theater, mütter, kinder

das theater voll bis auf den letzten platz, zum ersten mal seit jahren auf tuchfühlung mit den anderen zuschauern, sehr ungewohnt, hat ein paar minuten gedauert, bis die kleine aufregung wieder weg war. zwischen 2 männern gesessen, einer hatte eine rose dabei, der andere sprach mich an, ob wir uns nicht schonmal gesehen hätten, ich habe sofort angefangen darüber nachzudenken, wann das gewesen sein könnte, und ja, hatten wir, er war mal auf einem filmabend in meiner wohnung, vor zweistellig vielen jahren, und er wusste den film noch.

das stück ist schön, es hat funktioniert, weil ich so etwas gebraucht habe, ich mag die direkte ansprache bei pollesch, mit diesem leichtem vorwurf in der stimme, wie alles ausgesprochen und dann im raum stehengelassen wird, und wie sich das anfühlt („ich bin müde“ hat hinrichs immer wieder gerufen), und wir sollen die maske abnehmen, die sei doch alt, eine woche alt, einen monat, er gibt uns eine neue. wunderbar, solange es anhält, ein theaterzauber alter schule, ganz im magischen theaterpräsens aufgehoben. von den pollesch-texten ist früher mehr übriggeblieben, das hier war mehr so eine ankerboje auf freier see zum kurz durchatmen.

kann schlecht schreiben grade, ich glaube, wegen bz-schwankungen mit dauernden hypos. wortfindung ist wie tapern im dunkeln. woche war total anstrengend auf eine weise, die mir nicht gefallen hat, muss mich besser vorbereiten. freitag abend wieder zu müde für irgendwas und versehentlich vor neun eingeschlafen, dann nochmal raus zur hunderunde, dann bis halb eins im netz gedümpelt, sehr erholsam, weil luxus um die uhrzeit. samstag auch nicht für mich gewesen, ärger mit dem blutzucker, möchte an dieser stelle meinen verfickten herumzickenden diabetes mal so richtig, aber nützt ja nüscht. heute schöne pläne und gute gedanken, damit die nächste woche besser wird. drücken sie mir die daumen bitte.

noch einen schönen text gefunden, im new yorker, unter anderem über die mütter, die alles zusammenhalten, auch disfunktionale ehen. ich bin damals gegangen, weil nach allem, was passiert war, die liebe weg war. die guten gründe für die trennung und der alltag meiner kinder danach stehen nebeinander, ohne viel voneinander zu wissen, die kennen sich irgendwie nicht. so ist das mit der verantwortung.

13. märz 22

der kurzurlaub vom letzten wochenende wirkt noch nach. der große hat mir sein trier gezeigt, wir sind durch die stadt geradelt und gelaufen, er hat dabei überall leute getroffen, seine freunde wollten mich kennenlernen, was mich gerührt hat, wir haben einen abend in seiner wg gekocht und zusammen gegessen. wir sind auf eine vernissage mitgenommen worden, die junge künstlerin sarah kammer hat malerei gezeigt, sie ist richtig gut, die bilder zeigen menschen in einem moment der erkenntnis, des übergangs zwischen bewußtseinszuständen, als vorlage dienten zb fotos von menschen, die nach kriegsende zum ersten mal mit den taten der nazis konfrontiert wurden, aber auch bilder von kz-überlebenden unmittelbar nach der befreiung. daneben bilder, in denen sie die instagrammer auf die schippe nimmt, die in ihrer schön hergerichteten spießigen umgebung ignorieren, wie die welt um sie herum aussieht, obwohl sie, wie auf einem bild, schon eine gasmaske tragen müssen. die arbeiten kosten noch nicht viel, wenn ich könnte, würde ich da zugreifen. die freunde vom großen greifen bei den getränken und snacks zu, wie es sich gehört, und reden dabei mit der künstlerin über ihre bilder. sie sind alle anfang zwanzig.

endlich mal wieder einen twittermenschen kennengelernt, sehr schön bei waffeln und kaffee an der porta nigra, bei bestem eisigen sonnenwetter. sie hat mir auf einem langen spaziergang ihr trier gezeigt, es fühlte sich sofort vertraut an. zwei ganz persönliche führungen, mit frau kellerkind bin ich durch die kaiserthermen gelaufen, es ist ja alles in spaziergangnähe in solchen städten, so ein schatzkammerfeeling, weil alles schöne nah beieinander ist.

corona im haus, der g.-zwilling hat einen positiven pcr-test, er ist geboostert, heute ist der dritte tag mit leichten symptomen, ich hoffe, dabei bleibt es. ich stelle ihm essen vor die tür, er trägt maske, wenn er das zimmer verlässt, fieberthermometer und pulsoxy habe ich ihm auch vor die tür gelegt. ich desinfiziere klinken und das bad und bin eher gespannt darauf als verängstigt darüber, ob ich mich infiziere, leichte erkältungssymptome habe ich seit wochen, bei konstant negativen schnelltests. trage zuhause keine maske, das sollte ich vielleicht. ärger über die regierung, die die clubs wieder eröffnet hat, da hat er sich wohl angesteckt. meine warnapp ist rot wie seit anfang januar, zeigt den sohn aber noch nicht als risikobegegnung. ich werde arbeiten gehen müssen, weil geboosterte kontaktpersonen nicht als riskant gelten, ein ziemlicher schwachsinn, ist doch auch der g. geboostert. ich habe gestern sicherheitshalber einen großeinkauf gemacht, weiß aber noch nicht genau, was ich mit emma machen soll, falls ich auch krank werde. darf man als positive kurz mit dem hund? ich frag lieber mal rum.

