16 august 2022, lago

noch in der ausatmen-phase. am vorletzten arbeitstag musste ich wg diabetesdingen freinehmen, dabei gemerkt, dass mein insulin nicht mehr lieferbar ist, sehr unangenehmes erlebnis. musste zur ärztin, die mir eine andere marke verschrieben hat, angeblich identisch in der zusammensetzung. habe gleich 3 packungen geholt. am nächsten tag nach der arbeit noch gepackt, samstag früh nach münchen, kein vergnügen, überall baustellen und sehr viel verkehr. bei der tante wie immer sehr gastfreundlich aufgenommen worden, weißwürste bekommen, gutes bier, familiengeschichten geupdatet. sie erzählt, wie sie (sie ist die cousine meines vaters) mit ihrer familie in hermannstadt am sonntäglichen mittagstisch saß, als meine geburt per telegramm mitgeteilt wurde. „es ist ein mädchen!“. daran gedacht, als croco auf twitter die geschichte ihrer geburt erzählt hat, sehr dramatisch. meine geburt ist für die nächste generation so lange her wie für mich die meiner eltern in den dreissigern, also frühe vorgeschichte, details wie das telegramm (oder der große kreissaal wie bei croco) helfen dabei, die länge der zeitschiene wahrzunehmen.

habe meinen fotoapparat und eine gitarre mitgenommen, mal schauen. kamera habe ich schon benutzt, gitarre geht noch nicht, bin bei ankunft direkt beim ersten gepäckhochtragen auf der steintreppe hingefallen und muss jetzt eine weile daumen schonen. alles bisschen viel, und man wird nicht jünger, hab das auch auf der gesamten, eigentlich sehr geliebten strecke durch die schweiz gemerkt, war nicht in der gegenwart, nur alte stressfilme im kopf, wie wenn beim abfluss leerpumpen erstmal der müll hochkommt. jetzt ist das vorbei, noch nicht die erholsame langeweile, aber innen wird es ruhiger. gedacht, kein job sollte so anstrengend sein, dass man danach völlig erledigt ist. in meinen was-wäre-wenn überlegungen stelle ich mir gelegentlich die frage, ob ich ohne finanzielle notwendigkeit weiter so arbeiten würde, so als kriterium, ob der job gut ist oder nicht. grade ist es ein lautes hmm. aber nützt ja nüscht.

heut um 8:30 auf dem dach der coop parkplatz gefunden, das ist immer schwer am markttag. schüsseln nachgekauft, im buchladen bücher, eins von carofiglio, hurra! möge er weiterhin eins pro jahr veröffentlichen, und einen krimi, mal schauen, mal sehen. noch bin ich in der agatha-christie-phase meiner ankunft, die ollen zerfledderten bände, die mich jedes jahr behutsam und in sicherheit aus dem alltag herausbegleiten. zeitungen gab es immer noch keine, weil gestern ferragosto war. auf dem markt nur ein ganz paar ffp2-masken gesehen, ein paar ältere beim abholen im auto, im supermarkt trägt niemand eine, habe meine auch am arm vergessen.

seit jahrzehnten zum ersten mal alleine am see, bisher war immer mindestens emma dabei. genieße es, der hund fehlt natürlich, aber der eigene rhythmus ist so leichter wiederzufinden. übermorgen kommt der g.-zwilling für ein paar tage, und egal wie richtig und toll und superig das alleinsein ist, wenn ein kind kommt, ist das weggewischt, als wäre es nichts, und nur noch freude ist da, in jeder zelle. vorgenommen, dieses jahr wieder kontakt aufzunehmen zu den tollen leuten, die ich hier noch kenne. es gibt theater und kunst im seesommer, und lustige neubauten am stadtrand.

so, und jetzt erstmal an den strand.

zwillingsbesuche

endlich mal die zwillinge besucht. in den anderthalb jahren, seitdem sie ausgezogen sind, haben sie sich aus jeder besuchsanfrage meinerseits so herausgehmmst (geht grad nicht, festival, lernen, eh nicht da, jobs, irgendwas war immer). bin erst jetzt auf die idee gekommen, es anders zu machen. ich habe ihnen einfach gesagt, ich komme am samstag um soundsoviel uhr.

gestern war ich in halle beim d.-zwilling. ich hatte vorurteile gegen die stadt, das haben alle, wie mir der d. bestätigt. ich werde vom bahnhof abgeholt, das mag ich sehr, wir laufen direkt los. wenn man in halle ankommt, muss man an den gleisen erstmal durch eine sehr lustige rundegebaute unterführung unter diversen strassen, an den wänden oben die berühmten menschen der stadt, darunter spielcasinos, dann geht es gleich in die altstadt weiter, die wunderschön ist, die stadt ist im krieg heilgeblieben („sie haben sich wohl gleich ergeben“, sagt der d., darum wurde nicht bombardiert), es gibt viele kettengeschäfte, aber auch kleine etwas abgeblättert wirkende einzelhändler, trödler, imbisse, aber auch instrumente, bücher, tattoos, und schuhläden. so erfahre ich von einer hallenser schuhhändlerin, dass ich gar keine 39 1/2 trage, sondern eine klare 41, wie man mit leichtigkeit der cm-angabe entnehmen kann, die in jedem halbschuh unter der zunge steht. jedenfalls gab es auch keine 41 bei den sneakern, die ich haben wollte, also in einem tick zu kurzen schuhen weiter (internetkauf, „passt doch fast“). der d. hat mich dann zur saale gebracht, wo wir durch den riesigen heinrich-heine-park gelaufen sind und einen kaffee direkt am fluss getrunken haben, in liegestühlen vor einer bootsanlegestelle, sehr idyllisch. dann weiter am fluss lang, bis zu einem hohen kletterfelsen, genannt heinrich-heine-felsen oder lehmann-felsen, wohl nach der hallenser bankiersfamilie lehmann. wir sind über einen haufen treppenstufen hochgekommen, oben hat man einen sagenhaften blick über die ganze stadt, es war richtiges augustwetter, tiefblauer himmel mit schäfchenwolken. es gibt eine sehr große wiese mit einer trauerweide und einem see, treffpunkt für liebende, wobei es in halle echt eine große auswahl romantischer orte gibt, die strassen sind verwinkelt und hügelig. völlig anders als erwartet. dann sind wir durch den großen park zurück in die stadt abgestiegen und dann in seine wohngegend gelaufen, auch alles altbau, er wohnt in einem frisch sanierten eher prächtigen gebäude, ziegel, abgeschliffenes holz, oberster stock, darüber ein großes, „etwas staubiges“, nicht ausgebautes dach, wo ein pingpong-tisch steht und parties stattfinden können, alles für unter 300euro pro person. in der küche ein wasser und eine mitbewohnerin, vwl-studentin, die am nächsten tag für ein paar monate nach berkeley geht, ihr vater ist auch grade da und holt sie ab, eltern – highfive haben wir verpasst leider. sie erzählt von den groben kürzungen, die zur abwicklung mehrerer studiengänge führen werden, unter anderem lehrt in halle die deutschlandweit einzige professorin für armenische studien, auch ihr institut soll geschlossen werden (wenn ich das richtig verstanden habe, korrigiert mich bitte). ein unding. d. meint, halle steht der durchbruch als unistadt unmittelbar bevor, es ist alles bezahlbar, es gibt viele bibliotheken, die jura-bib hat ein modernes design mit einer großzügigen treppenlandschaft, direkt neben dem alten hauptgebäude der mlu, es gibt clubs und kneipen, leipzig ist nur 20 minuten mit der s-bahn entfernt. d. hatte sich auch in leipzig beworben, ist dann aber in halle gelandet, das geht wohl vielen so, ich finde ja diesen totalen mangel an wahlfreiheit beim studienort eigentlich eine übergriffige frechheit, aber halle zumindest profitiert davon. wenn es sich seine vorteile nicht selber wegamputiert.

