kraftstoff

der zustand zwischen schockstarre und hamsterglück, wenn man mit supervollem einkaufswagen an der supermarktkasse steht. 3 teenagerjungs. sie wollen braten und bratensauce, steaks und steaksauce, sie wollen richtige lasagna mit ragù und bechamel, oder weißwürste, und nachtisch. danach torte. wenn sie nachmittags nach hause kommen, gibt es immer erstmal spiegeleier und speck, salamibrote und kekse, dazu ein paar kilo äpfel am tag, und ein pfund möhren, getunkt in knoblauchöl mit petersilie. wenn der kühlschrank bei schulschluss leer ist, machen sie auf dem absatz kehrt und kaufen sich erstmal schawarma oder falafel, und vielleicht noch einen hotdog für den weg. ich weiß nicht, wo das alles hingeht, der große ist hoffentlich ausgewachsen, die zwillis sind noch vor dem schub. ich kaufe ihnen kein buntes junkfood zum frühstück, von den normalen müslikram essen sie halt mehr, es gab cornflakes mal in kilopackungen! das war praktisch. und für das dünnste kind immer noch den sahneschwapp mit rein, wenn es nicht hinguckt, leckere weihenstephaner, in halbliterflaschen. sehr große goudastücke, die über nacht verschwinden, von den aus italien mitgebrachten leckeren salamis ist schon keine mehr da („die schmeckten komisch, aber ich hab sie dann trotzdem gegessen“ – trüffel-, steinpilz- und fenchelsalami. seufz), die paar kilo erdbeermarmelade vom sommer sind auch schon arg dezimiert, da bleibt nichtmal was zum verschenken übrig. das schulessen schmeckt ihnen nicht mehr, ich habe sie abgemeldet und überlege grad wieder, bentos mitzugeben, zu den schulbroten dazu, damit die organismen durch den tag kommen.

acqua passata

am see die möglichkeit gehabt, einen vergleich zwischen zwei lebensmitteln aus meiner kindheit zu ziehen. wir hatten in mailand eine große wohnung mit zwei ausgängen, einer ging aus der küche zum treppenhaus, der andere aus dem flur zum fahrstuhl. über den kücheneingang kam in abständen der getränkemann mit wasser und wein, ich erinnere nur jeweils eine kiste mit, eine ohne  und jeweils eine mit weiß- oder rotwein, den es jeden abend zum essen gab, nicht für uns kinder natürlich, darum kann ich mich an die weine nicht erinnern, aber das wasser war immer das gleiche: fiuggi und s. pellegrino (san pellegrino meint wohl heute den ort).

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ich mochte die blaue farbe des etiketts beim wasser mit, und fand in der jugend auch den roten stern darauf irgenwie yeah, und wenn es mal spannungen gab bei tisch, dann konnte man eine weile auf dem etikett herumlesen und musste nicht aufsehen. das wasser ohne sollte gesund sein, sagte mama, weil es nicht nur keine kohlensäure, sondern auch sonst kaum etwas enthielt und den körper durchspülen sollte, fast ein heilwasser. das stimmt auch heute noch, der festkörpergehalt bei s. pellegrino ist 8x höher als bei fiuggi, die wasser sind wohl noch gleich.

vorstellung, wie seit jahrzehnten wasser mit konstanter zusammensetzung aus einer quelle sprudelt, wie macht s. pellegrino das nur? die liefern doch heute ein vielfaches aus, oder kann man bei quellen einfach das loch größer machen? –  seit jahrhunderten: in fiuggi seit 63 v.c., erwähnt von michelangelo buonarotti vor über 500 jahren, in san pellegrino seit 1482, erwähnt bei leonardo da vinci, 1:o für die ungassierten, würde ich sagen.

acqua di fiuggi wird seit 1907 abgefüllt, von einer aktiengesellschaft, die firma s. pellegrino gibt es seit 1899, das wäre dann eher 0:1.

