17. september 2020

Le vase où meurt cette verveine 
D'un coup d'éventail fut fêlé; 
Le coup dut l'effleurer à peine: 
Aucun bruit ne l'a révélé. 
(prudhomme, le vase brisé)

hwurw (genau so hat es sich angefühlt) früh um halb sechs mit dem hund rausgemusst, weil g.-zwilling heut nacht nicht mehr mit ihr raus ist, was er hätte tun müssen, weil er beim ausgehen meinen schlüssel mitgenommen hat, nach dem seiner am see liegengeblieben ist und der d.-zwilling erst heute wiederkommt. gestern war es nochmal schön sommerlich warm, ich bin zur friseuse, die als feste freie in einem salon in friedrichshain arbeitet, sie wurde mir empfohlen, weil sie so wenig kostet, ich bin bei ihr geblieben, weil sie gut schneidet und ich mit ihr in diesem italodeutsch plaudern kann, weil sie lange in rom gelebt hat. sie arbeitet 55h pro woche, sagt sie, weil sie mehr als 1000€ netto verdienen will. in rom würde sie kaum noch was bekommen fürs haareschneiden, und sie ist die männer leid, denen die salons meistens gehören.

bisschen bammel vor dem dunklen winter, schon jetzt ist es um 7 nicht mehr ganz hell beim kaffeekochen. wie jedes jahr will ich mir dann schnell noch einen mann suchen, aber es kommt immer was dazwischen, und für diesen schritt in die nähe fehlt mir das klicken, der moment, wo ich auf jemanden total fremden neugierig werden kann, entweder durch text oder durch bild. ich muss das konsequenter angehen und einfach jeden treffen, der halbwegs normal wirkt.

mit g.-zwilling bisschen über den netflixfilm „the social dilemma“ geredet, hauptsächlich wegen einem verschwörungsopfer im näheren umfeld, er meint: aber du bist doch auch süchtig und hängst immer am gerät. stimmt und stimmt nicht, vor allem fühle ich mich nicht inhaltlich manipuliert, sondern vertraue meiner wahrnehmung. aber tun das nicht alle, auch die querdenker? ein unterschied zwischen mir und denen ist glaube ich die zusammensetzung des inputs. bei mir sind es (auf twitter, facebook und instagram) nur private stimmen, also einzelne, identifizierbare menschen mit geschichten, berufen, menschen, die ich mag und in grenzen kennenlerne über die socials, vor allem ist die zusammenstellung meiner timeline selbstgemacht, und kein ergebnis von cookies. das geht auf youtube nicht so gut, da gibt es ja immer einen stream, auch wenn man keinem folgt.

ich spüre trotzdem nach wie vor einen überdruss an all den nachrichten und meinungen auf twitter, das gibt mir eine grundunruhe, die ich früher nicht hatte, obwohl ich da nicht weniger informiert oder interessiert war. die art der kommunikation ist entscheidend, das dauernde tröpfeln von schlechten nachrichten und hinweisen auf die böse welt hinterlässt spuren, unter anderem ein gefühl der hilfslosigkeit und des ausgeliefertseins, und leute, die andauernd probleme erwähnen, gehen mir im wirklichen leben total auf den keks, ich nenne sie übelgrübels, keine ahnung, warum ich sie im netz leichter ertrage, wahrscheinlich, weil es (meistens) beruf für sie ist, nicht freizeit wie für mich. ich lese sie ja freiwillig, und werde nicht als zufälliges opfer von ihnen auf einer party festgequatscht, inclusive schlechtes gewissen. gegen all das übel tue ich nicht mehr als in den zeiten vor dem netz, bisschen spenden, wählen, gelegentlich diskutieren und demonstrieren. also nutze ich meine geräte tagsüber nicht mehr für social media, lese morgens im netz zeitung und …

wieder mehr literatur, könnte eigentlich mal wieder den plan aufnehmen, alle nobelpreisträger zu lesen, die ersten 5 oder so hab ich schon, aber die bücher sind nicht herauszulösen aus ihrer entstehungszeit, die autoren längst vergessen, mit ein paar ausnahmen, gleich der zweite nobelpreis wurde an th. mommsen verliehen, dessen römische geschichte ein wahrhaft zeitloses meisterwerk ist, nützlich fast wie am ersten tag.

heute gebe ich diese facharbeit ab, nachdem ich mir einen schlussatz ausgedacht habe. freu mich drauf, ich leide ein bisschen an der zähen gebundenheit an meine situation als jobsuchende risikopatientin bei corona, da ist jede aktivität gold wert.

(das gedicht oben drüber sollte kleiner, rechtsbündig, ein vers pro zeile gesetzt sein, wie son gedicht halt aussieht. nach halber stunde aufgegeben. wordpress, your blocksystem sucks.) (edit: das rechtsbündige und die zeilenwechsel gehen mit dem blockformat „vers“, allerdings ist dann die auswahl für schriftsatz nicht mehr sichtbar.)

23. juli 20

otobong nkanga, marting gropius bau

mit einer freundin bei otobong nkanga im martin gropius bau, eine großartige und auf altmodische art gute kunst (taz-kritik), treffend, poetisch, dicht, jeder raum einmalig und funktionierend. habe sowas lang nicht mehr gesehen, sie hat etwas zu sagen über afrika und sie sagt es auf eine weise, die unmittelbar, klar und traurig ist. die alternative war katharina grosse im hamburger bahnhof, sie schien vor allem bunt und beeindruckend, aber auf eine kunstimmanente weise, und nach sovielen monaten ohne kunst wollte ich lieber etwas mit weltbezug anschauen. ich habe einen slot gebucht, trotzdem mussten wir eine weile anstehen, alle mit maske. es war schön, geht hin! ich bin sogar mit meinen kindern noch ein zweites mal drin gewesen. wir haben den namen der künstlerin einfach mal in einem gespräch dauernd erwähnt, seitdem wissen wir ihn.

*

ich weiß nicht genau, wie ich die kinder benennen soll. meine kinder stimmt natürlich weiterhin, aber es sind keine kinder mehr. meine söhne stimmt auch, klingt aber bisschen prätentiös, als hätte ich eine firma und das wären meine nachfolger. wenn ich jetzt noch mit k 1-3 anfange, versteht das keiner. im italienischen ist das viel einfacher, da sagt man: i miei figli, das bezeichnet die verwandtschaftsbeziehung wie onkel, cousine, mutter, und nicht gleichzeitig noch das alter. in der einzahl gibt es figlia, für tochter, und figlio für sohn, die wörter lassen es vielleicht eher zu, dass die kinder noch zuhause wohnen, obwohl es keine kinder mehr sind. es gibt einfach genug wörter im italienischen.