es gibt auch einen stadtteil mit der platte, die ich mit halle verbunden hatte, die südtstadt, da gehen die studies aber nicht so hin, das ist kein gutes pflaster dort, erzählt d. auf twitter lerne ich, dass die neubauten der ddr-zeit in eine komplette stadt umgemeindet wurden, halle neustadt, und richtig gibt es auch kaum berührungspunkte, wenn man durch die altstadt läuft. schon strange.

in der küche, mit blick auf ziegeldächer, kommt dann langsam hunger auf beim nachwuchs, wir gehen essen, asiatisch, mitten im zentrum irgendwo, sehr lecker, sehr viel, wie früher gehen die teller blitzeblank gefuttert zurück („isst du das noch?“). genieße das plaudern und sprechen mit dem sohn sehr, er ist mir so ähnlich, ich erkenne vieles wieder und bin vorsichtig, weil die projektion ja nah ist bei sowas. er ist auf dem weg, das freut mich. grade macht er noch seinen bufdi beim umweltamt zu ende, steht im sommer vor fünf auf, um nach merseburg zu kommen, richtig ein vollzeitjob, er sagt, er mag die struktur, die ihm das bietet. im oktober gehts dann an der uni weiter. dann bringt er mich wieder zum zug, die heimfahrt wird bisschen chaotisch, weil die züge sehr voll sind. ich bin erst um halb 12 im bett und einigermaßen erledigt, werfe heute als erstes alle etwas zu kleinen schuhe weg und bestelle in größe 41.

am samstag davor holt mich der g.-zwilling vom bahnhof in magdeburg ab, wir laufen ein bisschen herum (die stadt kenne ich schon), er zeigt mir seine wg, eine altbauwohnung im 4. stock, viele zimmer, wenig miete, es ist bei den zwillingen noch genauso studiartig wie zu meiner zeit, das freut mich sehr, in berlin geht das nicht mehr, die preise sind doppelt so hoch inzwischen. andrerseits ging es auch in den achtzigern schon nicht überall, in münchen war auch damals schon nichts zu finden, wie mir wieder einfällt, da wollte ich erst hin, fand dann keine unterkunft und bin wo anders gelandet, wo ich erst nicht hinwollte. es war dann sehr okay dort, es waren alles keine so großen entscheidungen, falls ich das nicht falsch erinnere, ich war ein bisschen enttäuscht, aber hatte keine klaren eigenen vorstellungen, weil ich ja keine ahnung hatte, wie das leben alleine überhaupt ist.

in g.s küche bekomme ich ein wasser und eine extrem leckere tomate vom balkon, plaudere mit einer mitbewohnerin, medizinstudentin, die wände sind voller fotos und plakate, wie es sich gehört. g. erzählt, was er so macht, er will im herbst für ein paar wochen oder monate nach chile, wo er überraschenderweise verwandte hat, von denen keiner was wusste, ein großonkel ist vor jahrzehnten ausgewandert und hat dort familie gegründet, die wird er besuchen, und dann herumreisen. er wollte das nach dem abi machen, hatte ein flugticket nach südafrika, wo eine freundin vom ihm ein praktikum machte, dann kam am tag vor dem abflug corona dazwischen. jetzt endlich klappt es hoffentlich, drücken sie ihm die daumen bitte! bei ihm ist die klausurenphase dieses semester vorbei, er hat in einer mathe-klausur die beste arbeit geschrieben, erzählt er ganz nebenbei, und relativiert gleich, aber das beachte ich nicht, sondern freue mich. von mir hat er das nicht. ich trinke noch einen kaffee mit einer guten freundin, g. kommt dazu, nach einer weile hat er hunger und führt mich zu einem asiatischen restaurant, sehr sehr lecker, beide jungs haben da einen ähnlich sicheren geschmack. danach bringt er mich zum zug, gegen 19 uhr fahre ich zurück nach berlin.

es scheint einen ablauf für elternbesuche zu geben, fällt mir auf, beide haben mir ihre wgs vorgestellt, ein schönes cafè ausgesucht, eine stadtrunde, ein restaurant. beide haben mich vom bahnhof abgeholt und wieder hingebracht, das mochte ich sehr. beim großen damals war es genauso, erschwert nur dadurch, dass ich solang geblieben bin, weil trier so weit weg ist.

9. juli 2022

d.-zwilling ist mit seiner freundin in ein paar tagen von münchen bis an den lago gefahren, auf einem rennrad aus dem keller der freundin. er wehrt meine bewunderung ab, war gar nicht so schlimm, bis auf diesen einen pass, dessen namen ihm nicht gleich einfällt, etwas mit ügen, sagt er, die freundin im hintergrund: splügen. ich war dagegen, weil er grade corona überstanden hatte, sie haben getestet, ob es geht, indem sie einen 30km-ausflug ins berliner umland gemacht haben. sonst kein training. ja. jugend ist zwar eine andere dimension, aber sie sind weitergefahren auf dem splügenpass, bis sie oben waren, das ist nicht nur jugend.

(wie der d.-zwilling mich mal um viel geld gebracht hat, als wir eltern runden zahlen sollten, für einen spendenlauf um die 400m bahn. das kind ist aus dem stand 12km gelaufen, auch untrainiert, dann hatte es keine lust mehr.)

sommer 1987

ich war verliebt und es war schön. der mann hieß f., ich weiß nicht mehr, wie wir zusammenkamen, weiß nicht mal mehr genau, wie lang wir zusammenwaren. ich wohnte damals als letzte mieterin in einem hinterhaus in der wrangelstr., alle anderen waren schon ausgezogen, das haus sollte renoviert oder abgerissen werden, irgendsowas. es war sommer, im winter würde ich ausziehen, denn die heizung ging schon nicht mehr. ich hatte wenig geld und einen heißhunger auf diese rosane fleischwurst aus dem supermarkt, mit muskatnuss drüber gerieben, aß das täglich, konnte gar nicht glauben, dass mir etwas so leckeres noch nicht früher eingefallen war, oder dass nicht jeder dauernd fleischwurst mit muskat haben wollte, erdbeeren waren der andere glücksbringer, ich glaube, noch nicht bei den karls-hütten, erinnere mich aber null daran, wo ich überhaupt eingekauft habe damals, außer bei bolle natürlich. bioläden gab es auch noch nicht.