bei beiden hat sich das design nur wenig verändert, bei s. pellegrino gar nicht, bei fiuggi wurde es, wie man wohl sagt, vorsichtig modernisiert, bestimmt neuerdings, weil sie laut hp den verkaufsradius vergrößern wollen. die quelle von san pellegrino liegt bei bergamo, der ort hat eine bewegte geschichte, von den guelfen/ghibellinen über venetien, von napoleon bis zu den österreichern. fiuggi scheint ruhiger geblieben zu sein, es heißt erst seit 1911 so, davor hieß es anticoli, bekannt seit der römerzeit, es liegt im lazio, vielleicht hatten wir es deswegen, weil mein vater in rom aufgewachsen ist und es vielleicht aus seiner kindheit kannte? das würde mir gefallen, aber vermutlich waren das einfach die sorten, die der händler vertrat.

 

 

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früher haben wir nicht dauernd trinken müssen wie heute, niemand nahm getränke mit, weder zur schule noch zum park, es gab allerdings auch noch kaum plastikflaschen, meine ich zu erinnern. wir tranken nicht dauernd, sondern zum essen, wenn wir getränke mitnahmen, dann auch nahrung, und planten damit einen ernsthaften ausflug in die berge oder an den see oder so etwas. dann gab es meistens sowas wie diesen frischkäse da oben, der sich ohne kühlung hält und sehr nach kindheit schmeckt, dazu cracker. die lehrer an unserer schule, fällt mir da ein, die hatten eine vollausgestattete bar vor der aula, mit barista, fauteuils und allem, in der oberstufe trauten wir uns da manchmal rein.

jedenfalls. bis in die achtziger haben wir einen gleichstand in der geschichte und qualität dieser beiden marken, 1:1, sie schmecken auch heute beide noch gut, aber san pellegrino ist durch seinen erfolg miserabel zugerichtet worden, ordentlich abgelebt, würde man bei einem star sagen: in den flaschen ist ein viertel weniger drin, das macht in italien sonst niemand, es gibt im supermarkt glasflaschen mit einem oder plastik mit anderthalb litern inhalt, nur s. pellegrino benutzt diese albernen und würdelosen, sehr profitgiergeborenen 0,75l-flaschen aus plaste, und es muss sich das etikett mit einem anderen logo teilen, von einem motorradhersteller, keine ahnung wieso, aber ich muss es natürlich auch nicht wissen, solange das wasser nicht mit sachen versetzt wird, die auch in motoren vorkommen, also außer den stoffen, die sowieso schon drin sind. gut, es ist eine sehr feine motorradmarke, nichts gegen guzzi.

grund für den niedergang ist bestimmt der verkauf an nestle, die haben die marke für ein butterbrot ein paar brotkrumen ergattert (kann das sein? unter 50.000 euro im jahr für eine abfüllgenehmigung? bei einem millionenumsatz? ach italien.), und haben das produkt, naja, es ist die mangano in einer telenovela, so ungefähr. sie haben ein exempel statuiert.

kw 31

2 wochen kinderfrei, kaum aus dem quark gekommen. erdbeerquark. die karls-erdbeeren sind die besten der stadt, reif, süß, intensiv, gibt es heut zum letzten mal, saisonende. die ganze zeit kaum sinnvolles gemacht, auch das handwerkszeug nicht allzu ergebnisorientiert angegangen, lieber ausgegangen. gemerkt, dass mein hirn vollkommen untrainiert ist, nichts zuende gedacht, man kann das denken endgültig verlernen, dann ist alles zu spät, mir vorgenommen, texte zu lernen, dann kann ich zumindest ein bisschen durch schöne oberflächen navigieren. ich weiß nichtmal, ob ich jetzt erholter bin, oder ob ohne die kids nicht doch zuviel struktur fehlt, das alte-hasen-dümpeln-syndrom* unter alleinerziehenden, wollte mir ja eigentlich einen irgendwie-gefährten suchen für die beiden wochen, aber es gab eine so riesige auswahl, da wollte ich mich nicht entscheiden. sopranos erste paar staffeln geguckt, bis mir das einfach abknallen zu langweilig wurde, schlachtensee. fingernägel, halten aber auch ohne kinder nicht allzulange. maniküren lassen: ich könnte mich dem luxus so anschmiegen, wenn ich reich wäre, glaube ich, alles unangenehme machen lassen, jemanden kommen lassen, infinitiv passiv als betriebsmodus* bis das bezahlen können das gehirn tapeziert hat, mit lilien, und der luxus auf ne yacht umgezogen ist.