*

danach bin ich mit der freundin durch kreuzberg 61 geradelt, durch den bergmannkiez, auf einen kaffee und eine runde durch die markthalle, die nach der modernisierung etwas ungemütlicher wirkt, anders als die bergmannstrasse, wo zu den alten cafes neue dazugekommen sind und es den alten secondhandladen immer noch gibt, wo ich in den achtzigern meine pyjamas kaufte in diesem einen winter, wo man pyjamajacken trug, mit der zahnbürste in der brusttasche. angenehm mittelaltes publikum, toll und herausfordernd gekleidete frauen unseres alters, wo die schicken frauen hier im kiez eher so einen mimesis-impuls austrahlen, ich gehör dazu, entspreche dem stil, ich seh dich nicht, gab es in kreuzberg blicke und lächeln und kobaltblaue kleider. verblüffend, wie schnell ich bei diesen typologien an vollkommen und unvergleichbar andere lebensläufe glaube, aber vielleicht sind die 20 jahre lebenserfahrung dazwischen genug, um einem das herz zu öffnen. sonst landet man wahrscheinlich eh in zehlendorf. mir ist mein eigener kiez ja etwas zu jung inzwischen, ich habe die moden knapp verpasst, war zu früh, habe im tiefsten neukölln gelebt, jahrzehnte, bevor das hip wurde und war lange wieder weg, als die jugend nachgekommen ist und der kiez eine instanz wurde, statt zufällige umgebung. wedding, sag ich nur, und mitte! jedenfalls immer noch viel spass mit meinem neuen fahrrad.

*

(hatt ich vergessen zu posten. gestern in der stadt eine frau gesehen, die pyjama trug, da ist es mir wieder eingefallen.)

24. august 20

meine mutter wird langsam frail (alle übersetzungsalternativen passen ins englische wort) und hat um meine anwesenheit gebeten, übers wochenende, ich habe eigentlich viel zu tun aufgrund unter anderem prokrastination und hab mir vorgenommen, es trotzdem zu genießen, um ca. 10 gänge herunterzuschalten. zwischendurch wollte ich dann zwar mal kurz das silber putzen oder den keller aufräumen, wurde aber daran gehindert. normalerweise ist meine aktivität in der freizeit wohlausgewogen zwischen nichts tun und etwas tun, solang genug zeit fürs nichtstun bleibt, kann der rest gerne kräftezehrend und komplex sein, für meine mutter ist das ähnlich, bloss dass ihr etwas tun meinem nichtstun zu nahe kommt, etwa ein spaziergang mit tempo 2km/h, ein sehr geruhsames stück torte oder zeitung lesen im sessel. ich war um elf uhr abends völlig fertig und musste ein paar runden solitaire spielen, um schlafen zu können.

wir waren heute auch bei ihrem arzt (der halbe montag ist auch noch mit ins wochenende gerutscht, und ich hätte gerne „noch ein bisschen“ länger bleiben können) sie hatte u.a. paarmal eine tachykardie und hat sich sorgen gemacht. ich hatte mir vorgenommen, eine beschwerde loszuwerden, weil meine mutter ihren corona-test eigenhändig vornehmen musste, aber der arzt war so ein freundlicher, energetischer und blendend aussehender vierziger, der mich sofort gefragt hat, wie ich die mutter einschätze, und danach ständig sinnvolles gesagt hat, da habs ichs gelassen. er kann ja nichts dafür, dass er so gut aussieht.

den wohlstand im anderen stadtteil wahrgenommen, hohe zahl teurer wagen, schlanke, wohlgekleidete menschen mit frisch geschnittenem haar und perfekter maske, ein paar übertakelte damen und herren dabei, aber die mehrheit eben stilvoll und blond und gebräunt. die kleinwagen gehören dem personal, denke ich.

die zwillis haben ihre studienpläne finalisiert, suchen wg-zimmer und üben schonmal mathe. beide werden ausziehen in ein paar wochen, das finde ich wie erwartet jetzt doch etwas plötzlich. sie bleiben im osten, also in relativer nähe, was mich freut. bin gespannt, ob sie west-ost-differenzen wahrnehmen, ob es überhaupt noch welche gibt, aber es wird ihnen wohl eh nicht auffallen, es ist ja alles neu und anders. halle und magdeburg. ihr erstes wird ein zoom-semester, das wird auf jeden fall eine herausforderung.

13. august 20

wunder der zeitwahrnehmung. kommt mir vor wie ein vier wochen-urlaub, dabei highlights wie aus dem katalog: packe grad ein, um vom strand nach hause zu fahren, freund ruft an, ob ich mit boot fahren will, warte auf sie im hafen des kleinen dorfes, es ist eins dieser traditionellen holzboote aus lärchenholz, mit verdeck und außenborder. sq. erzählt, er habe als junger mann mal in einer werkstatt gearbeitet, vor 40 jahren, da habe ihm der besitzer das boot geschenkt, er habe es dann irgendwo aufbewahrt und es jetzt, nach seiner pensionierung, überarbeitet und „mal gestrichen“. es ist wunderschön. wir tuckern rüber zu den inseln, auf der isola dei pescatori warten wir auf den fährmann, der die gäste aus ihren booten abholen muss, so ein fährmann wie die bootsführer in den italienfilmen der 60er, mitte fuffzig, grauharig, trainiert, zahnpastalächeln, ringelshirt, er ist der besitzer oder pächter des restaurants italia. wir klettern rüber auf sein ruderboot und steigen am steg wieder aus. es gibt fisch, neben uns sitzt ein politiker der lega mit seiner familie, einhellig verabscheut, bis er wieder auf seine jacht gebracht wird. bei der abfahrt wollen uns die söhne des fährmanns fahren, aber er winkt ab, no, no, faccio io, die söhne genauso prächtige burschen (oder ist das vierziger? schnieke ragazzis halt) wie der vater.