dieses jahr dauert der winter besonders lange, meine kälteempfindlichkeit scheint mir übertrieben. vielleicht spürt die haut durchs älterwerden den kältebiss deutlicher, ich heize auch viel weniger als sonst, es ist eigentlich immer mehrere ticks zu kalt. ich ziehe mich jedenfalls die ganze zeit an wie ein eisfischer und kann den formlosen kram und die dicken botten an den füßen schon nicht mehr sehen.

bei all dieser normalität immer das bewusstsein vom krieg im kopf, die bilder und geschichten kommen andauernd dazu, anders als die anderen kriege auf der welt ist dieser nicht verdrängbar, weil er angst macht. ich habe von langen aufenthalten in der kaisertherme geträumt, die geschichten von menschen in luftschutzkellern lassen mich nicht los.

das wort „menschen“ kommt in diesem text besonders oft vor, scheint mir, ich sollte jedesmal ein ausrufezeichen dahinter setzen.

4. märz 22

heute frei, ich mache übers lange wochenende einen kurzbesuch beim großen in trier, also eigentlich ist es, was besuche bei kindern angeht, schon ein langbesuch, aber ich habe mich wo eingemietet und bleibe nicht in der wg vom sohn. er will mich vom zug abholen, was mich rührt. jetzt froh, dass ich erst nach 10 uhr fahre, die letzten tage waren richtig anstrengend, ich konnte gestern nicht mehr packen und habe jetzt zeit dafür.

grade gelesen, dass am hauptbahnhof eine große menge an freiwilligen helfern die flüchtlinge empfängt, die dort rund um die uhr ankommen, genau wie 2015. besonders die früh- und nachtschichten können wohl laut einem twitterer (nicht mehr gefunden leider) noch unterstützung gebrauchen. benötigt werden übersetzerInnen, gutscheine für drogerien und supermärkte, geladene powerbanks, und natürlich unterkünfte. der g.-zwilling will mit kumpels vor oder nach dem clubbesuch hingehen, in berlin öffnen sie dieses wochenende wieder.

die kriegsängste sind nicht mehr nur diffus, ich verdränge sie bewusst. gestern wurde ein atomkraftwerk beschossen, also da gibt es keine grenzen mehr. ich habe insulin für ein paar monate im haus (brauche sehr wenig, das heißt also nicht so viel) und ein paar vorräte. wird die welt dieses wochenende untergehen oder erst ein bisschen später? ich tippe auf später und nehme nicht alles mit. was für finstere zeiten. außerdem macht mir der hund sorgen und ich freue ich mich auf die zugfahrt und die freien tage. ich fühle mich wie ein kaleidoskop, mit lauter nicht zusammenhängenden mustern.

hundeschall

emma (mein hund) hat ein paar tage nicht mehr gefressen, gar nichts, nur getrunken, wollte nicht mehr spazierengehen, war fast apathisch. mein tierarzt hatte eine pankreatitis in den raum gestellt, weil die blutuntersuchung ein paar hinweise darauf gab, und riet mir, sofort mit ihr in die klinik zu fahren. bin noch am abend hingefahren, aber der arzt hatte gerade feierabend gemacht, ich sollte früh am nächsten morgen wieder hin, habe ich gemacht, dann gab es endlich diesen ultraschall, der mir viel aufregender vorkam als die ultraschalls, die ich immer so kriege bei der frauenärztin. bei tieren ist ein ultraschall schon eine eskalationsstufe. auf dem weg an den stadtrand, im auto, ist sie vollkommen still, kein zeichen ihrer sonstigen nervosität beim autofahren, sie hat einfach ihren kopf neben die gangschaltung gelegt und sich nicht bewegt, bis wir da waren. in der klinik erst mit einer ärztin eine untersuchung, wieder blutabnahme, dann der ultraschall, mit einem anderen arzt, der wohl ein tier-internist ist. emma wurde auf den rücken gelegt, und damit sie nicht wegrollt, wird der rücken in ein rotes polster mit einer tiefen kuhle in der mitte gelegt, eine mitarbeiterin hält die hinterläufe beiseite, ich die vorderläufe. sie lag ganz still, ihr langer kopf nahe meiner hand. nachher hat die ärztin gesagt, sie hätte bei der untersuchung geschmatzt, das könne ein hinweis auf übelkeit sein, und hat ihr nochmals ein antiemetikum gespritzt. ich habe das nicht bemerkt, ich hab allerdings nicht mal wahrgenommen, dass die ärztin bei der untersuchung dabei war. der internist hat ihr den bauch rasiert und dann ganz gründlich alles mit dem schallkopf untersucht. ich hatte angst und war ziemlich nervös und teilweise den tränen nahe, also nur ein bisschen natürlich, aber doch, und habe versucht, die bilder zu verstehen, leber, magen, gallenblase, darm, gebärmutter, gefäße. große erleichterung, als pankreas und gebärmutter normal schienen. der arzt hat eine auf dem bild erkennbare weißliche schicht auf der magenaußenseite erkannt und meinte, das könnte einen hinweis auf eine entzündung sein, eventuell hat sie eine gastritis nach autoimmun-reaktionen oder aber eben auch ein lymphom, das könne er nicht ausschließen, aber sehen könne er nichts, auch die lymphknoten seien unauffällig, dafür müsse man eine endoskopie und eine biopsie machen, und dazu müsse sie erst wieder zu kräften kommen. therapie eventuell glucocorticoide als dauermed, und falls krebs, eine chemoherapie. mir wurde ein medikament für vor dem essen und eines für danach mitgegeben, und eine dose hypoallergenes hundefutter von royal canin, das hat sie dann nur zögerlich gefressen, es sah auch richtig eklig aus, weiß-grünliche paste. habe ich dann zuhause etwas gekocht, mit hackfleisch, reis, karotten, das hat sie innerhalb von minuten verschlungen. werde das jetzt weiterhin machen, also kein barfen (das wäre rohes fleisch), sondern gekochtes fleisch, mit gemüse und reis und paar pülverchen, um calzium etc beizufügen. (das machen ja einige inzwischen, es ist ein trend geworden) mal schauen, ob ich preiswertes biofleisch finde. drücken sie ihr die daumen bitte.