umsonst gesehen, ich weiß nichtmal, ob ich den jetzt empfehlen soll oder nicht, ich mochte die berlinbilder, der ganze film ist in einem radius von vielleicht 2km um das kino herum entstanden, in dem ich ihn gesehen habe, er zeigt einen dieser nachmittage, die wir alle mal hatten in dem alter, die ich heute mit etwas zwischen langeweile und wehmut betrachte, weil die unsicherheit und losgelöstheit der protagonistin sie zu nichts neuem führen muss, außer in den nächsten tag. der sprung in eine rahmenhandlung „filmdreh“ am ende des films ist in seiner beliebigkeit auch ein schönes berlinbild. klug und dicht war die mutter-tochter beziehung, über die man nach den paar szenen alles zu wissen glaubte.

diese nachmittage, an denen ich stundenlang auf dem rad durch mauerberlin gefahren bin, ohne schatten oder ziel, noch ohne den fortlaufenden inneren comment aus design oder ach oder kritik, überhaupt ohne absichten. inzwischen gibt es ja rhabarberschorle, da lohnt es den versuch wieder.

berlin ist sehr heiß gerade, man mag nichtmal tanzen gehen, die luft ist im körper so warm wie draussen, bestes sommergefühl seit jahren. diffusion, osmose.*

es ist gar nicht so ein irrer gewinn fürs wohlbefinden, zeit für fingernägel zu haben, weil ich den lack nicht vermisse, wenn ich keine zeit dafür habe. alles wieder entfernt, liebe den geruch vom nagellackentferner.

morgen seh ich die kinder wieder und freue mich sehr auf sie. totally.

fast sechse, vielleicht doch mal packen? dicke kamera mit? nee, wozu, die neuen bilder legen sich auf die der alten jahrzehnte, da reicht die knipse, für die kids und freunde ist die auflösung nicht wichtig. jedenfalls bin ich ne weile am lago und ohne internet, kommen sie bitte wieder ende august!

*ich packe nämlich immer noch nicht, hier noch ein halbsatz, da noch eine metapher (ich liebe metaphern, im gegensatz zu den alk-leuten), der tinnitus sirrt so gemütlich, ich könnte wahrscheinlich ellenlange texte schreiben, eine elle internet sind zwei bildschirme hintereinander weg, wenn ich etwas anderes zu tun hätte.

 