unter sternen fährt sq. uns über den see zum kloster s. caterina, wo ich dieses jahr zum ersten mal nicht mehr war, seit es eintritt kostet und die coolen nonnen ihren laden dort nicht mehr haben, mit honig, salben und kleinen benediktiner-souvenirs. wir haben immer sehr gern mit ihnen geplaudert, eine kam aus berlin und hat sich über all die jahre die namen der jungs gemerkt und jedes jahr nach ihnen gefragt, wenn sie nicht dabei waren. habe sie gesucht letztes jahr, ohne glück, ich weiß nicht, wo sie sich jetzt niedergelassen haben, ob es ihr geschäft noch gibt. oben auf dem kirchturm ist ein hell erleuchteter raum, das ganze gebäude trägt festbeleuchtung, man sieht aber keine menschenseele mehr, es ist zwischen 22 und 23 uhr. auf der rückfahrt begegnet uns die fähre, riesig und schnell so im dunkeln, sq. macht das licht an, damit man uns sehen kann. eine villa gehört berlusconi, der überall in italien villen hat, eine andere einem etwas flamboyanten menschen, der überall blaugrüne lichter aufgestellt hat, es sieht aus wie eine schlumpfburg, meint sq., nur oben auf dem dach leuchtet ein stones-mund in rot, der anleger ist mit riesigen bunten monroe-drucken dekoriert. ein paar lagerfeuer am strand, erinnerungen! natürlich. als wir wieder in porto ankommen, fährt ein fischer gerade los, sein netz auslegen. falls sq. sich mal langweilen sollte, es wäre ein perfektes touristisches angebot.

noch eine corona-episode: meine 86-jährige mutter wollte sich testen lassen bei einem vertretungsarzt und musste das selber tun. es ginge nicht anders, sie hätten das wartezimmer voller menschen. sie hat das stäbchen in die hand bekommen und hat den abstrich im bad der praxis selber vorgenommen, obwohl sie nicht mehr gut sehen kann und nur eine sonnenbrille dabei hatte. der test war negativ.

den großen mit seiner kleinen reisegesellschaft in luino abgeholt, wohin sie der bus aus lugano gebracht hat. bis lugano ging die bahnverbindung von trier, danach war es stückwerk, die seen-gegend ist nicht gut erschlossen mit öffentlichen verkehrsmitteln, ohne auto ist man von zufällen und fahrplänen mit großen löchern abhängig. am nächsten tag habe ich sie zum flughafen malpensa gebracht, wo es eine große menge an autoverleihfirmen gibt, auch das fehlt in den städtchen direkt am see.

beim essen haben alle von sich erzählt, ich also von berlin und meiner zeit in der stadt. was, es gab eine mauer um berlin? es gab ein west- und ein ostberlin? was war in ostberlin? man konnte nicht einfach rein und raus? blankes staunen, diese mittzwanziger wussten das nicht. ich hab mich viel älter gefühlt, weil sie selbstverständliches aus meiner vergangenheit nicht wissen, nie gelernt haben, wahrscheinlicher: wieder vergessen, weil nicht relevant fürs eigene, sie sind nach dem mauerfall geboren, ihre zeitachse beginnt ja erst dann. wie zentral und selbstverständlich für mich die teilung ost/west war, für meine politische selbstwahrnehmung, für mein heimatgefühl, für meinen umgang mit der welt und der geschichte, wie klar man das damals für alle zeitgenossen vorausgesetzt hat, dass diese teilung irgendwie ihr leben bestimmt hat, einfach dadurch, dass man eben hier oder da geboren wurde. schön, wenn nichts davon bleibt, schade, dass es nichtmal erinnert wird.

07. august 20

schon ein paar tage am see, diesmal betreibe ich die erholung und lasse sie nicht einfach geschehen, weil dafür die zwei wochen zu kurz sind. nein, erholung beginnt ja eigentlich erst ab woche drei, alles vorher ist ein intensives auf- und einatmen, es stört mich nicht, ist halt einfach dieses jahr so. heute der 6., am 16. kommt der große mit zwei freunden, dann muss ich zurück nach berlin. hatte auf die übliche hitzeglocke gehofft, aber es ist herrlich frisch, morgens 24°, tagsüber 28°, abends pulloverkühl. wenn ich ehrlich bin, gefällt es mir auch, temperaturen über 32° sind ein körperereignis, sie fordern den stoff- und energiewechsel und erzwingen diese ruhephasen, so eine eidechsenstille im hellen heißen licht, in den sommerferien liebe ich es, wenn innen- und außentemperatur fast gleich sind und alles im fluss scheint, solange man sich nicht bewegt, aber so ist es eigentlich auch ganz erholsam. für den hund ist die kühle natürlich optimal.

corona war hier sehr heftig zugange, jeder kennt nicht nur jemanden, der es hatte, sondern auch jemanden, der daran gestorben ist. viele masken auch auf der straße, in geschäften tragen alle eine, in den supermärkten gab es freilich schon seit immer handschuhe an der frischetheke, weil die leute das obst u gemüse ja anfassen können sollen, da sind die leute die hygiene seit langem gewohnt. am eingang steht fast immer ein stand mit mitteln zur desinfektion. auch unter freunden gibt es fast nur noch ellbogengrüße, eine große umstellung im land der küsschen und umarmungen. sie hatten hier einen echten lockdown, mit tickets in höhe von bis zu 600€, falls sich jemand zum zweck der vergnügung draussen aufgehalten hat („scopi ludici“). niemand demonstriert dagegen, obwohl es auch hier ein paar verschwörungsjünger gibt, eine nachbarin hat mir einen youtubefilm eines deutschen arztes gezeigt, mit untertiteln.

bisher nur an einem abend zuhause geblieben, weil es geregnet hat, direkt am ankunftsabend im supermarkt hinter einer guten alten freundin an der kasse gestanden, gleich eingeladen worden, viel geredet, gelacht, gut gegessen. in alte gewohnheiten eingetaucht, ohne es zu merken, sehr wohltuend. die tage sind schön dicht.

wunderbarerweise gibt es schon wieder ein neues buch von carofiglio, wie immer gibt es dauernd diese überraschenden sätze, wo man innehält und „oh. genau!“ denkt und sich freut. es ist wieder ein giallo, ein krimi, mit einen tick zu langen passagen im juristischen jargon, also zu lang, um sie in der sonne am strand richtig würdigen zu können, trotzdem freue ich mich auf jede neue seite.

von einem anderen autor beängstigendes erfahren, so hat alban nikolai herbst eine schwere krebserkrankung zu erdulden und tut das mit der gewohnten eleganz und hingabe. er schreibt darüber.

das in deutschland hochgelobte buch der philosophin donatella di cesare kaufen wollen (also hochgelobt von zwei sehr klugen menschen aus meinem umfeld, und veröffentlicht vom lieblingsverlag), es heißt Sulla vocazione politica della filosofia. amazon.it hat mir heidegger empfohlen, als ich danach suchte, das spricht natürlich gegen sommerlektüre, aber es soll ein lesbares und klares werk sein. bin gespannt. ich kaufe es im lieblingsbuchladen in der kleinen stadt am see, in dem auch ein schöner schuber mit frauenportraits von milo manara lag, angezogenen frauen wohlgemerkt. der erlös geht zum teil an krankenhäuser, die besonders mit corona zu kämpfen hatten. konnte ich dummerweise nicht nein sagen, obwohl ich doch vor allem großformatiges nicht mehr kaufen wollte.

