr so gut hören kann, aber daniel johannsen ist der erste evangelist, bei dem ich gerne und sogar recht gebannt zuhören konnte (neige sonst zum vorspulen bei den evangelisten). ach, und die beiden bässe natürlich (einer als jesus, der andere als der sänger der bassarien), weil die ein paar der liebsten stellen singen (die stellen beim bachhören), no. 11, nach dem verrat, und am ende, no. 65, „ich will jesum selbst begraben“. bei der letzten bassarie hatte ich das gefühl, als ob der dirigent sie auch besonders innig hören würde, vielleicht war er aber auch nur erledigt nach dem opus. die namen im link unten.

bei allem drama sind auch die musikalisch komplexeren und tiefgängigen passagen völlig klar herauszuhören, guttenberg lässt dafür raum, sie dürfen sich ausbreiten, er passt die tempi so an, dass die aufmerksamkeit gelenkt wird. musste an marthaler denken, wie der mit der musik immer noch eine komplette dimension dazuerfindet, guttenberg macht das mit den variablen zeiten und laut-leise-modi (wie nennt man das?), hab aber natürlich keine ahnung, ob mein eindruck stimmt.

sehr besonders das „o haupt voll blut und wunden“, darin mit dem ganzen geballtem 100-personen chor nach jedem wort 2 sekunden pause, kein legato, der chor betont jedes wort einzeln, es wirkt wie mit grossbuchstaben gesungen, lauter einself, als würde die welt das sonst nicht hören können.

er hat natürlich aus dem abend einen gottesdienst gemacht, die passion ist mitgelaufen und wirkte mitdurchlitten. der judas! barrabas! das ganze elend. der dirigent war grippal erkrankt, zuerst kam ein mitarbeiter der philarmonie ans pult und kündigte sein fehlen an, stattdessen würde ein prof. dr. dr. dr. (namen vergessen) den abend schmeissen, aber dann brachten sie einen stuhl und ein tischchen mit vielen gläsern wasser und cola darauf, und guttenberg kam doch. dass der stuhl nicht umgefallen ist, obwohl der dirigent ein paar mal auf der fussablage gestanden hat! war kurz nervös. schöner blickkontakt mit den solisten, das lächeln, wenn die soli beendet waren, zwischendrin tiefes erschöpftes ausatmen, immer wieder wirkt er mehr wie ein fan als wie ein dirigent, mehr teil als chef des ganzen.

nach dem letzten ton gibt es sekundenlang totale stille, bis einer mit dem bravo-rufen anfängt.

das war platz eins oder zwei unter den gehörten mpen, musikalisch aber ab jetzt platz eins. berauschender abend. amen.

(dirigent enoch zu guttenberg, matthäuspassion, 23.3.16 in der philarmonie gehört. eingeladen von meiner mama, die ein wunderbares händchen für solche gelegenheiten hat. ich wollte einfach nur irgendeine mp hören gehen.)

 

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„everything you have“

DSC_0123das konzert war gut besucht, aber es gab schon noch leere plätze. die beiden kommen raus und fangen sofort an zu spielen, ganz intensiv, nichts passt mehr drumrum. nels cline spielt sonst bei wilco, nicht als frontman, auch julian lage scheint lieber nur im spielen präsent, es ist wie bei klassischen konzerten, eine hommage mehr an die musik als an die musiker. die beiden künstler auf einer art trip, sie spielen als zwei unabhängige stimmen mit je eigener geschichte zusammen, cline erkenne ich in den schnellen, lauteren akkorden wieder, er treibt und provoziert, lage in der (mich, ich hör halt mit mehr mit dem herz als mit dem kopf) immer wieder vollkommen überraschenden auflösung ins schöne, in kleine verspielte melodien, für die man sich middle england kaufen könnte, wie douglas adams mal von irgendeinem knopfler-heuler gesagt hat. die beiden gucken vor sich hin, lage mit diesem flow-lächeln, dass ich sehr charmant finde, cline wirkt gebannt irgendwie, manchmal kleben ihre blicke für ein paar sekunden aneinander.