ich war noch nicht lange wieder in berlin (bin hier geboren und mit 5 weggezogen) und hab auf der suche nach ärzten bei den unikliniken angefangen, hab mich bei einem arzt in der pulsklinik vorgestellt, weil es für diabetikerinnen schwierig ist, eine gute verhütung zu finden. meine periode war unregelmäßig, meistens viel zu oft, ich war genervt, alle 3 wochen ging es los, dann mal ein paar wochen gar nicht, ich wollte eine pille, weil ich damit die meisten probleme los werden würde. der arzt klärte mich auf, dass die pille bei typ einsern nicht ratsam sei, das würde er nicht machen, er sagt mir, ich würde sowieso nicht schwanger werden können mit meinem kurzen zyklus, ich sollte mich wieder melden, wenn ich ein kind wolle, weil dann müsste man was machen. okay, dachte ich, war erleichtert und dachte nicht mehr weiter drüber nach, wurde erst mißtrauisch, als neben der muskatwurst auch der gedanke an saure gurken einen heißhungerreflex auslöste.

ich suchte mir eine frauenärztin in neukölln, stellte mich vor und ließ mich testen. bingo! noch in den ersten 12 wochen, was ich denn tun wolle, fragte sie, mit dem diabetes sei es ja nicht so einfach. ich hatte ein paar jahre vorher von einer ärztin gehört, ich solle lieber keine kinder bekommen, weil „was sollen ihre kinder mit einer blinden mutter?“, hatte diesen satz betrauert und beschlossen, mich nicht danach zu richten. trotzdem wollte ich mit 22 kein kind. der mann, der eigentlich, wie mir ein freund mitgeteilt hatte, total gegen abtreibungen war, wollte auch kein kind, oder keins mit mir, zumindest nicht dieses kind. die ärztin schickte mich ins krankenhaus neukölln, ich weiß gar nicht mehr, ob ich vorher eine beratung hatte oder nicht, es war aber kein aufwand. das einzig wirklich unangenehme am eingriff war der arzt, der mit ein paar studenten, alle in meinem alter, in den raum kam, als ich schon auf dem stuhl lag, und fragte, ob ein paar praktikanten dabei sein könnten. ich habe nicht nein gesagt, weil ich dazu nicht in der lage war, ich war halt aufgeregt, fühlte mich aber extrem scheiße dabei. die pumpe musste ich abnehmen, hatte sehr hohe werte danach, die keinen weiter gekümmert haben. nach ein oder zwei tagen war ich wieder zu hause. ach ja, eine frau neben mir im zimmer, die einen teilweisen abbruch hatte, wo das kind nicht ganz geboren war, sehr grausam, die weinte und litt. f. kam mich besuchen, die beziehung ging ich glaube in den monaten danach auseinander, nicht wegen dem abbruch, es war einfach vorbei. der f. hat in den jahren danach noch drei kinder bekommen, sogar ein viertes, ungeplantes, das hat er mir erzählt, als ich in vor ein paar jahren mal in meinem kiez getroffen habe. wir haben glaube ich nicht mehr drüber geredet, aber hatten auch kein bedürfnis danach, ich erinnere es aber nicht mehr. es war jedenfalls eine klare entscheidung. ich denke manchmal an das kind und zähle es dazu, im stillsten kämmerlein bin ich eine frau mit 4 kindern.

als ich 2000 mit den zwillingen schwanger wurde, hatte ich riesige angst vor der schwangerschaft. die erste mit dem großen war sehr schwierig, ich bin andauernd unterzuckert, musste einen hba1c von 5 halten aus sorge vor schäden beim kind, bin umgekippt und ein paarmal im krankenhaus aufgewacht, große angst davor, dass der große schäden davontragen würde. es gab noch kein cgm, ich habe andauernd getestet, hatte eine wunderbare betreuung, auch in der pulsklinik, bei einem großartigen arzt, dr. rott, der immer genau das richtige getan und gesagt hat.

der große war anderthalb, als ich wieder schwanger wurde, es ging ihm gut, aber. meine frauenärztin (eine neue im neuen kiez) hat mir gesagt, es sei eine hochrisikoschwangerschaft, wie die erste, aber vermutlich nicht schlimmer. ich könne die schwangerschaft auch beenden, wenn ich angst hätte, ich würde sicher schnell wieder schwanger werden. ich bin dann mit dem mann zu einer beratung gefahren, das war pflicht, ich glaube, es war eine diakonische, und habe dort mit einer frau gesprochen, ich erinnere mich leider nicht an das gespräch. es lag nicht am gespräch, dass ich die kinder behalten habe, aber die totale entscheidungsfreiheit, die mir und dem mann gegeben wurde, hat mir diesen weg möglich gemacht. ich schreibe „und dem mann“, weil er dabei war die ganze zeit, aber es war zuallererst meine entscheidung, ich wäre ernsthaft gar nicht auf die idee gekommen, dass es irgendjemanden außer mir selber etwas angehen könnte. wenn der vater die kinder gewollt hätte, ich aber nicht, hätte ich mich überzeugen lassen? ich weiß nicht, was passiert wäre. das ist auch so eine sache, die frau erleben muss, mit einem kind im bauch ist alles anders, alte überzeugungen sind nicht mehr relevant, es liegen plötzlich ganz neue, unbekannte karten auf dem tisch. es verändert alles, grundlegend.

nach dem gespräch wurde es sehr schnell sehr klar, dass ein abbruch nicht in frage kommt. zwei gesunde embryos abtreiben, nur weil ich lieber nur eins hätte, mir nur eins zutraue, das war undenkbar. es waren ja wunschkinder, zwei für den preis von einem, aber ich brauchte die freiheit, die mir meine ärztin gegeben hat, ich musste auch zu dieser selbstverständlichkeit selber hinfinden. sie war nicht gegeben, sie ist nicht da, wenn es dein leben, dein körper, deine gesundheit ist, dann muss es dein ganz eigener weg zu einer entscheidung sein, dann ist selbst der moralisch eindeutig richtige weg nicht sofort zugänglich. ich bin der ärztin bis heute dankbar.

die zwillingsschwangerschaft war dann vollkommen problemlos, stabilerer blutzucker, keine schweren hypos, alles easy, ich war ein entspanntes raumschiff und habe es genossen. als hätte der körper sich inzwischen dran gewöhnt.

die neuköllner ärztin habe ich in den 2000ern noch mal beim tango getroffen, als ältere dame, im estudio sudamerica in der brunnenstrasse. ich habe sie begrüßt, mich vorgestellt, ihr von meinen kindern erzählt und mich für die unkomplizierte hilfe bedankt, die ich damals von ihr bekam. sie hat sich erinnert, und hat sich gefreut.