16. juli 20

ärgere mich immer noch über den kalten sommer, weil ich die energie für die harten berliner winter im sommer sammeln muss, dazu soll es ein paar wochen lang sicher sein, dass der nächste tag wieder ein sommertag wird, hell und heiß und sonnig, und man muss keine sekunde drüber nachdenken.

ich muss unbedingt noch ein paar wochen in den süden, habe mir vorgenommen, nach abgabe der facharbeit zu reisen, an der ich grad sitze für so ein zertifikat, aber mit der komme ich schlecht voran wg meiner eingebauten nahtlos integrierten arbeitsstörung. helfen tut eine virtuelle bürogemeinschaft mit einer freundin und ein allabendlicher checkin mit einer anderen freundin, trotzdem ist das blöde ding noch nicht vorzeigbar, obwohl es inhaltlich keine herausforderung darstellt. werde es wahrscheinlich wie ein junger mann aus der verwandtschaft am letzten tag fertig schreiben und hoffen, dass die note irrelevant ist. er hat für seine letzte arbeit eine zwei bekommen, aber er ist halt noch schnell im kopf, und es waren nur 5 seiten.

ich könnte ja, wenn die kinder aus dem haus sind, einfach in den süden ziehen, wo es noch sommer gibt, werde mir dann allerdings auch bei vermietung meiner schönen altbauwohnung nur eine viel kleinere wohnung leisten können, ein drittel bis halb so groß, wegen der neuen mietobergrenzen in berlin, die es woanders nicht gibt, auch nicht in italien, wobei halt, in den siebzigern gab es den equo canone, der meinen eltern eine riesige 200m²-wohnung im zentrum von mailand ermöglicht hat, mit dachterasse, für ca. 1000 dm im monat, ca. 1 million lire. andererseits sind die löhne im süden ja auch höher, dann hält es sich vielleicht die waage. bayern! freiburg! da gibt es auch nettere männer.

hier ist ein allgemeiner corona-missmut eingetreten, natürlich nicht bei den jungs, sondern bei mir. einen test habe ich schon absolviert wg einem husten, negativ zum glück. ob das die neue normalität wird, ein test bei jedem symptom? ich bin immer noch vorsichtig, trage masken etc., bei den söhnen bin ich mir in deren entspannten momenten nicht sicher. ich glaube nicht, dass junge leute weiterhin abstand halten, abends im park, zuhause bei freunden, gar nicht mal mit absicht, es wird einfach vergessen. g.-zwilling macht ein praktikum in einer metallfabrik, da trägt keiner maske. ich hoffe, berlin ist über den berg.

mich nervt die losgelöstheit dieses jahres, in dem ich noch so wenig erwirtschaftet habe, mir fehlt der alltag mit kollegen, mir fehlen selbstverständliche abläufe, die ich nicht immer im kampf gegen innere freiheit absolvieren oder gleich komplett in frage stellen muss. die zwillis setzen sich zuwenig ein, machen zuwenig im haushalt (obwohl sie gut erzogen wurden), es kostet und verschluckt mehr energie, als wir zur verfügung haben. naja, es wird wieder besser werden, die fahrt geht ja weiter. wir sind leere hüllen, aller geist verschwimmt im großen see der ausnahmeregelungen, nichts ist mehr sicher, kein termin steht. regelungen segelungen, die takelage hält nicht stand, das boot treibt ab und verschwindet im dunst, wo es bestimmt nachts von piraten überfallen und versenkt wird.

ahoi.

15. juli 20

mal wieder ein datingportal benutzt, mit ein bisschen scham, weil ich immer noch single bin, und weil es prokrastinativ ein schlechtes zeichen ist. lauter nachrichten gefunden, aus den letzten wochen, hoffe ich, und nicht monaten. ein paar beantwortet, einer reagiert, meldet sich dann aber nicht mehr, um das date zu bestätigen. erleichterung. meine einstellung ist zwischen se son rose fioriranno und I prefer not to.

ohne jugend und schönheit ist es schwierig, jemanden zu finden, glaube ich, ich sollte schickere fotos machen lassen, denn darauf kommt es an, weil das bild ja der haken ist, nicht der text, und die männer alle so gestrickt sind im schutz der anonymität, wage ich mal zu behaupten. ich bin vom typ her eher fürs zufällige kennenlernen, wie es früher war, serendipity ist mein königreich, aber in rl gab es in 8 jahren ungelogen nicht einen single, es sind alle vergeben, es großes paradoxon bei all den singlefrauen überall. es hat jedenfalls auch in tollen gesprächen mit männern keine auch nur kleine geste der kontaktaufnahme gegeben, wobei ein satz wie „vielleicht sieht man sich ja mal wieder“ eine fette geste wäre, und mein versuch einer kontaktaufnahme landet dann in awkward silences oder sie holen sich schnell was zu trinken. schräg. alle schlecht erzogen, echt, ist doch wahr! in italien ist das unglaublich anders, da habe ich auch in meinem alter noch dauernd irgendwelche spielerischen flirts und dates, auch wenn ich nur 3 wochen im jahr da bin. (oder deshalb, raunt der schelm?)

in den datingportalen wollen sie sex, antworten mit fertigtexten, verstummen, wenn ich mehr als sie zurückschreibe, ich vermute, sie wollen sex wie teenager, die noch nie welchen hatten, als wäre der sex das eine, was ihnen dauernd zusteht im leben und besonders im onlinedating, als sei der sex das eine, womit all der verlust und die einsamkeit geheilt werden kann, ohne zu privat zu werden, ohne in den spiegel sehen zu müssen, und sie hoffen, es sei selbstverständlich, dass sich eine frau um ihren schwanz kümmert, als sei das der hauptertrag der aufklärung, etwas, das sie einfordern können, und vielleicht sind die jungen, schmalen körper der noch nicht gealterten frauen da ein sicherer hafen auch für ihre selbstwahrnehmung? andrerseits glaube ich den daten, es ist halt einfach so, auf eine auch wieder angenehm unkomplizierte weise. ich schaue mir natürlich auch gern schöne körper an und finde sie attraktiv, aber ich will dann keine beziehung mit ihnen, nicht einmal sex. teenager alles.

hab im alten blog nach einer alten zeit gesucht, weil ich etwas vergessen hatte, den satz gefunden: „man muss ja einen kleinen teil der seele unbedeckt lassen, sonst merkt sie es nicht, wenn sich etwas bewegt“, ihn albern gefunden, dann gemerkt: diese art poetisches denken hilft tatsächlich immer noch.

habt ihr alternativen zu datingportalen? mein dilemma: mir fehlt eigentlich grad gar nichts, nichtmal sex, aber ich fürchte, dass ich bald zu alt bin für partnerschaften mit männern, und die 70jährigen sind mir auch zu alt. vielleicht gibt es keinen unterschied zwischen diesem zu alt und dem zu alt der typen, die lieber eine 25jährige hätten? hmm.

ach, alles zuviel aufwand. und wenn es jetzt nicht fehlt, warum soll es dann später fehlen?