kw 4-5/22

immer noch ärgere ich mich über die höchste betriebskostennachzahlung meines lebens, ausschließlich für wasser, das in berlin besonders teuer ist. vor zwei jahren wurden in die wohnungen des hauses wasserzähler eingebaut, vorher haben wir das irgendwie pauschal bezahlt. jetzt musste ich für 3 personen 800€ wasser nachzahlen, was mir immer noch unfassbar viel vorkommt. in berlin kostet der kubikmeter inclusive abwasser und aufbereitung und regenwasser ca. 5€ pro m3, fast doppelt soviel wie in anderen bundesländern. in zukunft werden die energiepreise einen immer höheren anteil an den lebenskosten haben, da muss ich mich irgendwie drauf einstellen, ich jedenfalls werde nur noch duschen.

im lesekreis großartiges buch gelesen, girl, woman, other von bernardine evaristo. 12 frauen, erzählt über die verbindungen, kontakte und beziehungen, die sie miteinander haben, über generationen und länder, auch über konflikte und krisen hinweg. die nähe zwischen müttern und töchtern hält viele dieser geschichten zusammen, das hat mich dann fast aufgeregt, weil es zu schön ist, sind doch heutzutage viele mutter-tochter-bindungen eher durch entfremdung und desinteresse gekennzeichnet. bei evaristo sind alle diese tollen frauen irgendwie vernetzt, wissen voneinander, so wie wir von unseren freundinnen wissen, was sie machen, mit wem sie zusammen sind, wieviele kinder sie haben und so weiter. ich habe wesentlich mehr freundinnen als freunde, muss mal nachdenken, wann sich das so entwickelt hat.

habe zu spät mit dem lesen angefangen, wie immer, aber bin dann so durch die 500 seiten durchgeflogen, mühelos. sehr besonderes buch.

eine geschichte beendet, die mich durch die letzten monate begleitet hat. es fühlte sich nicht mehr richtig an, wenn ich alleine war, war er weg, es war zuwenig für die nähe, die dann ja doch teil des geschichtendingens ist. liegt vielleicht auch am onlinedaten, wo die gefühle ja nicht voraussetzung des treffens sind, sondern im besten fall daraus entstehen. aber nach wieviel zeit? tagen, wochen, monaten? ich habe mein herz aus den augen verloren dabei, das hat sich zurückgezogen und einfach nichts mehr gesagt, nicht ja und eben auch nicht nein.

viel in meiner wohnung, schon wg corona, aber auch, weil ich nach dem job nicht mehr viel machen möchte. angenehme selbstgenügsamkeit entwickelt, auch wenn sich dabei ein bisschen alles nur noch im kreis ums bekannte dreht. halt, nee, das liegt am tiefen winter, am dunklen februar, an den ewigen nasskalten paargradfuffzig, die hier den tag füllen, und dann der großen, alles haltenden, alles still machenden dunkelheit, die immer noch den halben nachmittag vertilgt. blabla. winter total satt habe ich.

in den letzten monaten eher unabsichtlich meine ernährung auf kohlehydratarm umgestellt, weil ich trotz tollster algorhythmen meine postprandialen berg- und talfahrten nicht in den griff bekommen habe. die habe ich natürlich trotzdem noch, weil ich immer mal wieder so einen heisshunger auf eine gute butterstulle bekomme, aber eben nicht mehr täglich. seitdem fast 5kg abgenommen, fast beängstigend, aber ich fahre jetzt auch täglich mit dem rad zur arbeit und laufe dort 4-6000 schritte am tag, das kommt ja noch dazu. jetzt bisschen sorge, dass ich zur ziege mutiere, die polster überall sind ja weichzeichner im alter.

gestern einen totalen freudeflash gehabt, als an einer ampel plötzlich der d.-zwilling im auto neben meinem saß, sehr unmittelbar und überwältigend. das war wirklich schön.

kw 3 2022

mir fallen immer wieder dinge ein, die ich bloggen könnte, aber ich vergesse sie wieder, weil mein alltag offline stattfindet. ich nutze das handy tagsüber fast nur für den diabetes, und abends, zuhause, ist es dann dunkel. da kommen dann dinge von draussen rein, wie filme oder mails, aber ich habe kein bedürfnis, etwas rauszuschicken. mein kopf wird gehalten von der dunkelheit, alles ist auf pause gestellt.

wie ich gestern meine superduper taschenlampe repariert habe, nachdem die batterien ausgelaufen waren.

schönen film gesehen, mit m., drive my car, von ryusuke hamaguchi. film über die kraft der kommunikation, des kontakts über sprache und nähe und zeit. wie das wichtige dabei sich mitteilt, weil wir menschen sind, egal, ob wir in zeichensprache oder japanisch, englisch oder koreanisch miteinander reden. in der nyt wird sehr schön aufgedröselt, was den zauber ausmacht, lest das aber lieber nach dem anschauen, es wird gespoilert. eine fahrt durch japan in einem wunderbaren roten saab aus den achtzigern glaub ich, den ich sofort auch haben wollte. ich hatte mal einen käfer cabrio aus den siebzigern, an den denke ich seitdem, obwohl er für gespräche fast zu laut war. nach einer stunde oder so ist der prolog vorbei, es laufen namen übers bild, ich war kurz traurig, dass der film schon wieder aufhört und hab mich gefreut, als er danach noch zwei stunden weiterging. er hätte gern noch paar stunden länger sein können. schaut ihn euch an.