licht geworden

ein vorteil des kinderhabens: dinge verschwinden, so dass man sie nachkaufen kann und sich dabei über die jahre deutlich nach oben verbessert. ich besitze im jahr 15 mit kindern einen sehr praktischen tesaroller, zu schwer für schultaschen, unwerfbar, und 3 haushaltsscheren pro zimmer. ähnlich sieht es mit anderen begehrten dingen aus, nur bei taschenmessern bin ich immer billiger geworden, damit die endlich mal keiner haben will, jetzt habe ich ein winziges mit blümchen, extra für mütter. dieses jahr versuche ich mich an der ultimativen haushaltstaschenlampe. wir haben über die jahre ca. ein dutzend davon verloren, weil sie von ausflügen nicht wiederkommen, hinter schränken steckenbleiben, keine ahnung, vielleicht haben wir irgendwo ein nest, dass die finsternis erleuchten könnte, würfe man batterien nach. nur die wirklich schlechten halten sich, wie die eine ohne batterien mit kurbel, die auch nach hektischem drehen nur leise glimmt. anstatt wie sonst üblich bei irgendeinem besuch des großartigen haushaltswareneckladens eine mitzunehmen, habe ich das netz bemüht und wie bei allen dingen sofort eine welt entdeckt. es gibt einen markt mit leidenschaften für taschenlampen, die foristen werfen mit lumen um sich, fast hundert leute bewerten modell x gegen modell y, ein großes auskennertum, nur männer, angler zbsp, jäger und so camper. ich mochte zuerst die fast militärisch aussehenden, kampf gegen die dunkelheit, sogar im wirklichen leben wie im flur oder keller! dann gemerkt, dass die waffenfirma walther die herstellt, nicht gekauft, aber war knapp. jetzt eine von einer firma, die fenix heißt, wegen dem phoenix, glaube ich, eine übersprungshandlung, weil ich fast was von walther – hat jemand von euch mal geschossen, fällt mir da ein? ich habe ein paar sekunden lang lust, es mal zu versuchen, eine waffe in der hand zu halten, bevor ich sofort die gezündete kugel sehe, die etwas lebendiges zerreißt und in absolut allem scheußlich ist, aber mal ein paar tontauben? natürlich genügt bei all den filmbildern die vorstellungskraft, doch diese neugierde darauf, mal zu schießen, teile ich vermutlich mit mehr menschen, als mir lieb ist. mit der neuen lampe den anfängerfehler gemacht, mir selber ins auge zu leuchten, ewig gar nix mehr gesehen. leute, sind die hell. man findet nicht nur alles in der kammer, man sieht auch den staub, sie macht sogar den schatten hinter den dingen heller, leider ist sie klein und schmal und jungsschick, sie wird vermutlich noch vor dem nächsten stromausfall eigene wege gehen. flugzeugaluminium.

 

kw 30

kinder für 14 tage weg. der trubel vor der abfahrt ist voller einzelner socken, aber sie packen alleine inzwischen, ich muss bloss noch gegenchecken. sie sind 15 und 13, ich gebe dem großen tatsächlich den fänger im roggen mit („yo, ist ja nicht so dick“) und den zwillis zu adams zeiten und einen band stephen king, den der vielleser grade verschlingt, weil ich die männer-auf-segelschiff-bücher grad nicht finde, auf die sie lust haben. der hund ist vor und nach dem abschied unruhig, ich auch, vermisse sie wie jeden sommer. ertappe mich seitdem beim vollkommen leeren vormichhinstarren, ohne meditation, ein geschenk. die zeit steht still seitdem, alles bleibt liegen, wo ich es hinpacke, und der kühlschrank leert sich nicht. woran merkt man denn, dass die zeit verstreicht, wenn man keine kinder hat?

versuche, nicht alle geschenkten bücher jetzt schon zu lesen, ein paar für die kinderferien aufzuheben. jetzt zwei wochen zeit, zumindest mal wieder konzerte, theater hat ja leiderleider sommerpause. umsonst gesehen, ich weiß nichtmal, ob ich den jetzt empfehlen soll oder nicht, ich mochte die berlinbilder, der ganze film ist in einem radius von vielleicht 2km um das kino herum entstanden, in dem ich ihn gesehen habe, er ist ein bisschen langweilig, weil er einen dieser nachmittage zeigt, die wir alle mal hatten in dem alter, die unsicherheit und losgelöstheit der protagonistin wird zu nichts neuem führen, außer dem nächsten tag. habe mir das dann ein paar radfahrten lang orgestellt, dass all die passanten der sprung in eine rahmenhandlung „filmdreh“ am ende des films ist in seiner beliebigkeit auch ein schönes berlinbild. klug und dicht war die mutter-tochter beziehung, über die man nach den paar szenen alles zu wissen glaubte.