16. juni 20

eben richtig erschrocken, dass der letzte blogpost schon 2 wochen her ist. war mir nicht klar.

mir wurde mein letztes, ungeliebtes, fahrad geklaut, es war ein schrammeliges rad, es fuhr sich ganz angenehm, ausgesucht, weil es sagen wir mal unteuer war. das wollte ich mir nicht wieder antun, etwas zu kaufen, dessen verlust nicht schlimm ist, weil es wenig taugt, fahre dann rum auf einem rad, dass ich mir ausgesucht habe, weil es mir nichts wert ist, was soll denn das für eine beziehung werden, da wird man ja verrückt. dazu ist das leben zu kurz, und ich kann außergewöhnlich schlecht umgehen mit zweckbeziehungen. jetzt habe ich mit viel glück (die lieferketten sind alle unterbrochen, es gibt wohl einen gewissen engpass bei fahrrädern) im netz ein sehr hübsches lieblingsrad zum halben preis entdeckt und gekauft, leasingrückläufer (was es alles gibt), und muss wieder hirnkapazitäten für die sorge ums gefährt einsetzen, denn ich will es 20 jahre lang fahren, genau wie mein letztes lieblingsfahrrad, das nach 23 jahren gestohlen wurde. es wird alles geklaut, aus höfen, von bürgersteigen, es werden sogar geklaute räder noch einmal geklaut, der einfachheit halber durch die polizei selber, die damit genauso verflucht sei wie die elenden vermaledeiten diebe in der hauptstadt. diese drecksbande prägt und bestimmt die radnutzung in berlin effektiver als jedes gesetz, man sieht fast nur noch alte und abgefahrene räder an den radständern, natürlich mit teuren schlössern, denn sonst werden auch die gestohlen. alles, was gut ist, wird in wohnung oder keller gelagert. die zwillis tragen ihre rennräder immer nach oben, mein neues wird mir dafür zu schwer sein, besonders, wenn dann immer noch 2kg schloss mit dazukommen.

wahrscheinlich haben die meisten mehrere räder, ein olles für den einkauf und die kneipentour ins umfeld und ein gutes für ausflüge, sport oder für den arbeitsweg, wenn es dort eine abstellmöglichkeit gibt. jemand erfahrungen mit gps-trackern, die man in den rahmen stecken kann? stinkbomben oder farbpulverbömbchen, die losgehen, wenn man sie nicht abschaltet und das rad bewegt sind wohl zu indifferent, aber mit gps kann ich den dieben irgendeine bande von imposanten nichtpolizisten hinterherjagen, die genug eigene räder haben. die schlösser von i lock it sind mir zu teuer, und ich kann das rad ja nicht jede nacht mit ins bett nehmen. vorfreude jedenfalls groß, ich habe die ganze zeit ein bild vom rad offen.

ab heute hilft eine corona-warn-app beim tracking von infizierten, noch zeigt sie gar nichts, weil ich zu hause war den tag über. die looper-comunity aus anderen ländern meldet, der akkuverbrauch hielte sich in grenzen, das ist wichtig, ich brauche das handy ja hauptsächlich wegen der pankreas-app, und es ist schon ziemlich runtergerockt. ein zwilling hat heute vor besuch des plötzensee-bades noch einen zettel ausdrucken müssen, auf dem seine name plus kontaktdaten stehen, den muss er abgeben, wenn er das bad nutzen will, das wäre auch überflüssig, wenn die app von vielen genutzt wird. mich beruhigt die vorstellung, gewarnt zu werden, wenn mir ein kranker begegnet ist, über die datensicherheit mache ich mir gar keine sorgen, es ist ja kein spieleverlag, der daten verzocken will.

im alltag kommt bewegung ins system, eine unruhe, die jungs werden konkret in ihren plänen, die bewerbungsfrist hat angefangen, sofort beginnt die mentale vorbereitung auf ihren auszug, irgendwann nach dem sommer. ich glaube, ich wäre minderbegeistert, wenn sie in berlin einen studienplatz fänden, ein bisschen fremde muss sein in so einer biographie, wenn schon ihre reisepläne alle ausgefallen sind. mir wird prophezeit, das würde schwer werden, ich müsse mein leben neu strukturieren, als wäre ich bisher hauptsächlich mutter gewesen. mich ärgert das ein bisschen, ich weiß aber nicht genau, warum. vielleicht, weil im ratschlag so ein du-wirst-schon-sehen-dingens mitschwingt, als wäre das alleinsein mit kindern so anders als das alleinsein ohne kinder, als wäre das nicht die ganze zeit alleinsein mit kindern plus allem anderen gewesen, was die freunde auch haben und tun müssen. ich werde traurig sein, weil die liebsten menschen ausziehen und freiwillig nicht wieder einziehen werden, und erleichtert, weil sie viel arbeit machen, beides ist erwartbar und nicht vorstellbar, wie alle gefühle, man muss sie haben, um sie zu verstehen. bisschen vorfreude, bisschen angst.