die langsame und meinem urvertrauen widerstrebende realisierung, dass dem senat die gesundheit der kinder und erwachsenen in schule und kindergarten völlig egal ist. gestern gelesen, dass es für kontaktpersonen keine quarantäne mehr gibt, „um die gesundheitsämter zu entlasten“, damit „gute leute anderes tun können“, so im tagesspiegel. ich kann ja mal überlegen, ob ich auch anderes tun will, als unter diesen bedingungen zu arbeiten. pcr-tests soll es auch nicht mehr geben, wenn man sie nicht selber bezahlt, was empfehlenswert ist wg. möglicher spätschäden. call me naive, aber ich bin wirklich einigermassen erschüttert darüber. als nächstes sollen bestimmt symptomlose positive weiter arbeiten kommen.

corona warn app hat seit 31.12. dauernd rote kachel.

wenn mir heute noch wieder einfällt, was ich bloggen wollte, schreib ichs noch hin.

auf repeat

ins ähm 15 jahre alte autoradio einen bluetooth-empfänger eingestöpselt, seitdem kann ich dort meine playlists hören. vorgenommen, alles mal durchzuhören, es sind laut itunes nur 20 tage, das müsste doch zu schaffen sein in einem dieser langen, dunklen winter? höre kaum noch musik, nur noch in aufgewühlter emotionaler lage, fast immer ist mir stille einfach lieber, eben mit ausnahme beim autofahren. auf den hunderunden wäre mir musik im ohr einfach zuviel input, und ich kann diese kleinen bluetooth-ohrstöpsel leider nicht benutzen, sie passen nicht, halten auch ohne jedes schaumgummi drumrum nur kurz und tun dabei weh. zu kleine ohren.

ich kann das ja auch mit meinen büchern machen, sie einfach der reihe nach nochmal lesen, oder überfliegen, um mich nicht nur an den inhalt, ich erinner mich an fast alle bücher irgendwie, wenn ich sie so vor mir habe, und falls verschütt gegangen, komm ich an die erinnerung über die umstände, also wo und von wem gekauft/geschenkt bekommen, und warum gekauft, war es mode, interesse, textliebe, das feste band der vollständigkeit, – sondern an tonfall und autor*in und textfluss und sprachgestus usw. neu zu erinnern. oder nur die bücher, zu denen ich gar keinen bezug mehr bekomme? damals beim neusortieren vor anderthalb jahren bin ich so an eine neulektüre von hermann broch gekommen, den ich jetzt deswegen erinnere.

das wird natürlich nichts werden, aber heute erfreue ich mich an dem plan.

kw 48

ich bin beruflich hauptsächlich mit ungeimpften kleinkindern zusammen, deren geschwister teilweise schon in die schule gehen, rechne also damit, corona zu bekommen, eher bald, hoffentlich erst nach weihnachten, wenn die mieterin wieder weg ist und kein besuch mehr kommt, und vertraue auf den schutz meiner 3 impfungen. weiterhin täglich testen. drücken sie mir die daumen.

absurder umgang mit corona. dazu das gefühl, dass die meisten dramatischen gefühlslagen nachvollziehbar sind, umso weniger verstehe ich es, warum man bei so hochsensiblen und existentiellen sorgen nicht die wissenschaft entscheiden lässt. es wäre so einfach. es gibt richtigen und falschen umgang mit der pandemie, jetzt mal angenommen, man will sie beenden. meiner wahrnehmung nach werden die entscheidungen über den umgang mit corona dem/der einzelnen überlassen, die dann nur noch reagieren können. der leitung von krankenhäusern oder von schulen oder betrieben. die pandemie läuft halt so vor sich hin.

die wohnung ist kaum geschmückt, kein drive dafür da. eine nichte ist zu besuch, also gibt es einen adventskalender, aber keine sterne mehr am fenster, keinen beleuchteten schnickschnack, der irgendwie für sich stehen würde, dem in meiner stimmung nichts entspricht. nehme mir vor, weihnachtsgefühle zu entwickeln, wie etwas, das sich so gehört, kann mich eventuell auf meine sentimentalität verlassen. mal schauen, ob ein funken springt.

kanal dicht

wir hören wie jeden herbst wieder mehr musik, aus dem kosmos der irdenen, soma-nahen, eigentlich ein bisschen zu zugänglichen stücke. gemerkt, dass fast alle meine playlists aus denselben songs bestehen, vielleicht insgesamt 200 oder so, die playlists getrennt nach genre (klassik, rock/folk, jazz) und stimmungen. jemand schrieb auf twitter, dass ihm an den berliner taxis die songs im radio gut gefallen, die er alle kennt, weil sie aus den 70iger/80iger jahren stammen.

vielleicht höre ich auch deswegen so gerne jazz, weil da der wiedererkennungsfaktor nicht so leicht zu haben ist. überlegt, die anderen ca. 40gb zu löschen, weil ich sie ja eh nie höre, aber ich habe noch genug platz auf meiner riesigen festplatte, weil die zeiten des speichermangels noch nicht so lang zurückliegen. jetzt werden die leute ja in abos bewegt, naja nee, gedrängt eigentlich, das eigentum bleibt beim hersteller oder vertreiber.

ich habe sogar noch ein paar platten. kassetten nur noch 5, die hinters regal gerutscht sind, videokassetten keine mehr. cds habe ich zuletzt nur aus fantum gekauft, sonst nur digitales.