der staat hat bei keiner entscheidung, bei keinem dieser wege zum kind und gegen das kind irgendeine rolle gespielt. warum auch? es geht ihn nichts an. ich wäre gar nicht auf die idee gekommen, es könne ihn etwas angehen, nichts ist mir näher als mein körper, meine geschichte, meine persönlichkeit. mein kind, schon der vater ist weiter entfernt. es macht mich wirklich wütend, wie in den usa der staat diese zutiefst privaten entscheidungen übernimmt, er mischt sich ja nicht nur ein, er übernimmt sie vollkommen, über das leben von frauen und kindern, und männern ja auch. das ist zutiefst missbräuchlich und übergriffig.

der kleine kern

meine mutter ist 88 geworden, nein: wir haben ihren 88. geburtstag gefeiert, der g.- zwilling war auch dabei. nach dem essen haben wir alte fotoalben angesehen und per WA herumgeschickt, zur freude der anderen beiden jungs. sie wirkt viel leichter als früher, als könnte ein windhauch sie umwerfen, sie bewegt sich sehr langsam und traut dem boden nicht mehr. sie nimmt ihren körper als unzuverlässig wahr und klagt über die vielen stellen, die nicht mehr richtig gut werden, immer noch mit einer kindlichen empörung. sie geht vor ihrem geburtstag zum friseur und lässt ihr haar nachfärben und „legen“, in schönen grossen wellen um ihren kopf. ich möchte immer, dass sie sich mehr bewegt, ihren rollator nutzt, spazierengeht, übungen macht, aber sie will sich gar nicht mehr bewegen, es ist so schon alles abenteuer genug. ich denke, sie klagt zuviel, statt ihr leben zu geniessen, fokussiert nur auf die schlimmen folgen des alterns, statt für ihr relativ gutes befinden dankbar zu sein, sie relativiert nichts mehr, ihre wahrnehmung schließt sich um sie selber. meine andauernden ermutigungen zum weiterkommen, mehr kondition, mehr unternehmen, dabei will sie das alles nicht mehr. es soll nur nichts weh tun.

wie ich das alles sehe und verstehe und trotzdem manchmal, so zwischen außen und innen, im vorbewussten raum, immer noch ein kleiner wunsch nach mehr da ist, zu leise für eine sehnsucht, zu müde, weil die zeit ja vergeht und nichts wiederkommt. wie ihr gelegentliches „toll, wie du das alles machst“ bei mir kaum ankommt, weil ich mehr möchte, von anfang an, und wie dieser wunsch auch nur noch eine matte ungefähre erinnerung ist. ich will gar nicht mehr alles, will nicht erkannt werden, verstanden, mit all meinen lebensbedingungen, nicht ihr ganzes herz, die wege sind getrennt. das leben ist weitergegangen, wir tragen unsere ziernarben mit stolz.

kw dazu: genug kann nie genügen, schon schweigen ist betrug.

ich hoffe, ich bin meinen kindern gewachsen, aber es fühlt sich eigentlich danach an. alles gut. yeah pathos.

13. mai 2022

letzter tag meiner ersten frühdienstwoche. ich komme immer nur 5 minuten zu spät und muss dann eben schneller aufschließen, wecker klingelt früh genug für einen kaffee im bett, es ist ja schon hell und also machbar. hab mich über den frühen feierabend gefreut, ihn aber gar nicht richtig nutzen können, weil ich ziemlich ko war. abends um 21 uhr sind die tage dann vorbei. ich kann die frühdienste auch tauschen, sie sind relativ beliebt, bin noch unentschlossen.

gestern nachmittag dann noch emmas asche abgeholt. die streubox ist etwa so groß wie diese 1l-trinkflaschen, die es grad überall gibt. das tierkrematorium ist ein paar kilometer vor berlin, in einer schleife aus abfahrten und auffahrten auf die a10, ein relativ eleganter kleiner neubau mit dem schornstein, den ich nicht ansehen mag. das gebäude ist autobahnumtost. innen viel glas, beton, schwarzweißdrucke von steinen, eine freitreppe, es sieht aus, als hätte es preise gewinnen können. an einem tisch im empfangsraum sitzt ein paar und spricht mit einem mitarbeiter, der dann mit einem kleinem hundekorb weggeht, das tier darin in eine decke gewickelt. es gibt eine auffällig schön gestaltete kleine wiese neben dem gebäude, mit einem teich, schilfgras, blumen, erst auf dem heimweg fällt mir ein, dass das wohl die blumenwiese ist, wo man die asche seines tieres verstreuen (lassen) kann. der mitarbeiter sagt mir, nach dem bezahlen, ich solle ihm folgen, ich wundere mich, dass er mir die box nicht einfach über den tresen reicht, aber durch einen gang kommen wir in einen kleinen raum, wo die box auf einem tischchen steht, mit einer brennenden kerze und einer schmuckkarte. daneben ist ein sofa, ich kann da bleiben, „solange wie sie es brauchen, rufen sie mich dann einfach“. ich danke und sage, ich würde sowieso schon heulen, ich würde jetzt lieber gehen. ich bekomme die eingewickelte box in einer kleinen tragetasche mit. ich hab das krematorium eigentlich nur ausgewählt, weil es das preiswerteste war, aber die freundlichkeit und der respekt der mitarbeiter vor der trauer der tierbesitzer ist wirklich wohltuend. überall standen boxen mit taschentüchern. es hätte sogar die möglichkeit gegeben, vor der kremierung in einem raum von ihr abschied zu nehmen, aber das hab ich ja schon in der klinik gemacht. ich habe mich (natürlich) für eine einzeleinäscherung entschieden, es ist ein vertrauensvorschuss, wenn man nicht dabei ist, aber das gehört zum gehenlassen, denke ich. ich bekomme als sicherheit einen stein mit einer nummer, der liegt mit in der box, habe das prinzip aber nicht verstanden. es kostet 318 euro, soviel in etwa habe ich damals bei jack auch bezahlt. ich denke darüber nach, ob das heizkosten sind, oder gebühren, oder ob das eben der preis ist, den so etwas kostet. es ist ein drittel teurer als die einäscherung eines menschen.

ich wollte die asche eigentlich auf einer wiese im umfeld verstreuen, aber eins der kinder wünscht sich die ostsee, damit sie wirklich frei sein kann und nicht im abwasser berlins landet. ich wundere mich die ganze zeit darüber, wie wenig zugriff mein verstand auf die trauer hat, wie viel anwesenheit emma noch in meinem kopf hat, wie schwer mein bewusstsein seele und körper des hundes voneinander trennen kann, ein hund kommuniziert ja mit dem ganzen körper, alles an ihm ist irgendwie sprache, ok nee, aber doch beziehung und kommunikation. mein kopf denkt sie noch dauernd mit, die beziehung läuft halt ins leere, füllt vielleicht jetzt meinen umgang mit der asche, weil es ja sonst keinen ort mehr für sie gibt.

auf der rückfahrt vom krematorium gleich noch das auto gewaschen und die meisten hundehaare rausgesaugt.

eine liebe freundin, die seit einiger zeit sterbeamme ist, hat von einer aus den staaten kommenden art der kompostierung gesprochen. der körper wird mit einer art kompost-trigger innerhalb von vier wochen zu guter erde (es gibt dabei auch methoden, die sich eher brutal und bisschen mafiaesk lesen, sehr gruselig), anders als, wie sie es beschrieb, die särge im berliner lehmboden, die ewig lang dort liegen, ohne dass sie wieder zu dem staub werden können, aus dem wir alle sind, mensch und tier.