diese nachmittage, an denen ich stundenlang auf dem rad durch mauerberlin gefahren bin, ohne schatten oder ziel. das macht jetzt mehr spass, weil es rhabarberschorle gibt.

berlin ist sehr heiß gerade, man mag nichtmal tanzen gehen, die luft steht und die tage schmelzen so dahin.

buddha

der mann vor mir am geldautomaten, mit auffälligem riesigen buddhakopf hinten auf der jacke, wie möglich und wahrscheinlich, dass in ein paar jahrzehnten nur noch laute zeichen lesbar sein werden (markenzeichen nur noch eins unter vielen), vielleicht zieht sich alles ins zeichen zurück, aus dem text in die graphic novel, aus dem satz in die geste, und wenn der text weg ist, gibt es einen leeraum im inneren, den man komplett mit erdbeereis und taten füllen könnte (keiner tut was in diesen zeiten. wir füllen die welt mit wünschen.)

kids + wm

diese wm war meine erste mit ernstzunehmenden fans an meiner seite. bei der letzten und vorletzten waren die kinder noch klein, bei der hier im land waren sie, mit 5 und 7, lustig wie all die kinder, die plötzlich zur überraschung ihrer eltern lauter fahnen auseinanderhalten können und gelernt haben, wo welches land liegt und welche farben es trägt, und dann vor der zweiten halbzeit auf dem sofa einschlafen. die letzte hab ich vergessen, wo war die noch? südafrika! erinner ich kaum, ich schaue fußball ja nur während einer wm.

bei dieser hatte ich drei fachleute neben mir, die laufend kommentierten, alles wussten, spielerbiografien kannten, strategien verfolgen konnten, während ich wie immer manchmal mitten im spiel vergessen habe, wer da jetzt spielt und ob das noch vorrunde ist, oder einfach nicht mehr hingeguckt hab, ohne das zu merken, und auf dem tablett was anderes gelesen hab. ich hatte 2014 drei ein paar mal laut und begeistert gröhlende teenager auf dem sofa oder neben mir auf der bank vorm araber unten an der ecke, so laut, dass es mich erschreckt hat, einfach, weil diese leidenschaft in den kindern steckt und sonst nicht zu sehen ist, und weil die freude am lärm genauso wichtig war wie der grund dafür. keine ahnung, woher sie all das wissen haben, staunend das eigenleben der söhne wahrgenommen, sie kennen sich aus und ich war nicht dabei, das „och mama“-sagen haben sie genossen. sie waren ausgelassen und laut, für italien, bis naja, mit tränen, dann für deutschland, es war beim draußen schauen auch wichtig, mit anderen männern laut zu werden und dabei mit allen partei zu ergreifen, die jungmann-tonlage vom großen und die jungsstimmen der zwillis dabei noch ein stück tiefer gedrückt. oleeee. ihr glück darüber, dass eine sonst nur mit kumpeln geteilte liebe für den fußball plötzlich von allen geteilt wird, dass fußball so wichtig wird für ein paar wochen, das hat den großen schon so gefreut, als wir mal mit dem mek zu einem spiel gegangen sind. es hängt auch mit ihrer männlichkeit zusammen, ich weiß nicht, ob das durchs alleinerziehen verstärkt wird, der hunger nach dem mann, oder ob der bei teenagern normal ist. mal sehen, was die nächste frauen-wm mit ihnen macht. die zwillis wollten fahnen fürs auto, no way, hab ich gesagt, und vom nationalismus geredet, mama! das ist doch fußball, kein krieg, bis du etwa nicht für deutschland? ich würde ja auch keine italienfahnen kaufen, sage ich, fahnen sind für mich kaputt, es sind zeichen für was anderes, nicht für fußball, die fahnen habe ich also verweigert, was keinen gestört hat, weil es ihnen ja nichts bedeutet, die sind nur ein mögliches zeichen ihrer begeisterung, das größere ist ihr wissen und mitfiebern und der spass, dabei zu sein. das mitbrüllen hätte ich nicht verbieten können.