wieder dran gedacht, weil auf netflix die letzte star-trek-serie gelöscht wurde. wenn ich sie nochmal sehen möchte, muss ich sie wie früher kaufen, bzw. dauerleihen. halte ich für eine frechheit, das angebot ohne vorankündigung zu meinem nachteil zu ändern, auf diese in der sekunde des aufbegehrens wieder zurückgenommene, weil vollkommen sinnlose und schon deshalb alberne weise. ich habe keine stimme in der sache, die entscheidung ist rein finanziell, nicht am kunden orientiert, der wird nicht gefragt. auch interessant, dass die gleichgültigkeit gegenüber einzelnen filmen, songs, texten beim endnutzer vorausgesetzt wird, wenn der anbieter so damit umgeht, genau wie immer vom geschmack des einzelnen auf den der masse verwiesen wird, „nr. 1 heute“, „die 10 beliebtesten filme heute“, nur dass über der masse noch das kapital steht. wobei, ich hätte mir den kram ja downloaden können, weil ich ja aus der festplatten-generation komme. gna.

man sollte einfach alles kündigen.

come in from the cold

in den letzten tagen einer freundin beim umzug geholfen, kisten um kisten gepackt, den übergang von etwas vertrautem in etwas leeres herbeigeführt, wie dabei möbel und dinge am letzten tag die kategorien wechseln, vom grauen lieblingssofa mit parties, abenden mit strickzeug oder tv oder den freunden und der katze zu 4 einzeln einschweißbaren elementen werden, mit katzenhaaren drauf. die wohnung sieht kleiner aus. die möbelpacker waren sehr hinreißend, rücksichtsvoll und freundlich und unglaublich stark. unglaublich. breite schultern etc., leichter gang, treppen rauf und runter mit drei kisten hinten auf dem rücken, auch die drei, auf die ich „schwer“ geschrieben habe. sie wirken so, als könnten sie den job noch in jahrzehnten machen, oder vielleicht mal atlas ablösen. profis.

die dicke mitchell-biographie ist voll mit geschichten über ihre songs, wie und für wen sie geschrieben wurden, oder aus welcher situation heraus. ich wusste nicht, dass sie auch im nichtmusikalischen teil des lebens so hochintelligent, schnell und lustig ist, und so selbstverständlich eigen. sehr schönes buch, wenn man sie mag, dicht, detailliert. vollständig sein, wenn das genie schon nicht zu fassen ist. bin gespannt, ob meine lieblinsgsongs nach lektüre andere sein werden. es werden auf jeden fall mehr.

„ich regel mich da raus“ sagte heute eine freundin im gespräch über geschichten. wir wissen nicht genau, was wir wollen, und glauben, das wissen zu müssen, und dann regeln wir uns raus, und übersehen dabei die zartheiten, weil sie klein sind, und die nähe, weil sie keinen namen hat, und wie schön diese umarmung doch war, eigentlich, gehalten im jetzt.

<3 bibs und abos

wollte gestern diesen text über den b***-redakteur im spiegel lesen, bin aber nicht über die paywall gekommen, die zahlung des probeabos ging auch nicht, also aufgegeben. dass diese zeitungen keine mikropayments hinkriegen! selbst die taz schafft das. diese angebote sind sowas von vorgestrig, ich möchte in spiegel, zeit und tagesspiegel herumschmökern, ohne mir 3 abos leisten zu müssen. mir fehlt eine plattform, die zugang zu allen für einen betrag unter meinetwegen 20€ anbietet, oder gibts das schon?* bis dahin lese ich eben nur die nyt (12€ mtl.) und die repubblica (6€ mtl.). ich lese sowieso nicht mehr so datumsgebunden, sondern nach anderen kriterien, bei der nyt zb über deren app zuerst die „most popular“-artikel, nach dem ersten bleibe ich vielleicht ein bisschen beim thema und klicke auf die vorgeschlagenen texte dazu, oder ich schaue auf die anderen tageshits, oder ich vertiefe ein thema und gucke bei science oder politics oder books, bis mir langweilig wird oder ich los muss. die titelseite habe ich bis dahin noch kein mal gesehen, schaue meistens irgendwann im lauf des tages mal drauf, aber das ist nicht zentral. niemand braucht online eine ganze tageszeitung, das ist bedauerlich, aber man könnte den leser ja auch leiten und ihm etwas anbieten, die vorteile beim netzlesen ausbauen, statt wie der olle august immer nur die ganze zeitungsrolle zu schwingen, alles oder nichts! nimm es oder lass es! das gibts vielleicht noch bei beziehungen, bei freundschaften ist es schon divers, die freundin fürs theater, den freund für die kunst, fürs spazierengehen, fürs reden über kinder, oder über bücher, oder. wobei halt, die nyt liebe ich wirklich wie keine sonst! das ist mehr beziehung als freundschaft. die lassen mich sein, und ich habe da auch noch ein extra abos für rezepte abgeschlossen, das rätsel-abo trau ich mir noch nicht zu, aber es ist alles bezahlbar und nachvollziehbar. ich glaube, die einzigen, die sich in deutschland für die vorlieben der leserin interessieren, sind die cookiehändler.