29. mai 20

zwillinge machen einen leider nur zwei tage langen ausflug mit dem zelt, verschiedene campingplätze an verschiedenen seen im umland. grade ist der zweite endlich los, nach stundenlangem herumlaufen, kopfhörer suchen, zelt suchen. ich könnte jetzt endlich ungestört am schreibtisch sitzen, aber komme schwer aus dem netz, wo twitter heute zum ersten mal einen tweet von trump mit einem warnhinweis versehen hat, was viel weniger wichtig ist als die lage in minnesota, wo nach dem brutalen mord an george floyd* durch einen polizisten die bevölkerung protestiert, nachdem der mord per video dokumentiert und online gestellt wurde.

schreibe das auf, weil ich fast hoffe, mich in einem jahr nicht mehr an die genauen umstände erinnern zu können. ich hoffe, dass es vorbeigeht, wie bisher immer, dass die ganzen gewaltaufrufe und bürgerkriegsbeschwörungen im netz bleiben, produkte von trollhorden und ein paar extreminskis. dazu bilder aus ungarn, wo heute gegen roma, gestern gegen schwule und lesben demonstriert wurde, mit feuer und gebrüll, klar als bedrohung inszeniert. ich konnte bisher solche fotos sofort einordnen, als einen kleinen, eben besonders gern fotografierten teil einer situation, nicht repräsentativ für die bevölkerung oder auch nur das nähere umfeld, in dem das bild geschossen wurde. das klappt nicht mehr so leicht, diese bilder stehen inzwischen für die regierungen dieser länder, trump fordert gewalt ein, kriegt dafür hunderttausend likes in ein paar stunden, ungarn kriminalisiert per gesetz die lgbt-menschen, um zwei besonders niederschmetternde ereignisse mal herauszugreifen. das ist totaler wahnsinn, aber es geschieht tatsächlich. mich beunruhigt das.

ich bin so nachhaltig entzaubert von den checks and balances, die nicht stattfinden, es ist, als gäbe es die gar nicht, es scheint, als ob es für jeden dieser männer den passenden hofstaat gibt, der sich zu erkennen gibt und mitmacht, wenn sie an die macht kommen, da kann trump so viele feuern wie er will, es kommt immer einer nach. das ist die menschheit, es ist normal und sollte nicht wundern.

ich rechne es runter, es sind nur vier bis 8 jahre in einem jahrhundert, ein land unter vielen, die welt ist groß.

trotzdem freude darüber, dass twitter endlich irgendwas tut, es ist hoffnungsglimmerkram, wie das rumgerenne des zwillings heute früh, wie meine mutter, die dinge wie dorschleberpastete auf dem einkaufszettel hat, meine schwester, die über 30° in rom klagt, die freundin im virtuellen büro, die erste hunderunde in sandalen, das private als schutz vorm weltgeschehen, aber es fühlt sich unpassend an.

(klappt heut schlecht.)

ach, und der guardian meldet, dass typ 1-diabetiker um eineinhalb drittel häufiger an corona sterben als nichtdiabetiker. wir bekommen es zwar nicht leichter, aber sind in größerer gefahr, wenn wir es bekommen. ich halte das mit solchen statistiken so wie mit allen, die mich betreffen, ich formuliere sie undramatischer und fokussiere auf die zahl, bei der das schlimme nicht eintritt. bei einer todesrate von ca. 2,4% wären das dann stattdessen 3,6%, also überleben über 96%. damit kann ich gut leben, harhar.

omm.

*in einer szene in the good fight sitzen schwarze und weiße anwälte zusammen, einer fragt nach den namen der opfer von polizeigewalt, die weißen erinnern sich nur an den letzten, die schwarzen an alle. die namen sind wichtig.

deshalb, und weil ich es mir leisten kann, mache ich das netz aus, gehe mit dem hund, spiele gitarre und setze mich an den schreibtisch. aber es kostet kraft und ist als rückzug gedacht. der tag ist bis jetzt eher verloren, aber er ist ja erst halb rum.

23. mai 20

ohne job rutsche ich aus den beruflichen kategorien heraus, aus dem ganzen wertsystem. es fehlt mir nicht. die lage trägt dazu bei, mein tagesablauf ist zunehmend von körperrhythmen bestimmt, meinen und denen meiner kinder und meines hundes. der tag hat sich verschoben. ich entziehe mich geregelten zeitabläufen immer sehr gerne, darum habe ich mit einer freundin eine zoom-bürogemeinschaft angefangen, das bringt mich zurück an den schreibtisch, immerhin, immerhin.

heut zum ersten mal überhaupt bei kaufland eingekauft, überfordert gefühlt. einkaufswagen mit münzen, anders als bei rewe oder freßnapf, laden voll, viele masken auf halbmast. finde nichts, ewiges gerenne, alles zu groß und für einen normalen großeinkauf zu unübersichtlich. war unangenehm und eher stressig, nie wieder, zumindest nicht bei corona.

abends gemerkt: streaming funktioniert nicht mehr richtig. früher war es eine alternative, zum arbeiten und ausgehen, jetzt ist es ein ersatz dafür und hält dem vergleich nicht stand. ich nehme den bildschirm wahr, das zweidimensionale, es ist zu wenig, um dem alltag paroli zu bieten. ich lese auch weniger bücher, aber zeitungen zuhauf, tagessspiegel ist sehr gut geworden, außerdem nyt und wapo, die repubblica ist mit ihrer form des journalismus leider kaum verständlich, sie pflegen ein telenovela-prinzip, dem ich ohne zusammenfassung nicht mehr folgen kann. dauernd ist irgendwer beleidigt!

(mir fehlt italien sehr.)

wobei, halt, die 3. staffel the good fight habe ich gern gesehen, weil sie im trump-amerika spielt, als einzigste serie, die figuren sind konsequenterweise knapp davor, in den untergrund zu gehen, um eine wiederwahl zu verhindern, hin- und hergerissen zwischen verzweiflung, fassungslosigkeit und schwarzem humor. sehr schön der von trump eingesetzte richter, dem die gesetzeslage mit tierbildern erklärt werden muss. kluge, dichte figuren, viel heiterkeit, die fälle sind in dieser staffel nicht so interessant, aber die konflikte um rassismus und sexismus scheinen halbwegs realistisch und komplex genug inszeniert. spass gehabt.

in der viertelstunde vorm einschlafen lese ich die sandman-reihe noch einmal, in den schönen wertigen büchern, die schon haptisch eine freude sind, damit ich nachts etwas träume. ich kann da auf eine merkwürdig naive weise ganz eintauchen, die suspension of disbelief geschieht mit dem öffnen des buches. wie eine konditionierung, wie früher das einschlafen beim anblick eines solitaire-boards im handy. morgens ist der traum ganz kurz noch da, ein bisschen wie am meer gewesen zu sein, oder nach hause zu kommen nach einem ausflug. noch keine alpträume.