der große kam heut nacht strahlend vom public viewing in der kulturbrauerei zurück und hat mir im spreeblick-stil das wichtigste nochmal nacherzählt, er ist zum ersten mal überhaupt nach mitternacht nach hause gekommen, aber es ist ihm zum glück nicht aufgefallen, die kids haben ja einen gutsortiertes regal für präzedenzfälle. er trug ein mannschaftsshirt und einen hut, er war mit freunden da, er ist 15, das allerbeste alter für einen wm-sieg, not? ich mochte die mannschaft nach dem pokalsieg, mit den ganzen kindern auf dem arm, dem strahlen, den vielen umarmungen, dem hemd von dem einen, der nicht dabei war, und mann, haben die alle schöne rücken! ich steh grad auf rücken. und nee, keins meiner kinder ist ein nazi. nazis sind nazis, wie jemand auf twitter schrieb. bei fussball gibt es halt eine gemeinsame schnittmenge, der man sonst aus dem weg gehen kann. schöne spiele, großer spass. nur nicht für den hund.

 

„gutartig“

der gute arzt ist der mit den richtigen prioritäten: es ist gutartig, sagt er nach dem mrt, ein klarer befund, es ist eine cartilaginäre exostose, dann erklärt er genau, was das bedeutet, was wir tun sollen, wo wir hinkönnen damit. ich küsse den gregorzwilling, der sich wegduckt und sehr cool bleibt. der nicht so gute erste arzt stand vor zwei wochen vor dem röntgenbild und sagte minutenlang gar nichts, die große stille im raum, dann sagt erzählt er, mir und dem kind: „hm, weiß ich jetzt auch nicht, es ist ein tumor, das müssen wir klären, warten sie mal, ct oder mrt? machen wir lieber ein mrt.“ das kind: „ein tumor? damit kann ich angeben!“ der arzt: „nein, das läßt du lieber“ bevor er auf den überweisungsschein schreibt: unklarer tumor tibia. ein arzt aus der familie sagt nach dem guten ausgang noch, sicherheitshalber: er wird sich mal erkundigen, ob man das wirklich so gut unterscheiden könne, das gute und das böse. kann man, bin ich sicher, also der röntgenarzt, der den ganzen tag nichts anderes macht, der kann das, ich meine auch, er hat das extra  so deutlich formuliert.

ich jedenfalls bin sehr leicht grade. gregorzwilling auch, denke ich, er singt wieder, was er die letzten beiden wochen gelassen hat.

(diese leere, während man im warteraum sitzt und das kind in der röhre liegt, sogar die liebe ist ganz still, alles ist still. die seitenblicke vorher vom kind, mama, ist was? du atmest so komisch, oder: „wohin guckst du?“ ich bin sein seismograph, meine gelassenheit ist seine und muss also halten, sie ist zum glück wirklich sehr solide, ein bisschen hysterie ab und zu sollte man sich vielleicht doch mal gönnen. nur mit 13 ist coolness erlaubt.)

 

a romance, vergessen

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„The rationalism of analytic logic has divided erotic emotion into fixed conventional types, popular opinion offering one set of categories, fashionable psychology offering another. As a matter of fact, each encounter of two amorists creates a unique universe. No existing generalisation, whether of the wise or of the unwise, covers or ever will cover a tenth part of its thrilling phenomena. In one respect this love-making by Dye’s Hole was the most childlike that the spot had ever witnessed; in another it was the most cerebral. The nervous exitement manifested by these two was so free from traditional sentimentality and normal passion, so dominated by a certain cold-blooded and elementary lechery, that something in the fibrous interstices of the old tree against which they leaned was aroused by it and responded to it.“

