die tickets für die berlinale waren ab 10 uhr online verfügbar, ab 10:01 waren sie ausverkauft, zumindest die für den italienischen wettbewerbsbeitrag another end, film von piero messina. nachmittags habe ich dann noch ein ticket für spuren von bewegung vor dem eis am samstag bekommen, eine uraufführung, aus der forum-reihe, film von rené frölke, und eins für die 9-uhr-früh vorstellung von another end.
ich kam ordentlich zu spät, wegen gegenwind, und wurde sehr freundlich noch reingelassen ins arsenal, sass dann zuerst erste reihe ganz aussen, also intensive und manchmal selektive wahrnehmung des films, von dem ich nur wusste, dass es unter anderem um das archiv eines lange geschlossenen verlages in der schweiz geht, und ich liebe ja archive.
kurze schnitte, später erfahre ich, warum: der film ist mit einer alten analogen kamera gedreht, einer bolex, jede filmrolle 24sekunden lang, wenn ich das richtig erinnere aus dem gespräch mit dem regisseur nach dem film. beim ansehen ist es mir aber nicht bewusst aufgefallen, es ist eher ein rhythmus, in den man beim gucken kommt.
eine frau und ein mann, in so einem kargen wortarmen dialog, es geht um ihr leben, glaube ich, wie man in der familie über sein leben redet, in halbsätzen, andeutungen, idiomatismen, zitaten von den vielen malen, die man schon darüber geredet hat. diese verdichtungen greifen irgendwie auch auf meine wahrnehmung der bilder des films über, in den untertiteln werden einzelne zeilen aus den blättern lesbar, immer nur ein paar worte, die dann auf rätselhafte weise wichtig werden, weil wir den zusammenhang nicht kennen können, aber sofort versuchen, einen herzustellen, viele themen, religion, politik, ich denke, es geht da um texte des verlages oder briefe der verleger*innen, teilweise sehen wir buchseiten mit vielen notizen drauf, man spürt, wie wichtig das aufschreiben war, ein erkentnismoment, der nicht verloren gehen soll und am ort des geschehens festgehalten wird, also da, wo er passiert ist. der film zeigt viele von diesen seiten, sie sehen irgendwie verlebt aus, abgelegt, wie die vielen stapel von kartons, undynamische stapel, die einen festen platz gefunden haben, obwohl sie nur als etwas vorübergehendes geplant waren, wie alle kistenstapel. dazwischen filmaufnahmen von gladys und fritz, den beiden verlagsinhabern (oder ist gladys die tochter? muss nochmal nachschauen), die inzwischen beide tot sind. es ist ein weg, denke ich einen tag später, der film eben ein weiteres sediment, wie der regisseuer es im pressetext sehr schön beschrieben hat, bei jeder neuen schicht geht etwas verloren und etwas verändert sich, und es ist immer auch eine neueinspielung von etwas, dass es schon gibt.
ein film, der nachher besser ist als währendessen, immer noch besser wird. spannend, vielleicht weil die erinnerung auch nicht linear, sondern eher in momentaufnahmen funktioniert, aber das ist ein bild aus „another ending“, das da jetzt mit reinrutscht.
ich wollte auch mal einen verlag gründen, unmittelbar nach dem ende der ddr, mit ein paar tollen frauen, aber es wurde dann nichts draus. diese beiden haben es eben einfach gemacht, und dann wieder damit aufgehört, ich mochte das unprätentiöse daran (hab vom pendo-verlag allerdings auch vorher nie was gehört), dieses so what?-gefühl, und am ende ist eh alles hin, oder woanders, in einem film, auf dem boden, panta rhei.
ich denke jedenfalls nach dem film an frau ziebarth, deren riesige sammlung, die ja eigentlich ein lebensarchiv ist, noch immer kein richtiges zuhause gefunden hat. so ein film wäre eine art nicht-ort dafür. bewegung vde ist eine art hommage an die beiden verlagsleute, eine art dokumentarfilm, in der die erinnerungsarbeit ultra reduziert gezeigt wird, weil der verlust schon stattgefunden hat, die seiten, zettel und geschichten haben ihren zusammenhang verloren, es bleibt wenig, wenn alles irgendwo im weg herumsteht. ohne funktion, nur noch in einer metaebene relevant, wenn mal jemand darüber arbeiten will, wobei die bücher des verlages natürlich bleiben, in ihrem stapel, für 6 chf statt 27.
frau ziebarths sammlung besteht ja aus dingen, gegenständen, über die sammlung gibt es viele texte, filme weiß ich gar nicht – glaube aber nicht – die geschichten darüber sind sozusagen schon sedimentiert und auf dem weg ins vergessen, ich habe dabei immer den küchenstuhl bei freunden im kopf, wo sich einzelne seiten aus den feuilletons der letzten jahre sammeln, weil sie unbedingt noch gelesen werden sollen; jedenfalls: ich würde sie gern wieder lebendig machen, also keinen film, sondern gleich irgendwie ins netz bringen, im ernst, ich suche schon nach katalog- oder museums-software, die sowas kann, verfügbar machen, die dinge ans licht holen, gut vertaggt, sortiert nach ländern, funktionen, ereignissen, oder so ähnlich, ins größte museum der welt. habt ihr ideen, gibt es sowas für umme oder wenig? mich beschäftigt das schon ein paar monate, ab märz hab ich für 6 monate eine 4-tages-woche, da hab ich dann hoffentlich zeit für projekte (ja, ich lache selber).
eine nichte ist für die berlinale gekommen, sie arbeitet im filmbusiness, heute ist ihr dritter tag hier und mein italienisch hängt, findet wörter nicht, ich stehe daneben und bin nicht im fluss, das passiert immer, wenn ich wieder viel italienisch rede, es ist wie ein muskelkater des sprachhirns, eine ermüdung, wenn der sprachkörper aus dem passiven wortschatz in den aktiven gehoben wird. es dauert einen tag und dann bin ich wieder drin, also wenn ich sie sehe, sie geht natürlich dauernd auf parties und ist unterwegs. mein alter bemerke ich auch, sie weiß sofort lauter dinge über berlin, die ich nie gehört habe, grad hat sie erzählt, dass die jungen leute kleine analoge kameras dabei haben, die notwendige filmentwicklung als vorteil sehen, weil die zeit bis zum foto ruhe ermöglicht, überhaupt sind ausgedruckte fotos wieder ein ding. sie will ein paar kameras nach rom mitnehmen und weiß schon den laden, wo man sie bekommt. gleich meine kleine alte sony alpha ans ladekabel gehängt, aber dann war das wochenende schon wieder vorbei.
puh, text wird zu lang, den zweiten film setze ich in ein zweites posting