20. mai 20

ping! wunderbarer frühlingstag.

und dann der klimawandel. die freundin, die in kladow durch den wald läuft und lauter tote eichen findet, vertrocknet im letzten sommer, die aussterbenden insekten und kranken singvögel, man kann zur zeit in jede beliebige richtung in die katastrophe weiterdenken, die pandemie jetzt und die seuchen, die noch kommen, im großen wie im kleinen. es verändert und durchsetzt die wahrnehmung, die gewohnheiten des alltags sind prekär geworden, mein erstes eis auf einer hunderunde ist davon nicht unbedingt besser geworden, aber es verweist auch auf die eis, die ich noch nicht gegessen habe, weil die eisläden zu hatten, und die, die ich nicht mehr essen werde, weil sie wieder geschlossen sein werden.

jetzt könnte das posting sich weiterbewegen mit einer empfehlung, das wesentliche wieder vom unwesentlichen unterscheiden zu lernen, man sieht sich noch, auch wenn die umarmungen fehlen, die eltern leben noch, auch wenn ich sie nicht besuchen darf, grün sind die wälder trotzdem noch. reframing gehört dazu, aber es hat sich ja auch grundsätzlich und für immer was verändert durch die erfahrung, mal von etwas direkt betroffen zu sein.

ich kenne diese sorge, das risiko von spätschäden oder hypos begleitet mich, seit ich denken kann, ich werde, so nehme ich an, nicht besonders alt werden, etc. pp – beim durchlesen merke ich, es ist eine domestizierte angst, nur ein kleiner anteil gefühl im gesamtsystem chronische erkrankung, gerechtfertigt und begründet, ein angsthäschen, verdrängt, aber gut versorgt. compartmentalized heißt es auf englisch, das ist mir lieber als abgespalten, weil es im begriff als teil eines ganzen erkennbar bleibt, nicht wie im deutschen völlig (und gewaltsam) getrennt vom ganzen menschen. das geht nämlich schief, vermute ich. verdrängen, aber nicht ganz, den richtigen pegel finden, mit gestaltungspielraum.

die pandemie als zusätzliche gefahr, die es in die wahrnehmung zu integrieren gilt, ohne das sie den ablauf stört, sie wird ja bleiben, bis nächstes jahr, habe ich gelesen, oder bis es eine impfung gibt, und danach kommt die nächste pandemie, so sind die zeiten eben. gewöhnung tut not. mich beschwert das gelegentlich, wenn ich mir folgen ausmale, ich kann die sorge ans licht bringen, manchmal mag ich das gruseln dabei, dann pack ich sie wieder weg und mache eins der vielen dinge, die nicht mehr lebenswichtig sind, wenn viel auf dem spiel steht, aber die trotzdem spass machen.

ich integriere die unsicherheit als einen akkord, eine zweite leise linie, die in der selbstwahrnehmung immer so mitläuft, deren energie ich fühlen kann wie eine art basso continuo, eher philpp glass als bach, auch mal coltrane, so eine mehrstimmigkeit. mich freut das meistens, es ist eine jetztverankerung, ein leises genieße den tag, denn es ist alles dabei.

16. mai 2020

heute früh nochmal kurz mein schrottiges rad gecheckt, weil ein ausflug mit zwei freundinnen anstand. nach zwei stunden ist es zu spät für den großeinkauf, dafür fährt das rad wieder, klappert nur noch vorne, mit einem einzelnen fast angenehmen dengelton, wenn das lose schutzblech gegen die gabel schlägt. ich versuch den großeinkauf in auszügen („nur notwendiges“) zu delegieren und fahre los.

die radtour war anders als erwartet, wider erwarten konnte ich nur den ersten und zweiten gang meiner dreigangnabe benutzen, weil es die ganze zeit bergauf ging. prenzlauer berg eben! die freundinnen haben mich in den botanischen garten pankow gebracht, wo wir nach ihrem acker schauen wollten. eine initiative hat dort kreisbeete angelegt, ca. 20m im durchmesser, in der mitte steht jeweils ein wasserhahn mit automatik, der in abständen kreisförmig wasser sprüht. die kreise sind in tortenstücke zerteilt, die man pachten kann, sie werden nach einem system bepflanzt, teils vom anbieter, teils von den pächtern, es gibt blumen, gemüse, kräuter hintereinander. es sind vielleicht zwei handvoll leute auf den beeten, jäten, pflanzen, mulchen oder ernten, zb rauke und spinat. ich bekomme ein radieschen direkt aus dem boden, knackig und scharf. auf der wiese daneben ruhen vier weitere kreise für ein oder zwei jahre, bis sich der boden erholt hat. sehr cool. ich hatte so etwas schrebergartenmäßiges erwartet, stattdessen ist es ein reines nutzfeld, die pächter kommen zum arbeiten, liegestühle sehe ich keine. aber für beschauliche samstagnachmittage kann man ja den umliegenden park verwenden. schön für familien, weil die kinder so karotten, pastinaken oder kartoffeln schon am grünzeug erkennen lernen und einen einblick in dinge wie pflanzfolgen bekommen. das gemüse genügt wohl für eine familie über den sommer, je nach appetit und pflanzglück, es klappt ja nicht immer alles. eine gewisse disziplin müssen die nutzer mitbringen, auch beim ernten, die freundinnen erzählen von einer zucchini, die einmal den verkehr aufgehalten hat, so monstergroß ist sie geworden. faszinierend.

danach noch kuchen und kaffee im ehemaligen gewächshaus, den wir unter freiem himmel an tischen essen, bisschen fröstelig ist es. auf der heimfahrt geht es rätselhafter weise ebenfalls nur bergauf, ich spüre lauter vergessene nervenenden im allerwertesten. die freundin erzählt von ihrem geplanten sommerurlaub, mit dem rad von hier nach wien und weiter nach athen, ich denke, puh, aber du hast mehr gänge, ich hab nur drei, davon praktisch nur zwei zu verfügung! freue mich sehr, als wir wieder zuhause sind und ich mich vom sattel entfernen kann. den d.-zwilling gefragt, ob er einkaufen war, er sagt nein, der g.-zwilling hätte gehen wollen, der g.-zwilling sagt nein, der d.-zwilling habe gehen wollen. der d.-zwilling hat immerhin eier und äpfel vom markt geholt, allerdings übereinander im rucksack, was nicht gutgegangen ist. muss also noch mal scheuchen. abends couscous und eine weinschorle, ein zwilling geht aus, der andere nicht. gelernt habe ich den unterschied zwischen grade aus der erde kommendem möhrengrün und unkraut, und dass es unter umständen erstmal eine weile nur bergauf gehen wird, wenn ich wie geplant wieder mehr sport machen werde.