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so ist der text die ganze zeit, er hält die zeit auf, ein herumsummen in der abstraktion, die alles aufnehmen will, jede regung und jeden windhauch, der alles belegbar ist. wie ein hohes, schwankendes schiff, das über sand gezogen wird, weil das meer grad nicht da ist, und man sitzt die ganze zeit oben beim captain und sieht keinen grund. eine flucht ins konzeptionelle, dabei mitleidslos genau. die allmachtsphantasien solcher autoren, die der lebenserfahrung und der feinheit ihrer leser nichts überlassen wollen, sie müssen alles ding- und seefest machen, wollen es eigentlich gar nicht aus der hand geben und sind dabei auf eine hilflose weise unlustig. ich mag die behäbigkeit dieses romans eigentlich ganz gern, er ist etwas zu handlungsfern und personenreich, aber die umfassende beschreibbarkeit seiner welt hat auch etwas tröstliches. powys soll ein sehr talentierter redner gewesen sein, hat sich damit auch mal seinen lebensunterhalt vedient, hätt ich zu gern mal gehört*. vielleicht hatte er da eine größere leichtigkeit.

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das buch kommt daher wie eine vergessene diva, die noch nicht aufgeschnittenen seiten, oben mit goldschnitt, der dicke lederrücken, die wertigkeit, deren glanz irgendwie nie notwendig war, der roman hatte keinen erfolg, das leder-konzept für die beletage passt ganz gut, auch die vergeblichkeit dieses ruhmstrebens ist da mituntergebracht. anspruch, buchdruckerkunst, ein gewaltiger roman: ein schönes und bissken trauriges ding. ein papiermesser habe ich nicht, es darf weiter ungelesen bleiben.

*januar 2019 einen filmschnipsel mit john cowper powys im netz gefunden, er probt da eine debatte für und wieder die heirat, sein gegenüber war bertrand russell.

 

die kleinen bücher

dagegen die lieblingsbücher, allesamt vollkommen unpompös:

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bei erscheinen eben ein taschenbuch unter vielen anderen, danach gelesen und auf tischen und regalen abgelegt, ein bisschen eselsohrig, die gedichte vollkommen zeitlos und klar. von montale gibt es auch so einen band wie den powys, mit schnick und schnack, doppelt so teuer, seit jahren unverkauft. da kaum habenwollen, nur dieser fast mechanische, herzlose und an inhalten kaum interessierte teil des sammelns, der im objekthaften aufhört. weil montale teil des lesealltags ist und als repräsentationsobjekt nicht nutzbar ist, der sträubt sich.

DSC_0342-klein1benns todesjahr. haben die sich eigentlich gelesen, weiß das jemand? ja, montale schon.

 

Untitled

grad in der s-bahn der mann mit den großen schönen augen, quer über die bank sitzend, die füße aber in der luft. die bahn ist leer, ich erkläre einer freundin am telefon, was ich grade mache, er erzählt nachher, dass er auch sowas macht, mit hunden, und wie er einmal einem halbseitig gelähmten mann – dann verwischt seine stimme, er wird sehr leise und redet in sich hinein, aber er sucht weiter kontakt. etwas in seinem blick bringt mich dazu, hinzuhören, ich werde neugierig. er kennt mich, sagt er, er könnte meinen namen sagen, wie ich denn hieße? sag ich nicht, sage ich, und denke, sag du es. er schwankt und fällt von seiner bank direkt vor meine füße und verliert seinen filzhut dabei, ich will ihm den hut wieder aufsetzen, aber er ärgert sich und sagt mir, jetzt würden alle schlecht von ihm denken, dass sei jetzt peinlich, ist mir peinlich sagt er, ich sei verheiratet gewesen? ja, sage ich. ich auch, sagt er, und dass seine kinder das wichtigste in seinem leben seien. aber es ist jetzt vorbei, oder, mit dem mann? fragt er. ja, sage ich. war er italiener? fragt er, und in welcher stadt hast du gelebt vorher? sag ich nicht, sage ich.