*edit: gibt es. der bibliotheken-zugang bietet viel mehr als erwartet, auch der spiegel-text ist über die genios-suchseite zu finden. mit dem pressreader, auch da kann man sich mit der berliner bibliothekskarte anmelden, gibt es zeitschriften und zeitungen aus der ganzen welt zu lesen. für 10€ im jahr. sehr tolles angebot.

eine freundin erzählte mir dann, dass man in berlin über die seite der öffentlichen (berliner) bibliotheken auch zugang zu einigen zeitschriften erhält, unter anderem dem spiegel. ich dachte prima, da wolltest du doch eh mal wieder hin, seit diesem offenen brief von einem haufen schriftsteller*innen, in dem zumindest missverständlich gegen bibliotheken gewettert wurde. stadtbibliothekskarte nicht mehr gefunden. online anmeldung versucht, das ging aber ohne die ausweisnummer nicht, ich solle zu meiner bibliothek gehen. googeln ergab, dass die längst geschlossen worden ist, genau wie die schöne kinderbibliothek hier in meinem kiez, bei der ich mit den jungs früher so oft war, es scheint, in berlin muss keiner gegen die bibliotheken argumentieren, die sterben auch von alleine aus. also habe ich heute eine hunderunde zur nächsten öffentlichen bib gemacht. sie hatten mich im rechner, weil ich ihnen seit anno tobak noch ein paar euro schuldig war, sonst wäre der account geschlossen worden, wie mir die mitarbeiterin sagte, und ich durfte mir eine neue karte in meiner lieblingsfarbe aussuchen, sehr erfreulich. eine schöne, große, luftige bibliothek, am wasserturmplatz, gehen sie da ruhig mal hin. sie haben auch ein blog. beim rundgang ein buch vom letzten jahr gefunden, von dem ich erstaunlicherweise nichts mitbekommen habe, obwohl es in meinem lieblingsverlag erschienen ist. gleich ausgeliehen, mit bisschen schlechtem gewissen, das ich ohne diese schräge fair-lesen-aktion nie gehabt hätte, weil bibliotheken eins der wichtigsten kulturellen angebote überhaupt sind, echt, was ist mit den leuten? aber ich hätte es eh nicht gekauft, es ist zu dick, ich hab keinen platz mehr für dicke bücher, und so wie ich es verstanden habe, sind die bibs keine konkurrenz zum privatkäufer, sondern teil des marktes. ich weiß nicht, ob dieses buch in der bibliothek außer mir noch andere leute vom kaufen abgehalten hat, es gibt leider keine tabelle mit vorherigen ausleihen mehr hinten drin, wie früher. ohne bibliothek hätte ich das buch wahrscheinlich nur an- und nicht richtig gelesen, mal schauen, ob ich ein buch mit leihfrist schneller lesen werde als die anderen drei auf dem nachtisch, sonst hat nur das teilgelesene auf dem reader noch eine deadline (lesegruppentermin), also hmm.

buch von maria popova, gefunden in der bibliothek

ein buch gefunden, dass mir ohne twitter gar nicht aufgefallen wäre, aber nicht ausgeliehen.

wie sich zeigt, ist der aktuelle spiegel noch nicht über die vöbb -seite verfügbar, mal schauen, ob mich das thema nächste woche noch interessiert, könnte sein, dass nicht. jedenfalls hatten die beiden toptwitterthemen einen positiven einfluss auf meine tagesgestaltung. netz wirkt.

kw 40

am letzten wochenende 2. reise seit corona gemacht. die erste war nach italien im letzten sommer, dieses jahr bin ich nicht nach italien gefahren, eher aus finanziellen denn aus anderen gründen. es fehlt mir, aber ich bin so oft da, ich kann es mir gut genug vorstellen, inclusive licht, hitze, luft, ich habe jede situation als 3d-erlebnis im kopf. jetzt bin ich auf den 60. einer besten freundin gefahren, den zweiten im freundeskreis, es geht lohos! die party fand in baden württemberg statt, weil da einer ihrer zuhause-punkte aus der kindheit ist, sie ist sehr oft umgezogen in ihrem berufsleben. ein tag im auto hin, ein tag party, ein tag im auto zurück, sehr intensiv.

schloss lichtenstein

es gibt dort unten eine art märchenschloss, im 19.jh als mittelalterliche ritterburg auf den ruinen einer mittelalterlichen ritterburg erbaut, zu dem ich einen kurzen ausflug gemacht habe, auf einem berg stehend, mit sensationellem ausblick übers weite, hügelige und dicht bewaldete land, vielen türmchen und zinnen und einem tiefen felsenriff darunter. das war wirklich strange. die burg ist anscheinend berühmt und war schon morgens um 10 gut besucht, darunter viele menschen mit ernsthaften kameras. ich sollte vielleicht mehr in deutschland herumreisen.

das fest fand in einer idyllisch gelegenen waldorf-schule statt, in 3g-modus mit extra test vor eintritt, geschlafen haben wir in einem atelier, das wie ein wohnraum wirkte. eine band und zwei frauen haben uns zum tanzen gebracht mit so etwas wie einer komplizierten polonaise und einigen wilden volkstänzen, zuletzt wurde a. in die mitte auf einen stuhl gesetzt, die gäste sind mit kerzen im wiegeschritt zu einer getragenen melodie um sie herumgegangen, in einem großen kreis. fanden alle schön, es war vollkommen ungroßstädtisch, aber innig auf eine selbstverständliche weise. musste schon bei der polonaise meine coolness abstellen, hat geklappt, habe sie nicht weiter vermisst in der nacht. eine gute idee war auch, alle gäste in der reihenfolge ihres kennenlernens der gastgeberin aufzustellen und sie die geschichte dazu erzählen zu lassen, die reihenfolge mussten wir dabei selber herausfinden. freund f. hat ein plinplong-konzert gegeben, zur allgemeinen erbauung. er hat das plingplong mit dem fahrrad mitgebracht, obwohl er im nördlichen bayern zuhause ist. es wurde gegessen und getanzt und geredet, um 2 im bett. die rückfahrt mit einer freundin und dem geburtstagskind, schön viel zeit zum reden und plaudern. tag danach platt gewesen.