cline beantwortet in einem yt-interview eine frage nach dem schwebezustand beim spielen so: „It just happens when everything comes together, and I’m so immersed in the sound, and in the experience of playing, that i feel like I am sort of disappeared“. lage hat einen kleinen hang zu virtuosen läufen, die mehr für sich stehen und dem song eher etwas wegnehmen, die aufmerksamkeit besetzt halten, das liegt an seiner jugend, denke ich, das legt sich bestimmt noch, obwohl ich sie live ganz gern höre, sie geben eine gewisse befriedigung, wie eine gelöste matheaufgabe, jetzt mal blind verglichen, ich kann kaum mathe.

glücklich macht mich aber immer die melodische auflösung, das wiedergefundene thema, und der weg dahin. oder ist beim jazz der weg wichtiger als die auflösung? na, bestimmt nicht trennbar. viele momente, wo ich nichts anderes mehr wahrnehme, besonders bei der ersten zugabe, jemand hat das stück ein paar tage vorher auf derselben tour aufgenommen. bei mir ein merkwürdig tiefenentspannter zustand vollkommener offenheit, gemerkt: auch mit 50 kann man noch wieder einsteigen ins jazzhören, wenn es ein paar emotionale brücken dahin gibt, bei mir: wenn andere traditionen hörbar sind, bluegrass, country, rock als vertraute basis, und ein bisschen fantum.

(yoga ausgefallen. schreib ich halt mehr.)

nach der zweiten zugabe stellen sie ihre gitarren ab, das publikum, bestimmt einige nerds dabei, stellt sich so nah wie möglich an die bühne und knipst die instrumente. lage spielt an dem abend eine manzer (linda manzer ist eine kanadische gitarrenbauerin, wie mir einer der nerds erzählt, sie hat auch das vielhalsige, irgendwie äußerst tiefergelegte ding für pat metheny gebaut.) lages gitarre heißt wie der club, blue note, sie klang sehr toll, but who am I. sie hatten kleine verstärker (finde noch ein bild) mit auf der bühne, „ganz einfache geräte, nur so um die 300€, aber was sie damit machen!“ sagte mein abendflirt nachher bei der geschnorrten zigarette. wir reden über die konzerte, auf denen wir waren, über die mailänder szene, die in zu geringer dichte erschienen ist. er zeigt mir all seine gitarren auf dem handy, es ist warm, wir rauchen soviel es geht, weil er seine kippen nicht mitnehmen will. am ende fragt er mich nach meinem namen, als einer von zwei männern an dem abend.

sie sollten unbedingt nach berlin kommen auf der nächsten tour, sage ich lage nach dem konzert, als die beiden zurück kommen und mit dem publikum plaudern. ihre agentur mache einen bogen um berlin, sagt er, es gibt wohl gute gründe dafür. die agentur ist aus der band wilco heraus entstanden, bei der cline seit 12 jahren spielt, die band kommt jedenfalls im november nach berlin. aber lage spielt ja auch mit anderen, er kennt die berliner jazzfestivals, ich empfehle ihm das hiesige publikum, obwohl ich es ehrlich gesagt gar nicht mehr kenne, meine jazz-zeiten sind über 20 jahre her, denke aber, die hörer wachsen immer nach. ich kann natürlich nicht widerstehen (hey, es ist eine geschichte) und erzähle ihm, von wo ich gekommen bin für das konzert. er freut sich und wirkt schon ein bisschen baff, ich bekomme ein strahlendes lächeln, „I hope it was worth it!“, sagt er, gibt mir die hand und bedankt sich für mein kommen. er ist der zweite, der nach meinem namen fragt, bestimmt für die unterschrift auf der cd. vielleicht aber auch nicht.

gespräch mit cline und lage

ein stück gibts auf youtube

er ist ein kinderstar, so lese ich auch seine fast übertriebene bescheidenheit, etwas entschuldigendes, so ein „sorry, ich bin eben so gut, ich fühle aber mit dir“.

fascinating.

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eco

umberto eco ist gestorben, so jung! ich wusste nichtmal, dass er krebs hatte. mein erinnerungen an ihn sind in zwei bahnen geordnet, einmal der autor, an dem ich mir in meiner magisterarbeit die zähne ausgebissen habe, ohne grossen erfolg, dann der vater meiner freundin, die jahrelang in der schule neben mir sass. aus den zeiten, als kinder noch wirklich zusammen gespielt haben, mit puppen und geschichten. wir haben die freundschaft nicht ins leben ausdehnen können, hab sie noch einmal besucht, in den neunzigern, aber da war der unerwartete weltruhm des vaters (vorher war er eben einfach ein prof und journalist, nicht so aufregend) schon fast störend dazwischen, weil ich mir nicht sicher war, ob sie meinen kontaktversuch nicht mißversteht. kann sein, dass der vaterruhm auch ein grund war, das wissen über diese dinge verändert ja die motivationen, färbt sie ein, hängt sich dran wie ein verlockender duft. kaum trennbar. wenn ich das herausbekommen wollte (aber wozu?) müsste ich sie fragen, was sie von mir noch erinnert.