 

monbijoupark sonntags

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der runde alte mann im cremefarbenen sommeranzug, schwärzeste haare, seidene weste, helle schuhe, der sich immer blutjunge anfängerinnen in sehr kurzen röcken sucht, und sie im wohlfühlmodus über die tanzfläche schiebt, in ganz kleinen schritten, mit vielen effektvollen pausen. die mädels kichern, er lächelt mit halbgeschlossenen lidern in sich hinein und sie lehnen ihre köpfe an seine wange. das ganz schmale paar mit superelastischen körpern, die sich wie zwei verzwirbelte korkenzieher die ganze zeit umeinander drehen, sie legt ihren dicken zopf dabei von einer schulter auf die andere, je nach ihrer blickrichtung, als sei das nötig. die frischlinge, die noch an der grammatik arbeiten und jeden schritt einzeln entscheiden müssen.

den ganzen abend getanzt, halb werde ich aufgefordert, halb frage ich, am liebsten natürlich die großen, soliden männer. der eine, der nach ein paar umdrehungen meine hand an seine warme brust legt, bis ich ihn besser spüre und die augen schließen kann bei der milonga, der andere, der mehr auf abstand bleibt, aber mit der musik auf eine sommersekunde genauso umgeht wie ich. die engsten tangos mit einer frau, einen kopf kleiner als ich, ganz innig mit ein paar unsicherheiten in der führung, bei mir oder bei ihr. sie tun mir alle auch ein bisschen leid, weil ihre füße manchmal unter meinen sind, ich weiß ja nicht mehr, wie tanzbar ich noch bin nach all den jahren, aber sie sagen nicht nein (das gefährliche alter der dankbarkeit). man tanzt auch ein stück mit sich selber, der tango ein gespräch zwischen vergangenheit und dem jetzt, zwischen wünschen und möglichkeiten, das kurze stoppen in der synkope, unter spannung gehalten werden, das loslassen in den nächsten takt.

ich weiß nie, was mein tänzer will vom tango. will er eine form? ist die interpretation eines stückes etwas, das auf ein ende hinausläuft, muss jeder neue tango richtig getanzt werden, oder ist die musik die chance, das fortlaufende innere gespräch mit dem anderen, mit der frau und dem mann mal anders auszuleben? es ist ja anders als beim text oder beim schreiben, wo wort und ding oder sinn und form zueinanderwollen und dann so bleiben dürfen, hier gibt es drei elemente, ich, du, der tango, und die gehen sehr schnell einfach weiter. dazu das freundliche blinzeln vom eros, wenn man dabei die hand auf einer starken schulter liegen hat und sein arm dich kurz näher heranholt – kann man nicht ersetzen. vergess ich immer. die musikbegabten, die etwas wollen von den stücken, dann der mojo, wenn nichts dazwischenpasst für dreieinhalb minuten. beim tanzen denkt dann so aus dem off: isses ein jurist, oder ein florist, ein lehrer? ein künstler, ein fliesenleger, ein lobbyist? und du fragst nicht nach, weil für das, was ihr da miteinander habt, nur diese eine offene stelle wichtig ist, die sie alle haben, offenheit für die 7/8 und die solos und das rauschen der nacht. meine hoffnung, dass es den männern auch so geht und mehr mitschwingt als nur die pragmatische entscheidung, sport, frauen und gefüllte abende unter einen hut zu bekommen. ich weiß es aber nicht, es ist ja auch totally wurscht, und die musik geht halt immer weiter, ich darf sogar den letzten tango noch mitnehmen, mit meinem lieblingstänzer an dem abend, sein hemd immer noch frisch und weiß.

so wenig, so viel, genug. heimradeln, wie die nacht dann frischer wird und ich abgekühlt zu haus ankomme – hmm, ich weiß grad auch nicht mehr genau, wie ich all das vergessen konnte. heut laufe ich die ersten stunden des tages wie ein betrunkener seemann, aber hey, vielleicht doch mal ein paar einzelstunden zum aufpolieren?