ein mensch konnte nicht teilnehmen, weil ungeimpft und erkrankt, alle anderen waren geimpft. in meinem freundes- und bekanntenkreis sind eigentlich alle ganz selbstverständlich geimpft, aber es gibt bei jedem ein oder zwei leute im oft sehr nahen umfeld, die für alle überraschend zum covidleugner oder vaccinophobiker mutiert sind, und diese haltung mit großem fervor vertreten. ich finde da beides interessant, die antiaufklärerische und wissenschaftsfeindliche haltung bei klugen leuten, genauso wie den mitteilungseifer und die felsenfeste überzeugung, beides ist mir bisher noch nirgendwo begegnet. gestern mit einem freund geredet, der glaubt, die impfungen sollen die bevölkerung reduzieren. wir kennen uns lange, wir mögen uns, wir beide wollten kommunizieren. er hat eine harte zeit gerade, weil er als impfgegner fast alle anderen als feindselig erlebt, dabei ist seine angst genuin und tiefempfunden, sie ist nicht zu entkräften, nicht mit argumenten, es gibt zu jedem wissenschaftlichen argument einen youtubefilm, der das gegenteil behauptet, und es gibt vor allem viel mehr youtube-kram als argumente, die ja immer auf einfachen und klaren prinzipien wie naturgesetzen und sowas beruhen, wenn man die nicht glaubt, nun ja. macht wenig sinn, da weiter zu reden, das schöne war, das hat er auch gemerkt und gesagt, er will nicht monologisieren, will die trennung und das trennende nicht, sondern übers fühlen und die liebe im gespräch bleiben, aber es klang ein bisschen so wie ein ertrinkender, der ein rettungsboot finden muss. dann hat er weitergesprochen, und ich hab endlich verstanden, was ich bisher nicht sehen konnte: die staatlichen regelungen triggern bei ihm die erlebnisse seiner jugend in der ddr auf eine massive weise, die machtlosigkeit, das ausgeliefertsein, die angst davor, ins gefängnis zu kommen, wenn er so lebt, wie er es möchte. er erzählt, wie ihm nach dem mauerfall ein stein vom herzen gefallen ist, weil er nicht mehr in den knast muss. ich versuche, seine angst vor einer neuen diktatur zu entkräften, komme aber auch hier mit argumenten nicht weiter. wenn ich sage „die haben leute erschossen“ sagt er: „die impfung tötet“, und der hinweis aufs ausreiseverbot bringt natürlich auch nichts, weil jetzt ja auch keiner mehr reisen darf, dann sage ich: „das stimmt nicht, du kannst wieder reisen, musst nur ein paar regeln beachten“, sagt er: „ja, ich soll mich impfen lassen“. seine wahrnehmung hat ihn in einen käfig gesetzt. es geht nicht um argumente, es geht um seine bare necessities, er ist wirklich in einem anderen film als ich. er lebt in einer dystopie, bei der gerade die ausgänge verschlossen werden, ich lebe in der brd und bin tiefenentspannt, was den schutz unserer verfassung angeht. „ich habe es überlebt“, sagt er ein paarmal, das hilft ihm aus der angst heraus, „ich werde es wieder überleben“. ich habe ihm zugehört und herz und seele geöffnet, wie er es vorgeschlagen hat, konnte mitfühlen, habe etwas nachvollziehen können, glaube verstanden zu haben, dass er eventuell an einer form von ptsd leidet. ich weiß natürlich nicht, wie es in der ddr war, und es ist anmaßend, zu sagen: ich kann es mir vorstellen. das kann ich nicht. aber ich wurde an meine privilegien erinnert.

die corona-warnapp hat mir zum ersten mal die rote karte gezeigt, ich möge zuhause bleiben und abstand halten. selbsttest gemacht, negativ, gemerkt, dass ich inzwischen schon mit einem impfdurchbruch rechne, irgendwann, und dass es mir keine angst mehr macht. bekomme einen booster im november, es wird danach wohl jährliche neue impfungen geben wie bei der grippe. wir werden sehen.

jetzt noch den bare-necessities-ohrwurm wieder wegkriegen.

pollesch: aufstieg und fall eines vorhangs

die volksbühne ist wieder offen, ihr neues logo ist eine grobpixelige und knallbunte darstellung des alten logos, das es ja nicht mehr gibt, auf dem platz vorm theater steht jetzt ein zirkuszelt, gestern war es zu, aber es steht als zusätzlicher veranstaltungsort im programm. der zirkus vielleicht auch als sehnsuchtsort, wo die illusionen noch tragen, die wünsche einfach sind, wuttkes kostüm ist eine gute mischung aus zirkusdirektor und theaterpunk mit totenkopf-shirt. und ich sitze mit freundin a. oben im rang, die plätze neben uns sind mit bändern hochgebunden, wenn man nicht aus dem selben haushalt kommt, echt aufwändige vorbereitung. wir machen die bänder auf.