(ich habe über die lebendige emma weniger geschrieben als über die tote. fühlt sich doof an, aber ich muss halt wohin damit. sie war in den letzten 10 jahren meistens dabei, bis auf die stunden im job, seit 5 monaten. das alleinsein hat ihr glaube ich nicht gut getan.)

emma (hundekörper)

es gab dann noch einen anruf vom tierarzt, der bei emma einen husten diagnostiziert hatte, auf keinen fall etwas verschlucktes, der mich fragte, ob man nicht eine obduktion machen könnte. seine idee war, dass emma schon länger krank gewesen sein könnte, ihr tod also nicht dem einatmen von etwas verschuldet war. ich habe mich unter druck gesetzt und mich dafür entschieden, mittags vom job aus, und mich damit nicht wohl gefühlt. beim heimradeln gemerkt, dass mich das immaginierte bild ihres zerteilten körpers länger begleiten würde als das wissen über die ursachen ihres todes. das interessiert den arzt (dem es eventuell auch um eine mitverantwortung geht) mehr als mich. also um halb sechs noch eine mail geschrieben mit der bitte, sie ganz zu lassen. am nächsten vormittag kam ein anruf, sie sei leider schon in der patho, man hätte schon angefangen, könne aber noch aufhören. habe ich zugestimmt und hatte den rest des tages das gefühl, meinen seelenhund noch nach dem tod nicht gut begleitet zu haben. wieso ist ausgerechnet die fucking veterinärmedizin so dermassen super effektiv, können die nicht sein wie die restliche berliner verwaltung?

germerkt, dass mit dem tod alles wie zementiert wirkt, für immer, wo es im leben beweglich, interpretierbar, verhandelbar, verzeihbar bleibt. ich tröste mich damit, dass hunde einem ja alles verzeihen, das hat emma oft genug gezeigt, während ich da eher träge bin, nicht unbedingt nachtragend, aber doch mit einem lange lesbaren verletzungsignal. bei ernsthaften dingen natürlich, bei allem anderen bin ich wirklich unberührt. da werde ich jetzt versuchen, emmas andauerndes präsens zu übernehmen.

1. mai 22

schön war, dass der d.-zwilling gekommen ist und ganz wunderbar präsent war. wir haben zusammen ihren schlafplatz aufgeräumt, ich habe alle decken und liegekissen weggeworfen und gestaubsaugt, das restliche futter geht an hundemenschen aus der nachbarschaft. die wohnung wirkt tot und unecht, wie eine filmkulisse, das viele hundebemerken beim rumlaufen läuft auch ohne hund weiter, es ist dann ein rucksack, d.-zwillings bein, nur unterm tisch ist es ein nichts. darum musste ich alles gleich wegräumen, glaube ich. das schlechte gewissen geht langsam, auch durch liebe und kluge sätze von freundinnen. so intensiv brennende schuldgefühle sind ja meistens nach ein paar tagen verstoffwechselt, inzwischen ist es mehr trauer, sie nicht mehr gesehen zu haben, als es ihr so schlecht ging, als schlechtes gewissen. nicht bei ihr gewesen zu sein.

geärgert über eine freundin, die mich in langen vorwurfsvollen sätzen zum unterschreiben offener briefe bringen will, „du hast drei söhne“, mit sätzen wie „das müsst ihr euch bitte schön klar machen, wenn ihr von demokratie redet“, obwohl ich ihr gesagt habe, dass mein hund gestorben ist. hab um unterlassung gebeten, dann gemerkt, dass sie wirklich unbezwingbare panik vor einem nuklearschlag hat. ich war zu angeschlagen, um mich ganz zu entziehen, mit anderen freundinnen geredet, gemerkt, wir haben keine klare meinung und finden es schwierig, eine zu haben. putin ist einerseits, laut der appeasement-befürworterin, rational und wohlüberlegt in seinen schritten, wurde von der ukraine eingeladen, was die presse nicht mehr sagen dürfte, das sei wie in den dreissiger jahren (da bin ich ausgestiegen aus der argumentation), andererseits ist er laut waffenbefürwortern ein kriegsherr ohne skrupel und mit unbegrenztem revisionistischem größenwahn. in der repubblica haben sie einen ausschnitt aus einem russischen sender verlinkt, wo so ein rechtskonservatives oder rechtsextremes duma-mitglied zeigt, wie london und berlin in 3 minuten („206 sekunden!“) dem erdboden gleichgemacht werden können, er freut sich anscheinend darauf. das ist finstere propaganda, oder schon hetze, finde aber die idee beunruhigend, dass putin selber der eigenen kriegstreiberei nicht widerstehen kann, weil sie ihn stark scheinen lässt. dass ihm menschenschicksale egal sind, beweist er ja seit jahren. verstehe die aggressivität gegenüber den waffengegnern nicht, finde sie unangemessen angesichts des pulverfasses, auf dem wir sitzen, und dann geht es immer weiter mit „ja, natürlich gibt es die gefahr eines atomkrieges, aber …“ wie sind wir so schnell von „er wird schon nicht angreifen“ zu so einem satz gekommen? wolfgang müller argumentiert für die lieferung schwerer waffen, die begründung dafür steht und fällt mit seiner annahme, putin würde halb oder ganz europa bekriegen wollen, also auch polen, finnland und deutschland, in so einem now or never-duktus. der text macht angst.

ich bin froh, dass ich nichts entscheiden muss, würde mich glaube ich viel um klassische hinterzimmer-diplomatie bemühen, um herauszubekommen, wo es sollbruchstellen gibt bei p. ich kann verstehen, dass meinung haben und verkünden wenigstens etwas ist, angesichts der allgemeinen hilflosigkeit, es ist aber nicht meins. der d.-zwilling hat erzählt, wie durch das kleine dorf in sachsen, wo er grade als bufdi eingesetzt wird, lange panzerbrigaden durchgerollt sind, auf dem weg nach polen, auch aus dem rheinland gibt es solche berichte. es wird ja nicht nichts getan, ausrufezeichen. ich habe auch etwas getan, einen zu schweren notfallkoffer gepackt, voll ohne ein einziges kleidungsstück (diabetes etc.). ich will das alles nicht.

es ist viel zu viel kartenleserei. ja, ich habe drei kinder, und an schwachen tagen wie heute bin ich froh, dass keines in berlin wohnt. es ist aber auch der zweite tag ohne hunderunden, die viel zum runterkommen und sammeln beitragen. das internet ist grade kein guter ort.