in der alten wohnung zu schulzeiten standen die bücherregale senkrecht zur zimmerwand, wie in einer bibliothek, das bild kann ich heut noch abrufen, wenn man dazwischenstand, waren die bücher der raum, in dem man sich bewegte, nicht mehr die wohnung drumrum, der lebensraum von intellektuellen, auch wenn ich als kind den unterschied nur wahrgenommen und nicht verstanden habe. seine frau gehörte dazu, das hat mich sehr beeindruckt, glaube ich, war kunstlehrerin an unserer schule, ich hab mehr von ihr mitbekommen als von ihrem mann, vermute ich mal, sie war häufiger im bild, als pares inter pares. er spielte manchmal querflöte in einem nebenzimmer, oder war das der bruder? hat mich gefreut, weil ich auch eine spielte. ein gastfreundliches haus, vollkommen entspannt auf eine weise, die ich nicht kannte, auch weil mein eigener vater nie zu hause war. im flur eine schale mit glatten steinen, die haben mich fasziniert, auch das kannte ich nicht, einfache steine, die sich gut anfühlten, zum in die hand nehmen, wo bei uns in der wohnung alles immer einen deko-oder repräsentanzauftrag hatte und eigentlich nicht angefasst werden sollte. seine texte habe ich erst weit in den zwanzigern gelesen, in der uni, aber dieses frühe bild von selbstverständlichem miteinander (menschen und bücher, denken und leben, alltag und musik) hat einen warmen platz in mir. er wird allen fehlen, in der traurigen italienischen presselandschaft, mit seinen romanen und besonders den kolumnen.

 

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februar.

oh boy. der februar ist immer an der grenze. verlässlicher aufbruch, dem meistens nix folgt, der letzte wintermonat, hunger, überall spürbar, als wär jeder muskel schon auf dem weg. geschichten und abenteuer passieren mir im februar, ich werde albern und bin zu laut und könnte kinder zeugen, jeden tag ein paar. konnte, ich konnte kinder zeugen.

also laufen gehen und sich verausgaben, bis in die tiefe nacht, bis es zu spät ist, beeing pathetic, ungesehen im dunkel.

(wilde träume zur zeit, heut nacht [editiert und wieder ins private tagebuch zurückgeholt. der traum war anderthalb tage an der luft, das ist schon genug sauerstoff, liebe leser und leserinnen.] die psyche als bodenlose keksdose.)

 

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brooks ade.

hat mir doch neulich einer von meinem alten fahrrad den alten brooks-sattel geklaut. wollte ich einen nachkaufen, aber die dinger kosten unglaubliche 140€ inzwischen. damals* waren es glaube ich 40dm. die verletzung bei diebstählen, schlimmste verwünschungen, gleich das bild vom stumpfsinn solcher diebe im kopf, und wie überhaupt nicht sie erreichbar sind für unsere gefühle. der mann vom radladen meinte, auf dem flohmarkt am mauerpark gäbe es immer sehr viele alte ledersättel. jetzt einen billigsattel unterm hintern, sehr entthront gefühlt. mein altes rad ist mir nämlich ziemlich heilig.

oh! sehe grade: bei meinem radladen kosten sie 140€, sonst um die 90.

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dhl

einer trägt den neuen geschirrspüler die beiden stockwerke hoch, der andere trägt den alten wieder runter, jeweils allein auf dem rücken, mit zwei händen an den oberen ecken gehalten. sie sind in den dreissigern, einer hat schon bier getrunken um 8 uhr früh, ihre bewegungen sind sparsam und genau choreographiert. dann sind sie wieder weg und fahren bis mittags weiter schwere sachen aus, ich hol mir einen zweiten kaffee und setz mich an den schreibtisch. konnte ihnen nix geben, weil die kinder heut früh geld brauchten. das geld zeigt respekt auf die einzig mögliche weise, oder die einzig sinnvolle.

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