10. und 11. mai 20

dispatches from elsewhere (prime) hat mich so halb im unbewussten am meisten beschäftigt in den letzten tagen. nichts an der serie ist erwartbar, kein chlichee oder genre passt, ein bisschen vielleicht sowas wie good omens oder so, aber auch da funktionieren ja handlung und figurenkonstellationen nach bekannten kriterien, liebe, hass, abhängigkeit, macht, geld, nur der kosmos ist ein anderer. bei dispatches ist alles offen, ich werde dauernd total überrascht, habe nicht die geringste ahnung, wie es weitergehen könnte. das ist elektrisierend und öffnet ganz gut für diese momente, in denen ich alles wiedererkenne, nicht die begebenheiten, aber die gefühle, ängste und freuden, die kleinen serendipities und aha-momente, die davon ausgelöst werden. wirklich, wirklich besonders. funktioniert mit der genauigkeit von guter lyrik, ist dabei aber liebevoll und offen. spielerisch. die letzte folge ist wieder völlig unerwartet. der macher, jason segal, scheint ein wirklich freier mensch zu sein. hätte gern weitergeguckt, war aber ein bisschen ein gefühl wie: kurs beendet, alles gesagt, jetzt du!

am muttertag mutter mit blumen überrascht, bei der heimkehr selber mit blumen überrascht worden. gefreut.

die letzten tage viel am rechner gesessen, mal schaun.

mich belasten die corona-einschränkungen noch immer nicht besonders, nur finanziell natürlich. finde es angenehm, nicht auszugehen, nur spazieren, auch das bei den jungs übliche herumstehen an wänden oder sitzen auf mäuerchen finde ich sehr angenehm flüssig, unstofflich, beweglich. möchte immer noch lieber nicht erkranken, denke da aber auch nicht jede woche neu drüber nach. kann es nicht einschätzen, ob die vielen merkwürdigen impfgegner und verschwörer mich beunruhigen sollten. tun sie nicht, aber lieber wären mir gegner mit argumenten, die erfassbar sind und sein sollen, die stehenbleiben, damit ich über sie nachdenken kann, statt wie alles dieser leute immer nur weiterzuverweisen auf den nächsten zusammenhang. ich bin hier.

einen tag später, immer noch über „dispatches“: als hätte der macher sowas wie eine checkliste gehabt, mit diesen erlebnissen, die er seinem publikum ermöglichen möchte, und der erkenntnisprozess des publikums bestimmt die handlungsverläufe, nicht umgekehrt, auch wenn es dann mal holpert oder zu lücken führt. deshalb fühlte es sich (als autorenfilm) so uneitel an. auch die letzte episode ergänzt dann das konzept noch mal um alles, was noch nicht gesagt wurde. schauts euch mal an, bin gespannt.

9. mai 20

so ein schöner morgen, dachte ich gestern, stand früh auf und macht mich auf den weg in den tag. nach hunderunde klein und frühstück mit dem auto zum großeinkauf, der grade gefühlt alle drei tag nötig ist, weil die jungs das kochen entdeckt haben. dort wie immer mit einer von drei karten zahlen gewollt, aber sie war nicht da, weil sie noch im portemonnaie vom g.-zwilling steckte, den ich letzte woche mit emma zum tierarzt geschickt habe. zweite karte, kassiererin, kartenlesegerät und ich bemerken: die ist abgelaufen. 04/20, wie die zeit vergeht! dritte karte ist die visa, niemand kennt die pin seiner visakarte, weil man die nirgendwo braucht, nur eben an supermarktkassen. den vollen wagen an die kasse gestellt, zum auto, nach hause. g.-zwilling war nicht da, hatte aber sein portemonnaie liegengelassen, ich also mit ec-karte zurück zu meinem einkaufswagen, gezahlt, das eis in die tüte für gefrierzeugs gepackt, nach hause, keinen schlüssel in der tasche gehabt. bei nachbarin geklingelt und ihr das eis in den freezer gelegt, gleich ein paar lebensupdates gemacht, wir haben uns alle solang nicht mehr gesehen. sie hat die nummer vom d.-zwilling (mein handy liegt auf dem schreibtisch vom g., wo ich seine geldbörse durchsucht habe), hat ihn herbestellt, ich hab ihn alles hochtragen lassen und wollte mich auf den weg zum optiker machen, mein 0€ gestell ersetzen lassen, mit termin. mein rad hatte ich am tag zuvor an den g. verliehen gehabt, am fahrrad fällt mir auf, dass mein radschlüssel nicht am schlüsselbund ist, weil er noch am schlüsselbund vom g.-zwilling hängt, was anders besprochen war. ich also schnell zu fuss los, zu spät, brille repariert, halbe stunde zu spät für geplante große hunderunde mit freundin, sie kann nicht später, wir haben uns lang nicht gesehen und setzen uns also wie zwei studies mit unseren laptops auf dem schoß auf eine parkbank, wo wir zweieinhalb stunden in ruhe etwas tun können, eine rechts außen, eine links außen. um uns herum die jugend, also leute unter 40, mit bocciakugeln, drinks in der hand, zu nah beieinander stehend. dann wird die bank zu hart.

keinen haushalt gemacht, jetzt keine lust mehr. abends koche ich ein kochbuchessen (ich habe für volle tage ein sehr dickes buch mit italienischen regionalrezepten, die sind alle aus dem alltag, teilweise mit rätselhaften zutaten in dialekt, immer nur 3 bis 4 zugaben, eine davon salz, „fertig garen“, das wars), schmeckt allen, salsiccia mit knofi, peperoncino und broccoli, dazu kartoffeln.

müde.

abends nochmal stimmung, weil der g.-zwilling sich von einer freundin ein ohrloch stechen lassen will, mit einer stecknadel. es geht wohl in der stadt erst wieder übermorgen, muss also heute sein, und „ich bin 19, mama“. er besitzt jetzt zwei ohrringe, braucht also ein zweites loch, habe ihm zum geburtstag die beiden brillis geschenkt, die ich vor 23 jahren von seinem vater geschenkt bekommen habe, wunderbar, hab es immer bisschen bedauert, dass keins der kinder mir handtaschen, kleider und schmuck klauen will oder abnehmen wird. nach den ersten schreien holt erst er, dann die freundin sich einen grappa, bevor sie nach einem hinweis aus dem internet mit besserem werkzeug (alter pen von mir mit frischen nadeln) einen neuen versuch machen. nach einigen quiekern und schreien gelingt das unterfangen, der stecker sitzt, die beiden gehen noch auf eine runde in die stadt, was wohl irgendwie wieder geht.

bewundere sie fast mehr als ihn.

es war ein g.-zwilling-tag, merke ich, das ist manchmal so, das liegt teilweise an all der ungebundenen energie wegen corona, denke ich, teilweise … teilweise aber auch nicht.