(geht gleich wieder, sorry.)

wie sie immer kurz freude gezeigt hat, schon wenn ich einfach nur an ihr vorbeigegangen bin, die ohren gingen hoch, zwei halbe schläge mit dem schwanz, dann war sie wieder entspannt. ich kann ihr fehlen fast sehen, sowie man ja manchmal für musik bilder im kopf hat. sie fehlt überall.

immer, wenn ich geniest habe, hat sie einmal gebellt und ist dann zu mir gesaust, um mich mit der nase anzustupsen, ich hab keine erinnerung daran, wann und wie dieses verhalten entstanden ist, war es ihres oder hab ich mal was falsch verknüpft?

die stadt war gestern wahnsinnig voll, also lokale, die bürgersteige, viel zuviele menschen auf einmal. heut früh beim bäcker hatte nur ich eine maske. meine masken sind alle, auf arbeit bekommen wir jetzt auch keine mehr, ich muss also nachkaufen, tests auch. wieder alles beim einzelnen, als wäre die pandemie vorbei, so absurd.

null und nichts über 1. mai-demos gelesen oder lesen wollen, zum ersten mal seit 1987, das mach ich gleich noch, zur aufheiterung.

emma.

die ärztin hatte gestern angerufen und erzählt, dass es emma schlechter ginge, sie haben ihr einen schlauch durch die nase gesteckt, um ihr sauerstoff zu geben, und sie versuchen noch ein anderes antibiotikum. ich habe gefragt, ob ich sie besuchen kann, sie meinte, besser nicht, das könnte sie aufregen, sie sei grade ganz ruhig. ich lag dann so herum und hab überlegt, trotzdem zu fahren, dann hab ich zu lange überlegt und es sein gelassen, auch, also zu einem teil, aus bequemlichkeit. ich wollte sie heute nach der arbeit besuchen. aber das ging natürlich nicht mehr, weil sie heute vormittag gestorben ist. ich bin dann heut nachmittag noch mal in die klinik gefahren, das brauchte ich, vielleicht erinnere ich mich später, wenn ich dement werde, nur daran, dass ich hingefahren bin, nicht, dass es zu spät war, und wer weiß schon, ob nicht irgendetwas von ihr noch da war, keiner weiß das, ich wollte sichergehen. habe gefragt, ob ich mich verabschieden könnte, ja, selbstverständlich, meinten die damen am empfang, brachten mich in einen raum, dann schoben sie emma auf einem rolltisch herein und haben sich entschuldigt, dass sie schon etwas steif war. die frau hat noch das fenster aufgemacht, „damit die seele raus kann“, fand ich einen netten fürsorglichen zug. ich hab sie gestreichelt, ihre stirn geküsst, mein ohr auf sie gelegt, um sicherzugehen, dass sie tot ist, hab auch immer noch gedacht, gleich atmet sie wieder, da hat mein kopf ein paar minuten gebraucht. ihr fell war weich, ihre pfoten schon kalt. die ärztin kam dann noch dazu und hat alle meine fragen beantwortet, gestern abend schien es ihr okay zu gehen, sie hatten schon überlegt, diese lungenspülung noch zu machen, um das gewebe zu säubern, heute morgen wurde sie noch mal untersucht, noch mal blut abgenommen, das hätte sie mehr als erwartet mitgenommen, sie sei ganz k.o. gewesen danach, also mehr als hätte sein sollen. sie hätte kurz die professorin fragen wollen, und dann mich anrufen, ob wir sie gehen lassen wollen, aber dann sei es ganz schnell gegangen, vielleicht noch ein schlaganfall, dann ist sie gestorben, keine zeit mehr, mich anzurufen. ich hab fast die ganze zeit geheult, konnte mich null beherrschen, das kenne ich gar nicht an mir, auch morgens am telefon, als sie meinte: haben sie einen ruhigen ort, wo sie hingehen können, da wusste ich es schon, erst am ende des gesprächs in der klinik hatte ich mich wieder im griff. seitdem hab ich das gefühl, dass mein riesiges schlechtes gewissen (bin nicht hingefahren, war nicht da) mich auch vor der trauer schützt, weil ich meinen seelenhund verloren habe. es wird eine weile dauern, das hinzukriegen, die trauer zu leben.

mir hilft es enorm, das gleich rauszuschreiben, auch die vielen kommentare auf twitter und insta haben mich getröstet, vielen dank dafür! sie war einzig.

caracas-berlin, einfach

ich frage, wie sie denn ostern feiern. ah, sagt er, sie haben eine ganze woche frei. und? frage ich. „hinter caracas kommt noch ein berg, da muss man rüber, dann ist es nur noch strand.“ er macht mit den händen eine sehr breite geste, „ostern gehen eigentlich alle ans meer.“ und nicht irgendein meer, die karibik. venezuela muss eins der schönsten länder der welt sein, aber die lebensumstände sind unlebbar. der gaststudent erzählt, wie die leute für ein paar wochen, einen monat arbeit um die 3$ nach hause bringen, sie müssen also mehrere jobs arbeiten oder brauchen hilfe von verwandten aus dem ausland, aber es reicht trotzdem für gar nichts. seine eltern sind beide akademiker, aber ihr geld ist nichts mehr wert. er erzählt, wie die menschen in caracas bis 5 oder 6 uhr am nachmittag arbeiten, dann ist es dunkel, das ganze jahr über, es gibt keine jahreszeiten in venezuela, es ist immer tropischer hochsommer, und es wird immer um sechs stockfinster, ganz schnell. danach sind die strassen zu gefährlich, dann „rennen“ die menschen nach hause und schließen die türen hinter sich ab (er war erstaunt, dass ich das hier nicht tue, mich einschließen). wenn er mit seinen freunden ausgehen will, dann gehen sie früh los, rennen („running“) zu einem club, der schließt irgendwann die türen, dann müssen die kids durch die nacht nach hause, aber das ist lebensgefährlich, also machen sie das nur, wenn jemand in der nähe des clubs wohnt und sie schnell dorthin kommen können. ich stelle mir wirklich vor, die sie dauernd herumrennen, vielleicht ein übersetzungsfehler, aber sein englisch ist gut. er erzählt ein paar abenteuer, mit bewaffneten dieben, „thieves“. feste finden bei leuten zu hause statt, und die gäste bleiben bis zum nächsten morgen, weil niemand nach 18 uhr noch auf die strassen geht. er erzählt, wie es 2017 nichts mehr zu essen gab, wie unruhen herrschten, regierung gegen studenten und bevölkerung, und wie schwierig es war, weil das sistema, dass ihn mit seinem instrument gefördert hat, auf der seite der regierung war, aber alle studenten auf der anderen seite. es waren nicht nur demos, 200 schüler sind getötet worden in den unruhen, auch ein freund von ihm, armando, den er von klein auf kannte, er spielte viola, und war sehr gut. dudamel hat eine rede für ihn gehalten und durfte seitdem, so erzählt er, mit keinem orchester in venezuela noch auftreten. er erzählt von den drei hochklassigen orchestern im land, das beste heißt simon bolivar orchestra, in was sie sich unterscheiden, im stil, der stückauswahl, es klingt ein bisschen wie die konkurrenz zwischen fussballmannschaften, und wie die guten schüler aus dem sistema bei einem von ihnen unterkommen wollen, und wie hart es ist, der konkurrenz standzuhalten. erst beim googeln sehe ich, dass es alles jugendorchester sind, die für erwachsene habe ich nicht gefunden. es muss sie ja geben, vielleicht weiß es einë leserïn*?