martin wuttke und katrin angerer auf der bühne, sie spielen mit theaterformen, das publikum im raum als ein freies element, von den schauspielern mal dargestellt, mal umworben. in der ersten szene sehen wir angerer und wuttke als regisseur und schauspieler (glaube ich, es war kein klares bild), wie sie einen kartentrick ausführen wollen, miteinander und also mit uns, dann zieht wuttke immer die falschen karten (aus einem programmzetttel: „also kommen sie, ziehen sie eine karte! … nein! das ist mein rezept für dingsda. sie vertun sich aber auch ständig. sie sollen doch eine karte ziehn.“) das ist ziemlich lustig und sehr pollesch. die szene endet mit einer waffe, aber es stirbt keiner. die vier personen auf der bühne (susanne bredehöft und margarita breitkreiz sind die anderen beiden) zeigen uns durch den abend immer wieder die instrumente, die dialoge sind schnell und wechseln mühelos die ebenen, ernst, albern, oder „kubistisch“; wie wuttke einmal ruft, als 3d-figur zusammengesetzt aus meinetwegen rolle, schauspieler und theatertheorie, alle ebenen gleichzeitig. ich weiß es aber nicht genau, wer jetzt gerade als was auftritt, es ist auch nicht entscheidend, alles fließt, wie bei pirandellos 6 figuren, die einen autor suchen, aber das ist halt 21. jh., da steht das ganze theater auf dem spiel, mit im spiel, und es ist nicht mehr klar zu verstehen, was wir voneinander wollen können, publikum und theater, da können sich die theaterleute noch so anstrengen, und dann gibt es doch nur aber immerhin zaubern sie uns ein kaninchen aus dem hut, dargestellt durch einen riesigen echten weißen hasen, der ein paar schritte auf der bühne machen durfte.

viel text, den ich hoffentlich irgendwo nachlesen kann, oder ich geh halt nochmal rein. auf dem programmzettel steht sekundärliteratur, aber da bin ich klassisch orientiert, nach dem stück ist das stück vorbei.

mitten im geschehen der bühnenvorhang, aber als federleichte, leuchtend orangene version seiner selbst, die grenze zwischen uns und dem theater ist beweglich und bei pollesch tanzt sie mit den schauspielern, deckt sie zu, liegt wie ein multidimensionales und bewegliches objekt mal vor, mal hinter, mal auf den menschen auf der bühne. in einer szene zwingt angerer als dompteuse den vorhang in die höhe, um die bühne freizugeben, mit so einer art psychedelischer peitsche aus dem gymnastikkurs, das war mein liebstes bild.

am ende gab es noch einen epilog von wuttke, da hab ich leider nicht mehr richtig aufgepasst, aber es ist keiner gestorben, anders als bei pirandello, wo am ende alle auseinanderlaufen und nichts mehr mit dem theater zu tun haben wollen. großes yeah-gefühl bei der freundin und mir, es geht weiter, es gibt wieder spannendes theater, wir dürfen schauen und denken und bisschen glücklicher nach hause gehen.

der rest ist musik

neulich beim lcb-fest die freude über diese art von berlin verspürt, mit büchern, menschen, zuhören und reden, sehen und gesehen werden. der herbst bleibt hoffentlich weiterhin so offen, der ganze kulturelle alltag hat wahnsinnig gefehlt im viel zu langen letzten jahr, in dem man sich so von spaziergang zu spaziergang schleppt, und am ende nicht mal mehr über kultur redet, also wir nicht, die anderen bestimmt alle, aber wir eher nicht, es gab höchstens mal ein oder zwei empfehlungen, aber alles für sachen aus dem vorletzten jahrhundert.

zur ersten lesung nach corona bin ich ende august mit einer freundin ins pfefferwerk gegangen und habe manfred maurenbrecher und jim rakete zugehört, wie sie sich döntjes aus den achtzigern erzählen und maurenbrechers neues buch „der rest ist mut“ vorstellen, „übers liedermachen in den achtzigern“. die beiden sind sich im studio bei maurenbrechers erster plattenaufnahme über den weg gelaufen, beide in den ersten jahren eines lebens mit, von und für die musik, jeder auf eigenen wegen ins große netzwerk. maurenbrecher hat nach seiner promotion gemerkt, dass er doch eher auf die bühne gehört, hat lieder geschrieben und sich eine band gesucht. ich weiß nicht, ob das früher einfacher oder schwieriger war, es liest sich so, als hätte der wunsch schon fast gereicht, und das einfach machen, dann kennt der den, und die passenden leute finden sich auf parties, bei konzerten, in studios und an den vielen orten, die berlin dafür bietet, zumindest in den achtzigern geboten hat. aber es hilft sicher, so genuin dafür begabt zu sein.

mochte es, wie bei dem ganzen wilden leben mit tourneen und tv-auftritten und wirklich sehr vielen leuten, von denen man manche sogar noch kennt, es ist ja auch erst 40 jahre her, 40 kleine glitzernde perlen in der lebenskette, wir legen sie uns einfach mehrfach um den hals, das war gefühlt gestern – also: wie im buch ganz viel ruhe bleibt, um zb über die liebe zu schreiben, ganz zurückhaltend, und wie sie ihren weg in manche lieder gefunden hat. hab gern über die entstehung einzelner lieder gelesen, herr maurenbrecher hat sie mal allein, mal mit anderen geschrieben, ein geben und nehmen, finde es faszinierend, wie selbstverständlich das bei einem klingt, der eben zuhause ist im liedermachen. und wie es von den einfällen dann weitergeht in die konzentration und sorgfalt beim zuendeschreiben.

das ganze buch liest sich sehr organisch, wie mitgeschrieben, als würde es gerade jetzt geschehen, oder grade erst gestern, jede seite neu, bei jedem konzert ist wieder alles offen, ob es gelingt, ob die leute es mögen und sich freuen, oder ob nur ein paar kommen, und wie sich über serendipity und andauerndes musikmachen und -schreiben ein richtiges lebenswerk entwickelt.

beim lesen ist die freude darüber spürbar, es ist außerdem ein sehr kluges und freundliches buch geworden, auf eine altmodische art freundlich. die achtziger wirken darin wie ein abgeschlossener kosmos, in dem die mauer noch für immer stand, bis zu dem moment, wo sie eben nicht mehr stand, dann hört das buch auch auf, obwohl ich grad so schön drin war in den geschichten übers musikmachen. gern gelesen.