*beim gendern findet ja eine diäresis statt, da ginge doch ein trema, oder nicht? ich finde es elegant und kohärenter als sternchen oder |, für das ich jetzt erst 6 andere zeichen tippen musste, bis ich es gefunden hab.

jedenfalls hat er sich, als er volljährig war, bei der hanns eisler hochschule für musik beworben, wurde angenommen und ist jetzt mit der unterstützung durch einen sponsor nach berlin gekommen. er ist zum ersten mal weg von zu hause, ihm fehlt venezuela, und als er anfang april aus dem flugzeug kam, waren es 5° c, da wollte er sofort wieder umkehren, weil das für ihn unfassbar kalt ist, „never, never“ hat er so eine kälte erlebt, „it’s an adventure.“ er ist wohl erstmal eingekleidet worden von seinen neuen kollegen, ich habe ihm eine abgelegte winterjacke der jungs angedreht, schon die 19 grad in der wohnung sind eine herausforderung für ihn. eigentlich weiß er, dass er hierbleiben wollen sollte, obwohl alles so anders ist, das gehört zu seinem plan, ich hoffe, dass alles so läuft, wie er es sich wünscht, ich bewundere ja leute mit plänen sehr, auch wenn es bei ihm wohl aus der not geboren ist. er erzählt, wie er an den ersten dunklen abenden auf berlins strassen die angst abschütteln musste, weil er es nicht kannte, im dunkeln ohne angst herumzulaufen. ich sage ihm, dass wir am stadtrand auch ein paar gefährliche ecken haben, aber er lacht nicht einmal.

ein zwilling war zum zwillingsgeburtstag hier, wir haben zusammen kuchen gegessen und die beiden jungs haben sich unterhalten. ich weiß nicht genau, welche rolle ich da möchte, bleibe also freundlich im hintergrund und gebe ratschläge nur, wenn ich gefragt werde, verspüre aber einen kleinen hang zur kulturellen botschafterin europas oder so, was filme, bilder, geschichte angeht, mal sehen, ob er da bei seinem sehr dichten uniprogramm noch freiräume für hat. er ist ein fussballfan (bayern münchen) und möchte da gern mal ein spiel sehen.

die woche war ja kürzer, aber trotzdem zu lang und viel zu kalt. langsam spüre ich es trotzdem, dass die tage länger sind und damit für mich wieder nutzbar werden, im dunkeln ist irgendwie alles eins. ich wette, in ein paar wochen, höchstens monaten, kann ich mich sogar zum lesen auf den balkon setzen.

über emma noch ein tolle nachbarin kennengelernt, sie arbeitet zu hause und nimmt sie vielleicht mal ein paar stunden zu sich. bild und sprache sind ihr metier, wir sassen gestern zwei stunden bei einem spontanen tee in der küche, wie zu studizeiten in kreuzberg, meinte sie. es ist vielleicht so, dass wir uns alle nicht sehr verändern, wenn alles gut geht, es gibt nur weniger gelegenheiten, so zu sein, wie wir mal waren. räume dafür offenhalten.

bei picard wird der plot, der früher für eine folge gereicht hätte, auf eine ganze staffel ausgewalzt. es ist alles redundant und eher verworren. ich leide und verstehe nicht, wie das so schiefgehen konnte. liest das denn keiner vorm filmen? warum sparen sie an den autorïnnen?

ich wollte eigentlich am wochenende bloggen, jetzt hab ichs schon erledigt. ich kann ja einfach nochmal bloggen.

4. märz 22

heute frei, ich mache übers lange wochenende einen kurzbesuch beim großen in trier, also eigentlich ist es, was besuche bei kindern angeht, schon ein langbesuch, aber ich habe mich wo eingemietet und bleibe nicht in der wg vom sohn. er will mich vom zug abholen, was mich rührt. jetzt froh, dass ich erst nach 10 uhr fahre, die letzten tage waren richtig anstrengend, ich konnte gestern nicht mehr packen und habe jetzt zeit dafür.

grade gelesen, dass am hauptbahnhof eine große menge an freiwilligen helfern die flüchtlinge empfängt, die dort rund um die uhr ankommen, genau wie 2015. besonders die früh- und nachtschichten können wohl laut einem twitterer (nicht mehr gefunden leider) noch unterstützung gebrauchen. benötigt werden übersetzerInnen, gutscheine für drogerien und supermärkte, geladene powerbanks, und natürlich unterkünfte. der g.-zwilling will mit kumpels vor oder nach dem clubbesuch hingehen, in berlin öffnen sie dieses wochenende wieder.

die kriegsängste sind nicht mehr nur diffus, ich verdränge sie bewusst. gestern wurde ein atomkraftwerk beschossen, also da gibt es keine grenzen mehr. ich habe insulin für ein paar monate im haus (brauche sehr wenig, das heißt also nicht so viel) und ein paar vorräte. wird die welt dieses wochenende untergehen oder erst ein bisschen später? ich tippe auf später und nehme nicht alles mit. was für finstere zeiten. außerdem macht mir der hund sorgen und ich freue ich mich auf die zugfahrt und die freien tage. ich fühle mich wie ein kaleidoskop, mit lauter nicht zusammenhängenden mustern.

hundeschall

emma (mein hund) hat ein paar tage nicht mehr gefressen, gar nichts, nur getrunken, wollte nicht mehr spazierengehen, war fast apathisch. mein tierarzt hatte eine pankreatitis in den raum gestellt, weil die blutuntersuchung ein paar hinweise darauf gab, und riet mir, sofort mit ihr in die klinik zu fahren. bin noch am abend hingefahren, aber der arzt hatte gerade feierabend gemacht, ich sollte früh am nächsten morgen wieder hin, habe ich gemacht, dann gab es endlich diesen ultraschall, der mir viel aufregender vorkam als die ultraschalls, die ich immer so kriege bei der frauenärztin. bei tieren ist ein ultraschall schon eine eskalationsstufe. auf dem weg an den stadtrand, im auto, ist sie vollkommen still, kein zeichen ihrer sonstigen nervosität beim autofahren, sie hat einfach ihren kopf neben die gangschaltung gelegt und sich nicht bewegt, bis wir da waren. in der klinik erst mit einer ärztin eine untersuchung, wieder blutabnahme, dann der ultraschall, mit einem anderen arzt, der wohl ein tier-internist ist. emma wurde auf den rücken gelegt, und damit sie nicht wegrollt, wird der rücken in ein rotes polster mit einer tiefen kuhle in der mitte gelegt, eine mitarbeiterin hält die hinterläufe beiseite, ich die vorderläufe. sie lag ganz still, ihr langer kopf nahe meiner hand. nachher hat die ärztin gesagt, sie hätte bei der untersuchung geschmatzt, das könne ein hinweis auf übelkeit sein, und hat ihr nochmals ein antiemetikum gespritzt. ich habe das nicht bemerkt, ich hab allerdings nicht mal wahrgenommen, dass die ärztin bei der untersuchung dabei war. der internist hat ihr den bauch rasiert und dann ganz gründlich alles mit dem schallkopf untersucht. ich hatte angst und war ziemlich nervös und teilweise den tränen nahe, also nur ein bisschen natürlich, aber doch, und habe versucht, die bilder zu verstehen, leber, magen, gallenblase, darm, gebärmutter, gefäße. große erleichterung, als pankreas und gebärmutter normal schienen. der arzt hat eine auf dem bild erkennbare weißliche schicht auf der magenaußenseite erkannt und meinte, das könnte einen hinweis auf eine entzündung sein, eventuell hat sie eine gastritis nach autoimmun-reaktionen oder aber eben auch ein lymphom, das könne er nicht ausschließen, aber sehen könne er nichts, auch die lymphknoten seien unauffällig, dafür müsse man eine endoskopie und eine biopsie machen, und dazu müsse sie erst wieder zu kräften kommen. therapie eventuell glucocorticoide als dauermed, und falls krebs, eine chemoherapie. mir wurde ein medikament für vor dem essen und eines für danach mitgegeben, und eine dose hypoallergenes hundefutter von royal canin, das hat sie dann nur zögerlich gefressen, es sah auch richtig eklig aus, weiß-grünliche paste. habe ich dann zuhause etwas gekocht, mit hackfleisch, reis, karotten, das hat sie innerhalb von minuten verschlungen. werde das jetzt weiterhin machen, also kein barfen (das wäre rohes fleisch), sondern gekochtes fleisch, mit gemüse und reis und paar pülverchen, um calzium etc beizufügen. (das machen ja einige inzwischen, es ist ein trend geworden) mal schauen, ob ich preiswertes biofleisch finde. drücken sie ihr die daumen bitte.

sone und solche songs

das lustige gefühl, wenn auf der playlist plötzlich birdland von gespielt von pastorius läuft, mit einer bilderflut von räumen und menschen, und wie ich es immer noch lauter stelle. keine situationen oder stimmungen, nur die menschen, mit denen ich es mal gehört habe, bestimmt noch aus den achtzigern. ich verbinde das lied selber eigentlich mit nichts, mit nix eigentlichem, es ist nichts für den hintergrund, es fügt sich nicht ein, es ist ein rampensau-sound aus einer handvoll guter ideen. letzter raum in den erinnerungen der gemeindesaal, in dem m und m einen abend lang alle ihre freunde zum tanzen eingladen haben, jeder hat seine musik mitgebracht, und über birdland haben sich m und ich richtig gefreut. steht für sich selber, ist in meiner wahrnehmung vollkommen zeitlos. kann aber auch nichts anderes machen dabei, es fängt und hält die aufmerksamkeit.

das mag ich am neuen jazz, er findet im leeren raum statt, neue möglichkeiten, keine erwartungen, das glück, wenn sich dann etwas fügt. bestimmt eine altersfrage. oder ich erkenne einfach die ganzen themen/motive nicht.

fällt mir ein, wie ich einmal auf einer meiner geburtstagsparties vergessen habe, die musik zu handeln, und wie die ganze nacht eine ewig umfangreiche blues-playlist lief („Blues: 200 Must Have Classics“), als sei das absicht.

heut schrieb jemand auf twitter, dass er von den 10 topsongs keinen mehr kennt, mir geht das immer so mit den playlists der jungs. auf der sommerfahrt mit vielen kindern, auf die ich mitgefahren bin, hat einer der teamer irgendwas angemacht, etwas eher albernes, und alle kinder haben von einer sekunde auf die andere angefangen zu tanzen, aus dem geplauder und den spielen und dem teller-abwaschen heraus, alle zusammen, richtig mit schrittfolgen, jedes da, wo es grade stand. instantane freude übers rückenmark. sie kannten das von den vorhergehenden fahrten. es kann aber auch sein, dass ich zu lange kein konzert mehr gesehen habe.

28. mai 2021

gestern hat der freund vom großen das bett vorbeigebracht und mir sogar beim hochtragen geholfen. es ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe, aus nussholz, und es hat noch zwei lattenroste dabei, die zusammen schon deutlich mehr gekostet haben, als ich für das bett bezahlt habe. nach >10 jahren auf einem schlafsofa werde ich aufrüsten auf ein richtiges bett, bin sehr gespannt, ob es sich anders anfühlt, ich bin eher devise hauptsache horizontal. es ist ein italienisches bett, ohne schrauben, mit nur vier steckverbindungen, sieht nach gutem möbelhandwerk aus. da hatte ich glück. <3 ebay.

das zimmer wird nächste woche endlich tapeziert, zur zeit schlafe ich noch im would be arbeitszimmer, das allerdings im sommer eine schöne aussicht auf lauter grüne bäume hat, im schlafzimmer ist nur der innenhof vorm fenster. ich werde dann vermutlich wieder mehr vom schreibtisch aus arbeiten.

für den spätnachmittag hat eine freundin slots bei neo rauch bekommen, im gutshaus steglitz, sehr kräftige bilder und einen bronzenen kentaur im glaskasten, auf 3 räume verteilt. ich sehe zum ersten mal bilder von ihm in einer ausstellung, das gefühl ist: vorher noch nie gesehen, so intensiv wirken farben und figuren, großformatige malerei, bedeutungsstark, mit vielen ebenen, die alle nicht nur angedeutet sind. erste ausstellung seit november, sehr intensives erlebnis. danach noch ein bierchen mit den freunden, mein zweites mal in einem lokal seit 14 monaten, für die freunde das erste. beides wirkte euphorisierend. dann im auto durch die ganze stadt zurück und die stadt dabei gefeiert, steglitz! schöneberg! tiergarten, mitte, und mein gott, der alex, mit seinen quadratisch-praktischen hochhäusern.

für die ausstellung vielleicht den letzten test gemacht, am mittwoch ist die zweite impfung zwei wochen her. die impfpässe sind ca. einen mm größer als reisepässe und passen nicht in die für pässe gefertigten taschen, hoffe, ich finde noch was, das ding wird meine handtasche so nicht lange überleben. die mitarbeiterin hat sehr gründlich getestet, vielleicht nach den berichten über unzuverlässige arbeit in den diversen privaten teststellen in der stadt? – nach dem artikel per google gesucht, nichts gefunden, heißt das, es gab keine berichte, oder sie waren nicht wahr? hmm. erinnert mich an meinen versuch, berichte über mäuse in hotels zu finden, das ging mit google auch nicht gut.

abends noch den d.-zwilling verabschiedet, der wieder nach halle zurückgefahren ist. er trägt die haare nach kurzer weißblonder phase jetzt wieder dunkel und hat einen vollbart, mein kleiner 6-pfünder von 2001. abschiedsschmerz gefühlt, das leere nest wird zu etwas, das ich gestalten muss, aktiv angehen.